Die Glaukomchirurgie ist einer der undankbareren Bereiche der Augenchirurgie, da sie primär weder visusverbessernd ist, wie die Hornhaut-, Katarakt- oder Netzhautchirurgie, noch kosmetische Verbesserungen erzielt, wie z.B. die Lidchirurgie. Bei der Glaukomchirurgie steht als einziger Aspekt die Augeninnendrucksenkung im Vordergrund, wobei getreu dem Zieldruckkonzept ein individuell noch tolerierbarer Augeninnendruck erreicht werden soll, bei dem die Progression der glaukomatösen Optikusneuropathie zumindest zum Stillstand kommen soll. Diese Anforderung ist ein hoch gestecktes Ziel, da wir durch das Early Manifest Glaucoma Trial wissen, dass die alleinige Augendrucksenkung dieses Ziel oft nicht erreichen kann [1]. In dieser prospektiven 8-Jahres-Studie bei neu entdeckten Glaukompatienten (Mischung aus primären Offenwinkel- und Pseudoexfoliationsglaukom) wurde eine Gruppe nicht therapiert, während die andere Gruppe mit einer Kombination aus Betaxolol und einer Argonlasertrabekuloplastik mit 25% Augendrucksenkung auf durchschnittlich 15,5 mm Hg gesenkt wurde. Dennoch kam es in der behandelten Gruppe bei 59% zu einer Progression, in der unbehandelten Gruppe bei 76%, sodass die alleinige Augendrucksenkung letztlich nur bei 17% eine Progression verhindern konnte. Dieses Ergebnis ist für die Glaukomchirurgie wichtig, da im Vorfeld dem Patienten eindrücklich vermittelt werden sollte, dass die alleinige Drucksenkung nicht immer zum Stillstand der glaukomatösen Progression führen muss, auch wenn die entsprechende Erwartungshaltung hierfür sehr groß ist.

Braucht es die Glaukomchirurgie?

Die Grundsatzfrage, die oft in diesem Zusammenhang gestellt wird, ist, ob wir dann überhaupt eine Glaukomchirurgie brauchen. Heute werden 6 verschiedene lokale antiglaukomatöse Medikamentengruppen angewendet (Sympathomimetika, Alpha-2-Agonisten, Betablocker, Cholinergika, Carboanhydrasehemmer, Prostamide/Prostaglandin-Analoga). Sie sind meistens kombinierbar und stehen oft auch als unkonservierte Versionen zur Verfügung. Die drucksenkende Wirkung liegt in der Monotherapie zwischen 20% und 35% und kann in der Kombinationstherapie bis zu maximal 45% Drucksenkung erreichen [2]. Und dennoch zeigt der praktische Alltag, dass die medikamentöse Therapie nur bedingt erfolgreich umgesetzt werden kann, was die Notwendigkeit einer chirurgischen Intervention unterstreicht. Eines der Hauptprobleme ist die Kommunikation zwischen Patient und Augenarzt. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass 47,6% aller Patienten Probleme mit den Erläuterungen von Fachärzten haben [3]. Daraus ergeben sich erhebliche Konflikte, die zum Teil darin münden, dass Rezepte von vornherein nicht eingelöst werden. Hinzu führen Ängste durch eventuelle Anwendungsbeschränkungen und Nebenwirkungen der Medikamente zum Nichtanwenden der verschriebenen Arzneimittel. Dies wird auch dadurch begünstigt, dass Medikamente bisweilen auch von Arztseite bei vorbestehenden Krankheiten und Sondersituationen nicht korrekt eingesetzt werden. So stellte eine Studie z.B. dar, dass trotz vorbestehender chronisch obstruktive Lungenerkrankung oder Bronchialasthma lokale Betablocker bei 61,8% der Patienten gegen ein Glaukom angewendet wurden, obwohl Betablocker bei diesen Erkrankungen kontraindiziert sind [4]. Dazu kommen auf Patientenseite lokale und systemische Unverträglichkeiten und allergische Reaktionen der Antiglaukomatosa sowie die logistische und manuelle Schwierigkeit, an 2-3 verschiedenen Tageszeitpunkten die Tropfen korrekt einzunehmen. Daneben können die Augentropfen den Druck nicht ausreichend reduzieren und/oder die Schwankungsbreite des Augendrucks durch nicht korrektes Einhalten der Tropfzeitpunkte erhöhen. Alles in allem zeigt sich ein großes Spektrum an Problemen mit Augentropfen, sodass bei steigender Therapieunzufriedenheit die Progression der glaukomatösen Optikusneuropathie eher gefördert wird [5]. Insofern gewinnt die Glaukomchirurgie zunehmend an Bedeutung und sollte deshalb grundsätzlich bei der Strategieplanung der Glaukomtherapie berücksichtigt werden. Besonders bei sehr hohen Ausgangsdruckwerten kann nach dem operativen Eingriff bei erzielten Druckwerten ≤ 15 mm Hg nicht nur eine Stabilität, sondern auch eine Verbesserung des funktionellen Zustandes erreicht werden [6,7]. Diese Chance sollte durchaus berücksichtigt und eine Operation nicht zu lange aufgeschoben werden.

