Zusammenfassung
Hintergrund: Eine Vielzahl von randomisiert-kontrollierten Studien belegen die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) für soziale Ängste. Die Wirksamkeit der KVT unter Routinebedingungen wurde allerdings seltener untersucht. In den wenigen naturalistischen Studien werden Ergebnisse ausschließlich für die soziale Angststörung (SAS) berichtet. Befunde für die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung (ÄVPS) stehen noch gänzlich aus. Die vorliegende Studie untersucht die Wirksamkeit einer kombinierten Gruppen- und Einzeltherapie für SAS und ÄVPS in der Routineversorgung. Methode: Einhundert und fünf Patient*innen mit SAS, von welchen 36% komorbid mit ÄVPS diagnostiziert waren, nahmen an einer Kombination aus Gruppen- und Einzeltherapie teil. Die Patient*innen füllten zu Beginn der Einzeltherapie, vor der Gruppentherapie, nach der Gruppentherapie und am Ende der Einzeltherapie Fragebögen aus. Ergebnisse: Die Behandlung führte zu einer starken Verbesserung sozialängstlicher Symptome (d = 1,1), zu einer Verringerung depressiver Symptome (d = 1,0) und allgemeiner psychischer Beschwerden (d = 1,1) sowie zu einem starken Anstieg der Selbstwirksamkeit (d = 1,1). Während der Gruppentherapie nahmen die sozialen Ängste am stärksten ab. ÄVPS war kein signifikanter Prädiktor für den Therapieerfolg. Diskussion: Die Effektstärken der kombinierten Behandlung sind mit denen anderer Studien in der Routineversorgung vergleichbar. Patient*innen mit ÄVPS erlebten ähnliche Therapieerfolge wie Patient*innen ohne ÄVPS.
Abstract
Background:: Cognitive behavioral therapy (CBT) in a group or individual format has proven effective for treating social anxiety in numerous randomized controlled trials. Studies in routine care are rare and focus exclusively on social anxiety disorder (SAD). Findings for avoidant personality disorder (AVPD) are missing. The current effectiveness study evaluates a combination of group and individual CBT for patients with SAD with or without AVPD. Methods:: One hundred and five patients diagnosed with SAD with or without comorbid AVPD completed a combination of group and individual CBT. We administered outcome measures prior to individual therapy, prior to group therapy, after group therapy, and after individual therapy. Results:: Patients experienced a strong decline in social anxiety symptoms (d = 1.1), depression (d = 1.0), and general mental distress (d = 1.1). They also showed a large increase in self-efficacy (d = 1.1). Descriptively, the largest decreases in social anxiety occurred during the group treatment. Controlling for pretreatment severity and depression, a comorbid diagnosis of AVPD was not associated with symptom improvement during treatment. Discussion:: The results of the combined treatment were comparable to those of other effectiveness studies. Group treatment seemed to accelerate change in social fears. Patients with AVPD showed the same average improvements as patients without comorbid AVPD.
Einführung
Die soziale Angststörung (SAS) ist eine der häufigsten psychischen Störungen in westlichen Ländern. Die Lebenszeitprävalenzrate variiert zwischen 6,6 und 12,1% in Europa und Nordamerika [Fehm et al., 2005; Kessler et al., 2005]. Eng mit der SAS verbunden und daher hoch komorbide ist die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung (ÄVPS). Sie tritt bei 40–88% der Fälle einer generalisierten SAS auf. Diese derart starke Überlappung führt dazu, dass es eine rege Diskussion darüber gibt, ob die ÄVPS und SAS überhaupt qualitativ unterschiedliche Phänomene sind. Viele Studien stützen die Hypothese eines Kontinuums, wo ÄVPS und SAS als Ausdruck desselben Konstrukts (soziale Angst) betrachtet werden. Die ÄVPS stellt dabei die schwerwiegendere Form dar und ist mit stärkeren Beeinträchtigungen in allen Funktionsbereichen verbunden [z.B. Bögels et al., 2010]. Andere Studien konzentrieren sich auf spezifische Merkmale, die für Patient*innen mit ÄVPS, nicht aber für Patient*innen mit SAS, charakteristisch sind [z.B. emotionale Zurückhaltung: Marques et al., 2012]. Offenbar hängt die Abgrenzung der SAS von der ÄVPS weitgehend davon ab, wie breit man das Konstrukt der sozialen Angst definiert. Breitere Definitionen sozialer Angst (einschließlich ihrer Auswirkungen auf das Selbstbild und die Beziehungen zu anderen) unterstützen die Kontinuums-Hypothese, während ein engeres Verständnis sozialer Angst die qualitativen Unterschiede zwischen ÄVPS und SAS hervorhebt [für eine ausführliche Diskussion siehe Weinbrecht et al., 2016].
