Fallbericht: Vorgestellt wird der Fall eines 29-jährigen Mannes, der nach Implantation einer Ahmed-Drainage in beiden Augen zur Behandlung eines uveitischen Glaukoms postoperativ eine bilaterale okuläre Dekompressionretinopathie entwickelte. Diskussion: Die okuläre Dekompressionsretinopathie ist eine seltene Komplikation der filtrierenden Glaukomchirurgie; sie verläuft jedoch meist gutartig, die Blutungen bilden sich spontan zurück und es kommt zu einer Erholung der Sehschärfe. Übersetzung aus Case Rep Ophthalmol 2016;7:227-232

Die erstmals von Fechtner et al. 1992 beschriebene okuläre Dekompressionsretinopathie (ODR) ist eine seltene Komplikation der filtrierenden Glaukomchirurgie [1]. Definitionsgemäß handelt es sich um eine akute multifokale hämorrhagische Retinopathie, die durch einen plötzlichen Abfall des intraokulären Drucks (IOD) verursacht wird und nicht durch einen anderen pathologischen Prozess erklärbar ist [2]. Sie ist charakterisiert durch diffuse Retinablutungen, die häufig zentrale weißliche Flecken aufweisen und bisweilen mit einer Verminderung der Sehschärfe einhergehen. Seltener findet sich ein Makulaödem oder eine seröse Makulaablösung [3]. Die okuläre Dekompressionsretinopathie wurde im Zusammenhang mit Trabekulektomie, Ahmed-Drainage-Implantation, peripherer Iridotomie, Vorderkammerparazentese, tiefer Sklerotomie, ExPRESS Shunt-Implantation und IOD-senkenden Medikamenten beschrieben [4]. Der hier vorgestellte Fall stellt eine in der Ophthalmologie seltene Entität dar, insbesondere in Hinblick auf das bilaterale Auftreten.

Wir berichten über einen 29-jährigen Mann, der wegen einer diagnostizierten, seit 8 Monaten bestehenden IOD-Erhöhung unter Behandlung mit einem Tropfen eines Timolol-Dorzolamid-Brimonidin-Kombinationsprärats alle 12 Stunden und Bimatoprost alle 24 Stunden in beide Augen in unsere Klinik aufgenommen wurde. Ein Jahr vor der stationären Aufnahme war bei dem Patienten eine LASIK-Operation durchgeführt worden.

Die ophthalmologische Untersuchung ergab eine bestkorrigierte Sehschärfe (best corrected visual acuity, BCVA) von 0,20 LogMAR in beiden Augen. Der IOD betrug 34 mmHg im rechten Auge (RA) und 38 mmHg im linken Auge (LA). Die Untersuchung des vorderen Augenabschnitts ergab als relevante Befunde nur einen gut liegenden LASIK-Flap sowie einen offenen Vorderkammerwinkel in der Gonioskopie. In der Funduskopie zeigten sich glaukomatöse Papillenexkavationen von 80% in beiden Augen und periphere vaskuläre Infiltrate. In keinem der beiden Augen fanden sich Zeichen von Medientrübung, Netzhautblutungen, Makulaabhebung oder Netzhautablösung in der Peripherie oder andere Anomalien. Zur Bestätigung der glaukomatösen Gesichtsfeldausfälle erfolgten Gesichtsfeldbestimmungen mittels automatisierter Perimetrie. Da der Verdacht auf eine periphere retinale Vaskulopathie bestand, wurde eine Fluoreszenz-Angiographie durchgeführt, die Farbstoffaustritte mit Gefäßwandfärbung in den peripheren Gefäßen zeigte. Zum Ausschluss einer rheumatologischen, infektiösen und thromboembolischen Ursache der retinalen Vaskulitis wurden entsprechende Blutuntersuchungen durchgeführt. Alle Untersuchungsergebnisse fielen negativ aus.

