Die äusserst komplexen Zusammenhänge des Immunsystems sind bis heute nicht in allen Einzelheiten erforscht und erklärbar. Zahlreiche Faktoren wirken auf das Immunsystem ein, schwächen oder stärken es - was sich individuell unterschiedlich manifestiert. Die grosse Zahl an möglichen Störfaktoren macht eine exakte und zielgerichtete Therapie oft schwierig. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass eine Therapie, die sich auf einen möglichen allergieauslösenden Faktor beschränkt, oft wenige bzw. nur kurzfristige Erfolge erzielt. Nach einer kurzfristigen Besserung durch Linderung oder Unterdrückung der Symptome geht die Suche nach einer heilsamen Therapie weiter. Ein unspezifisches Vorgehen im Sinne einer Ordnungs und Umstimmungstherapie hat dementsprechend hohe Priorität bei jeder Allergiebehandlung. Im Bereich der Nahrungsmittelintoleranzen bringt oft schon die Entlastung, Ausleitung, Regulation sowie die Zufuhr von Wirkstoffen (Vitalstoffe, Phytotherapeutika) und Informationen eine Verbesserung und Normalisierung der Immunsituation und führt zu einer Wiederherstellung der körpereigenen Regenerationsfähigkeit.
Eine allergische Reaktion symptomatisch zu behandeln, ist sicher nicht falsch. Die Therapie darf aber aus ganzheitlicher Sicht nicht dort stehen bleiben. Das Ausschalten der Nahrungsmittelallergene ist im Akutfall und als erster Schritt sinnvoll, um die Beschwerden zu lindern. Die Dysregulation des Körpers und das dadurch entstandene Ungleichgewicht werden damit aber nicht korrigiert. Neben dem Aufbau einer gesunden Darmflora gehören dazu eine Anpassung der Ernährung und des Lebensstils, die Reduktion von Genuss und Suchtmitteln sowie die Behandlung chronischer Entzündungsherde. Ziel ist die Regulation des irritierten Systems und das Wieder bzw. Neufinden einer physiologisch adäquaten Reaktion auf normale Nahrungsreize, aber auch auf Ausgleichsprozesse im Flüssigkeits, Wärme, SäureBasen und VitalstoffHaushalt.
Leaky-Gut-Syndrom
Die Integrität der Darmschleimhaut ist von zentraler Bedeutung für die Gesundheit. Beim LeakyGutSyndrom lockern sich die «Tight Junctions» zwischen den Mukosazellen, sodass die Permeabilität der Darmschleimhaut steigt und allergieauslösende Antigene leichter in die Blutbahn gelangen. Auslöser können falsche Ernährung, ein Übermass an Hygiene, Umweltfaktoren, Darmdysbiose, Stress, eine konstitutionelle Allergiebereitschaft usw. sein. Auch das Enzym NFkappaB, das eine vermehrte Ausschüttung von IgE (Immunglobulin E) auslöst, wird dafür verantwortlich gemacht, Entzündungsprozesse zu verstärken [1]. Labordiagnostisch lässt sich das LeakyGutSyndrom über eine Erhöhung des Alpha1AntitrypsinSpiegels im Stuhl erfassen. Ausserdem lässt die Untersuchung der Verdauungsrückstände sowie der Pankreaselastase1 im Stuhl Rückschlüsse über die Verdauungsleistung und damit über den Abbau potenzieller Allergene zu [2].
