Zusammenfassung
Fingolimod ist ein oral einzunehmender Modulator des Sphingosin-1-Phosphat-(S1P-)Rezeptors und die erste orale Therapie für schubförmige multiple Sklerose. Als Komplikation tritt bei einem geringen Anteil der Patienten ein zystoides Makulaödem auf, meist in den ersten 3 Monaten nach Therapiebeginn. Wir berichten hier über den Fall eines 34-jährigen männlichen Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose, bei dem an Tag 5 der Behandlung mit Fingolimod eine akute Uveitis anterior auftrat. Entsprechende Behandlungsmaßnahmen und Absetzen des Arzneimittels zeigten zunächst Wirkung, im weiteren Verlauf entwickelte sich jedoch eine geringgradige chronische Uveitis anterior ohne zystoides Makulaödem. Wir diskutieren mögliche Entstehungsmechanismen der Uveitis in dieser Patientengruppe. Bei Patienten, die mit Fingolimod behandelt werden und bei denen innerhalb von 5 Tagen nach Behandlungsbeginn Schmerzen und Rötung des Auges auftreten, wird eine sofortige augenärztliche Untersuchung empfohlen. Übersetzung aus Case Rep Ophthalmol 2016;7:284-288 (DOI: 10.1159/000453392)
Einleitung
Fingolimod (FTY720, Gilenya®, Novartis Pharmaceuticals, Basel, Schweiz) ist der erste oral einzunehmende Modulator des Sphingosin-1-Phosphat-(S1P-)Rezeptors mit nachgewiesener Wirksamkeit bei schubförmig-remittierender multipler Sklerose (RR-MS) [1,2,3]. Fingolimod bindet an lymphozytäre S1P-Rezeptoren und greift in die Rezirkulation von T-Lymphozyten ein, indem es diese in sekundären Lymphorganen zurückhält und so die Infiltration ins zentrale Nervensystem (ZNS) reduziert. Zusätzliche immunmodulatorische Mechanismen beruhen möglicherweise auf einer Beeinflussung der Blut-Hirn-Schranke und Interaktion mit S1P1-, S1P3- und S1P5-Rezeptoren, die von vielen neuralen und nicht-neuralen Zellen des ZNS exprimiert werden [4,5].
In der klinischen Praxis ist Fingolimod in dosisabhängiger Weise mit zystoidem Makulaödem (CME) assoziiert, insbesondere bei Patienten mit Uveitis in der Vorgeschichte [6,7]. Bis heute liegen keine Fallberichte über andere Formen von Augenentzündungen im Zusammenhang mit Fingolimod vor; jedoch trat Uveitis auch bei einem mit Fingolimod behandelten Patienten auf, der eine Varicella-Zoster-Virus-Enzephalopathie entwickelte [8].
Vorstellung des Falls
Ein 34-jähriger männlicher Patient mit 7-jähriger Krankheitsgeschichte von RR-MS wurde mit Fingolimod 0,5 mg oral täglich behandelt. Seine RR-MS war zuvor unter monatlichen Infusionen mit Natalizumab (Tysabri®, Biogen Idec, Cambridge, MA, USA) stabil. Er wurde jedoch positiv auf JC-Viren getestet und die Therapie wurde umgestellt, um das Risiko einer progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie zu verringern. Eine ophthalmologische Untersuchung war ohne Befund, mit einem korrigierten Visus von 20/20 in beiden Augen und unauffälligem Makula-Screening mittels optischer Kohärenztomographie (OCT) vor Beginn der Fingolimod-Behandlung. Der Patient hatte keine ophthalmologische Vorgeschichte von okulärer Beteiligung der RR-MS oder sonstigen Uveitis-Erkrankungen. Als Kind war er gegen Windpocken geimpft worden.
