Zusammenfassung
Verhaltensexperimente stellen eine wichtige Interventionsform bei depressiven Störungen dar, um dysfunktionale Annahmen zu modifizieren. Häufig ist jedoch zu beobachten, dass Patient*innen trotz einer fachgerechten Durchführung von Verhaltensexperimenten weiter an negativen Annahmen festhalten. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir in diesem Artikel, wie der Einsatz von Verhaltensexperimenten bei Depressionen optimiert werden kann und beziehen uns dabei auf ein neues Störungsmodell, das interessante Implikationen hierzu liefern könnte. Dieses Störungsmodell aus der neurowissenschaftlichen Forschung zu “Predictive Processing” geht davon aus, dass depressive Störungen durch zwei Kernaspekte gekennzeichnet sind: (1) stark negative Erwartungen, die im Sinne von selbsterfüllenden Pro-phezeiungen zu negativen Erlebnissen führen und zuneh-mend “immun” gegen gegenteilige Erfahrungen machen; (2) das Fehlen von positiven Erwartungen, wodurch die Wahr-scheinlichkeit von positiven Erlebnissen reduziert wird. Darauf aufbauend beschreiben wir zunächst, dass zur Modifikation negativer Erwartungen in einer ausführlichen Vorbesprechung erarbeitet werden sollte, welche möglichen positiven Erfahrungen aus dem Verhaltensexperiment die Patient*innen als glaubwürdig betrachten und zur Veränderung ihrer negativen Erwartungen nutzen würden. Auf diese sollte bei der Durchführung besonders geachtet werden, damit positive Erwartungsverletzungen auch als solche wahrgenommen werden. Zum anderen stellen wir dar, dass es nicht ausreichend ist, nur negative Erwartungen zu redu-zieren, sondern auch explizit positive Erwartungen durch weitere Verhaltensexperimente gefördert werden sollten.