Allergien und Lebensmittelintoleranzen scheinen in den letzten Jahren deutlich zugenommen zu haben. Allzu oft hat die klinische Allergologie diesem Trend wenig entgegenzusetzen und die Therapie beschränkt sich auf die Unterdrückung lokaler Symptome. Die unverhältnismässige Reaktion des Körpers auf eine bestimmte Substanz aus der Nahrung zeigt sich an den zentralen Kontaktstellen des Körpers zur Umwelt wie Haut, obere Luftwege und Darm [3,4]. Die hyperkinetischen, stark überschiessenden Entzündungsprozesse auf kleinste Reize können verschiedenste Symptome zur Folge haben:
- Hitzegefühl,
- Hautrötung im Bereich der Wangen,
- Atembeschwerden,
- Hustenreiz, Heiserkeit,
- Rhinokonjunktivitis,
- Hautentzündungen, Juckreiz,
- Mundtrockenheit,
- Parästhesie im Halsbereich,
- Kopf- und Gliederschmerzen,
- Übelkeit, Blähungen, Bauchweh, Erbrechen, Koliken, Meteorismus,
- Herz-Kreislauf-Beschwerden wie Tachykardie oder Hypotonie,
- Muskel- und Gelenkschmerzen,
- Müdigkeit, Erschöpfung, Antriebsschwäche,
- Kopfweh und Migräne,
- aber auch Verhaltensauffälligkeiten und viele mehr.
Ebenso können zusätzlich sogenannte Kreuzreaktionen auftreten, bei denen ähnliche Eiweissbaustoffe aus Nahrungsmitteln allergische Reaktionen auslösen. Beispielsweise kann eine Birkenpollenallergie eine Kreuzreaktion auf Hasel und Baumnüsse, Mandeln und Apfel auslösen [5].
Die Hauptkontaktfläche von Lebensmittelallergenen ist die Darmschleimhaut. Hinzu kommt die hohe Präsenz an Immunzellen im Darm. Allein deshalb lohnt es sich, den Darm zu einem wichtigen Therapieort bei Nahrungsmittelintoleranzen zu machen. Bei vielen Nahrungsmittelallergikern (und allgemein bei Allergie-Patienten) ist die Zusammensetzung der Darmflora verändert [2]. Meist zeigt sich ein Mangel an Bifidobakterien und Lactobazillen. Diese sind jedoch für die Produktion von kurzkettigen Fettsäuren (Acetat, Propionat, Butyrat) aus für den Menschen unverdaulichen Faserstoffen verantwortlich. Die Ansäuerung des Darmmilieus und die direkte antimikrobielle Wirkung hemmen die Ansiedelung von Fremdkeimen, unterdrücken Fäulnisprozesse im Darm und wirken dem Leaky-Gut-Syndrom entgegen. Diese Prozesse haben neben der Verdauungsverbesserung antientzündliche und antiallergene Effekte, denn Fäulnisprodukte wie biogene Amine (unter anderem Histamin) werden bei Darmdysbiose vermehrt gebildet. Eine allgemeine allergische Grundtendenz wird durch diese Entzündungs- und Allergiemediatoren noch verstärkt.
Im gesunden Verdauungstrakt verhindern verschiedene Barrieren den Übertritt von Allergenen: Magensäure, Pankreasproteasen, Darmflora, ein intaktes Schleimhautepithel sowie das sekretorische Immunglobulin (intestinales slgA). Die intestinale Mukosa ist somit von zentraler Bedeutung für jede Behandlung von Lebensmittelintoleranzen. An der Darmschleimhaut entscheidet der Körper, was aufgenommen und was abgewehrt werden muss - ein stetiger Wechsel zwischen Durchlässigkeit und Barriere.