Fünf Tage nach Therapiebeginn setzten Schmerzen und Rötung des rechten Auges mit verschwommenem Sehen ein (Abb. 1); 14 Tage nach Beginn der Fingolimod-Therapie suchte er augenärztlichen Rat. Die Sehschärfe betrug 20/80 im rechten Auge und 20/20 im linken. Das rechte Auge zeigte deutliche Gefäßinjektion mit Vorderkammerzellen (1+) und Flare, keratinischem Präzipitat und 360° posteriorer Synechie. Die vitreoretinale Untersuchung war ohne Befund, es lag keine Entzündung der Pars plana vor. Weder klinisch noch in der OCT fanden sich Anzeichen von CME (Abb. 2). Das linke Auge war nicht betroffen. Syphilis-Serologie, ACE-Test und HLA-B27-Test waren negativ. Das Fingolimod wurde abgesetzt und eine Behandlung mit Dimethylfumarat begonnen. Eine topische Tapering-Therapie mit Prednisolon 1% und Atropin 1% wurde eingeleitet und bewirkte gutes klinisches Ansprechen, wenngleich in der OCT nach 6 Wochen ein leichtes CME zu erkennen war, das spontan wieder abklang (Abb. 2). 16 Wochen sowie 6 Monate nach Absetzen von Fingolimod stellte sich der Patient erneut vor, mit weiteren Episoden geringgradiger Uveitis anterior ohne CME im rechten Auge. Auch im weiteren Verlauf flammte die Uveitis mehrfach wieder auf und entwickelte sich schließlich zu einer chronischen Uveitis anterior, die mit der täglichen topischen Anwendung von Prednisolon 1% beherrscht werden konnte. Bei der letzten Kontrolle betrug die Sehschärfe 20/20 in beiden Augen und es lagen keine Anzeichen von Irisatrophie, Uveitis oder CME vor. Der Augeninnendruck blieb während des gesamten klinischen Verlaufs normal. Die RR-MS blieb stabil ohne neue ZNS-Läsionen.
Rechtes Auge bei Vorstellung 14 Tage nach Beginn der Fingolimod-Therapie wegen schubförmig-remittierender multipler Sklerose mit konjunktivaler Gefäßinjektion und verengter Pupille und ohne eitrige Sekretion.
Rechtes Auge bei Vorstellung 14 Tage nach Beginn der Fingolimod-Therapie wegen schubförmig-remittierender multipler Sklerose mit konjunktivaler Gefäßinjektion und verengter Pupille und ohne eitrige Sekretion.
Optische Kohärenztomographie (Spectralis, Heidelberg Engineering GmbH, Heidelberg, Deutschland) der Makula des rechten Auges eines Patienten, bei dem nach Fingolimod-Therapie wegen schubförmig-remittierender multipler Sklerose eine akute Uveitis anterior aufgetreten war. a Nach 14 Tagen, bei Absetzen von Fingolimod. b Nach 6 Wochen, mit zystoidem Makulaödem und Glaskörperzellen. c Nach 16 Wochen.
Optische Kohärenztomographie (Spectralis, Heidelberg Engineering GmbH, Heidelberg, Deutschland) der Makula des rechten Auges eines Patienten, bei dem nach Fingolimod-Therapie wegen schubförmig-remittierender multipler Sklerose eine akute Uveitis anterior aufgetreten war. a Nach 14 Tagen, bei Absetzen von Fingolimod. b Nach 6 Wochen, mit zystoidem Makulaödem und Glaskörperzellen. c Nach 16 Wochen.
Diskussion
Der Patient entwickelte an Tag 5 der Behandlung mit Fingolimod eine Uveitis anterior ohne signifikantes CME und ohne die typischen Anzeichen einer herpesassoziierten Uveitis. Zwar ist bekannt, dass eine bilaterale Uveitis intermedia bei rund 1% der Patienten mit MS auftritt und dass zwischen 0,8% und 14% der Uveitis-Patienten MS haben [9,10], doch bei unserem Patienten lagen weder vor noch während der Behandlung mit Fingolimod Anzeichen einer Uveitis intermedia vor.