Die «Qual der Wahl»

Allerdings ist die Glaukomchirurgie eine aufwändige Prozedur. Die präoperative Schwierigkeit liegt in der richtigen Auswahl des geeigneten Operationsverfahrens. Weltweit werden heute über 100 verschiedene antiglaukomatöse Operationsmethoden angeboten, was alleine schon darauf hinweist, dass es nicht die eine, einzig optimale Operationsmethode gibt, die für alle Ausgangslagen gleich gut geeignet ist. Dazu kommt, dass auch nicht alle Operationsmethoden für alle Glaukomformen gleich gut passen oder entsprechend der Zertifizierungen zugelassen sind. Deswegen liegt der beste Weg darin, eine Vielzahl verschiedener Glaukom-Operationsverfahren zu beherrschen und für den jeweiligen Patienten individuell die geeignetste Methode auszuwählen. Dies setzt einen erfahrenen Operateur voraus, der mit mehreren Glaukom-Operationsverfahren vertraut ist. Solche Erfahrung zu sammeln braucht Zeit, da Glaukomoperationen bezogen auf die gesamte ophthalmologische Chirurgie mit 1,7% nur wenig Anteil an allen stationären Eingriffen haben [8]. Natürlich kann der Operateur nicht alle Methoden manuell beherrschen - was auch nicht erwartet werden kann und auch nicht nötig ist, - aber er sollte eine ausreichend große Auswahl an Verfahren haben, die eine gezielte abgestufte Operationsintensität erlaubt. Dabei sollte der Ophthalmochirurg selbstkritisch die einzelnen Operationsverfahren bewerten und den individuellen Langzeitverlauf eines Glaukompatienten strategisch planen können. Damit ist gemeint, dass die Reihenfolge der Operationsverfahren stimmen muss. Man kann z.B. nach einer Trabektomoperation keine Kanaloplastik mehr durchführen oder nach einer ausgiebigen Zyklophotokoagulation keinen suprachoroidalen Stent mehr einsetzen.

Außerdem sollte bedacht werden, dass auch eine Kataraktoperation in das antiglaukomatöse Operationsspektrum gehört. Neben der drucksenkenden Wirkung einer Kataraktoperation allein von 1,5-3 mm Hg beim primären Offenwinkelglaukom [9] kann eine Kataraktoperation auch bei wenig eingetrübter Linse im Vorfeld einer Trabekulektomie sinnvoll sein. Nach einer Trabekulektomie kommt es in ca. 70% zu einer Kataraktprogression, eine Operation der Linse nach Trabekulektomie erhöht die Gefahr, dass es zu einem Versagen des Sickerkissens kommt.

Die zur Glaukomtherapie gehörenden Laserverfahren, wie die Argon-Lasertrabekulopastik und die selektive Lasertrabekuloplastik sind zwar vorübergehende Alternativen, aber keine Langzeitlösungen, um einen erhöhten Augeninnendruck im Zieldruckbereich zu halten. Die Zyklophotokoagulation als destruktives Verfahren des Ziliarkörpers ist nur in Ausnahmesituationen zu verwenden und sollte weitgehend vermieden werden.

