In dieser letzten Ausgabe von Verhaltenstherapie im Jahr 2017 erscheint neben einer Reihe weiterer spannender Beiträge ein kontrovers anmutender Artikel von Fava et al. [2017]. Die Autoren stellen darin die Hypothese auf, dass eine Kombination aus medikamentöser Therapie und kognitiver Verhaltenstherapie Patienten mit Angststörungen langfristig mehr schadet als nutzt, im Gegensatz zu einer alleinigen kognitiven Verhaltenstherapie. Im Unterschied dazu empfehlen die aktuellen Leitlinien zu Angststörungen [Bandelow et al., 2014], Angstpatienten sowohl eine Psychotherapie als auch eine medikamentöse Therapie anzubieten, d.h. eine Psychopharmakotherapie auch als Behandlung der ersten Wahl. Des Weiteren wird in den S3-Leitlinien ausgeführt, dass bei der Panikstörung sowohl direkte Vergleiche als auch Meta-Analysen für eine Kombinationstherapie sprächen. Die Entscheidung aber müsse anhand der Schwere der Symptomatik, der Funktionsbeeinträchtigung und der Präferenz des informierten Patienten getroffen werden. Auch wegen der weiten Verbreitung von medikamentöser Therapie bei Angststörungen provoziert diese Übersichtsarbeit von Fava et al. [2017].

Worauf basieren die Annahmen dieser Arbeit? Die Autoren berufen sich auf 4 randomisierte kontrollierte Studien zu Angststörungen, in denen Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie) und Pharmakotherapie zur Anwendung kamen. Im Gegensatz zu vielen anderen Studien, die in Leitlinien-Empfehlungen berücksichtigt sind, wurden in diesen 4 Studien auch Langzeitergebnisse berichtet. Die Untersuchungen sind bezüglich der angewandten Pharmakotherapie und der Diagnosen nicht vergleichbar, da in 1 Studie neben Psychotherapie Benzodiazepine, in den anderen dagegen Antidepressiva zur Behandlung der Angststörung eingesetzt wurden. Zudem waren die Studienteilnehmer einmal Patienten mit Panikstörung, in einer anderen Arbeit waren wiederum Patienten mit sozialer Phobie eingeschlossen. Jedoch sind die Studien dahingehend vergleichbar, dass jeweils Follow-up-Untersuchungen nach Beendigung der Therapien durchgeführt wurden. Hier zeigt sich übereinstimmend in allen 4 Studien, dass diejenigen Patienten, die initial sowohl Psychotherapie als auch Pharmakotherapie erhalten hatten, einen schlechteren Verlauf aufwiesen als Patienten, die initial neben der Psychotherapie keine Psychopharmakotherapie erhalten hatten. Das heißt, wenngleich eine initiale Kombinationstherapie kurzfristig vorteilhaft sein kann, spricht das Follow-up-Outcome dafür, dass dieser kurzfristige Vorteil möglicherweise durch längerfristig negative Behandlungseffekte mehr als aufgehoben wird. Der Nutzen einer Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten ist in der Akuttherapie bzw. im Hinblick auf den kurzzeitigen Erfolg allenfalls gering; langfristig ist eine solche Kombinationstherapie vermutlich schädlich, weil beispielsweise eine symptomatische Verschlechterung durch Absetzeffekte der Medikamente die nachhaltige Wirkung der Psychotherapie mindert.

Fava et al. [2017] diskutieren auch die möglichen Gründe dafür, dass eine Kombinationstherapie mit Medikamenten mittelfristig schlechter wirkt als eine alleinige Psychotherapie. Zum einen könnte die gleichzeitige Gabe von Psychopharmaka die Effekte der kognitiven Verhaltenstherapie mit Exposition, insbesondere die für die Wirksamkeit von Expositionen erforderliche Emotionsaktivierung, beeinträchtigen. Darüber hinaus können durch die parallele medikamentöse Behandlung Selbstwirksamkeitserfahrungen und anhaltende Lerneffekte gemindert werden. Die negative Interaktion zwischen Medikamenten und Expositionsverfahren wird seit langem für Benzodiazepine diskutiert, Antidepressiva waren jedoch bislang nicht Teil der Debatte. Eine andere Erklärung bezieht sich mehr auf Psychopharmaka-bedingte Adaptationsvorgänge im zentralen Nervensystem (ZNS), die nach einer Beendigung der Einnahme von Psychopharmaka zu Absetzeffekten führen. Die Autoren des Beitrags haben erst 2015 eine systematische Übersichtsarbeit zu Studien über Absetzeffekte nach der Gabe von Antidepressiva veröffentlicht [Fava et al., 2015]. In dieser Arbeit kamen sie zu dem Schluss, dass der Terminus «Absetzeffekte» eine Verharmlosung darstellt und stattdessen von «Entzugssymptomen» gesprochen werden sollte. Diese können bis zu 1 Jahr nach Beendigung einer antidepressiven Pharmakotherapie auftreten. Dass es nach der Anwendung von Antidepressiva zu anhaltenden Veränderungen im ZNS kommt, die noch lange nach dem Absetzen persistieren, konnte auch tierexperimentell gezeigt werden [Shrestha et al., 2014].

