Komplementärmedizin (KM) ist in der Schweizer Bevölkerung traditionsgemäss sehr beliebt und wird häufig genutzt [1]. Dies macht es wünschenswert, dass alle Ärzte grundlegende Kenntnisse über die wichtigsten komplementärmedizinischen Fachrichtungen besitzen, um ihre Patienten diesbezüglich beraten zu können.

Die Integration von KM in das universitäre Curriculum der Humanmedizin verlief in der Schweiz bisher langsam und gegen grosse Widerstände. Nur mit politischem Druck (kantonale Volksinitiativen) konnten vor 20 Jahren an der Universität Zürich der Lehrstuhl für Naturheilverfahren (heute Institut für komplementäre und integrative Medizin) sowie an der Universität Bern die Kollegiale Instanz für Komplementärmedizin (heute Institut für Komplementärmedizin (IKOM)) eingerichtet werden. Mit der deutlichen Annahme des neuen Verfassungsartikels zur Komplementärmedizin hat die Schweizer Bevölkerung im Jahr 2009 auf nationaler Ebene dem Parlament und den Behörden einen klaren politischen Auftrag erteilt, neben anderen Kernforderungen auch die Lehre und Forschung in der KM zu fördern. In der Folge wurde 2010 an der Universität Lausanne die «Groupe de Recherche et d'Enseignement sur les médecines complémentaires» gegründet, die in das Institut für Sozial- und Präventivmedizin integriert ist. An der Universität Genf ist 2012 eine Arbeitsgruppe zur Integration der KM in die Lehre im Studium Humanmedizin eingerichtet worden.

Im Jahr 2007 trat das Bundesgesetz zu den universitären Medizinalberufen (MedBG) in Kraft, welches die vormals stark fragmentierten Regelungen des Humanmedizinstudiums harmonisierte. Wegen veränderter Bedingungen auf internationaler (z.B. Freizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union (EU)) und nationaler Ebene (fehlende Regelung zu KM, Initiative «Ja zur Hausarztmedizin») wurde 2011 die Revision eingeleitet. In der revidierten Fassung, die in der Frühlingssession 2015 noch vom Nationalrat genehmigt werden muss, werden unter anderem von den Studierenden der Humanmedizin «(…) angemessene Kenntnisse über Methoden und Therapieansätze der Komplementärmedizin» verlangt [2].

Damit sind die medizinischen Fakultäten in der Schweiz per Gesetz verpflichtet, Lehrinhalte zur KM anzubieten. In welchem Umfang und in welcher Art dies erfolgen wird, steht im Rahmen der Autonomie der Universitäten den einzelnen Fakultäten frei.

Grundsätzlich sind die Lernziele des Studiums Humanmedizin im Schweizerischen Lernzielkatalog SCLO (Swiss Catalogue of Learning Objectives) festgelegt [3]. Der aktuelle SCLO stammt aus dem Jahr 2008 und enthält keine Lernziele zur KM. Anlässlich einer Umfrage der Vize-Dekane Lehre im Jahr 2011 zu fehlenden und veralteten Inhalten des SCLO konnte das IKOM in Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Lausanne auf diesen Missstand hinweisen und mehrere Vorschläge zur Erweiterung einreichen. Von der Universität Genf sind ebenfalls neue Lernziele zur KM vorgeschlagen worden.

Mittlerweile hat die Schweizerische Medizinische Interfakultätskommission (SMIFK) die Revision des SCLO beschlossen. Diese wird unter der Leitung von Prof. Pierre-André Michaud der Universität Lausanne erfolgen. Im Moment ist noch offen, ob der revidierte SCLO in derselben Struktur wie bisher mit allgemeinen, disziplinbezogenen und problembezogenen Lernzielen verfasst werden wird. Zur Diskussion steht auch die Struktur des kanadischen Lernzielkatalogs mit kompetenzbasierten Lernzielen zu Haltung (attitude), Können (skills) und Wissen (knowledge). Um die Übernahme der neuen MedBG-Artikel zur KM in den SCLO zu ermöglichen, hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Zusammenarbeit mit Prof. Michaud Ende Mai 2014 die KM-Vertreter der Universitäten zu einem Gedankenaustausch eingeladen. Aus diesem Treffen ist eine Arbeitsgruppe entstanden, in welcher alle medizinischen Fakultäten vertreten sind: Prof. Dr. Anne-Françoise Allaz (Universität Genf), Dr. Silke Biller (Universität Basel), Dr. Pierre-Yves Rodondi (Universität Fribourg und Universität Lausanne), Prof. Dr. Claudia Witt (Universität Zürich) sowie Prof. Dr. Ursula Wolf und Dr. Martin Frei-Erb (beide Universität Bern).

Aufbauend auf der Vorarbeit des BAG wurde im Oktober 2014 eine Umfrage an den humanmedizinischen Fakultäten der Schweiz durchgeführt, um Lernziele und Modalitäten des aktuellen KM-Lehrangebots zu erheben.

In den Tabellen 1, 2, 3, 4, 5, 6 sind die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst (Stand Herbstsemester 2014). An allen Fakultäten besteht ein komplementärmedizinisches Lehrangebot, allerdings in unterschiedlichem Umfang. Am besten in das medizinische Curriculum integriert ist die KM in Bern, Zürich und Lausanne. In Basel, Genf und Fribourg hingegen ist das Lehrangebot noch wenig ausgebaut. Nur mit Vorsicht kann die Stundenanzahl der Lehrveranstaltungen verglichen werden, da diese stark vom didaktischen Konzept des fakultären Curriculums abhängt. So stehen z.B. in Bern aufgrund des praxisbezogenen Unterrichts in Kleingruppen deutlich weniger Vorlesungsstunden in Plenarveranstaltungen zur Verfügung als z.B. in Zürich oder Lausanne.