Die Ursache für Uveitis-Erkrankungen unter Fingolimod-Therapie ist unbekannt. Ein möglicher Mechanismus könnte sein, dass die Blut-Augen-Schranke in der Uvea durchbrochen wird, ähnlich einem Mechanismus, der für die Entstehung des CME diskutiert wird und demzufolge die agonistische Besetzung der S1P1- und S1P3-Rezeptoren die Gefäßpermeabilität erhöht [11,12]. Andere mögliche Mechanismen beruhen auf einem funktionellen Agonismus der S1P1-Rezeptoren von Th1- und Th17-Lymphozyten, wie er bei Patienten mit MS und Uveitis vorliegt, ausgelöst durch Aktivierung einer Herpesvirusinfektion oder über immunmodulatorische Wirkungen von Fingolimod, unabhängig von den S1P-Rezeptoren [13]. Bei unserem Patienten trat eine unilaterale Uveitis anterior auf, im Gegensatz zu Patienten mit Fingolimod-assoziierter CME, welche meist bilateral ist, aber auch asymmetrisch sein kann. Ähnlich wie bei allen Formen entzündlicher Augenerkrankungen sind die Gründe für eine einseitige Manifestation nicht bekannt.
Bei unserem Patienten entwickelte sich eine chronische Uveitis, obwohl das Fingolimod bei der Erstdiagnose der Uveitis abgesetzt wurde. Dies könnte mit einem Rebound-Phänomen nach Beendigung der Fingolimod-Therapie zusammenhängen und ist möglicherweise auf die erneute Einwanderung von Lymphozyten in die Uvea oder auf eine Störung der S1P1-Rezeptormodulation zurückzuführen [14]. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass der Patient kein klinisches ZNS-Rebound-Syndrom nach Absetzen des Fingolimod zeigte. Die Entscheidung, die Fingolimod-Therapie fortzuführen oder abzusetzen, ist angesichts des MS-Rebound-Syndroms nach einer Fingolimod-Therapie sorgfältig abzuwägen; manche Patienten ziehen es möglicherweise vor, die Uveitis lokal zu behandeln und weiter Fingolimod einzunehmen.
Unseres Wissens ist dies der erste Fall einer erst akuten und dann chronischen Uveitis anterior, die 5 Tage nach Behandlungsbeginn mit Fingolimod bei einem Patienten mit RR-MS ohne vorbestehende Uveitis auftrat. Die Uveitis kann sich zufällig entwickelt haben, es besteht aber auch die Möglichkeit, dass Fingolimod im Auge proinflammatorisch wirkt und bei einem kleinen Teil der Patienten neben der bekannten Nebenwirkung des CME auch Uveitis hervorrufen kann. Mit Fingolimod behandelte Patienten sind auf Sehverschlechterung und/oder Schmerzen als mögliche Nebenwirkungen hinzuweisen, die schon 5 Tage nach Therapiebeginn auftreten können [15]. Da der S1P1-Rezeptor auch im Herzen und anderen Organen vorliegt, ist der Patient auch auf mögliche systemische Nebenwirkungen hinzuweisen und zu angemessenem systemischem Monitoring insbesondere bei Therapiebeginn anzuhalten. Der Augenarzt sollte bei dieser Patientengruppe über eine Vorderkammer-Parazentese sowie eine Virustestung mittels Polymerase-Kettenreaktion nachdenken. Wir schließen uns der Empfehlung für eine ophthalmologische Untersuchung vor Behandlungsbeginn an und schlagen bei Störungen des Sehvermögens und/oder Schmerzen eine sofortige augenärztliche Kontrolle vor. Weitere Fallberichte sind erforderlich, um mehr darüber sagen zu können, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen Fingolimod und akuter Uveitis anterior bei einem kleinen Anteil der Patienten besteht.
Erklärung zu ethischen Konflikten
Der Fallbericht wurde in Übereinstimmung mit der Deklaration von Helsinki erstellt. Der Patient erteilte sein Einverständnis zur Veröffentlichung seines Falls.
Disclosure Statement
Die Autoren haben keine finanziellen Verbindungen offenzulegen.