Unter Bezugnahme auch auf weitere Literatur legen die Autoren dar, dass eine Kombinationstherapie nicht nur ein schlechteres Langzeitergebnis, sondern auch anhaltende Absetzeffekte und ein erhöhtes Risiko für andere psychopathologische Symptome bewirken kann. Deshalb sprechen Fava et al. [2017] von «iatrogener Komorbidität».

Dabei sind die Autoren vorsichtig genug, immer wieder von «möglichen» Wirkungen zu sprechen und darauf hinzuweisen, dass die Langzeiteffekte dringend einer besseren Erforschung bedürfen. Die Ergebnisse der in die Analyse eingeschlossenen 4 Studien sind ernstzunehmen, wenngleich weitere sehr gut durchgeführte Studien unbedingt wünschenswert wären.

Was bedeutet dies nun für die Praxis? Zunächst ist die Information wichtig, dass es nach der Beendigung einer Antidepressivabehandlung nicht nur zu kurzfristigen Absetzeffekten kommen kann, sondern auch zu länger andauernden negativen Effekten, möglicherweise auch zu anderen psychischen Symptomen - d.h. iatrogener Komorbidität.

Allgemein sollten wir sehr viel stärker als bisher die langfristigen Effekte von Therapien in den Blick nehmen, nicht nur deren kurzfristige Wirkungen [Voderholzer und Barton, 2016]. Gerade die Logik der Leitlinien hat genau in dieser Hinsicht eine gewisse Schwäche bzw. Begrenztheit. Denn die für die Leitlinien verwendete Evidenzgraduierung berücksichtigt die Qualität und die Anzahl von randomisierten kontrollierten Studien, nicht aber speziell den Aspekt der kurzfristigen und langfristigen Wirksamkeit, der künftig sehr viel stärker auch bei den Empfehlungen zum Tragen kommen sollte.

Natürlich zeigt sich hier auch ein grundlegendes Problem in der täglichen Praxis. Wir möchten den uns anvertrauten Menschen so rasch und auch so wirksam wie möglich helfen. Hier haben Kombinationstherapien unbestritten Vorteile, auch wenn diese nicht für jedes Krankheitsbild eindeutig nachgewiesen sind [Huhn et al., 2014]. Was wäre ein sinnvolles Vorgehen angesichts des Risikos möglicher schädlicher Langzeiteffekte von Psychopharmakotherapie bei Angststörungen? Aus meiner Sicht kann die Antwort nur in einer angemessen guten Aufklärung und Information der Betroffenen über die Therapiemöglichkeiten bestehen, um dann mit den Patienten zu einer partizipativen Entscheidungsfindung (shared decision making) zu kommen. Patienten neigen dazu, ihrem Therapeuten bzw. ihrem Arzt zu vertrauen. Was sollten sie auch anderes tun, angesichts einer Situation, zu der auch unter Experten noch keine einheitliche Sichtweise vorliegt?

Eine adäquate Form der Aufklärung könnte daher in etwa so lauten: «Wenn ich Ihnen aufgrund Ihrer Angststörung neben einer Psychotherapie zusätzlich eine Pharmakotherapie anbiete, dann haben Sie die Chance, innerhalb der nächsten Monate eine schnellere und stärkere Reduktion Ihrer Ängste zu erreichen. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass Sie längerfristig, d.h. nach ein paar Jahren, eher mehr Angstsymptome entwickeln können oder es Ihnen im Zuge des Absetzens der Medikation eventuell psychisch etwas schlechter gehen kann.» Wenn der Patient diese Information erhält, kann er selbst besser entscheiden, ob er eher eine schnelle Abhilfe möchte und dafür andere Risiken in Kauf nimmt oder lieber geduldiger ist und auf den Erfolg bei der Psychotherapie wartet (sofern diese überhaupt in einem angemessenen Zeitraum verfügbar ist).

Schließlich ist es eine Maxime ärztlich-therapeutischen Handelns, dem Patienten das zu empfehlen, was man tun würde, wenn man selbst betroffen wäre.

1.
Bandelow B, Wiltink J, Alpers GW, Benecke C, Deckert J, et al: Deutsche S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen. www.awmf.org/leitlinien.html, 2014.
2.
Fava GA, Benasi G, Cosci F: The potential role of iatrogenic comorbidity in the interaction between pharmacotherapy and psychotherapy in anxiety disorders. Verhaltenstherapie 2017;27:DOI: 10.1159/000460826.
3.
Fava GA, Gatti A, Belaise C, Guidi J, Offidani E: Withdrawal symptoms after selective serotonin reuptake inhibitor discontinuation: a systematic review. Psychother Psychosom 2015;84:72-81.
4.
Huhn M, Tardy M, Spineli LM, Kissling W, Förstl H, et al: Efficacy of pharmacotherapy and psychotherapy for adult psychiatric disorders: a systematic overview of meta-analyses. JAMA Psychiatry 2014;71:706-715.
5.
Shrestha SS, Pine DS, Luckenbaugh DA, Varnäs K, Henter ID, et al: Antidepressant effects on serotonin 1A/1B receptors in the rat brain using a gene x environment model. Neurosci Lett 2014;559:163-168.
6.
Voderholzer U, Barton B: Langfristige Wirkung von Psychotherapie bei nichtchronischen Depressionen: Ein systematisches Review von Studien im Vergleich mit Pharmakotherapie. Verhaltenstherapie 2016;26:108-115.
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