Eine gängige Meinung besagt, dass pflanzliche Arzneimittel nur zur Behandlung von banalen Beschwerden geeignet seien, die keiner genauen Beobachtung und Begleitung bedürfen. Phytotherapeutisch tätige Fachleute wissen natürlich, dass diese Ansicht nicht den Tatsachen entspricht. Der folgende Artikel, der Resultate von wissenschaftlichen Studien sowie die Erfahrung von Hausärzten (Kasten 1 und 2) vorstellt, zeigt eindrücklich, dass sogar beim Vorliegen einer Herzinsuffizienz eine phytotherapeutische Therapie oder Zusatztherapie erfolgreich sein kann.
Einleitung
Phytotherapie bei kardialen Beschwerden bedeutet in erster Linie die Behandlung mit Weissdornpräparaten. Präparate mit Extrakten aus Blättern und Blüten verschiedener Arten der Gattung Crataegus machen den überwiegenden Anteil an Behandlungen von leichter Herzinsuffizienz und weiteren Herzbeschwerden aus. Es gibt jedoch auch noch andere Arzneipflanzen, die ein Potenzial zur Behandlung von kardialen Beschwerden aufweisen. Weiter gibt es mehrere Arzneipflanzen, die gegen Hypertonie als Adjuvans oder in leichten Fällen als Einzeltherapie eingesetzt werden können.
Weissdorn
Weissdorn ist keine Bezeichnung für eine Arzneipflanzenart, sondern für eine Gattung. Es handelt sich um die Gattung Crataegus aus der Familie der Rosengewächse (Rosaceae) (Abb. 1). In den gemässigten Zonen der Nordhalbkugel wachsen viele Arten als strauchige Gewächse oder kleine Bäume. Die einzelnen Arten sind nicht einfach voneinander zu unterscheiden. Medizinisch verwendet werden vor allem Crataegus monogynaJACQ. und Crataegus laevigataPOIR. (synonym Crataegus oxyacanthaAUCT.).
Inhaltsstoffe
Als wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe findet man in den Weissdornarten oligomere Proanthocyanidine (dabei handelt es sich um Catechingerbstoffe, d.h. Oligomere von Catechinen) sowie Flavanoide (z.B. Vitexin) (Abb. 2).
Pharmakologie
Pharmakologische Studien [1,2,3] haben Folgendes gezeigt:
- Eine positiv inotrope, eine positiv dromotrope sowie eine negativ bathmotrope Wirkung;
- Verbesserung der Durchblutung des Myokards;
- Toleranzsteigerung des Myokards gegenüber Sauerstoffmangel;
- Steigerung der Arbeitslast des Herzens.
Diese Resultate weisen auf eine Wirksamkeit bei Herzinsuffizienz hin. Im berühmten «Lehrbuch der biologischen Heilmittel» von Gerhard Madaus [4] wird erwähnt, dass der Weissdorn in der Antike noch nicht therapeutisch verwendet wurde und die erste Erwähnung als herzwirksame Arzneipflanze aus dem 17. Jahrhundert stammt. Interessanterweise erstellte die Kommission E, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts für die Anwendung und Dosierung von Arzneipflanzen eine anerkannte Autorität war, für Crataegus eine negative Monographie, empfahl also die Anwendung wegen angeblich fehlender Wirksamkeitsbelege nicht [5]. Die Kommission E war ein vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), der deutschen Zulassungsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte, eingesetztes Expertengremium, das zwischen 1984 und 1994 Pflanzenmonographien mit Richtlinien für die Anwendung und Dosierung erstellte. Die Literatur zur therapeutischen Wirksamkeit von Weissdornextrakten bei Herzbeschwerden ist jedoch überzeugend positiv, und sogar die Cochrane Collaboration (Kasten 3), die in ihren Reviews pflanzliche Arzneimittel sehr skeptisch beurteilt, hat eine Übersichtsarbeit mit positivem Resultat publiziert [6].
