Einleitung
Der erste Beitrag zur physikalischen Komplextherapie [1] befasste sich mit der Einführung zum Thema, mit Fallbeispielen und mit dem Problem, die Wirksamkeit komplexer Interventionen nachzuweisen. Der vorliegende Artikel befasst sich mit klinischen Studien und Metaanalysen, in denen nach Meinung des Autors interessante methodische Ansätze zur Beurteilung der Wirksamkeit von kurativen und rehabilitierenden physikalischen Komplextherapien [2] angewendet wurden.
Studien zur physikalischen Komplextherapie
Leuchtgens et al. [3] untersuchten die Wirksamkeit einer Kneipp-Kur auf Schmerz, Lebensqualität und Medikamentenverbrauch in einer prospektiven Kohortenstudie mit Follow-up von 1 Jahr. Eine standardisierte Kneipp-Kur ist exemplarisch für eine physikalische Komplextherapie. Es wurden 363 ambulante und stationäre Patienten in die Studie aufgenommen, die vorherrschend an Krankheiten des Bewegungsapparats oder an Herzkreislauf-Krankheiten litten. In dieser Studie kamen vor allem Methoden der Kneippschen Hydrotherapie zur Anwendung (Waschungen, Wickel, Auflagen, Packungen, Güsse, Teilbäder, Vollbäder). Eine bisherige, krankheitsspezifische medikamentöse Behandlung wurde nach Massgabe der Notwendigkeit weitergeführt.
Zu Beginn der Studie wiesen 89% der Patienten mehr als eine Indikation für eine Kneipp-Kur auf. Der Erfolg der Kur wurde in erster Linie anhand des Medikamentenverbrauchs beurteilt: Zu Beginn der Kur nahmen 84% der Patienten mindestens ein Medikament ein. Am Ende der Behandlung hatten 20% der Patienten den Medikamentenverbrauch senken können, 20% benötigten überhaupt kein Medikament mehr. 12 Monate nach Abschluss der Kur benötigten 22% der Patienten weiterhin kein Medikament, 20% benötigten weiterhin weniger Medikamente als zu Beginn der Kur, 3% der Patienten benötigten hingegen mehr. Als zweiter Zielparameter wurde der Effekt der Kur auf den Globalschmerz ausgewertet: Schmerzhäufigkeit, Schmerzintensität und Sachmerzhäufigkeit zeigten eine signifikante Abnahme (p = <0,0005). Die Abnahme war anhaltend, nach 12 Monaten war sie praktisch gleich geblieben [3].
Nach Ansicht der Autoren ist bei der Beurteilung einer Komplextherapie der Beitrag der einzelnen Komponenten sekundär. Das korreliert mit der Beobachtung, dass die Wirksamkeit einer einzelnen Methode der physikalischen Therapie oft nur als mässig wirksam beurteilt wird, im Unterschied zu multimodalen, auch komplexen Konzepten, deren Wirksamkeit anhand eines einzelnen definierten Zielparameters gemessen und bewertet werden kann.
Weber et al. [4] untersuchten in einer Metaanalyse die Wirksamkeit von Behandlungen einer schmerzhaften Epikondylitis mit physikalischen Therapiemitteln (Low-level-Lasertherapie, niederfrequente Elektrostimulation und extrakorporale Stosswellentherapie; ECSWT). Von 1138 identifizierten Studien erfüllten 16 die Einschluss- und Ausschlusskriterien (Vergleichsstudie; Ausschluss einer Auswertung von Akupunktur, Massagetherapien, chirurgischen Behandlungen, medikamentösen Therapien, Psychotherapie). In 12 dieser Studien wurden vergleichbare Outcome-Parameter (Schmerzlinderung, Schmerzstillung) untersucht. Die Ergebnisse zeigten Unterschiede der Wirksamkeit zwischen den behandelten Gruppen und den Kontrollgruppen, die jeweils grösser waren als die Unterschiede zwischen den verschiedenen behandelten Gruppen: Die Kontrollgruppen erreichten Resultate von 50-66% der behandelten Gruppen. Relevante Ergebnisse wurden nur in den behandelten Gruppen erreicht, was die Autoren auf therapieunspezifische Faktoren im Sinne von Spontanverlauf, Erwartungen, Konditionierung und psychosozialen Effekten zurückführten. Die Ergebnisse der Studie deuten auf die Überlegenheit einer Komplextherapie gegenüber einer Therapie mit einem einzigen Mittel oder einer einzigen Methode [4].
