Die Cochrane Collaboration hat 2012 - nach 2000, 2002 und 2009 - zum vierten Mal einen Review über die Wirksamkeit von Serenoa repens (Sägepalme) bei benigner Prostatahyperplasie (BPH) publiziert. Im Gegensatz zur positiven Beurteilung von 2000 und 2002 sprechen die Publikationen von 2009 und 2012 der Sägepalme die Wirksamkeit ab. Doch wie bereits im Review von 2009 findet man in der Publikation von 2012 verschiedene Fehler, welche die Schlussfolgerungen der Autoren infrage stellen.
Einleitung
Die Cochrane Collaboration, ein virtuelles Fachgremium, publiziert Reviews über die Wirksamkeit von medizinischen Behandlungen. Diese Reviews werden von Fachleuten im Auftrag der Cochrane Collaboration erstellt und geniessen in Fachkreisen höchstes Ansehen. Es werden immer wieder Reviews über die Wirksamkeit phytotherapeutischer Behandlungen publiziert. Diese spiegeln die Haltung etablierter Kreise der traditionellen Medizin wider und zeigen oft negative Resultate. Diese Reviews werden jedoch sehr oft von Autorenteams erstellt, die nicht über genügend Erfahrung in der Phytotherapie verfügen.
Reviews über Serenoa repens
Bisher wurden vier Cochrane-Reviews über die Wirksamkeit von S. repens bei BPH veröffentlicht. Diese erschienen 2000, 2002, 2009 und 2012 [1,2,3,4]. Die beiden ersten Reviews führten zu einem positiven Resultat:
«The evidence suggests that Serenoa repens improves urological symptoms and flow measures compared with placebo. Serenoa repens produced similar improvement in urinary symptoms and flow compared to finasterid and is associated with fewer adverse treatment events» [1].
«The evidence suggests that Serenoa repens provides mild to moderate improvement in urinary symptoms and flow measures. Serenoa repens produced similar improvement in urinary symptoms and flow compared to finasterid and is associated with fewer adverse treatment events» [2].
Der Review von 2009 kam dann allerdings zu einem ganz anderen Schluss: «Serenoa repens was not more effective than placebo for treatment of urinary symptoms consistent with BPH» [3].
Sehr interessant ist, die Zusammensetzung der Autorenteams der vier Reviews miteinander zu vergleichen: Bei den Publikationen von 2000 und 2002 stand T.J. Wilt an der Spitze des Teams. J. Tacklind gehörte damals noch nicht zum Autorenteam. 2009 und 2012 fungierte er dann aber als Erstautor, während der frühere Erstautor, J.T. Wilt, jeweils als letztgenannter Autor auftrat. Neben J.T. Wilt ist R. MacDonald der einzige Autor, der an allen vier Reviews beteiligt war.
Kritik
Der 2009 publizierte Review wurde in der Folge von Fachleuten kritisiert, weil dieser erhebliche methodische Mängel aufwies und die Autoren des Reviews verschiedene ausgewertete Studien falsch zitierten sowie die ermittelten Resultate sehr einseitig interpretierten [5,6,7]. Bei den methodischen Fehlern sticht die Tatsache hervor, dass zur Auswertung nicht nur Monopräparate aus S. repens verwendet wurden, sondern auch Präparate, die neben S. repens weitere Inhaltsstoffe enthielten. Dabei sind Urtica dioica (Grosse Brennnessel) und andere Phytotherapeutika zu nennen, ausserdem Vitamine, Mineralstoffe und weitere nicht genau identifizierte Substanzen. Ein kapitaler Mangel liegt auch darin, dass bei verschiedenen Präparaten weder der Gehalt an S. repens noch die täglich verabreichte Dosis definiert wurden.
Der Cochrane-Review 2012
Unbeeindruckt von dieser Kritik veröffentlichte das praktisch identische Autorenteam um James Tacklind 2012, das schon den Review 2009 publizierte, einen neuen Cochrane-Review über die Wirksamkeit von S. repens bei BPH [4]. Doch auch in dieser neuesten Publikation findet man sehr ähnliche Fehler wie im Review von 2009.
Studien
Tacklind wertete 32 Studien aus, die in Tabelle 1 aufgeführt sind [8,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,23,24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,34,35,36,37,38,39].