Cochrane-Review über die Wirksamkeit von Weissdorn
Für diesen Review suchte das Autorenteam in verschiedenen medizinischen Datenquellen nach Studien, die folgenden Einschlusskriterien entsprachen:
- RCT: randomisiert, placebokontrolliert, doppelblind;
- Weissdornextrakte aus Weissdornblättern, -blüten und -früchten als orale Monotherapie oder als Zusatzmedikation;
- die Probanden mussten erwachsen sein und Herzbeschwerden gemäss New York Heart Association (NYHA) aufweisen.
Aufgenommen wurden auch Studien, deren Ziel es war, die Wirksamkeit von Weissdornpräparaten als Ergänzung zu anderen Behandlungen zu überprüfen.
Selektion
Die nach der ersten Suchrunde ausgewählten 28 Studien, die für die Auswertung infrage kamen, wurden sorgfältig gemäss folgender Kriterien überprüft:
- Wurden die Randomisierung und Verblindung fachgerecht durchgeführt bzw. beschrieben?
- Wurden Dropouts und Verstösse gegen die Studienvorschriften erfasst?
- Entsprechen das Studiendesign, die methodologische Qualität der Studie, die verwendeten Präparate, die tägliche Dosis der Weissdornpräparate, die Behandlungsdauer, die primären und sekundären Endpunkte sowie die Erfassung unerwünschter Ereignisse dem Standard?
Aufgrund dieser Selektion konnten 14 der ursprünglich 28 überprüften Studien in die Auswertung aufgenommen werden (Tab. 1) [7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20,21]. Die ausgeschlossenen 14 Studien waren entweder keine RCT-Studien oder verwendeten kein Weissdorn-Monoprä- parat (Tab. 2) oder waren noch im Gange.
Ausgewertete Studien
Die meisten der in die Auswertung aufgenommenen Studien, d.h. 11, wurden mit dem Weissdornextrakt WS 1442 und die restlichen 3 mit einem anderen Weissdornextrakt, LI 132, durchgeführt. Die zwischen 1981 und 2004 durchgeführten Studien waren:
- randomisiert, doppelblind, parallel (n = 11);
- randomisiert, doppelblind, Crossover (n = 2);
- randomisiert, doppelblind, dreiarmig parallel (n = 1).
Die Behandlungsdauer variierte zwischen 3 und 16 Wochen und die Probandenzahl zwischen 30 und 209. Die für die Aufnahme in die Studie relevante Diagnose war bei allen Studien - ausser bei 1, die keine entsprechenden Angaben machte - die NYHA-Klassifikation, jedoch mit unterschiedlichen Schweregraden. Verschiedene Studien [8,9,11,15,16,17,18,20,21] nahmen Patienten mit NYHA II auf, bei anderen [12,15,16] hingegen war die Voraussetzung NYHA I oder II bzw. II-III [7,13] oder sogar nur III [19]. Bei 2 Studien war auch die linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) ein Kriterium, d.h. <40% [7] bzw. <55% [10].
Als primäre und sekundäre Endpunkte wurden unterschiedliche Parameter herangezogen (Tab. 1).
Resultate
Mit einer Ausnahme ermittelten alle Studien eine - zum Teil signifikante - Verbesserung bei den primären Endpunkten.
LVEF
Übungstoleranz
Zwei Studien [8,11] ermittelten als sekundären Endpunkt die Übungstoleranz und ermittelten eine Erhöhung.
Symptome
Zwei Studien [14,19] werteten den Symptome-Score nach von Zerssen aus und stellten in den Weissdorn-Gruppen eine signifikante Verbesserung fest.
Weitere Studien [13,14,17,18,19] fokussierten sich auf Symptome wie Dyspnoe oder Ermüdung und ermittelten eine Verbesserung dieser Symptome.
Druck-Frequenz-Produkt
Auch dieser Endpunkt zeigte in den betreffenden Studien [13,14,15,16,20] eine Verbesserung durch Weissdorn.
Maximale Arbeitslast
Bei einigen Studien [9,12,17,18,19,21] war die maximale Arbeitslast der primäre Endpunkt. In allen Studien wurde eine signifikante Verbesserung der maximalen Arbeitslast ermittelt (p < 0,02).