Dafür ist eine rege Kommunikation zwischen der Darmflora und dem darmassoziierten Immunsystem (gut-associated lymphoid tissue, GALT) nötig, wobei das GALT seinerseits wieder direkt mit dem MALT (mucosa-associated lymphoid tissue) verbunden ist. Das GALT ist ohne Mikroben undenkbar. Das Aufrechterhalten der Immunleistung als protektiver, immunregulatorischer und proteolytischer Auftrag ist Aufgabe der Mikroflora. Als morphologische Grundlage gilt das Endoderm. Untersuchungen an der lebenden Darmschleimhaut belegen, dass Mastzellen in der Mukosa von Nahrungsmittelallergikern vermehrt Histamin produzieren - sowohl spontan als auch antigenspezifisch [5]. Zellwandbestandteile der Bakterien (Lipopolysaccharide, Peptidoglykane, Fimbrien) sind potente Mastzelldegranulatoren, in direkter Weise wie auch indirekt über das Komplementsystem. Die Mikroflora ist imstande, die Histamin-Syntheserate im Gewebe zu beeinflussen (Histidindecarboxylase-Expression) sowie die Aktivierung der Histamin-abbauenden Enzyme zu übernehmen (Diaminoxidase, Histamin-N-Methyltransferase). Dies trägt wesentlich zur Stabilisierung der gestörten Schleimhautgrenzflächen des allergisch reagierenden Patienten bei [6]. Eine Mitbehandlung der Darmflora ist somit in einer ganzheitlichen Therapie bei Nahrungsmittelallergie zwingend.
Die häufigsten Nahrungsmittelintoleranzen betreffen Weizen, Soja, Milchprodukte, Eier, Nüsse, Krustentiere, gewisse Früchte und diverse Zusatzstoffe (Abb. 1). Grundsätzlich gilt jedoch, dass jedes (Nahrungs-)Mittel Unverträglichkeiten auslösen kann.
Gross-verteiler versehen ihre Produkte heute mit einer Allergie-Information.
Die nichtimmunologische Nahrungsmittelunverträglichkeit (die sogenannte pseudoallergische Reaktion) löst die gleichen Symptome wie eine Nahrungsmittelallergie aus, da die Beschwerden in beiden Fällen durch eine vermehrte Histamin-Ausschüttung verursacht werden. Bei der klassischen Nahrungsmittelallergie ist die Histamin-Ausschüttung jedoch immunologisch bedingt (IgE-vermittelte und IgE-unabhängige Reaktionen). Nichtimmunologisch bedingte Überreaktionen entstehen hingegen meist durch Enzymdefekte (Enzymopathien, vor allem Lactase-Mangel bei Milchzuckerunverträglichkeit und Diaminoxidase-Mangel bei Histamin-Unverträglichkeit), durch pharmakologische Aktivität (relative Intoleranz, z.B. Glutamat, biogene Amine), durch gestörten Transport (Kohlenhydratmalabsorption aufgrund von GLUT-5-Transporter-Schwäche, vor allem Fructose- und Sorbit-Intoleranz) und durch pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittelzusatzstoffe [5].
Problem Zusatzstoffe
Zusatzstoffe stehen im Verdacht, vermehrt Nahrungsmittelintoleranzen auszulösen bzw. bestehende Unverträglichkeiten zu verschlechtern und die Darmflora zu schädigen. Nahrungsmittelzusatzstoffe sind Aromastoffe, Farbstoffe, Konservierungsmittel, Verdickungsmittel, Säuerungsmittel, Antioxidationsmittel, Emulgatoren, Füllmittel, Geschmacksverstärker, Stabilisatoren, Feuchthaltemittel usw. Sie erfüllen all die Wünsche, die der Konsument an die Lebensmittel stellt - wie z.B. längere Haltbarkeit, schöneres Aussehen, bessere Konsistenz usw. Alle Zusatzstoffe werden mit E-Nummern bezeichnet, also natürliche Carotinoide aus Karottensaft (E 160a) ebenso wie kritische Stoffe wie Glutamat als Geschmacksverstäker (E 625). Dokumentierte Beschwerden [7] nach Einnahme von Zusatzstoffen sind pseudoallergische Reaktionen wie asthmaähnliche Beschwerden, tränende Augen, Nesselsucht, Hautödeme, Magen-Darm-Beschwerden oder das sogenannte China-Restaurant-Syndrom (Glutamatunverträglichkeit bzw. kurzzeitige Intoxikation mit dem Salz der Glutaminsäure, das als Geschmacksverstärker eingesetzt wird).