Die SAS ist gut behandelbar. Insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) verfügt über robuste Wirksamkeitsbelege. Jüngste Metaanalysen berichten über Effektgrößen aus randomisierten Kontrollstudien von d = 0,70–1,19 im Vergleich zu Wartelistenkontrollgruppen [Acarturk et al., 2009; Mayo-Wilson et al., 2014; Barkowski et al., 2016]. Für die ÄVPS ist die Befundlage begrenzter, da Studien zur Behandlung von SAS es meist versäumen, Ergebnisse für Personen mit (komorbider) ÄVPS separat darzustellen. Einige Studien untersuchten, ob die komorbide Diagnose einer ÄVPS den Behandlungserfolg schmälert und Personen mit einer komorbiden ÄVPS weniger von der Behandlung profitieren als Personen ohne ÄVPS. Die große Mehrheit der Studien fand keinen solchen Zusammenhang [Brown et al., 1995; Hope et al., 1995; Feske et al., 1996; van Velzen et al., 1997; Scholing und Emmelkamp, 1999; Huppert et al., 2008; Borge et al., 2010]. Zwei Studien fanden schlechtere Ergebnisse für Personen mit komorbider ÄVPS auf mindestens einem Outcome-Maß [Chambless et al., 1997; Oosterbaan et al., 2002]. Neben Hinweisen aus der Literatur zur SAS gibt es auch einige Studien, die speziell die Behandlung der ÄVPS in den Fokus nehmen. Diese berichten über eine moderate bis starke Reduktion der sozialen Angstsymptome und moderate Remissionsraten für die Diagnose der ÄVPS [z.B. Renneberg et al., 1990; Emmelkamp et al., 2006; Strauss et al., 2006; Rees und Pritchard, 2015].
Die KVT für SAS und ÄVPS kann im Einzel- oder Gruppenformat angewendet werden. Es wird derzeit lebhaft darüber diskutiert, welches Behandlungsformat für sozial ängstliche Patient*innen vorzuziehen ist [z.B. Aderka, 2009]. Jedes Format hat seine Vorteile. Die Gruppentherapie aktiviert spezifische Wirkmechanismen: Kohäsion, Informationsaustausch, Lernen am Modell und die Universalität des Leidens [Fiedler, 2005]. Diese können die Wirkung von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Interventionen verstärken. Darüber hinaus bieten Gruppensitzungen eine kontinuierliche Exposition für sozial ängstliche Patient*innen. Die Einzeltherapie hingegen garantiert mehr Zeit für die detaillierte Exploration der spezifischen Überzeugungen des Einzelnen und die Gestaltung von individuell zugeschnittenen Verhaltensexperimenten. Einige Autor*innen argumentieren auch, dass die soziale Situation einer Gruppensitzung für einige Patient*innen zu angstprovozierend sein kann und somit den Lernprozess behindert [Stangier et al., 2003]. Bisher untersuchte nur eine Studie eine Kombination aus Gruppen- und Einzeltherapie. Olivares-Olivares et al. [2008] konnten zeigen, dass zusätzliche Einzelsitzungen die Wirksamkeit einer Gruppenbehandlung für sozial ängstliche Jugendliche verbessern. Es scheint naheliegend, dass die Kombination von Gruppen- und Einzelbehandlung eine wertvolle Option für Personen mit SAS sein kann.
Während die Evidenz für die Wirksamkeit der KVT unter kontrollierten Forschungsbedingungen für die SAS und in geringerem Maße auch für die ÄVPS robust ist, sind die Daten über die Wirksamkeit dieser Behandlungen in der klinischen Routine lückenhafter. Naturalistische Effectivenessstudien sind wichtig um festzustellen, wie gut eine Behandlung in der Praxis funktioniert. Um die externe Validität zu maximieren, wenden Effectivenessstudien weniger Einschlusskriterien an (z.B. schließen sie bestimmte Komorbiditäten nicht aus), wenden keine Manuale an oder kontrollieren nicht die Einhaltung der vorhandenen Manuale und machen keine Einschränkungen hinsichtlich des Abstands und der Anzahl der Sitzungen. Vier Studien zur SAS untersuchten, ob die guten Ergebnisse aus randomisiert-kontrollierten Studien in der Routineversorgung Bestand hatten. Alle Studien konnten die Wirksamkeit in der Routineversorgung bestätigen und zeigten einen moderaten bis starken Rückgang der sozialen Ängste (d = 0,7–1,0) [Lincoln et al., 2003; Gaston et al., 2006; McEvoy, 2007; Crecelius und Hiller, 2014]. Alle diese Studien wendeten nur wenige Ausschlusskriterien an. Drei von ihnen verwendeten ein der Routineversorgung ähnliches Rekrutierungsverfahren. Drei wendeten ein Manual an. Eine weitere, kürzlich publizierte Studie untersuchte die KVT für soziale Ängste in der Routineversorgung und zeigte eine starke Reduktion der Symptomatik bei 77 eingeschlossenen Patient*innen [Hoyer et al., 2017]. Es ist jedoch anzumerken, dass die Verfahren und Ausschlusskriterien in dieser Studie denen einer randomisiert-kontrollierten Studie sehr ähnlich waren, sodass die Ergebnisse die Realität in der Routineversorgung möglicherweise nicht abbilden.
Bisher hat keine der Effectivenessstudien die Auswirkungen einer komorbiden Diagnose der ÄVPS untersucht. Es bleibt unklar, ob schwer beeinträchtigte Patient*innen in der Routineversorgung von der KVT in gleichem Maße profitieren wie weniger schwer beeinträchtigte Patient*innen. Darüber hinaus wurden in allen früheren Effectivenessstudien entweder Gruppen- oder Einzeltherapien evaluiert. Die aktuelle Studie untersuchte eine Kombination aus Einzel- und Gruppenbehandlung. Die Studie folgte einem naturalistischen, unkontrollierten Design. Sie hatte das Ziel, mögliche Verbesserungen in der sozialängstlichen Symptomatik durch die kombinierte Behandlung zu evaluieren. Wir beschreiben Veränderungsraten in verschiedenen Behandlungsphasen (Einzeltherapie, Gruppentherapie, weitere Einzeltherapie), um einen Eindruck davon zu bekommen, wann Veränderungen auftreten. Da diese Studie in der Routineversorgung durchgeführt wurde, haben wir die kombinierte Behandlung nicht direkt mit anderen Behandlungsformen verglichen. Der Einfluss einer komorbiden Diagnose einer ÄVPS auf die Symptomverbesserung während der Behandlung wird berücksichtigt.