Die minimalinvasive Chirurgie - der Wahrheit letzter Schluss?

Derzeit besteht ein großer Hype um die minimalinvasive Glaukomchirurgie (MIGS) [10]. Auch wenn einige Kritiker sie fälschlicherweise als «minimaleffektive» Glaukomchirurgie abwerten, so haben Stents durchaus ihre Berechtigung und ihren Einsatzbereich.

Dabei müssen folgende Kriterien erfüllt werden:

• Ausschließliche Anwendung bei Offenwinkelglaukomen, wie dem primären Offenwinkel-, Pseudoexfoliations- und Pigmentdispersionsglaukom

• Kleiner kornealer Zugang

• Implantation des Stents ab interno

• Schonung der Bindehaut

• Keine Anwendung von Antimetaboliten wie z.B. Mitomycin C oder 5-Fluorouracil

• Minimales chirurgisches Trauma und Gewebsverletzungen

• Sehr hohes Sicherheitsprofil

• Schnelle visuelle Erholung

• Geringer Aufwand in der Nachsorge

• Einfache Kombinierbarkeit mit einer Katarakt-Operation

• Gute Augeninnendruck-senkende Wirkung.

Bisher erfüllen zwei auf dem Markt befindliche Stents diese Kriterien: der iStent inject (Glaukos Deutschland GmbH, Wiesbaden, Deutschland) und der CyPass (Alcon Pharma GmbH, Freiburg, Deutschland). Beide sind FDA- und CE-zertifiziert, wobei der CyPass nur für das primäre Offenwinkelwinkelglaukom, der iStent inject hingegen zusätzlich für das Pseudoexfoliations- und Pigmentdispersionsglaukom zugelassen ist. Beide Stents können in Europa sowohl in Kombination mit einer Phakoemulsifikation der Linse als auch als Stand-alone-Variante verwendet werden.

Beide Stents erreichen in der Regel einen Zieldruck zwischen 15-17 mm Hg (je nach Drucklage mit und ohne zusätzliche lokale Therapie) mit Reduktion der antiglaukomatösen Augentropfen. Die derzeitige Studienlage zeigt eine anhaltende Wirkweise von bis zu 3 Jahren [11].

Als geeignet für einen Stent gelten Glaukompatienten mit einer klaren Hornhaut, tiefer Vorderkammer, offenem sowie gut differenziertem Kammerwinkel. Besondere Anwendungsbereiche sind Kontaktlinsenträger, denn die antiglaukomatösen Augentropfen verstärken ein trockenes Auge und nach einer Trabekulektomie wird das Kontaktlinsentragen deutlich erschwert. Zudem sind Stents eine gute Alternative bei sehr kritischen Patienten, die negativ gegenüber jeglicher medikamentösen Therapie stehen oder sogar unter einer Medikamenten-Phobie leiden.

Ungeeignet für die MIGS sind Patienten mit ungünstigen anatomischen Voraussetzungen wie z.B. einer trüben Hornhaut, einer flachen Vorderkammer, einem engen und/oder undifferenzierten Kammerwinkel und Irispathologien (z.B. Iridoschisis). Zudem sind Kinder generell ausgeschlossen. Unruhige Patienten sind ebenfalls wenig geeignet, da die MIGS in der Regel in örtlicher Betäubung, zum Teil in Tropfanästhesie, durchgeführt wird und bei hoher optischer Vergrößerung des Kammerwinkels die Voraussetzung für eine optimale Stent-Implantation nicht gegeben ist. Weiterhin ist zu beachten, dass einige Glaukomformen für eine Stent-Implantation nicht geeignet bzw. nicht zugelassen sind, wie kongenitale Glaukome, Aphakieglaukome, traumatische Sekundärglaukome, phake Engwinkelglaukome, Neovaskularisationsglaukome und uveitische Sekundärglaukome.

