Ziel: Vor dem Hintergrund der herrschenden Zeitknappheit sollten vielbeschäftigte Retinaspezialisten sich bewusst machen, wie ihre Patienten die gemeinsame Zeit bevorzugt nutzen möchten und ob sie sich mehr Gesprächszeit wünschen, auch auf Kosten anderer medizinischer Maßnahmen. Methoden: 810 Personen mit Diabetes mellitus wurden gebe- ten, sich einen typischen Arzttermin wegen diabetischer Retinopathie vorzustellen und einen Zeitraum von 10 min auf Untersuchung, Beratungsgespräch und Behandlung aufzuteilen (NCT02311504). Ergebnisse: Mit zunehmender Krankheitsdauer des Diabetes wünschten sich die Patienten signifikant mehr Zeit für Diagnostik (p = 0,028), wohingegen das Lebensalter mit kürzer angesetzter Behandlungszeit assoziiert war (p = 0,009). Bei weiblichen Patienten bestand die Tendenz zu geringfügig mehr Gesprächszeit (p = 0,051) im Vergleich zu Männern, die eine geringfügig höhere Präferenz für Behandlungsmaßnahmen zeigten (p = 0,025). Schlussfolgerungen: Die große Mehrheit erkannte bei ihrer Einteilung den Zeitbedarf für die Diagnostik an. Wenn den Patienten im Einzelnen die im Gesundheitssektor herrschende Zeitknappheit vergegenwärtigt wird, könnte dies das Verständ- nis für Prioritätensetzung fördern.

Hintergrund

Mitarbeiter im deutschen Gesundheitswesen sind häufig in Zeitnot und leiden unter dem Gefühl, den Anliegen und Fragen der Patienten nicht mehr gerecht werden zu können. Umfangreiche Daten sowie vielfältige diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verstärken dieses Gefühl, denn Ärzte sind bestrebt, ihr Fachwissen an die Patienten weiterzugeben. Diese Informationsflut führt zu einer Asymmetrie im Patientengespräch, bei der der Arzt mehr redet als zuhört. In einer Analyse von Patientengesprächen mit Glaukomspezialisten betrug der Sprechanteil der Ärzte 70%, Patientenfragen wurden kaum beantwortet [1]. Die ernüchternden Real-life-Daten der Studien zur Behandlung des Makulaödems nach retinalen Erkrankungen, die nahezu lückenlos eine Unterversorgung der Betroffenen belegen, könnten zum Teil auch durch ein fehlendes Krankheitsverständnis der Patienten erklärt werden. Wir stellen uns viel zu selten die Frage, was sich die Patienten eigentlich von ihrem Augenarzt und der Behandlung wünschen.

Studienergebnisse

Dieser wirklich lohnenswerten Frage sind die Kollegen aus Tübingen und Dresden in einer umfangreichen Befragung nachgegangen.

Untersuchung hat für Patienten Priorität

810 Diabetiker wurden gebeten, eine Zeitspanne von fiktiven 10 min Arztkontakt in Beratung, Diagnostik und Behandlung einzuteilen. Im Mittel wünschten sich Patienten am meisten Zeit für die Untersuchung (4,1 min), gefolgt von Beratung (3,4 min) und Behandlung (2,4 min). Diabetiker mit längerer Krankheitsdauer wünschten sich mehr Zeit für Diagnostik. Mit zunehmendem Patientenalter wurde die Behandlung weniger attraktiv. Es gab zudem einen leichten Geschlechterunterschied, denn Frauen wünschten sich geringfügig mehr Zeit für das Gespräch, während Männer eher zur Therapie tendierten.

Mehr Beratungsbedarf zu Beginn einer Behandlung

Diese wichtigen Daten zeugen von einer Professionalisierung der Patienten, die sich mit zunehmender Krankheitsdauer besser auskennen und somit weniger Informationsbedarf haben. Das kann man in der Behandlung berücksichtigen und nutzen, denn gerade im Rahmen einer langwierigen Injektionsbehandlung bei diabetischem Makulaödem kann das Gespräch nach einer Behandlungsserie auch kürzer gehalten werden, wenn ersichtlich wird, dass sich seitens der Patienten keine Änderungen ergeben haben. Anders herum können diese Daten aber auch als Motivation gesehen werden, gerade zu Beginn einer behandlungsbedürftigen Erkrankung ein eingehendes Beratungsgespräch zu führen.

Die Rolle des Patientenalters beim Therapiewunsch

Die Zurückhaltung älterer Patienten gegenüber einer Behandlung konnte in dieser Umfrage bestätigt werden. Auch dieser Punkt sollte bei einer Beratung angesprochen und gewürdigt werden. Im Verlauf einer Injektionstherapie sollte immer wieder gefragt werden, ob die Patienten das Gefühl haben, dass sich die Behandlung lohnt. Falls das verneint wird, kann man auch über ein Therapieende diskutieren.

Fazit für die Praxis

Patienten haben im Verlauf einer langwierigen Behandlung unterschiedliche Bedürfnisse, die angesprochen und in den Behandlungsplan mit einbezogen werden sollten. Vermutlich lässt sich die vielfach beklagte mangelnde Compliance und Patientenadhärenz dadurch verbessern.

Disclosure Statement

Hiermit erkläre ich, dass keine Interessenskonflikte in Bezug auf den vorliegenden Kommentar bestehen.

1.
Friedman DS, Hahn SR, Quigley HA, et al.: Doctor-patient communication in glaucoma care: analysis of videotaped encounters in community-based office practice. Ophthalmology 2009;116:2277-2285.e.1-3.
Copyright / Drug Dosage / Disclaimer
Copyright: All rights reserved. No part of this publication may be translated into other languages, reproduced or utilized in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording, microcopying, or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.
Drug Dosage: The authors and the publisher have exerted every effort to ensure that drug selection and dosage set forth in this text are in accord with current recommendations and practice at the time of publication. However, in view of ongoing research, changes in government regulations, and the constant flow of information relating to drug therapy and drug reactions, the reader is urged to check the package insert for each drug for any changes in indications and dosage and for added warnings and precautions. This is particularly important when the recommended agent is a new and/or infrequently employed drug.
Disclaimer: The statements, opinions and data contained in this publication are solely those of the individual authors and contributors and not of the publishers and the editor(s). The appearance of advertisements or/and product references in the publication is not a warranty, endorsement, or approval of the products or services advertised or of their effectiveness, quality or safety. The publisher and the editor(s) disclaim responsibility for any injury to persons or property resulting from any ideas, methods, instructions or products referred to in the content or advertisements.