Single-cell analysis in living humans is essential for understanding disease mechanisms, but it is impractical in non-regenerative organs, such as the eye and brain, because tissue biopsies would cause serious damage. We resolve this problem by integrating proteomics of liquid biopsies with single-cell transcriptomics from all known ocular cell types to trace the cellular origin of 5,953 proteins detected in the aqueous humor. We identified hundreds of cell-specific protein markers, including for individual retinal cell types. Surprisingly, our results reveal that retinal degeneration occurs in Parkinson’s disease, and the cells driving diabetic retinopathy switch with disease stage. Finally, we developed artificial intelligence (AI) models to assess individual cellular aging and found that many eye diseases not associated with chronological age undergo accelerated molecular aging of disease-specific cell types. Our approach, which can be applied to other organ systems, has the potential to transform molecular diagnostics and prognostics while uncovering new cellular disease and aging mechanisms.

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Abstract aus Wolf J, Rasmussen DK, Sun YJ, et al.: Liquid-biopsy proteomics combined with AI identifies cellular drivers of eye aging and disease in vivo. Cell 2023;186:4868–4884.e12.

Hintergrund

Das Auge entsteht als komplexes Organ entwicklungsphysiologisch aus allen drei Keimblättern und setzt sich somit aus einer Vielzahl unterschiedlicher differenzierter Gewebe- und Zelltypen zusammen. Dazu gehören neurologische, vaskuläre, stromale, immunologische sowie Blutzellen. Zudem ist es in seiner anatomischen Lage sehr umweltexponiert und somit für ophthalmologische Bildgebung, aber auch für invasive Eingriffe wie z.B. den intravitrealen Injektionen sowie invasiven sogenannten Flüssigbiopsien (liquid biopsy, LP) von Vorderkammerflüssigkeit und Glaskörper zugänglich [1]. In der Geschichte der Medizin war das Auge daher immer auch «Fenster zum Körper», sodass durch Ophthalmologen nicht nur isolierte Augenerkrankungen, sondern auch systemische Erkrankungen erkannt werden konnten. Neue molekularbiologische Methoden ermöglichen seit einigen Jahren nun zunehmend eine immer genauere Diagnostik auf zellulärer bzw. molekularer Ebene, die weit über die «Blickdiagnostik» der letzten Jahrhunderte hinausgeht. Somit kann inzwischen nach einer LP ein proteomisches Profiling erfolgen, das eine genaue Bestimmung der im Kammerwasser oder Glaskörper vorhandenen Proteine zulässt. Darüber hinaus kann die im Zytoplasma der jeweiligen Zellen transkribierte (small cytoplasmatic) RNA zellspezifisch bestimmt und dem einzelnen Zelltyp zugeordnet werden. Die zunehmende Rechenleistung der Informationstechnik sowie neue Möglichkeiten auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (artificial intelligence, AI) ermöglichen es, eine Vielzahl von Daten (Big Data), wie sie gerade durch die Bestimmung von Bestandteilen oben genannter LP anfallen, automatisch zu analysieren und zueinander, aber auch zu bei den Patienten vorliegenden systemischen Erkrankungen in Korrelation zu setzen. Eine Arbeitsgruppe der Universität Stanford hat nun genau dies getan und eine große Anzahl von Vorderkammer- und Glaskörperproben mithilfe von AI hinsichtlich deren Proteom und jeweiliger RNA analysiert (Abb 1).

Abb. 1.

Studiendesign der hier vorgestellten Studie. Reprinted from Cell. 2023;186(22), Wolf J, Rasmussen DK, Sun YJ, Vu JT, Wang E, Espinosa C, Bigini F, Chang RT, Montague AA, Tang PH, Mruthyunjaya P, Aghaeepour N, Dufour A, Bassuk AG, Mahajan VB: Liquid-biopsy proteomics combined with AI identifies cellular drivers of eye aging and disease in vivo, pp. 4868-4884.e12, © 2023, with permission from Elsevier.

Abb. 1.

Studiendesign der hier vorgestellten Studie. Reprinted from Cell. 2023;186(22), Wolf J, Rasmussen DK, Sun YJ, Vu JT, Wang E, Espinosa C, Bigini F, Chang RT, Montague AA, Tang PH, Mruthyunjaya P, Aghaeepour N, Dufour A, Bassuk AG, Mahajan VB: Liquid-biopsy proteomics combined with AI identifies cellular drivers of eye aging and disease in vivo, pp. 4868-4884.e12, © 2023, with permission from Elsevier.

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Ergebnisse der Studie

In der hier vorgestellten Studie wurden 120 Vorderkammer- oder Glaskörperproben analysiert. Dabei konnten mittels Proteomic Profiling von 6345 detektierbaren Proteinen 5953 Proteine in Proben von gesunden Probanden gefunden werden. Ein Vergleich der Proteine, die in den Glaskörperproben und in den Vorderkammerproben gefunden wurden, deutet darauf hin, dass es trotz anatomischer Barrieren einen Austausch zwischen Glaskörper und Vorderkammer zu geben scheint. Erstaunlicherweise waren in beiden Kompartimenten aber auch Proteine detektierbar, die von Hepatozyten gebildet werden. Eine krankheitsspezifische Proteinexpression konnte in Proben von Patienten mit einer Retinitis pigmentosa, einer Uveitis oder einer diabetischen Retinopathie erkannt werden. Bei der diabetischen Retinopathie zeigten sich deutliche Unterschiede in der Proteinexpression zwischen nichtproliferativer und proliferativer diabetischer Retinopathie.

Weiterhin konnten auch krankheitsspezifische Proteine für extraokuläre Erkrankungen wie Parkinson gefunden werden.

Ein anhand der Daten trainierter AI-Algorithmus war dann in der Lage, das biologische Alter der Augen zu determinieren. Dabei stellte sich heraus, dass Augen mit einer Retinitis pigmentosa, einer diabetischen Retinopathie oder einer Uveitis vermutlich einem im Vergleich zu gesunden Augen beschleunigten Alterungsprozess unterliegen. Die Alterungsprozesse konnten dabei jeweils in vaskuläre, immunologische und retinale Alterung unterteilt werden.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die entwickelten AI-Modelle belegen, dass die hier untersuchten Augenkrankheiten mit einer beschleunigten Alterung krankheitsspezifischer Zelltypen einhergehen und dass verschiedene Moleküle und Zellen stärker in Abhängigkeit von der Erkrankung von einer Alterung betroffen sein könnten.

Fazit für die Praxis

Die LP von Glaskörper- und Kammerwassermaterial könnte in Verbindung mit AI in Zukunft erstaunliche Erkenntnisse hinsichtlich der Früherkennung von ophthalmologischen wie systemischen Erkrankungen liefern. Zudem könnten mittels AI vielversprechende, bisher unbekannte Zusammenhänge zwischen okulärer Protein- und RNA-Expression hergestellt werden, die neue Einblicke in die Entstehung von Krankheiten schaffen.

Disclosure Statement

Der Autor hat keine finanziellen Interessen.

1.
Hoerster
R
,
Hermann
MM
,
Rosentreter
A
,
:
Profibrotic cytokines in aqueous humour correlate with aqueous flare in patients with rhegmatogenous retinal detachment
.
Br J Ophthalmol
.
2013
;
97
:
450
453
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