Nachsorge

Ein wichtiges Thema der Glaukomchirurgie ist die postoperative Nachsorge. Dieser Bereich der operativen Rundum-Versorgung bereitet am meisten Probleme, da gerade die invasiveren operativen Techniken eine intensivierte Nachsorge benötigen, allen voran die Trabekulektomie [12]. Es bedarf viel Erfahrung, die klinischen Zeichen einer beginnenden Vernarbung frühzeitig zu erkennen, um entsprechend rechtzeitig entgegen zu wirken. So wird beispielsweise eine frühe Tenonsche Kapsel oft noch als funktionstüchtiges Sickerkissen gewertet. In diesem Bereich ist eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Operateur und dem/der zuweisenden Kollegen/Kollegin unausweichlich, aber ebenso eine gute Kooperation von Seiten des Patienten.

Überlegungen vor der Operation

Zum Schluss ist zu bedenken, dass die Auswahl der chirurgischen Möglichkeiten abhängig ist vom Zieldruck, der Form des Glaukoms, dem Zustand der Bindehaut, vom morphologischen Zustand des zu operierenden Auges, von den Voroperationen, dem Alter des Patienten und von der Compliance und den Möglichkeiten der postoperativen Nachsorge. Besonders ist die Höhe des Ausgangs-Augeninnendrucks zu berücksichtigen. Beispielsweise ist bei sehr hohen Druckwerten von > 40 mm Hg die Trabekulektomie sinnvoll, Laserverfahren und MIGS hingegen nicht. Bei einem beginnenden Glaukom (MD < /6/ dB) sind die MIGS den Laserverfahren vorzuziehen. Bei einem Zieldruck < 15 mm Hg ist die Trabekulektomie die Operation der 1. Wahl. Nicht zuletzt kommt auch eine sozioökonomische Verantwortlichkeit hinzu, die ebenfalls berücksichtigt werden sollte. So ist zum Beispiel die modifizierte Goniotomie genau so effektiv wie die Operation mit dem Trabektom [13], nur ist sie um ein Vielfaches preiswerter. Die Trabekulektomie ist deutlich günstiger als eine Kanaloplasik, sodass auch dieser Aspekt in die Gesamtbewertung mitbedacht werden sollte.

Zusammenfassung

Die Glaukomchirurgie ist durch die Vielzahl an Einflussfaktoren ein sehr komplexes Operationsgebiet, was durch ständig neue Operationsverfahren nicht vereinfacht wird. Dabei sind viele publizierten Studien wenig verwertbar, da zum Beispiel verschiedene Glaukomformen vermischt werden und die Anfangs- und Endzahlen der eingeschlossenen Patienten sehr unterschiedlich sind, sodass keine klare Aussage getroffen werden kann. Zudem werden Arbeiten publiziert, die keine Komplikationen oder Nebeneffekte beschreiben, was bei einem glaukomchirurgischen Verfahren definitiv nicht möglich ist. Daraus resultiert die Aufforderung, ehrlicher und offener mit den realen Ergebnissen umzugehen und eher darauf abzielen, die geeignete Nische für das operative Verfahren zu finden, in dem es den höchsten Effekt aufweist. Besonders wichtig für ein operatives Verfahren ist die Langzeitperspektive: 6-Monats-Daten haben keinen klinischen Nutzen. Da es derzeit kein allseits effektives Glaukom-OP-Verfahren gibt, ist jedes neue Operationsverfahren immer eine Bereicherung, aber kein Ersatz für andere Operationsverfahren. Ziel der operativen Versorgung beim Glaukom ist eine individuelle Abstimmung des Operationsverfahrens auf die jeweilige Ausgangssituation, was nur möglich ist, wenn in einem speziellen Glaukomzentrum genug Erfahrung mit den verschiedenen Operationsverfahren vorliegt. Erst dadurch kann wertfrei die beste Methode ausgewählt werden. Auf jeden Fall sollte die operative Glaukomversorgung früher als bisher erfolgen. Viele Glaukompatienten kommen viel zu spät zur operativen Versorgung, wodurch das operative Endergebnis negativ beeinflusst wird. Je rechtzeitiger ein Glaukompatient operativ versorgt wird, desto weniger ist die Bindehaut entzündlich verändert und desto effektiver ist die langfristige Drucksenkung. Die operative Zurückhaltung beim Glaukom sollte unbedingt der Vergangenheit angehören.

Prof. Dr. Carl Erb

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