Methoden
Teilnehmende und Verfahren
Die Studie wurde an unserer Hochschulambulanz durchgeführt. In dieser Ambulanz behandeln approbierte KVT-Therapeut*innen erwachsene Patient*innen. Die Behandlungskosten werden von den Krankenkassen übernommen. Nach einem ersten Aufnahmegespräch unterziehen sich die Patient*innen dem Strukturierten Klinischen Interview für DSM-IV (SKID) Achse-I- und Achse-II-Störungen [Fydrich et al., 1997; Wittchen et al., 1997], welches von ausgebildeten und supervidierten Masterstudierenden der Psychologie durchgeführt wird.
Für die aktuelle Studie wurden Patient*innen mit einer Primärdiagnose der SAS oder einer ÄVPS eingeladen, zusätzlich zu ihrer Einzeltherapie an einer standardisierten Gruppenbehandlung teilzunehmen. Die Einzeltherapeut*innen entschieden, für wen die zusätzliche Gruppenbehandlung geeignet erschien, und erläuterten die Vorteile des kombinierten Ansatzes. Die Patient*innen begannen mit der Einzeltherapie und wurden dann zur nächsten verfügbaren Gruppenbehandlung eingeladen. Nach 6 Wochen Gruppentherapie setzten die Patient*innen ihre Einzeltherapie fort und schlossen diese ab. Wir analysierten die Daten aller Patient*innen, die sich zwischen Januar 2010 und November 2016 dem kombinierten Behandlungsansatz unterzogen hatten. Für die aktuelle Studie wählten wir keine spezifischen Ein- oder Ausschlusskriterien.
Abbildung 1 zeigt den Patient*innenfluss. Insgesamt wurden 105 Patient*innen in die Kombinationsbehandlung aufgenommen. Von diesen füllten 5 (4,8%) das primäre Outcome-Maß vor der Behandlung nicht aus, 7 (6,7%) füllten das primäre Outcome-Maß vor der Gruppentherapie nicht aus, und von 26 (24,8%) bzw. 32 (30,5%) fehlten die Daten zum primären Outcome nach der Gruppen- bzw. am Ende der Einzeltherapie. Die Raten fehlender Werte bei anderen Fragebögen waren höher (Abb 1), was auf organisatorische Probleme zu Beginn der Studie zurückzuführen ist. Für 4 Teilnehmende waren keine Informationen über das SKID verfügbar. Zum Zeitpunkt der Datenanalyse befanden sich 16 Patient*innen (15%) noch in einer Einzeltherapie mit durchschnittlich 39,7 absolvierten Sitzungen (SD = 8,4). Neunundsiebzig Patient*innen (75%) hatten die Therapie mit durchschnittlich 35,2 (SD = 20,6) Einzelsitzungen abgeschlossen. Zehn Patient*innen (10%) hatten die Einzelbehandlung nach durchschnittlich 29,0 (SD = 13,3) Sitzungen abgebrochen. Nur zwei Patient*innen hatten das Gruppenprogramm vorzeitig beendet. Der Abbruch der Gruppentherapie hatte keine Auswirkungen auf die Einzeltherapie. Zum Zeitpunkt der Datenanalyse hatten die Patient*innen im Durchschnitt über alle Patient*innen hinweg 36 Stunden Einzeltherapie (SD = 18) absolviert.
Patient*innenfluss und Anzahl der ausgefüllten Fragebögen zu allen Messzeitpunkten. BDI-II, Beck Depression Inventory; BSI_IS, Subskala Interpersonelle Sensitivität des Brief Symptom Inventory; GSE, General Self-Efficacy Scale; GSI, Global Severity Index des Brief Symptom Inventory; SIAS, Social Interaction Anxiety Scale; SPS, Social Phobia Scale.
Patient*innenfluss und Anzahl der ausgefüllten Fragebögen zu allen Messzeitpunkten. BDI-II, Beck Depression Inventory; BSI_IS, Subskala Interpersonelle Sensitivität des Brief Symptom Inventory; GSE, General Self-Efficacy Scale; GSI, Global Severity Index des Brief Symptom Inventory; SIAS, Social Interaction Anxiety Scale; SPS, Social Phobia Scale.