In der darauf folgenden Woche war der IOD trotz medikamentöser Maximaltherapie nur unzureichend kontrolliert und die IOD-Werte lagen gleichbleibend bei > 30 mmHg. Daher wurde die Implantation einer Ahmed-Drainage geplant und nacheinander an beiden Augen durchgeführt. Am ersten postoperativen Tag betrug die BCVA 1,00 im RA und 0,50 im LA und der IOD 0 bzw. 3 mmHg. In der Spaltlampenuntersuchung zeigten sich ein funktionsfähiges Sickerkissen, eine geformte Vorderkammer und eine freie Röhrchenöffnung. Die Pupillenreaktion war etwas verzögert und es lag ein leichter afferenter Pupillendefekt vor. In der Funduskopie fanden sich in beiden Augen eine unscharfe, hyperämische Papille mit peripapillären Blutungen, in der Peripherie und am hinteren Augenpol verstreute retinale Blutungen mit zentralen weißen Flecken sowie eine Makula-Fältelung im LA (Abb 1). Es wurde eine früh-postoperative Behandlung mit Prednisolonacetat 1% viermal täglich und Atropin 1% dreimal täglich eingeleitet. Eine in der ersten postoperativen Woche durchgeführte erneute Fluoreszenzangiographie zeigte eine blockadebedingte Hypofluoreszenz in den Bereichen der intraretinalen Blutungen und eine Hyperfluoreszenz der Papille, jedoch keine verzögerte venöse Füllung (Abb 2). Aufgrund dieser Befunde wurde die Diagnose einer Dekompressionsretinopathie in beiden Augen (BA) und einer hypotonen Makulopathie im LA gestellt. Eine Woche nach der Operation betrug der IOD 10 mmHg in BA, die BCVA 0,70 im RA und 0,40 im LA, und es zeigte sich eine beginnende Rückbildung der retinalen Blutungen. Einen Monat nach dem Eingriff war eine allmähliche Größenabnahme der retinalen Blutungen zu beobachten. (Abb 3). Bei der Nachsorgeuntersuchung nach drei Monaten hatte sich die BCVA auf 0,40 im RA und 0,30 im LA verbessert und der IOD betrug 16 mmHg in BA. Die Blutungen am Augenhintergrund waren verblasst und die hypotone Makulopathie hatte sich zurückgebildet.

Fig. 1

Die Funduskopie zeigte in beiden Augen eine unscharfe, hyperämische Papille mit peripapillären Blutungen, in der Peripherie und am hinteren Augenpol verstreute retinale Blutungen mit zentralen weißen Flecken sowie eine Makula-Fältelung im linken Auge.

Fig. 1

Die Funduskopie zeigte in beiden Augen eine unscharfe, hyperämische Papille mit peripapillären Blutungen, in der Peripherie und am hinteren Augenpol verstreute retinale Blutungen mit zentralen weißen Flecken sowie eine Makula-Fältelung im linken Auge.

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Fig. 2

Eine in der ersten postoperativen Woche durchgeführte Fluoreszenzangiographie zeigte eine blockadebedingte Hypofluoreszenz in den Bereichen der intraretinalen Blutungen und eine Hyperfluoreszenz der Papille, jedoch keine verzögerte venöse Füllung.

Fig. 2

Eine in der ersten postoperativen Woche durchgeführte Fluoreszenzangiographie zeigte eine blockadebedingte Hypofluoreszenz in den Bereichen der intraretinalen Blutungen und eine Hyperfluoreszenz der Papille, jedoch keine verzögerte venöse Füllung.

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Fig. 3

Einen Monat nach dem Eingriff war eine allmähliche Größenabnahme der retinalen Blutungen zu beobachten.

Fig. 3

Einen Monat nach dem Eingriff war eine allmähliche Größenabnahme der retinalen Blutungen zu beobachten.

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Die okuläre Dekompressionsretinopathie (ODR) ist eine bekannte Komplikation penetrierender und nicht-penetrierender Augenoperationen, die im Zusammenhang mit Eingriffen wie Trabekulektomie mit oder ohne Antimetaboliten, Ahmed-Drainage-Implantation, Vorderkammerparazentese, Vitrektomie, Phakoemulsifikation, Orbita-Dekompressionsoperation sowie weniger invasiven Eingriffen wie der peripheren Iridotomie und IOD-senkenden Medikamenten beschrieben wurde [2,3,4,5,6,7,8,9]. Berichten zufolge liegt der mittlere IOD-Abfall bei 33,2 ± 15,8 mmHg (Spanne: 4-57 mmHg) [3].

Die Pathophysiologie ist weiterhin unklar, doch wird vermutet, dass eine gestörte Autoregulation der Netzhautgefäße dabei eine Rolle spielt. Bei einem IOD-Abfall sind die Gefäße nicht in der Lage, auf die plötzliche Druckänderung zu reagieren, sodass Spontanblutungen auftreten. Weiterhin nimmt man an, dass es sich um eine Variante eines retinalen Zentralvenenverschlusses handelt, bei der ein plötzlicher IOD-Abfall zu einer Verschiebung der Lamina cribrosa führt, die den axonalen und vaskulären Fluss im Sehnervenkopf blockiert, wodurch es zu einer postkapillären venösen Stauung, Blutungen und Netzhautödem kommt [1,2,3,10,11].

Nur 20% der Patienten weisen eine Minderung der Sehschärfe oder ein Zentralskotom auf oder geben die Wahrnehmung von Glaskörpertrübungen an. Klinisch finden sich sub-, intra- und präretinale (subhyaloide und vitreale) Blutungen, hauptsächlich am hinteren Augenpol. In 20% der Fälle können weiße Flecken im Zentrum der Blutung auftreten. Der Sehnerv kann eine Hyperämie mit Ödem und/oder Blutung sowie Gefäßschlängelung zeigen [2,3,4].