Prüfmedikamente
21 der 32 Studien bezogen sich auf echte Monopräparate aus S. repens. 12 davon wurden mit dem in der Schweiz registrierten, jedoch nicht im Handel befindlichen Präparat Permixon® durchgeführt. Fünf Präparate enthielten neben S. repens auch U. dioica (in der Schweiz Prostagutt® F). Ein Präparat bestand aus S. repens und Kürbiskernen [13]. Ein weiteres Präparat enthielt neben diesen beiden Extrakten auch noch Vitamin A [28]. Bei der Studie von Preuss et al. [33] wurde ein Präparat mit S. repens, Beta-Sitosterol und Vitamin A geprüft. Shi et al. [36] prüften ein in der Studie nicht näher definiertes Präparat namens Prostaplex® (Tabelle. 2).
Bei zwei Studien war das Prüfmedikament eine Kombination aus S. repens und Tamsulosin.
Vergleich
16 der 21 Monopräparate wurden gegen Placebo geprüft, ebenso sieben der Präparate, die einen oder mehrere weitere Wirkstoffe enthielten. Die Studie von Roveda und Colombo [35] verglich ein orales mit einem rektalen Präparat aus S. repens. Vier Studien waren Vergleichsstudien. Dabei wurde S. repens je einmal mit Finasterid bzw. mit Tamsulosin bzw. mit Gestonoroncaproat verglichen. Die dreiarmige Studie von Mandressi et al. [27] verglich S. repens sowohl mit Placebo als auch mit Pygeum africanum (Afrikanischer Pflaumenbaum). Bei den Kombinationspräparaten S. repen s + U. dioica wurden drei gegenüber Placebo, eines gegenüber Tamsulosin und eines gegenüber Finasterid geprüft. Bei den vier weiteren Präparaten unterschiedlicher Zusammensetzung diente Placebo als Vergleich. Bei zwei Studien wurde eine Kombination von S. repens und Tamsulosin gegenüber Tamsulosin alleine verglichen.
Beurteilung der Autoren
Für die Beurteilung der Wirksamkeit wurden folgende Werte berücksichtigt: Internationaler Prostata-Symptomen-Score (IPSS), Nykturie, Peak Urine Flow und Prostatavolumen.
Bei den Placebo-Studien bezeichneten Tacklind et al. den IPSS von S. repens gegenüber Placebo als gleich oder nicht signifikant besser [8,10,22,34]. Bei den Vergleichsstudien wurde mehrheitlich kein Unterschied zwischen S. repens und der Vergleichssubstanz festgestellt [14,17,23].
Bei den Studien, die Werte für Nykturie angaben, erwies sich S. repens gegenüber Placebo in verschiedenen Studien als signifikant oder tendenziell überlegen [15,16,18,19]. Eine leichte Überlegenheit zugunsten des pflanzlichen Präparats zeigten auch die beiden Studien, die S. repens mit Tamsulosin verglichen [17,23]. Einige Studien zeigten keinen Unterschied zwischen S. repens und Placebo bzw. die Autoren bezeichneten den verwendeten Score als nicht international anerkannt [8,11,31,39]. Beim Peak Urine Flow dokumentierten verschiedene Studien einen signifikanten Vorteil für S. repens [9,25,36,39]. Bei den Vergleichsstudien wurde vorwiegend kein Unterschied zwischen dem Verum und der Vergleichssubstanz ermittelt [14,17,23]. Beim Prostatavolumen wurde zwischen S. repens und Placebo kein Unterschied festgestellt [8,9,12,19], auch nicht im Vergleich zu Tamsulosin [17,23]. Einzig beim Vergleich mit Finasterid erwies sich diese Substanz gegenüber S. repens als signifikant besser [14].
Schlussfolgerung der Autoren
Aus diesen Resultaten ziehen die Autoren folgende Schlussfolgerung: «Our conclusion that SR, even at escalation doses, is not superior to placebo, is based on two high quality clinical trials, one with a follow-up of six years.»
Das 2009 noch pauschale und ohne jede Konditionierung ausgesprochene negative Resultat wird hier nun mit einer gewissen Vorsicht formuliert. Die Autoren stützen ihre negative Beurteilung der Wirksamkeit von S. repens bei BPH in erster Linie auf zwei Studien, denen sie hohe methodische Qualität zusprechen [8,10].