Die Wirksamkeit einer stationären Komplextherapie zur Frührehabilitation von geriatrischen Patienten untersuchte Cathrin Harant im Rahmen ihrer Dissertationsarbeit [5]. 430 von 463 Patienten, die 2005 und 2006 mit einer akuten Erkrankung entweder in die Klinik für Innere Medizin oder in die Klinik für Neurologie der Universitätsklinik Jena aufgenommen wurden und für die eine Frührehabilitation indiziert war, erfüllten die Einschlusskriterien für die Aufnahme in die Studie. 33 Patienten wurden vor Beginn der Studie ausgeschlossen. 381 Patienten beendeten die Studie, 49 hatten sie abgebrochen. Die Studienpopulation wurde entsprechend dem Durchführungsjahr und der Aufnahmediagnose (internistische oder neurologische Indikation) in Gruppen eingeteilt. Das interdisziplinäre Team bestand aus einem Arzt für Physikalische Medizin und Rehabilitation, einem Internisten, respektive Neurologen, einem Psychologen, einem Physio- und Ergotherapeuten, einer Pflegeperson, einem Mitarbeiter des Sozialdienstes und einem Logopäden. Der Behandlungsplan wurde für jeden Patienten individuell und entsprechend seinen Defiziten entwickelt. Welche Behandlungen angewendet wurden, entschied der behandelnde Arzt, wobei mindestens Physiotherapie, Ergotherapie und Rehabilitationspflege zur Anwendung gelangen mussten. Der Arzt beurteilte die Selbständigkeit mittels Barthel-Fragenbogen und den allgemeinen Gesundheitszustand anhand des SF-8-Fragebogens. Die Physiotherapeuten beurteilten die funktionelle Selbständigkeit der Patienten mithilfe des FIM-Fragebogens und Mobilität mittels Tinetti-Fragebogen. Die Ergotherapeuten beurteilten die Depressivität mittels GDS-Fragebogen und die kognitiven Fähigkeiten mittels MMSE-Fragebogen. Je eine Beurteilung der untersuchten Fähigkeiten und Zustände wurden die Erhebungen bei Aufnahme und bei Entlassung durchgeführt. Funktionstests werden in Tabelle 1 angeführt.
Die Ergebnisse der Studie zeigten eine signifikante Verbesserung aller untersuchten Fähigkeiten und Funktionen (Motorik, Selbständigkeit, Lebensqualität, kognitive Leistung und psychisches Befinden). Die grösste Verbesserung wurde bei der motorischen Funktion gefunden, was vom Tinetti-Test, von Barthel-Index und vom FIM übereinstimmend bestätigt wurde. Die Behandlung milderte ferner die Depressivität und steigerte die Kommunikation. Die Beurteilung der Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten stellte sich im FIM und im MMSE widersprüchlich dar. Die Verbesserung war insgesamt geringfügig, was die Autorin auf eine natürliche altersbedingte Abnahme solcher Fähigkeiten zurückführt.
In der hier beschriebenen Studie wurde die Wirksamkeit einer multimodalen komplexen Behandlung anhand der Veränderung von metrischen Zielparametern vor und nach der Behandlung beurteilt. Eine solche Auswertungsmethode ermöglicht die Beschreibung der Wirksamkeit einer komplexen und stark individualisierten Behandlungsmethode.
Diskussion
Bei der Bewertung von komplexen Interventionen, wie der hier vorgestellten physikalischen Komplextherapie, ist der Vergleich mit einer unbehandelten Kontrollgruppe schwer möglich: Das Vorenthalten einer Therapie ist zum einen häufig ethisch nicht vertretbar, zum anderen ist eine komplexe Nichtbehandlung technisch sehr schwierig durchzuführen. Kontrollgruppen können mittels statistischer Verfahren künstlich erzeugt werden. Die Bildung einer «Warte-Kontrollgruppe» ist eine weitere Möglichkeit, wobei der natürliche Verlauf der untersuchten Erkrankung berücksichtig werden muss. Bennell et al. [6] schlagen vor, für klinische Studien zu Komplextherapien den Prozess der Selektion der individuellen Modalität und Behandlungsweise zu standardisieren und dadurch eine Vergleichbarkeit herzustellen. Die Wahl von wenigen Zielparametern, die vom ganzen Behandlungskomplex beeinflusst werden, ist eine Möglichkeit, die Komplexität im Rahmen von Wirksamkeitsuntersuchungen zu meistern.
Schlussbemerkungen
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Bewertung von multimodalen und komplexen physikalischen Therapien im Rahmen von klinischen Studien sehr anspruchsvoll ist. Es besteht aber eine Reihe von Methoden und Verfahrensweisen, die eine Bewertung mit einer gewissen Evidenz ermöglichen.