Der Essay mit dem Titel «Ist die Aristolochiasäure in der Asarum-Pflanze tatsächlich kanzerogen? Die wichtige Bedeutung epidemiologischer Effekt-modifikation - mit einem klinischen Fallbeispiel» [1] wendet sich gegen das seit 2010 bestehende Verbot von Xi Xin (Asarum) in Arzneimitteln. Dieses Verbot gründet sich auf der bei Mensch und Tier erwiesenen Kanzerogenität von Aristolochiasäure, die in Asarum- und Aristolochia-Pflanzen vorkommt. Auf eine pseudowissenschaftliche Weise argumentieren die Autoren gegen dieses Verbot, wobei die Behauptung, dass «als Beweis nur die Ergebnisse von Tierversuchen vorliegen und diese irreführend sind», als Kernaussage in Stellung gebracht wird.
Schon der Titel suggeriert, dass jene Aristolochiasäure, die in Asarum-Pflanzen vorkommt, eine andere sei als die in den Aristolochia-Pflanzen. Aristolochiasäure, chemisch eine Nitrophenanthrencarbonsäure, wirkt krebserregend im Tierversuch und beim Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, und daher sind auch alle Pflanzen und Pflanzenteile, die Aristolochiasäure enthalten, als potenziell kanzerogen anzusehen.
Es ist richtig, dass Asarum-Pflanzen wenig Aristolochiasäure enthalten. Ob man den Gehalt von ca. 1 tg/g Aristolochiasäure in Asarum(Asarum herba sogar 140 rg/g) jedoch als Spuren bezeichnen sollte, sei dahingestellt; dies ist allerdings auch bedeutungslos. Denn wie in jedem Lehrbuch der Toxikologie nachzulesen ist, gibt es für chemische Kanzerogene, insbesondere mit typisch gentoxischem Charakter, keine Wirkungsschwelle, d.h. keine sichere Dosis. Nach Neubert [2] erzeugen Kanzerogene irreversible, kumulierende Effekte, was bedeutet, dass die Effekte der kleinsten Einzeldosis über die ganze Lebenszeit erhalten bleiben und sich aufsummieren; daher gibt es für den Menschen keine Exposition gegenüber einem chemischen Kanzerogen, die toxikologisch unbedeutend wäre. Dass aufgrund der niedrigeren Aristolochiasäuremenge auch das Tumorrisiko, das von Asarum-Pflanzen ausgeht, geringer ist als bei Aristolochia-Pflanzen, ist anzunehmen; es ist allerdings niemals gleich null.
Das Kapitel überschrieben mit «Fehlender Kausalitätsnachweis» stellt den Zusammenhang zwischen Aristolochiasäure und dem Auftreten von Urothelialkarzinomen bei Patienten einer belgischen Schlankheitsklinik, denen Kapseln mit Aristolochia fangchi verabreicht wurden [3], infrage. Gerade durch diese tragische Verwechslung der chinesischen Mittel Stephania tetrandra mit Aristolochia fangchi in der Schlankheitsklinik war es möglich, die Nierenerkrankungen und das Auftreten von Urothelialkarzinomen auf die Wirkung von Aristolochiasäure zurückzuführen. Deutliche Belege dafür sind erstens der dosisabhängige Zusammenhang zwischen der eingenommenen Menge an A. fangchi und der Krebsentstehung und zweitens der eindeutige Nachweis, dass alle untersuchten Patienten gegenüber Aristolochiasäure exponiert worden waren. Zugegebenermassen handelt es sich bei den Fällen aus Belgien nicht um eine kontrollierte Studie am Menschen, die die kanzerogene Wirkung von Pflanzen mit dem Inhaltsstoff Aristolochia säure zutage förderte, sondern um eine tragische Verwechslung. Die Autoren sollten sich aber eher fragen, wie es mit kontrollierten Studien zur Wirksamkeit von Xi Xin (Asarum) beim Menschen bestellt ist.
Wie die Autoren richtigerweise anmerken, sollten «zu einer Abschätzung für die Einstufung einer Substanz als Kanzerogen für den Menschen epidemiologische Beobachtungen herangezogen werden». Genau dies ist, basierend auf den Urothelialkarzinom-Fällen aus Belgien, im Falle der Aristolochiasäure geschehen, und nur deshalb wurde Aristolochiasäure 2009 durch die IARC [4] als Human-Kanzerogen (group 1 = the agent (mixture) is carcinogenic to humans; the category is used when there is sufficient evidence of carcinogenicity in humans) eingestuft.
Anders dagegen das Fazit der Autoren, dass «Aristolochiasäure mutagen und stark kanzerogen wirke, ist letztlich also nur eine Schlussfolgerung aus Tierversuchen», und zum Beleg hierfür zitieren sie Arlt et al. [5] und Chen [6]. Beide Übersichtsartikel enthalten aber sehr wohl Kapitel über die mutagene und kanzerogene Wirkung von Aristolochiasäure bzw. A. fangchi beim Menschen («Nephrotoxic and carcinogenic mechanism of aristolochic acid in humans»; «Mutations in the p53 gene»). Wenn es noch eines weiteren Beweises für die kanzerogene Wirkung von Aristolochiasäure beim Menschen bedurft hätte, so beseitigt die kürzlich erschienene molekularepidemiologische Studie über die Ursache von Urothelialkrebs in Taiwan alle Zweifel daran [7]. Sie zeigt zweifelsfrei, dass Aristolochiasäure am Auftreten dieser ansonsten seltenen Krebsart beteiligt ist. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass auch bei Verwendung der Aristolochia-Pflanzen im Rahmen der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) ein hohes Tumorrisiko von diesen für den Menschen ausgeht.
Das Asarum-Verbot beruht auf der zurzeit bestmöglichen Beurteilung, und die zahlreichen Krebsfälle in Taiwan [7] belegen eindrücklich, dass es nicht aufgehoben werden darf. Wer hat die Chuzpe, auf der Grundlage dieser Daten ein Arzneimittel, das ein potentes Human-Kanzerogen enthält, wegen eines einfachen Hustens zu verordnen?