Abstract
Ziel: Anhand von Literaturdaten werden die Funktion von Bikarbonat (HCO3), die Größe des extrazellulären Pools, die an der Konstanthaltung beteiligten Organe sowie die klinisch relevanten Veränderungen beschrieben. Quellen und Auswahlkriterien: Die deutsch- und englischsprachige medizinische Literatur wurde berücksichtigt. Eine spezielle Literaturrecherche wurde nicht durchgeführt. Die Ergebnisse eigener Messungen wurden herangezogen. Ergebnisse: HCO3 kann als die potentielle, nichtrespiratorische Pufferbase des Extrazellulärraumes bezeichnet werden. Die Größe des extrazellulären HCO3-Pools beträgt für einen Patienten von 65 kg Körpergewicht etwa 350 mmol mit einer maxi-malen Toleranz von ± 200 mmol. Eine Zufuhr von H+-Ionen (Azidose) und/oder Senkung des pCO2 (Hyperventilation) vermindern diesen Pool, Alkalose und Hypo-ventilation erhöhen ihn. An der Konstanthaltung des HCO3-Pools sind die Lunge unter Beteiligung der Erythrozyten, die Leber und die Niere beteiligt. Wichtigstes Regelorgan dürfte dabei die Leber sein, da sie kurzfristig in Stunden sehr viel mehr H+-Ionen eliminieren und damit HCO3 freisetzen kann, als dies für die Niere auch unter Extrembedingungen abgeleitet werden kann. Vor allem im Metabolismus von sogenannten metabolisierbaren Anionen (Basen) wie Azetat, Laktat, Malat und Zitrat bestimmt die Leber entscheidend die Größe des HCO3-PooIS, da diese Anionen als Essigsäure, Milchsäure, Äpfelsäure oder Zitronensäure verstoffwechselt pro 1 mol jeweils 1 mol H+ (Azetat, Laktat), 2 mol H+ (Malat) oder sogar 3 mol H+ (Zitrat) verbrauchen und damit HCO3 freisetzen. Iatrogene Veränderungen des HCO3-Pools sind häufiger als bisher angenommen. Infusionslösungen können eine Dilutionsazidose (Verdünnung von HCO3), Infusionsazidose (Zufuhr von H+) oder Infusionsalkalose (Zufuhr metabolisierbarer Anionen) verursachen. Schlußfolgerung: Es wird vorgeschlagen, die Deklarierung von Infusionslösungen nach ihrer tatsächlichen pH-abhängigen Zusammensetzung zu verbessern, insbeson-dere den Begriff des Base excess (BE, mmol/l) und des potentiellen BE (BE pot., mmol/l) einzuführen, um auch die potentiellen Veränderungen des HCO3-Pools nach Infusion und nach Verstoffwechselung zu beschreiben. Dies gilt auch für Blutderivate mit ihren Transfusionsazidosen und -alkalosen sowie für die Hämo- und Peritonealdialyse, da auch hier unter der Therapie Azidosen und Alkalosen in Kauf genommen werden.