Fünfundfünfzig Prozent der Patient*innen waren weiblich. Das Durchschnittsalter betrug 34 Jahre (SD = 9). Die Mehrheit der Teilnehmenden war hochgebildet. Dreißig Patient*innen (35,3%) hatten das Abitur absolviert und fast die Hälfte von ihnen hatte einen Universitätsabschluss (47,1%). Nur 20% unserer Patient*innen waren zu Beginn der Studie in einer Beziehung. Sechsunddreißig Prozent der Patient*innen erfüllten die diagnostischen Kriterien der ÄVPS. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden (55%) erfüllten die Kriterien für eine andere aktuelle Störung der Achse I. Die häufigsten komorbiden Erkrankungen waren depressive Störungen und andere Angststörungen. Patient*innen, die die Therapie abgebrochen hatten, wurden mit denen verglichen, die die Behandlung abgeschlossen hatten. Patient*innen, die die Behandlung abgebrochen hatten, waren signifikant jünger als Patient*innen, die in der Intervention geblieben waren (t(16,89) = –2,61, p = 0,02), unterschieden sich aber nicht hinsichtlich anderer demographischer oder klinischer Variablen (alle p-Werte >0,28) oder hinsichtlich primärer und sekundärer Outcome-Maße zu Studienbeginn (alle p-Werte >0,30).
Interventionen
Einzeltherapie. Die Patient*innen erhielten KVT. Die Behandlung war nicht manualisiert. Auch komorbide Beschwerden wurden berücksichtigt.
Gruppentherapie. Die Gruppentherapie folgte einem für den Einsatz in der Ambulanz entwickelten Manual. Das Manual vereint Elemente der kognitiven Therapie [Stangier et al., 2009], der KVT-Gruppentherapie [Heimberg und Becker, 2002] und der intensiven Kurzzeittherapie der ÄVPS [Renneberg et al., 1990]. Die Gruppensitzungen wurden von zwei approbierten Verhaltenstherapeut*innen durchgeführt. Die Gruppen umfassten 3–6 Patient*innen. Die Behandlung begann mit einer intensiven zweitägigen Sitzung, auf die 5 wöchentliche Sitzungen von 2,5 Stunden folgten. Am ersten Tag entwickelten die Teilnehmenden ein individuelles kognitives Modell ihrer sozialen Ängste, welches die Rolle einer negativ verzerrten Selbstwahrnehmung in sozialen Situationen veranschaulicht. Die Teilnehmenden führten Rollenspiele mit Video-Feedback durch. Der zweite Behandlungstag war Verhaltensexperimenten zur Auswirkung von Sicherheitsverhalten und Selbstaufmerksamkeit gewidmet. Die Teilnehmenden erstellten eine Hierarchie von Angst auslösenden Situationen. Die dritte Sitzung (2,5 Stunden) konzentrierte sich auf negative automatische Gedanken und ihre Rolle bei der Aufrechterhaltung sozialer Ängste. Die Patient*innen entwickelten alternative, hilfreiche Gedanken und testeten deren Einfluss auf die soziale Angst in Rollenspielen. Die vierte Sitzung widmete sich Verhaltensexperimenten zum pre-event processing. Die Bedeutung von post-event processing wurde diskutiert. In der fünften Sitzung lag der Fokus auf den körperlichen Symptomen sozialer Angstzustände. In Rollenspielen unternahmen die Patient*innen den Versuch, die körperlichen Symptome zu intensivieren und beobachteten, wie sich dies auf ihre sozialen Ängste auswirkte. In der sechsten Sitzung führten die Patient*innen Rollenspiele zu relevanten sozialen Standardsituationen durch (z.B. Small Talk auf einer Party). In der siebten Sitzung wurde die Prävention von Rückfällen thematisiert. Am Ende jeder Sitzung wurden für jede/n Patient*in Hausaufgaben mit besonderem Schwerpunkt auf der Durchführung von Verhaltensexperimenten formuliert.
Erhebungsinstrumente
Die Fragebögen wurden vor der Einzelbehandlung, vor der Gruppenbehandlung, nach der Gruppenbehandlung und am Ende der Einzelbehandlung ausgefüllt.
Als primäres Outcome-Maß wurde die Subskala Interpersonelle Sensitivität des Brief Symptom Inventory (BSI_IS) [deutsche Version: Franke, 2000] gewählt, da dieses Maß für die meisten Teilnehmenden verfügbar war. Das BSI_IS bewertet Gefühle der Unzulänglichkeit und Verlegenheit in sozialen Situationen mit vier Items auf einer 5-Punkte-Likertskala (0–4). Für Psychotherapie-Patient*innen zeigte das BSI_IS gute psychometrische Eigenschaften und hohe Korrelationen mit anderen Skalen der Sozialphobie [Geisheim et al., 2002]. Als sekundäre Outcome-Maße wurden die Angst vor sozialen Leistungssituationen mit der Social Phobia Scale (SPS) und die Angst vor Interaktionssituationen mit der Social Interaction Anxiety Scale (SIAS) [deutsche Version: Stangier et al., 1999] erfasst. Depressive Symptome wurden mit dem Beck Depression Inventory (BDI-II) gemessen [deutsche Version: Hautzinger et al., 2000]. Darüber hinaus wurden die Selbstwirksamkeit mit der 10-Item-Skala für die allgemeine Selbstwirksamkeit [General Self-Efficacy Scale (GSE): Jerusalem und Schwarzer, 1986] und die allgemeine psychische Belastung mit dem Global Severity Index (GSI) des BSI [Franke, 2000] gemessen.