Table 1

Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Basel (Stand Herbstsemester 2014)

Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Basel (Stand Herbstsemester 2014)
Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Basel (Stand Herbstsemester 2014)
Table 2

Komplementärmedizinisches Lehrangebot am IKOM Bern (Stand Herbstsemester 2014)

Komplementärmedizinisches Lehrangebot am IKOM Bern (Stand Herbstsemester 2014)
Komplementärmedizinisches Lehrangebot am IKOM Bern (Stand Herbstsemester 2014)
Table 3

Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Fribourg (Stand Herbstsemester 2014)

Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Fribourg (Stand Herbstsemester 2014)
Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Fribourg (Stand Herbstsemester 2014)
Table 4

Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Genf (Stand Herbstsemester 2014)

Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Genf (Stand Herbstsemester 2014)
Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Genf (Stand Herbstsemester 2014)
Table 5

Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Lausanne (Stand Herbstsemester 2014)

Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Lausanne (Stand Herbstsemester 2014)
Komplementärmedizinisches Lehrangebot an der Medizinischen Fakultät Lausanne (Stand Herbstsemester 2014)
Table 6

Komplementärmedizinisches Lehrangebot am Institut für komplementäre und integrative Medizin Zürich (Stand Herbstsemester 2014)

Komplementärmedizinisches Lehrangebot am Institut für komplementäre und integrative Medizin Zürich (Stand Herbstsemester 2014)
Komplementärmedizinisches Lehrangebot am Institut für komplementäre und integrative Medizin Zürich (Stand Herbstsemester 2014)

Die Lernziele sind auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau verfasst, von global bis veranstaltungsspezifisch. Die Analyse aller Lernziele hat gezeigt, dass ein fakultätsübergreifender Konsens betreffend der übergeordneten Themen zur Erarbeitung der veranstaltungsspezifischen Lernziele besteht (Tab. 7).

Table 7

Themen der aktuellen fakultären Lernziele für Komplementärmedizin in der Schweiz

Themen der aktuellen fakultären Lernziele für Komplementärmedizin in der Schweiz
Themen der aktuellen fakultären Lernziele für Komplementärmedizin in der Schweiz

Die Veranstaltungen sind teils obligatorisch und teils freiwillig und finden mehrheitlich in Form von Vorlesungen oder Kursen statt. Bei allen Veranstaltungen wird der Besuch bzw. der erfolgreich erbrachte Leistungsnachweis mit ECTS-Punkten entlohnt.

Unsere Umfrage zeigt, dass bereits an allen Fakultäten komplementärmedizinische Lehrveranstaltungen stattfinden. Allerdings finden diese in sehr unterschiedlichem Ausmass statt - mit z.B. jährlichen obligatorischen bzw. prüfungsrelevanten Veranstaltungen zur KM in den Studienjahren 3-6 an der Universität Bern oder lediglich einem Wahlpflicht-Kurs zur Anthroposophischen Medizin und Medizingeschichte im 3. Studienjahr an der Universität Basel. Einigkeit besteht bei allen Fakultäten, nötige Grundkenntnisse zur KM zu vermitteln, die Studierenden jedoch nicht für die Ausübung von KM auszubilden.

Dies stimmt mit den Ergebnissen einer Umfrage (2007) bei verschiedenen Interessengruppen überein [4]. In dieser befürworteten rund die Hälfte der teilnehmenden konventionell-medizinischen Experten, alle befragten KM-Experten und über 70% der teilnehmenden Medizinstudierenden im 6. Studienjahr die Lehre von KM an medizinischen Fakultäten. Bezüglich der Lernziele herrschte vorwiegend Einigkeit bei den drei Gruppen:

- Bildung einer eigenen Meinung zu KM;

- kritische Analyse zu Wirksamkeit und Sicherheit der verschiedenen KM-Disziplinen;

- Wissen über komplementärmedizinische Medikamente und deren Nebenwirkungen und Interaktionen mit konventionellen Medikamenten.

Den Studierenden war zudem wichtig, die Grundlagen der in der Schweiz häufigsten KM-Methoden kennenzulernen sowie deren Stärken und Schwächen vermitteln zu können. Das am wenigsten wichtige KM-Lernziel für das Medizinstudium war schliesslich bei allen Gruppen, den Ärzten zu ermöglichen, KM professionell auszuüben. Interessierte Ärzte haben die Möglichkeit, sich nach Abschluss des Medizinstudiums im Rahmen eines Fähigkeitsprogramms des Schweizerischen Instituts für Weiter- und Fortbildung (SIWF) in KM weiterzubilden.

Die aktuelle Revision des SCLO sowie die Bildung der nationalen Arbeitsgruppe mit Vertretern aller sechs medizinischen Fakultäten sollten eine erfolgreiche Integration komplementärmedizinischer Lernziele ermöglichen. Auf der Basis der in der Umfrage erhobenen bestehenden Lernziele wird die Arbeitsgruppe zuhanden der SMIFK einen Vorschlag formulieren. Die didaktischen Konzepte sowie die Umsetzung dieser Lernziele werden nach wie vor den Fakultäten freistehen.

1.
Klein SD, Frei-Erb M, Wolf U: Usage of complementary medicine across Switzerland: results of the Swiss Health survey 2007. Swiss Med Wkly 2012;142:w13666.
2.
www.bag.admin.ch/themen/berufe/00993/11990/index.html?lang=de.
3.
http://sclo.smifk.ch.
4.
Nicolao M, Täuber MG, Heusser P: How should complementary and alternative medicine be taught to medical students in Switzerland? A survey of medical experts and students. Med Teach 2010;32:50-55.
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