Zusammenfassung
Der Einsatz von Nanotechnologie ist ein vielversprechender Ansatz, der in Zukunft Diagnose, Therapien oder auch operative Eingriffe verbessern könnte. In der Ophthalmologie steht der Einsatz von Nanotechnologie noch in den Anfängen, es ist aber zu hoffen, dass damit in Zukunft z.B. die Therapie von Netzhauterkrankungen verbessert werden kann. Die präklinische Forschung gibt Hinweise darauf, dass Nanopartikel existierende Diagnose- und Screeningtools verbessern könnten, um Erkrankungen früher zu diagnostizieren, und auch in der Verlaufskontrolle eingesetzt werden könnten. Das Review von Scheive et al. untersucht die Ansätze, die für den klinischen Einsatz von Nanotechnologie für Netzhauterkrankungen zur Zeit existieren.
Zusammenfassung zu Scheive M, Yazdani S, Hajrasouliha AR. The utility and risks of therapeutic nanotechnology in the retina. Ther Adv Ophthalmol. 2021;13:25158414211003381.
Transfer in die Praxis von Prof. Dr. Olaf Strauß (Berlin)
Hintergrund
Nanopartikel sind in das Bewusstsein der Öffentlichkeit in Form von Feinstaub getreten. Diese Partikel dringen überall, bis in subzelluläre Strukturen, ein und haben wegen des Oberflächen-Größenverhältnisses besondere molekulare Eigenschaften, wodurch sie zusätzlich wie Katalysatoren wirken können. Genau diese Eigenschaften, die den Nanopartikeln die Gefahr für die Gesundheit geben, haben auf der anderen Seite hohes therapeutisches Potential.
Eine Stichwortsuche in Pubmed liefert über 500 Einträge zu den Suchworten «nanoparticles» und «retina». Fast jede Form der retinalen Degeneration zwischen Glaukom, Retinitis pigmentosa, feuchter AMD und diabetischer Retinopathie ist in die Nanopartikelforschung eingebunden. Ähnlich viele Ergebnisse bringt eine Suche unter «cornea» und «nanoparticles». Die meisten der Pubmed-gelisteten Studien sind prä-klinische Studien, anhand deren die therapeutischen Möglichkeiten in vitro oder am Tiermodell untersucht werden. Ein Vergleich mit den Zahlen der klinischen Studien zum gesamten Auge unter ClinicalTrials.gov kann dagegen jedoch nur eine kleine Handvoll Studien auflisten.
Ergebnisse der Studie
Daher versuchen die Autoren des Übersichtsartikels von Scheive et al. aus einer Special Collection unter der Überschrift «Future in Ophthalmology – Novel Tools and Emerging Therapies» das Problem der Anwendbarkeit von Nanopartikeln in Therapie retinaler Erkrankungen zu beleuchten. Der Artikel der geht Frage nach, welche Substanzen Nanopartikel bilden können und was ihre Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten sind.
Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Diese reichen vom therapeutischen Einsatz über neue diagnostische und Screening-Verfahren bis hin zum chirurgischen Einsatz. Zum einen eignen sich Nanopartikel als Carrier für Moleküle – vom therapeutischen Antikörper bis hin zum Transport von Nukleotiden, z.B. siRNA, sogar von Transgenen. Die Carriermoleküle sind unter Anderem ampholytische Systeme wie Liposomen (bekannt aus der COVID-19-Impfung) oder Nanomicellen. Auf der anderen Seite stehen die Metall-basierten Partikel, die häufig intrinsische katalytische Aktivitäten aufweisen und direkt als Pharmakon wirken können. Zum Beispiel zeigten Partikel aus Silber anti-angiogenes Potential. Gold-Nanopartikel wirken nicht nur anti-angiogen, sondern auch entzündungshemmend und könnten sogar für die OCT-Diagnostik zur Kontrastierung eingesetzt werden. Polymer-Systeme wie Hydrogele, Poly-Laktate, Polyethylen-Glykole (PEG) oder Hyaloronsäure eigenen sich vor allem zu Freisetzung von Peptiden oder stark wasser-unlöslichen Substanzen wie Dexamethason oder Cyclosporin-A als Therapeutikum mit Speichercharakter. Diese Nanopartikel können den zu transportierenden Stoff nach Ligation mit nanomolekularer Trägersubstanz in zeitlich definierbaren Raten freisetzen.