Statistische Analysen
Die Mittelwertunterschiede zwischen benachbarten Messzeitpunkten (vor Einzeltherapie, vor Gruppentherapie, nach Gruppentherapie, nach Einzeltherapie) wurden mit Hilfe von Single-Indicator Latent Change (LC)-Score-Modellen untersucht [Newsom, 2015]. Insgesamt ähnelt der LC-Ansatz der Berechnung von ANOVAs/t-Tests [Coman et al., 2013]. Der LC-Ansatz erleichtert jedoch die Einbeziehung mehrerer imputierter Datensätze sowie die Berücksichtigung von Clustering. Zuerst wurde die Gesamtveränderung nur unter Berücksichtigung des ersten und letzten Messzeitpunkts untersucht. Danach wurden schrittweise die Change-Score-Modelle unter Beachtung der vier Messzeitpunkte geschätzt, wobei potenziell diskontinuierliche Veränderungsmuster berücksichtigt wurden (Phasenmodell). Die Nestung von Individuen innerhalb von Behandlungsgruppen zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt (28 Gruppen, durchschnittliche Clustergröße 3,75) wurde durch die Korrektur der Standardfehler mit der in Mplus implementierten Funktion TYPE = COMPLEX berücksichtigt [Asparouhov, 2004; Muthén und Muthén, 2011]. Die geschätzten Modelle sind vollständig gesättigt. Daher sind keine Informationen über die Modellpassung verfügbar.
Fehlende Daten wurden unter der Annahme Missing at Random multiple imputiert (MI). MI wurde mit dem in R implementierten mice-Befehl durchgeführt [van Buuren und Groothuis-Oudshoorn, 2011]. Einhundert Datensätze wurden erstellt (40 Iterationen), die alle Outcome-Maße sowie Alter, Geschlecht und die Diagnose der ÄVPS und Depression als Hilfsvariablen verwendeten. Alle berichteten Ergebnisse (durchschnittliche Veränderung, Regressionsgewichte, Reliable-Change-Raten) sind zusammengefasste Schätzungen über alle erstellten Datensätze hinweg [Enders, 2010].
Da mehrere Outcome-Maße einbezogen wurden, wurde der Alpha-Wert für Mehrfachvergleiche korrigiert. Innerhalb der Gesamtvergleiche (vor Einzeltherapie bis nach Einzeltherapie) wurden nur Unterschiede mit p < 0,008 als signifikant gewertet (0,05/6 Outcome-Maße). Für das Phasenmodell wurden nur Mittelwertunterschiede mit p < 0,003 als statistisch signifikant betrachtet (0,05 / 6 Outcome-Maße × 3 Veränderungsphasen pro Outcome-Maß).
Um den Einfluss der ÄVPS auf die Symptomänderung zu untersuchen, wurde eine multiple Regressionsanalyse mit BSI_IS-Change-Scores als abhängige Variable durchgeführt. Um den Schweregrad der anfänglichen Symptome und das Vorhandensein einer komorbiden Depression zu kontrollieren, wurden gleichzeitig BSI_IS-Basiswerte und die Diagnose einer depressiven Störung berücksichtigt.
Darüber hinaus wurden für die drei sozialen Angstmaße Raten der klinischen Veränderung ermittelt. Klinisch relevante Verbesserungen wurden mit dem Reliable Change Index erfasst, Remissionsraten wurden mit dem “c”-Kriterium operationalisiert [Jacobson und Truax, 1991]. Veränderungen von ≥0,31 Punkten auf dem BSI_IS, ≥8 Punkten auf der SPS und ≥9 Punkten auf der SIAS wurden als klinisch relevant bewertet. Teilnehmende mit Post-Werten <0,67 auf dem BSI_IS, <21 auf der SPS und <31 auf der SIAS wurden als remittiert eingestuft.
Alle Analysen wurden mit Mplus 8 [Muthén und Muthén, 2011], R und SPSS 24 durchgeführt.
Ergebnisse
Tabelle 1 zeigt Mittelwertunterschiede, Standardfehler und Effektgrößen für alle Outcome-Maße für alle vier Messzeitpunkte (Mittelwerte und Standardabweichungen stehen auf Anfrage bei der Erstautorin zur Verfügung).
Veränderung sozialer Ängste
Über die gesamte Behandlungsdauer nahmen soziale Ängste, gemessen mit dem BSI_IS, deutlich ab (d = –1,08). In Hinblick auf die verschiedenen Behandlungsphasen zeigten die Patient*innen während der ersten Einzeltherapiephase keine signifikante Veränderung sozialer Ängste (d = –0,18). Während der Gruppentherapie (d = –0,57) und in der anschließenden Einzeltherapie (d = –0,38) zeigten sich signifikante Verbesserungen der sozialen Ängste. Abbildung 2 zeigt die Mittelwerte des BSI_IS zu den einzelnen Messzeitpunkten. Die Veränderungen auf den beiden zusätzlichen sozialen Angstskalen (SIAS, SPS) waren vergleichbar. Die Verbesserungen über die gesamte Behandlung waren groß (SIAS: d = –1,19; SPS: d = –0,98). Auch hier gab es vor der Gruppenbehandlung keinen signifikanten Rückgang der sozialen Angstsymptome bei SIAS (d = –0,15) und SPS (d = –0,15), aber die Symptome nahmen sowohl während der Gruppentherapie (SIAS: d = –0,93; SPS: d = –0,81) als auch in der anschließenden Einzeltherapie (SIAS: d = –0,51; SPS: d = –0,37) signifikant ab.