Die ODR verläuft gutartig mit vollständiger Rückbildung des klinischen Bildes innerhalb von 2 bis 72 Wochen und typischerweise kommt es in den meisten Fällen mit dem Verschwinden der Blutungen zu einer Verbesserung der Sehschärfe [2,6]. Das visuelle Ergebnis ist überwiegend gut, da die Sehschärfe in 85% der Fälle wieder den Ausgangswert erreicht. Einige Autoren berichteten einen mittleren Rückgang der Sehschärfe von 20/50 auf 20/100, doch ist bei den meisten Patienten keine Intervention erforderlich [3]. Die finale BCVA unseres Patienten betrug 0,40 im RA und 0,30 im LA. Dies kann als positives Behandlungsergebnis angesehen werden, auch wenn der Patient seine ursprüngliche Sehschärfe nicht wieder erlangte.

Die wichtigste Differentialdiagnose für ODR ist der retinale Zentralvenenverschluss. Im vorliegenden Fall wurde ein venöser Verschluss ausgeschlossen, da angiographisch keine Hinweise auf eine venöse Dilatation, verzögerte venöse Füllung oder Okklusionszeichen vorlagen, wie sie bei einem akuten retinalen Zentralvenenverschluss zu erwarten gewesen wären. Differentialdiagnostisch sollten die ODR und andere Gefäßerkrankungen, wie Valsalva-Retinopathie, Terson-Syndrom und diabetische Retinopathie, in Betracht gezogen werden.

Durch eine aggressive präoperative IOD-Senkung lassen sich das Auftreten einer ODR und anderer Dekompressions-Komplikationen wie choroidale Blutungen verhindern. Dabei sollten intravenöse Wirkstoffe wie Mannitol oder orales Glycerin zusätzlich zu einer topischen IOD-Senkung zur Anwendung kommen, um bei diesen Patienten die Morbidität zu verringern und stabile postoperative IOD-Werte zu erreichen [12].

Die Tatsache, dass unser Patient eine bilaterale ODR hatte, spricht für eine gestörte Autoregulation der retinalen Gefäße, die wahrscheinlich Ausdruck individueller Empfindlichkeit war. Unseres Wissens ist dies der erste Bericht über eine bilaterale Dekompressionsretinopathie nach Implantation einer Ahmed-Drainage.

Die Autoren haben keine ethischen Konflikte offenzulegen.

Keiner der Autoren gibt Interessenkonflikte in Bezug das im vorliegenden Fallbericht genannte Material an.

1.
Fechtner R, Minckler D, Weinreb R, et al.: Complications of glaucoma surgery. Ocular decompression retinopathy. Arch Ophthalmol 1992;110: 965-968.
2.
Mukkamala SK, Patel A, Dorairaj S, et al: Ocular decompression retinopathy: a review. Surv Ophthalmol 2013;58: 505-512.
3.
Figueiredo ARM, Sampaio IC, dos Santos Menéres MJF, Spaeth GL: Consecutive bilateral decompression retinopathy after mitomycin C trabeculectomy: a case report. J Med Case Rep 2016;10:32.
4.
Li GY, Alantaree S, Wang JM, Zhang H: Ocular decompression retinopathy following canaloplasty for primary open angle glaucoma: a case report. Medicine 2016;95:e2907.
5.
Danias J, Rosenbaum J, Podos SM: Diffuse retinal hemorrhages (ocular decompression syndrome) after trabeculectomy with mitomycin C for neovascular glaucoma. Acta Ophthalmol Scand 2000;78: 468-469.
6.
Arevalo JF, Mendoza AJ, Millan FA, Fuenmayor D: Simultaneous bilateral ocular decompression retinopathy after trabeculectomy with mitomycin C for uveitic glaucoma. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 2008;246: 471-473.
7.
Bansal A, Ramanathan U: Ocular decompression retinopathy after trabeculectomy with mitomycin-C for angle recession glaucoma. Indian J Ophthalmol 2009;57: 153-154.
8.
Arévalo JF, Mendoza AJ, Fernández CF, et al.: Decompression retinopathy after intraocular surgery. Arch Soc Esp Oftalmol 2007;82: 629-634.
9.
Samra KA, Sieminski SF, Sarup V: Decompression retinopathy after ExPRESS shunt implantation for steroid-induced ocular hypertension: a case report. Case Rep Ophthalmol Med 2011;2011:303287.
10.
Rao SK, Greenberg PB, Macintyre RB, Ducharme JF: Ocular decompression retinopathy after anterior chamber paracentesis for uveitic glaucoma. Retina 2009;29:280-281.
11.
Wakita M, Kawaji T, Ando E, et al.: Ocular decompression retinopathy following trabeculectomy with mitomycin C associated with familial amyloidotic polyneuropathy. Br J Ophthalmol 2006;90: 515-516.
12.
Saricaoglu MS, Kalayci D, Guven D, et al.: Decompression retinopathy and possible risk factors. Acta Ophthalmol 2009; 87: 94-95.
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