Abstract
Ziele: Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Sehbehinderung und sturzbedingten Hüftfrakturen und Bestimmung der Ätiologie der Sehbehinderung bei einer Population älterer Patienten mit Hüftfrakturen. Methoden: In einer Fall-Kontroll-Studie wurden 96 Patienten mit diagnostizierter Hüftfraktur mit einer zufällig ausgewählten Kontrollgruppe von 103 Patienten ohne Hüftfraktur verglichen. Die Einschlusskriterien für die Fallgruppe waren ein Lebensalter von ≥60 Jahren und eine Hüftfraktur. Die klinische Beurteilung umfasste einen Sehtest und eine augenärztliche Untersuchung. Ergebnisse: 43 Patienten mit Hüftfraktur hatten eine Sehbehinderung, verglichen mit nur 12 Patienten in der Kontrollgruppe. Eine Sehbehinderung stellte einen signifikanten Risikofaktor für eine Hüftfraktur dar (Odds Ratio (OR) 6,15; 95%-Konfidenzintervall (KI) 2,98-12,69). Bei 27 Patienten mit Hüftfraktur lag eine unkorrigierte Fehlsichtigkeit vor; bei den Kontrollprobanden waren es 15 (OR 2,78; 95%-KI 0,92-8,35). Im Hinblick auf dichte Katarakt bestand kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen (OR 2,28; 95%-KI 0,75-6,93). Bei 14 Hüftfraktur-Patienten lag eine Makuladegeneration vor, im Vergleich zu nur 8 Kontrollpatienten (OR 5,63; 95%-KI 1,57-20,18), und bei 10 Patienten bestand der Verdacht auf Glaukom, verglichen mit nur 5 Kontrollen (OR 10,65; 95%-KI 2,21-51,3). Schlussfolgerung: Das Vorliegen einer Sehbehinderung war bei älteren Menschen signifikant mit einem erhöhten Risiko für Hüftfrakturen assoziiert. Viele verschiedene Ätiologien können auf diese Weise zu Hüftfrakturen beitragen, insbesondere Fehlsichtigkeit, Katarakt, Makuladegeneration und Glaukom. Übersetzung aus Loriaut P, et al: Visual impairment and hip fractures: a case-control study in elderly patients. Ophthalmic Res 2014;52:212-216 (DOI: 10.1159/000362881)
Experten-Kommentar
Transfer in die Praxis
Stürze sind bei älteren Menschen nicht ungewöhnlich und können zu erheblichen gesundheitlichen Konsequenzen führen. Die Oberschenkelhals-Fraktur ist eine der schwerwiegenden Folgen - die häufigste Ursache für Immobilität oder Tod. Die Autoren der hier kommentierten Fall-Kontroll-Studie untersuchten den Zusammenhang zwischen einer Oberschenkelhals-Fraktur und einer Sehbehinderung an 96 Patienten über 60 Jahren mit Oberschenkelhals-Fraktur und einer zufällig ausgewählten Kontrollgruppe von 106 Patienten ohne Fraktur. Sie unterteilten die Patienten anhand des Visus in 3 Gruppen (≥0,5; 0,3-0,4 sowie ≤0,25). Daneben wurde die Ursache der Sehbehinderung durch eine klinische Untersuchung ermittelt. In der Gruppe mit Fraktur fanden sich signifikant mehr Sehbehinderte als in der Kontrollgruppe (25 vs. 6; Odds Ratio (OR) 6,15; 95%-Konfidenzintervall 2,98-12,69). Dieser Sehbehinderung lagen signifikant häufiger eine subkapsuläre Katarakt, eine Makuladegeneration oder ein Glaukom zugrunde (OR 3,58 bzw. 5,64 bzw. 10,65). Am häufigsten lag lediglich eine nicht korrigierte Fehlsichtigkeit vor.
Die Studie zeigt erneut das bereits bekannte Risiko von Stürzen als Folge einer Sehbehinderung, und die Autoren konnten bestätigen, dass daraus auch ein erhöhtes Risiko einer Oberschenkelhals-Fraktur resultiert [1,2].
Vergleichbare Studien haben ähnliche Ergebnisse geliefert, die an vergleichbaren Kollektiven vor allem einen Zusammenhang mit einem reduzierten räumlichen Sehvermögen stützen konnten. So war eine einseitige Visusminderung häufiger mit Schenkelhals-Brüchen verbunden als eine gleichartige Sehminderung beider Augen [1].
Loriaut et al. schlussfolgerten, dass angesichts der gut behandelbaren Erkrankungen Katarakt oder Glaukom und vor allem der praktisch überall denkbaren Versorgung mit der richtigen Brille eine deutliche Minimierung des Risikos einer Sehbehinderung und damit auch von sturzbedingten Oberschenkelhals-Frakturen möglich ist. Eine bessere Versorgung älterer Menschen erscheint daher dringend erforderlich.
Fazit
Auch wenn die Ergebnisse der Untersuchung dieser französischen Arbeitsgruppe keine wesentlichen neuen Erkenntnisse liefern, so ist der Zusammenhang zwischen Sehbehinderung und daraus resultierender Einschränkung der Teilhabe - sei es direkt oder indirekt als Folge eines schweren Sturzes - doch eine wichtige Information, die gerade für die Versorgung unserer älteren Mitbürger wichtig ist. Speziell die Möglichkeit, durch eine Brille oder die Operation eines Grauen Stars eine Sehbehinderung zu verhindern, erlaubt hier oft eine einfache Risikominderung. Auch sollte der Augenarzt gerade bei deutlich einseitiger Sehbehinderung und damit reduziertem Stereosehen auf mögliche Gefahren hinweisen. Aktuelle Untersuchungen haben gezeigt, dass auch in Deutschland unverändert ein nicht unerheblicher Anteil an Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen unzureichend mit Hilfsmitteln versorgt ist und sich höchstens 50% von ihnen unter augenärztlicher Kontrolle befinden. Hier besteht sicher Handlungsbedarf.