Weiter gehen die Autoren auf die Standardisierung ein. Diesen Aspekt haben sie im Review von 2009 noch gänzlich ignoriert: «We do not know if our conclusions are generalizeable to proprietary products of Serenoa repens, such as Permixon® or Prostagutt® forte. Nonstandardization is a long-recognized problem of phytotherapeutic products, and that includes SR.»
Kritik
Auch dieser Cochrane-Review aus dem Jahr 2012 weist ähnliche Fehler auf, die die Schlussfolgerungen des Autorenteams um J. Tacklind infrage stellen.
Studienpräparate und die Dosierung
Wenn man eine Meta-Analyse über die Wirksamkeit einer Arzneipflanze durchführt, dann dürfen ausschliesslich Studien ausgewertet werden, bei denen nur Monopräparate dieser Arzneipflanze eingeschlossen waren.
In diesem Sinn hätten die Autoren des vorliegenden Reviews die neun Studien von Carbin et al. [13], Engelmann et al. [20], Gabric und Miskic [21], Lopatkin et al. [26], Marks et al. [28], Metzker et al. [30], Preuss et al. [33], Shi et al. [36] sowie Sökeland und Albrecht [37] gar nicht in diese Meta-Analyse aufnehmen dürfen, weil die Prüfpräparate dieser Studien neben S. repens noch weitere, unterschiedliche Pflanzenextrakte oder andere Substanzen enthielten.
In den meisten Studien betrug die Dosis 320 mg S. repens pro Tag, was dem heutigen Standard entspricht. Davon wichen die in Tabelle 3 aufgeführten Studien ab.
Tacklind et al. gehen aber in ihrem Review nur bei der Studie von Barry et al. [8] auf die Dosierung ein, da dies Teil des Studiendesigns ist.
Falsche Aussagen über Studien
Bei der Beschreibung der Studien und der Interpretation der ermittelten Resultate dieser 32 in die Meta-Analyse aufgenommenen Studien unterliefen den Autoren des Cochrane-Reviews einige erhebliche Fehler:
Metzker et al.
Im Gegensatz zur Angabe im Review gab es in der Studie von Metzker et al. [30] kein Follow-up von 40 Wochen, sondern eine 24-wöchige placebokontrollierte, doppelblinde sowie eine 24-wöchige einfach-blinde Phase ohne Placebokontrolle.
Sökeland und Albrecht
Die Autoren schrieben:«Sökeland 1997 (N = 543) found no significant difference in IPSS total score at 12-week endpoint (…) und Sökeland reported increases of 2.7 ml/s and 3.2 ml/s for Serenoa repens/Urtica dioica and placebo, respectively, but the comparison was not significant …». Sökeland und Albrecht [37] verglichen in ihrer Studie S. repens/U. dioica doppelblind gegenüber Finasterid. Beide Arme wiesen eine zweiwöchige Run-in-Placebo-Phase auf. Ein Vergleich von Verum und Placebo fand in dieser Studie nicht statt. Die zitierten Werte vom Peak Urine Flow werden in dieser Studie nie aufgeführt.
Lopatkin et al.
Im Gegensatz zur Aussage der Autoren im Review fanden Lopatkin et al. [26] in ihrer placebokontrollierten Studie zu S. repens eine signifikante Verbesserung des IPSS gegenüber Placebo.
Tacklind et al. haben also mindestens drei Studien falsch zitiert. Ob noch weitere der 32 in den Review aufgenommenen Studien falsch interpretiert wurden, muss hier offengelassen werden, da es den Rahmen dieses Beitrags überschritten hätte, sämtliche 32 Studien im Original zu überprüfen und ihre Resultate mit den gemachten Aussagen des Cochrane-Reviews zu vergleichen.
Standardisierung und Dosierung
Fünf der ausgewerteten Studien verwendeten eine Dosis, die von 320 mg/Tag abwich. Zwei dieser Studien prüften ein Monopräparat aus S. repens. Die Autoren des Reviews gehen jedoch nicht auf diese verschiedenen Dosierungen ein. Einzig in Bezug auf die Studie von Barry et al. [8], in der eine Dosissteigerung von 320 mg auf 640 und später auch auf 920 mg pro Tag Teil des Designs war, schrieben sie in der bereits zitierten Schlussfolgerung, auf diese Studie anspielend: «… even at escalation doses …».