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Zwei Studien [7,12] machten keine Angaben über unerwünschte Ereignisse. 5 Studien berichteten, dass in den Weissdorn-Gruppen keine unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) auftraten.
Folgende UAW wurden mehr als einmal dokumentiert:
- Schwindel/Nausea (n = 8);
- gastrointestinale Beschwerden (n = 5);
- Rückenbeschwerden (n = 5);
- Husten (n = 4);
- grippale Infekte (n = 4).
Fazit
Die Resultate der im Cochrane-Review ausgewerteten 14 Studien dokumentieren eine Wirksamkeit der Crataegus-Extrakte WA 1142 bzw. LI 132 bei Patienten mit chronischen Herzbeschwerden. Die maximale Arbeitslast und verschiedene andere Parameter wurden zum Teil signifikant verbessert.
Damit erweisen sich die beiden Weissdornextrakte alleine oder als Zusatzmedikation als valable Alternative zu Behandlungen mit ausschliesslich synthetischen Präparaten.
Diese Beurteilung durch ein Autorenteam der Cochrane Collaboration ist sehr bemerkenswert, weil die Cochrane Collaboration phytotherapeutische Behandlungen normalerweise sehr streng beurteilt und schon verschiedentlich Reviews publiziert hat, die etablierten phytotherapeutischen Behandlungsarten eine Wirksamkeit abgesprochen haben.
SPICE-Studie
Ziel und Design
Auf unerklärliche Weise fand die SPICE-Studie [22] im Cochrane-Review keine Erwähnung. Dabei handelte es sich um eine breit angelegte, in 156 europäischen Praxen durchgeführte, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie, bei der die ergänzende Therapie mit dem Crataegus-Extrakt WS 1442 zusammen mit herkömmlichen Behandlungsarten (ACE-Hemmer: 83% aller Probanden, Betablocker: 64% aller Probanden, Aldosteron-Antagonisten: 39% aller Probanden, Herzglykoside: 57 aller Probanden oder Diuretika: 85% aller Probanden) untersucht wurde. Primärer Endpunkt war der zeitliche Verlauf vom Studienbeginn bis zum ersten schweren Herzereignis, also plötzlicher Herztod, Myokardinfarkt, letale Herzinsuffizienz oder Hospitalisation wegen dekompensierter Herzinsuffizienz. An der Studie nahmen 2681 Patienten (davon 84% Männer) teil, die an NYHA II (56%) oder NYHA III (44%) litten. Die Probanden erhielten neben ihrer bereits erwähnten herkömmlichen Behandlungsart über 2 Jahre hinweg entweder zweimal täglich 450 mg WS 1442 oder Placebo.
Resultate und Interpretation
Bei den als primärer Endpunkt der Studie definierten kardialen Ereignissen konnte zwischen der Crataegus- und der Placebo-Gruppe kein Unterschied festgestellt werden. In der Verum-Gruppe fanden solche kardialen Ereignisse bei 28% und in der Placebo-Gruppe bei 29% aller Probanden statt. Dies bedeutet, dass in Bezug auf die Morbidität in beiden Gruppen nahezu kein Unterschied bestand. Unterschiede konnten jedoch bei sekundären Endpunkten in der Subgruppenauswertung festgestellt werden. In Bezug auf die Mortalität, also kardiale Ereignisse mit tödlichen Folgen, zeigte sich in der Crataegus-Gruppe nach 6 und nach 18 Monaten verglichen mit der Placebo-Gruppe eine um 20% niedrigere Rate, was einem signifikanten Unterschied oder einer durchschnittlichen Lebensverlängerung um 4 Monate entspricht. Diese Verbesserung wurde in erster Linie in der Subgruppe mit ischämischer Herzinsuffizienz beobachtet. Unerwünschte Ereignisse traten in der Placebo-Gruppe häufiger auf als in der Crataegus-Gruppe.
Damit konnte mit der SPICE-Studie die Lebensverlängerung bei Patienten mit NYHA II oder III durch eine Zusatzbehandlung mit dem Weissdornextrakt WS 1442 nachgewiesen werden.