Unbedingte Mittelwerte der BIS_IS-Scores für die Gesamtstichprobe und Patient*innen mit und ohne ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung (AVPD) zu allen Messzeitpunkten. BIS_IS, Subskala Interpersonelle Sensitivität des Brief Symptom Inventory; pre, vor Einzeltherapie; pre-group, vor Gruppentherapie; post-group, nach Gruppentherapie; post, nach Einzeltherapie.
Unbedingte Mittelwerte der BIS_IS-Scores für die Gesamtstichprobe und Patient*innen mit und ohne ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung (AVPD) zu allen Messzeitpunkten. BIS_IS, Subskala Interpersonelle Sensitivität des Brief Symptom Inventory; pre, vor Einzeltherapie; pre-group, vor Gruppentherapie; post-group, nach Gruppentherapie; post, nach Einzeltherapie.
Veränderung der sekundären Outcome-Maße
Es wurden Veränderungen der Selbstwirksamkeit (GSE), der allgemeinen psychischen Belastung (GSI) und der depressiven Symptome (BDI-II) untersucht. Über die gesamte Behandlungsdauer hinweg zeigte sich für alle Outcome-Maße ein großer, signifikanter Effekt (Selbstwirksamkeit: d = 1,13; psychische Belastung: d = –1,11; Depression: d = –1,01) (für Details siehe Tab 1).
Die Selbstwirksamkeit änderte sich in der ersten Zeit der Einzeltherapie nicht signifikant (d = –0,05). Während der Gruppenbehandlung (d = 0,76) sowie den anschließenden Einzelsitzungen (d = 0,43) nahm die Selbstwirksamkeit signifikant zu. Depressive Symptome nahmen sowohl in der ersten Behandlungsphase (d = –0,41) als auch während der Gruppenbehandlung (d = –0,74) deutlich ab, jedoch nicht nach der Gruppenbehandlung (d = –0,23). Die globale psychische Belastung nahm nur während der Gruppenbehandlung signifikant ab (d = –0,60).
Die Rolle der ÄVPS
Abbildung 2 zeigt Veränderungen der sozialen Angst für die Gruppe der Patient*innen mit einer ÄVPS und die Gruppe ohne komorbide ÄVPS (Mittelwerte und Standardabweichungen stehen auf Nachfrage bei der Erstautorin zur Verfügung). Wie erwartet waren die Symptomwerte für die Gruppe mit ÄVPS konstant höher.
Um zu beurteilen, ob die Diagnose der ÄVPS mit einer ungünstigeren Symptomentwicklung verknüpft war, führten wir getrennte Regressionsanalysen für die Veränderung über die gesamte Behandlungsdauer und für die einzelnen Behandlungsphasen durch. Eine komorbide Diagnose der ÄVPS, eine komorbide Diagnose der Depression und initiale Symptombelastung (BSI_IS) wurden als Prädiktoren aufgenommen. Die Veränderung über die gesamte Behandlung wurde ausschließlich durch die initiale Symptombelastung prädiziert (BSI_IS; b = –0,63, SE = 0,09, p < 0,001). Eine höhere initiale Symptombelastung vor der Behandlung war mit einer stärkeren Abnahme der Symptome verbunden. ÄVPS und Depression zeigten keinen signifikanten Einfluss auf die Veränderung während der gesamten Behandlung (ÄVPS: b = 0,19, SE = 0,14, p = 0,20; Depression: b = 0,22, SE = 0,14, p = 0,19) oder auf die Veränderung in einzelnen Phasen der Behandlung (ÄVPS: alle b < 0,35, alle p > 0,12; Depression: alle b < 0,25, alle p > 0,08).
Klinische Veränderungen
Auf dem BSI_IS zeigten 73% der Teilnehmenden eine klinisch relevante Veränderung (72 bzw. 68% bei SIAS und SPS). Vier bis sechs Patient*innen (4–6%) zeigten eine reliable Verschlechterung sozialer Ängste; 34% der Teilnehmenden wurden als remittiert eingestuft (48/66% auf der SIAS/SPS), und 28% der Teilnehmenden erfüllten die Kriterien für klinische Veränderung (verbessert und remittiert; 42/50% auf der SIAS/SPS).
Aufrechterhaltung der Behandlungseffekte
Zwölf Monate nach Beendigung der Behandlung wurden die Patient*innen per Post kontaktiert und gebeten, primäre und sekundäre Outcome-Maße erneut auszufüllen. Eine Teilstichprobe von 29 Patient*innen (39,7%) schickte ausgefüllte Fragebögen zurück.
Ein t-Test für abhängige Stichproben zeigte keine signifikanten Veränderungen für das BSI_IS vom Post- zum 12-Monate-Follow-up-Messzeitpunkt (Mittelwertunterschied = 0,16, t(28) = 1,49, p = 0,15, d = 0,17). Das gleiche Bild zeigte sich bei den beiden zusätzlichen Fragebögen zur sozialen Angst SPS (Mittelwertunterschied = 0,60, t(19) = 0,45, p = 0,66, d = 0,05) und SIAS (Mittelwertunterschied = 1,69, t(20) = –0,65, p = 0,52, d = 0,10). So blieb bei dieser kleinen Teilstichprobe die durchschnittliche Symptombelastung nach der Behandlung stabil. Ebenso gab es keine signifikanten Follow-up-Unterschiede für die Selbstwirksamkeit (Mittelwertunterschied für GSE = –0,07, t(29) = –0,10, p = 0,92, d = –0,01), für die depressiven Symptome (Mittelwertunterschied für BDI-II = 0,93, t(28) = 0,76, p = 0,46, d = 0,09) und für die allgemeine Symptombelastung (Mittelwertunterschied für GSI = 0,12, t(28) = 2,06, p = 0,05, d = 0,20).