Die Autoren des Cochrane-Reviews sind sich offenbar der Wichtigkeit der Standardisierung und der Dosierung bei einer phytotherapeutischen Studie nicht bewusst. Phytotherapeutische Fachleute wissen jedoch genau, dass bei einer Studie die Standardisierung und Dosierung eines untersuchten Präparats eine wichtige Rolle spielen und bei einer Meta-Analyse nur gleich standardisierte und/oder gleich dosierte Präparate miteinander verglichen werden dürfen.
Schlussfolgerungen
Wie bereits gezeigt, sehen Tacklind et al. zwischen S. repens und Placebo keinen Unterschied in Bezug auf die Wirksamkeit bei BPH. Weiter bezeichnet die Mehrheit der Vergleichsstudien die Wirksamkeit von S. repens und dem entsprechenden Vergleichspräparat (Finasterid, Tamsulosin, Gestonoroncaproat) als gleich wirksam. Daraus schliessen die Cochrane-Autoren, dass S. repens bei BPH unwirksam ist.
Auf die Wirksamkeit der etablierten Vergleichssubstanzen gehen sie aber nicht ein. Sie hätten dies jedoch mit einbeziehen und die logisch zwingende Schlussfolgerung ziehen müssen, dass gemäss ihren Schlussfolgerungen die Vergleichssubstanzen Finasterid, Tamsulosin und Gestonoroncaproat bei BPH ebenfalls unwirksam sind. Denn wenn S. repens gleich wirkt wie Placebo und auch wie die Vergleichssubstanzen, dann wirken diese auch gleich wie Placebo, d.h., sie sind also auch unwirksam.
Dies kann mit einer einfachen mathematischen Gleichung gezeigt werden: Wenn a = b und a = c, dann c = b (a: S. repens; b = Placebo; c = Vergleichssubstanzen).
Diese Schlussfolgerung ziehen Tacklind et al. allerdings nicht. Man kann sich gut vorstellen, was sie mit einer solchen Schlussfolgerung in Wissenschaftskreisen ausgelöst hätten!
Zusammenfassung der Kritik
- Elf der 32 in die Cochrane-Studie aufgenommenen Studien verwendeten kein Monopräparat aus S. repens und hätten nicht in diese Meta-Analyse aufgenommen werden dürfen.
- Mindestens drei Studien wurden falsch zitiert.
- Bei fünf der ausgewerteten Studien wurde eine Dosis verwendet, die von 320 mg pro Tag abwich. Darauf wurde im Cochrane-Review nicht eingegangen.
- Der für phytotherapeutische Studien sehr wichtige Aspekt der Standardisierung der überprüften pflanzlichen Präparate wurde vollkommen ausser Acht gelassen.
- Bei der Interpretation der Resultate der 32 ausgewerteten Studien wurde der Fehler gemacht, dass nur S. repens bei BPH unwirksam sei. Die zwingend notwendige Schlussfolgerung, dass die Auswertung der Studien ebenso die Unwirksamkeit der Vergleichspräparate Finasterid, Tamsulosin und Gestonoroncaproat an den Tag gebracht habe, wird nicht gezogen.
Fazit
Der hier kritisch überprüfte Cochrane-Review von 2012 über die Wirksamkeit von S. repens bei BPH ist nach 2000, 2002 und 2009 der vierte Review der Cochrane Collaboration, der sich mit diesem Thema befasst. Während die Reviews von 2000 und 2002 noch zu einem positiven Resultat kamen und S. repens bei BPH als wirksam bezeichneten, verneinten der Review von 2009 und der hier überprüfte Review die Wirksamkeit. Bei beiden Reviews fallen Phytotherapie-Fachleuten jedoch sehr schnell die oben beschriebenen Fehler auf. Wenn nicht nur Monopräparate aus S. repens überprüft, mindestens drei Studien falsch zitiert, die Aspekte der Dosierung weitgehend sowie jene der Standardisierung völlig ausser Acht gelassen werden und eine einseitige Schlussfolgerung gezogen wird, dann darf der wissenschaftliche Wert dieses Cochrane-Reviews infrage gestellt werden, auch wenn es sich um einen Review der renommierten Cochrane Collaboration handelt! Denn: Zahlreiche von Phytotherapie-Fachleuten sorgfältig durchgeführte Studien zur Wirksamkeit von S. repens bei BPH zeigen ein positives Resultat und dokumentieren auch die Gleichwertigkeit mit etablierten Substanzen wie Finasterid oder Tamsulosin.