Zusammenfassung
Die von Samuel Hahnemann (1755-1843) begründete Homöopathie lässt sich heute aus den verschiedensten Perspektiven betrachten und beurteilen - bedingt durch interne Differenzierungen, externe kritische Einwände sowie einschlägige Forschungsergebnisse aus fast allen Natur- und Geisteswissenschaften. Die kulturgeschichtlichen Wurzeln der jetzt in allen Bereichen, auch in der Medizin, überbordenden Polyperspektivität liegen im Abendland einerseits im traditionellen monotheistischen Wahrheitsbegriff der jüdisch-christlichen Religion, andererseits in einem seit der Aufklärung sich beschleunigenden Rationalisierungs- und Dekonstruktionsprozess innerhalb der Wissenschaften selbst. Sozioökonomische Auswirkungen der zunehmenden Unsicherheit und Überforderung reichen von Orientierungslosigkeit und Delegitimierung der Wissenschaften bis zur Herrschaft von Zahlen und Algorithmen. Zur Bewältigung dieser Herausforderung bieten sich theoretisch etwa die Philosophie des Jainismus (Anekantavada, Syadvada, Nayavada) oder Friedrich Nietzsches an, praktisch vor allem Platons Staatsphilosophie sowie die christliche Trinitätslehre. Indem auch Hahnemanns Homöopathie-Konzeption die Dimensionen Mythos, Logos und Ethos umfasst, bietet sein Ansatz ein seit 200 Jahren bewährtes Paradigma, mit dem Polyperspektivitätsdilemma auf eine praktische, realistische und kreative Weise fertig zu werden.