Diskussion
Ziel dieser Studie war es, eine erste Einschätzung zu geben, wie Patient*innen von einer kombinierten Behandlung von Gruppen- und Einzeltherapie bei SAS und ÄVPS profitieren. Die Behandlung erfolgte in der Routineversorgung und richtete sich an alle Patient*innen, die aufgrund sozialer Ängste eine Behandlung aufsuchten. Patient*innen, die an der kombinierten Behandlung teilnahmen, zeigten einen starken Rückgang der sozialen Angstsymptome. Tabelle 2 fasst die Effektgrößen der vorliegenden Studie und früherer Effectivenessstudien für die SAS zusammen. Die in der aktuellen Studie beobachteten Effektstärken sind mit den Effekten früherer Studien vergleichbar, die entweder eine Gruppen- oder eine Einzelbehandlung anwendeten. Auch die Zusammensetzung unserer Stichprobe ist mit vorherigen Studien vergleichbar. Die anfängliche Symptombelastung zeigt, dass unsere Patient*innen nicht mehr oder weniger stark beeinträchtigt waren als andere Patient*innen in der Routineversorgung. Ein großer Teil unserer Patient*innen war hochgebildet, was in Hochschulambulanzen jedoch nicht unüblich ist [Crecelius und Hiller, 2014].
Die Behandlungsdosis in der aktuellen Studie war deutlich höher als in anderen Effectivenessstudien (Tab 2). Im Durchschnitt absolvierten die Patient*innen 36 Stunden Einzeltherapie plus 28 Stunden intensive Gruppentherapie. Dabei entsprechen 30–40 Sitzungen dem Durchschnitt in deutschen Hochschulambulanzen [Schindler und Hiller, 2010; Jacobi et al., 2011; Crecelius und Hiller, 2014]. In Übereinstimmung mit dem Dosis-Wirkungs-Modell der Psychotherapie [Lambert et al., 2001] schien die höhere Behandlungsdosis in der aktuellen Studie die Raten klinisch relevanter Veränderungen zu verbessern. Crecelius und Hiller [2014] sowie Lincoln et al. [2003] berichteten über Verbesserungsraten von 56%, während sich 73% der Teilnehmenden der vorliegenden Studie klinisch relevant verbesserten.
Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der aktuellen Studie, dass Patient*innen in der Routineversorgung von der kombinierten Behandlung profitieren. Vorläufige Ergebnisse in einer kleinen Teilstichprobe von Patient*innen deuten auch darauf hin, dass die durchschnittliche Symptombelastung nach Abschluss der Behandlung gering bleibt.
Es zeigte sich außerdem, dass der größte Rückgang der sozialen Angstsymptome während der Gruppenbehandlung auftrat. In der vorliegenden naturalistischen Studie wurden Reihenfolgeneffekte nicht kontrolliert, sodass der Effekt der Gruppenbehandlung nicht vom Zeiteffekt getrennt betrachtet werden kann. Dennoch können unsere deskriptiven Ergebnisse als Hinweis gewertet werden, dass Personen, die an einer kombinierten Behandlung teilnehmen, die größten Verbesserungen der Symptome während des strukturierten und fokussierten Gruppenansatzes aufweisen. In der Tat nahm die soziale Angst erst nach Beginn der Gruppentherapie deutlich ab. Nur bei den depressiven Symptomen zeigte sich schon während der anfänglichen Einzelsitzungen eine deutliche Besserung. Dieser Befund steht im Einklang mit dem Phasenmodell der Psychotherapie. Dieses postuliert, dass eine Remoralisierung oder Steigerung des subjektiven Wohlbefindens zeitlich vor der Veränderung der angestrebten Symptome stattfindet [Howard et al., 1993].
Die Selbstwirksamkeit der Patient*innen nahm während der Behandlung stark zu. Sie verbesserte sich nach Beginn der Gruppenbehandlung und in den folgenden Einzelsitzungen deutlich. Auch Gallagher et al. [2013] zeigten in einer Behandlungsstudie, dass die Selbstwirksamkeit in späteren Behandlungsphasen stärker zunahm als in früheren. Sie führten dies auf die Bewältigungserfahrung in Expositionsübungen zurück. Unsere Gruppenbehandlung fokussiert stark auf Exposition und Verhaltensexperimente. Dies könnte für Patient*innen die Wahrnehmung von Kontrolle und Bewältigung gefördert haben und damit zu einer Stärkung der Selbstwirksamkeit geführt haben [Bandura, 1997].
Auf der deskriptiven Ebene schien es, dass nicht alle Patient*innen gleichermaßen von der Gruppentherapie profitierten. Patient*innen mit einer komorbiden Diagnose der ÄVPS erlebten zwar über den gesamten Behandlungszeitraum vergleichbare Verbesserungen, zeigten jedoch während der Gruppenbehandlung weniger steile Änderungsraten als Patient*innen ohne ÄVPS (Abb 2). In einer anschließenden Prädiktoranalyse wurde der Einfluss der ÄVPS jedoch nicht signifikant. Eine Diagnose der ÄVPS sagte das Behandlungsergebnis nicht vorher, weder in den Phasen der Einzeltherapie noch während der Gruppenbehandlung. Damit stehen unsere Ergebnisse im Einklang mit den meisten früheren Studien (siehe Einführung), die zeigten, dass eine komorbide Diagnose der ÄVPS keinen negativen Einfluss auf das Behandlungsergebnis hat. In unserer Studie profitierten die stärker beeinträchtigten Patient*innen mit ÄVPS in einem vergleichbaren Ausmaß wie Patient*innen ohne komorbide Diagnose einer ÄVPS.