Die molekulare Struktur ist nicht nur der Schlüssel für das, was transportiert werden soll, sondern auch wohin die Nanopartikel gelangen. Tatsächlich können so bestimmte Zelltypen gezielt adressiert werden. Je nach molekularen Eigenschaften, die sich aus der Größe und den Oberflächeneigenschaften ergeben, werden die Partikel von bestimmten Zellen besonders leicht aufgenommen. Somit vereinen die Nanopartikel auf der einen Seite eine weitreichende Durchdringung von Gewebsstrukturen auf Grund ihrer Größe mit der Möglichkeit einer zellspezifischen Anwendung. Ganz so einfach ist die Anwendung allerdings nicht. In der Netzhaut sind es meist die Müller-Zellen und das retinale Pigmentepithel, die Nanopartikel besonders leicht aufnehmen. Andere Strukturen wie Photorezeptoren oder Ganglienzellen gezielt zu adressieren stellt immer noch eine Herausforderung dar. Auf der anderen Seite gibt es gute Ansätze, die auf die Zellspezifität des Nanopartikels nicht angewiesen sind. So ist es möglich z.B. Müllerzellen zu adressieren und diese dann für eine konstante Produktion eines Pharmakons, wie z.B. neuroprotektive Faktoren, zu nutzen. Die molekulare Struktur ist auch der Schlüssel zur Steuerung der möglichen Toxizität dieser Partikel, da diese das Immunsystem aktivieren oder die Zellstrukturen stark verändern und damit degenerative Prozesse hervorrufen können. Genau hier wird auch der mögliche Erfolg des Einsatzes von Nanopartikeln als Therapeutika für die Retina definiert. Der Artikel kann für den Einsatz in der Netzhaut insgesamt 15 verschiedene Typen von Nanopartikeln auflisten, von denen nur 4 nachgewiesene toxische Effekte aufweisen. Dies gelingt indem vor allem zellverwandte oder biologisch relevante Moleküle eingesetzt werden. Die Liposomen oder Alkohole sind schon weiter oben benannt. Andere Beispiele sind Partikel, die aus Octoxinol-40 und einem Tocopherol-PEG, also Vitamin E, assembliert werden. Mit Hilfe dieser Partikel konnte erfolgreich Rapamycin (mTOR-Inhibitor) in die Netzhaut eingebracht werden. Ein ähnliches Beispiel ist die Oberflächenbeschichtung mit Hyaloronsäure (Chitosan), die zum effizienten Inhibieren von CD44 beim Pigmentepithel im Tiermodell mit Uveitis eingesetzt wurde.
Fazit für die Klinik
Ist der Erfolg des Einsatzes von Nanopartikeln damit gegeben? Die geringe Zahl der zugelassenen klinischen Studien mit Nanopartikeln als Basis zeigt es an. Es gibt noch etliche, vor allem technologische sowie toxikologische, Probleme zu lösen. Die Applikationswege limitieren noch immer den Einsatz, weswegen die erreich-bare Verfügbarkeit der Wirksubstanz am Ort des Krankheitsgeschehens nicht immer erreicht wird. Daher wird für die meisten der Moleküle immer die intraokuläre Injektion angegeben, um Barrieren wie die Blut/Retinaschranke zu umgehen – ein Problem, das bei intravenös applizierten Substanzen oder den subconjunktival applizierten Substanzen besteht. Auch für die intravitreal applizierten Substanzen besteht noch ein erheblicher Diffusionsweg. Dieses Problem taucht auf, wenn die erfolgreiche Erprobung am Mausauge auf menschenähnlichere Augen wie dem Schweineauge übertragen werden sollen. Daher werden wohl etliche Substanzen eher subretinal injiziert. Auch wenn generell ein reduziertes toxisches Profil der Substanzen vorliegt, ist dies natürlich kein vollständig gelöstes Problem. Gewebe reagieren auf Nanopartikel mit der Produktion von Radikalen, und Metallpartikel, vor allem Silber, können neurotoxisch wirken.
Dem steht jedoch eine enorme Bandbreite an Molekülen und technologischen Möglichkeiten entgegen, die noch nicht ausgeschöpft sind. Man kann daher davon ausgehen, dass die Nanopartikel als smarte Therapeutika Einzug in die Klinik halten werden.
Disclosure Statement
Der Autor hält Vorträge auf Veranstaltungen der Firmen Bayer und Novartis. Er ist engagiert im Preisverleihungskommittee für den Novartis Forschungspreis.