Klinisch wie wissenschaftlich arbeiten wir seit Jahrzehnten mit der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD). Am 1. Januar 2022 wurde bereits die jüngste Aktualisierung, ICD-11, beschlossen. Der Zeitpunkt der Einführung in die Versorgungspraxis ist noch nicht definiert. In der Forschung und in der Ausbildung wird ICD-11 jedoch zunehmend bereits verwendet.

Im Bereich der Klassifikation psychischer Störungen finden sich die meisten Änderungen, die den wissenschaftlichen Erkenntnissen der letzten Jahre in Psychiatrie, Psychosomatik und Psychologie Rechnung tragen. Dabei lehnt sich ICD-11 stark an DSM-5 an. Wesentliche Veränderungen liegen in der Einführung dimensionaler Bewertungen (z.B. Persönlichkeitsstörungen), dem Wegfall von nicht mehr als „psychische Störung“ definierten Erkrankungen wie die „nicht-organischen Schlafstörungen“ oder „Tic-Störung“ und der Einführung neuer Kategorien wie „anhaltende Trauerstörung“, „Komplexe posttraumatische Belastungsstörung“ oder Verhaltenssüchte wie „Gaming Disorder“.

Vor allem im Bereich der Persönlichkeitsstörungen bringt ICD-11 bedeutende Veränderungen im Vergleich zu ICD-10 mit sich. Eine der markantesten Neuerungen ist die Verschiebung von einem kategorialen zu einem dimensionalen Ansatz, der eine differenziertere und nuanciertere Bewertung der Persönlichkeit ermöglichen soll. Anstelle der, zum Teil auch viel kritisierten, starren Diagnosekategorien bietet ICD-11 nun einen Rahmen, der die Vielfalt und Komplexität von Persönlichkeitsstilen besser abbilden soll. Eine weitere Änderung betrifft die Terminologie. In ICD-11 wird mit dem Begriff der „Persönlichkeitsmerkmale und -muster“ eine weniger stigmatisierende Sprache verwendet, um die Kommunikation über Persönlichkeitsstörungen zu erleichtern. Dies soll auch die Individualität des einzelnen Menschen betonen.

Wir möchten Ihnen in Vorbereitung auf die Einführung der ICD-11 in die Praxis in den folgenden Ausgaben von Verhaltenstherapie die relevanten Änderungen von ICD-10 zu ICD-11 und deren wissenschaftliche Herleitung vorstellen.

Aufgrund der weitreichenden Änderungen im Bereich der Persönlichkeitsstörungen machen wir in diesem Heft mit dem Artikel von Herpertz und Hölzel [2024] den Auftakt.

Die Autorin erklärt, dass keinerlei Interessenskonflikte bestehen.

Die Autorin hat keinerlei finanzielle Unterstützung für den Beitrag erhalten.

1.
Herpertz SC, Hölzel LP. Persönlichkeitsstörungen in ICD-11: Was sich geändert hat. Verhaltenstherapie. 2024. https://doi.org/10.1159/000538494.