Limitationen
Die erste und größte Einschränkung der aktuellen Studie ist das Fehlen einer Kontrollgruppe. Auch wenn dies eine gängige Einschränkung bei Studien in der Routineversorgung ist, hindert uns das Fehlen einer Vergleichsgruppe daran, endgültige Schlussfolgerungen über die relative Wirksamkeit der Behandlung zu ziehen. Gleichzeitig sind die erreichten Effektgrößen mit denen früherer Effectivenessstudien vergleichbar und liegen weit über denen von Wartelistenvergleichsgruppen [g = 0,1; Steinert et al., 2017]. Es erscheint daher schlüssig, dass die angewandte Kombination von Gruppen- und Einzelbehandlung für die Behandlung sozialer Ängste in der klinischen Praxis wirksamer ist als keine Intervention. Eine relevantere Einschränkung des aktuellen Designs ist das Fehlen einer aktiven Vergleichsgruppe. Um den relativen Nutzen der Ergänzung der Einzeltherapie durch ein Gruppenprogramm abzuschätzen, ist ein direkter Vergleich zu alleiniger Einzeltherapie erforderlich. Zukünftige Studien sollten diese Frage in einem randomisierten kontrollierten Design untersuchen.
Eine weitere Einschränkung, die auch oft mit naturalistischen Studien in Verbindung gebracht wird, ist der hohe Anteil an Personen, die keine Fragebögen ausfüllen. Etwa 30% unserer Teilnehmenden versäumten es, nach der Behandlung die Fragebögen auszufüllen. Dies liegt in der Range bisheriger Studien, aber eher im oberen Bereich. Um sicherzustellen, dass unser Umgang mit fehlenden Daten nicht zu verzerrten Ergebnissen führte, führten wir eine Completer-Analyse durch, die vergleichbare Hauptergebnisse ergab (Ergebnisse auf Anfrage bei der Erstautorin verfügbar). Die Abbrecherquoten hingegen waren in der aktuellen Studie niedrig. Nur 11% der Patient*innen brachen die Behandlung ab, was für die lange Behandlungsdauer bemerkenswert ist. Ein spezifisches Problem der aktuellen Studie war der hohe Anteil der Personen, die bei der Prä-Erhebung keine symptomspezifischen Fragebögen (SIAS und SPS) erhielten, ein organisatorischer Fehler zu Beginn der Studie. Daher sollten die Ergebnisse zu SPS und SIAS nur mit großer Vorsicht interpretiert werden. Aus diesem Grund haben wir als primäres Outcome-Maß das BSI_IS verwendet, obwohl Studien zum BSI darauf hinweisen, dass die angenommene Neun-Faktoren-Struktur nur bedingt empirisch gestützt wird [Urbán et al., 2014]. Daten aus einer psychotherapeutischen Ambulanz, die der unseren sehr ähnlich ist, unterstützen jedoch die Verwendung des BSI_IS als Maß für soziale Ängste [Geisheim et al., 2002].
Eine weitere Einschränkung des naturalistischen Designs der Studie war, dass die Einzeltherapie nicht standardisiert war. Obwohl alle Patient*innen eine KVT erhielten, gibt es keine Informationen über die therapeutischen Inhalte der einzelnen Sitzungen. Wir können davon ausgehen, dass die Einzelsitzungen zumindest teilweise Inhalte abdeckten, die auch während der Gruppenbehandlung thematisiert wurden (z.B. individuelles Störungsmodell). Die Effekte der Gruppentherapie könnten daher teilweise auf eine Wiederholung des Gelernten zurückgeführt werden. Zukünftige Studien sollten Anzahl und Inhalt der Einzelsitzungen festlegen. Eine weitere Limitation der vorliegenden Studie ist, dass wir keine Informationen darüber haben, wie viele Patient*innen in Einzeltherapie die Teilnahme an der zusätzlichen Gruppenbehandlung abgelehnt haben.
Zusammenfassend zeigt die aktuelle Studie, dass Patient*innen in KVT in der Routineversorgung eine starke Reduktion sozialer Ängste erleben. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Kombination aus Einzel- und Gruppenbehandlung machbar und wirksam ist. Gleichzeitig zeigt die aktuelle Studie Effektgrößen, die mit früheren Effectivenessstudien vergleichbar sind, obwohl die Behandlungsdosis in der vorliegenden Studie deutlich höher war. Zukünftige Studien sollten untersuchen, wie viele Sitzungen (Gruppen- oder Einzelbehandlung) erforderlich sind, um annehmbare Veränderungsraten für unterschiedlich stark beeinträchtigte Patient*innen zu erzielen.
Statement of Ethics
Die Patient*innen wurden über das Ziel der Studie informiert und gaben ihr schriftliches Einverständnis.
Disclosure Statement
Es bestehen keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit dieser Arbeit.