Zusammenfassung
Riesenrisse der Netzhaut (RRN; ≥90°) sind selten und selbst für erfahrene vitreoretinale Chirurgen schwer erfolgreich zu behandeln. Die Mikroinzisions-Vitrektomie (microincision vitrectomy surgery; MIVS) stellt einen großen Fortschritt in der Behandlung von RRN dar. Wir beschreiben hier die Operationstechnik und die damit verbundenen Komplikationen. Operationstechnik: Zunächst wird das Auge mittels MIVS gründlich vitrektomiert; hierbei wird ein modernes Weitwinkel-Beobachtungssystem mit Chandelier-Lichtquelle verwendet. Dann wird behutsam flüssiges Perfluorocarbon (perfluorocarbon liquid; PFCL) injiziert. Nach einer Endofotokoagulation wird das PFCL für eine 2-wöchige intraokulare Tamponade durch Silikonöl (SÖ) ersetzt. Nach Entfernung des SÖ wird die vollständige Refixation der Netzhaut und Erholung des Sehvermögens erreicht. Komplikationen: Zu den möglichen postoperativen retinalen Komplikationen zählen epiretinale Gliose, subretinales PFCL, Netzhaut-Falten, zystoides Makulaödem und erneute Netzhaut-Ablösung infolge proliferativer Vitreoretinopathie. Alle Komplikationen sind medikamentös oder chirurgisch behandelbar. Schlussfolgerungen: Die Techniken der MIVS eröffnen einen gangbaren neuen Weg für die Behandlung von Augen mit RRN. In Kombination mit der intraoperativen Anwendung von PFCL und einer 2-wöchigen Tamponade mit SÖ kann die MIVS allen vitreoretinalen Chirurgen, die nach exzellenten Refixationsraten streben, nachdrücklich empfohlen werden.
Riesenrisse der Netzhaut (RRN; ≥90°) sind selbst für erfahrene vitreoretinale Chirurgen schwer erfolgreich zu behandeln (Abb. 1), weil sie sehr selten vorkommen und die Behandlung technisch schwierig ist. Verschiedene Behandlungsansätze werden bei RRN angewandt - von eindellenden Operationen über die pneumatische Retinopexie bis hin zur Pars-plana-Vitrektomie mit Gastamponade und Vitrektomie mit Silikonöl(SÖ)-Tamponade. Eine temporäre intraoperative Tamponade mit flüssigem Perfluorocarbon (perfluorocarbon liquid; PFCL) erhöht Untersuchungen zufolge die Erfolgsquote bei der Refixation von etwa 20% auf 90% [1,2,3,4,5,6,7].
Repräsentatives Auge mit einem RRN über 180°. Präoperative (links) und postoperative (rechts) Fundusfotografien des Auges eines erwachsenen Mannes mit RRN-induzierter Netzhaut-Ablösung.
Repräsentatives Auge mit einem RRN über 180°. Präoperative (links) und postoperative (rechts) Fundusfotografien des Auges eines erwachsenen Mannes mit RRN-induzierter Netzhaut-Ablösung.
Über Techniken der Mikroinzisions-Vitrektomie (MIVS) mit 25- und 23-Gauge-Instrumenten wurde erstmals im Jahr 2002 bzw. 2005 berichtet [8,9]. Mittlerweile zählen sie weltweit zur gängigen Praxis. Befördert wurde die Popularität der MIVS durch klinische Studien, die belegten, dass sie im Vergleich zu anderen Techniken mit signifikant geringerem Bedarf an konjunktivalen Injektionen sowie weniger postoperativem Astigmatismus und Beschwerden assoziiert ist.
Im Folgenden berichten wir über Operationstechniken und Komplikationen der MIVS bei RRN.
Operationstechnik
Die chirurgische Behandlung eines RRN sollte unter Retrobulbäranästhesie durchgeführt werden und erfordert keine Peritomie der Bindehaut. In jedem Fall ist die 25- bzw. 23-Gauge-MIVS die bessere Alternative als die 20-Gauge-Pars-plana-Vitrektomie, da bei der MIVS eine Trokarkanüle zum Einsatz kommt, die den Sklerotomie-Port schützen und das Auftreten intraoperativer iatrogener Netzhaut-Risse reduzieren kann. Im Anschluss an eine Phakoemulsifikation und Aspiration sollte eine Intraokularlinse implantiert werden, außer bei Patienten unter 50 Jahren ohne Linsentrübung. Um die vollständige Entfernung des peripheren Glaskörpers zu gewährleisten, ist eine MIVS-Instrumentierung mit einem Weitwinkel-Beobachtungssystem und einer Chandelier-Lichtquelle zu verwenden (Abb. 2). Auf die Resektion des Glaskörper-Kerns folgt das Shaving des peripheren Glaskörpers. Hierbei ist es wichtig, so viel wie möglich abzutragen, ohne mit dem Glaskörper-Cutter die Netzhaut zu verletzen. Nach dem Shaving wird unter niedrigem Infusionsdruck PFCL auf die Sehnervpapille injiziert, und der Glaskörper-Raum wird mit PFCL gefüllt. Hier ist besondere Vorsicht geboten, da in Augen mit RRN ein hohes Risiko besteht, dass PFCL in den subretinalen Raum gelangt. Der nächste Schritt besteht in einer doppelreihigen Endofotokoagulation entlang der Ränder des RRN. Schließlich wird das PFCL unmittelbar durch SÖ ersetzt, das für die empfohlene 2-wöchige intraokulare Tamponade im Auge verbleibt. Postoperativ werden Antibiotika und Kortikosteroide subkonjunktival injiziert.
Oben links: intraoperative Fundusfotografie eines RRN über 150°. Oben rechts: intraoperative Fundusfotografie der mithilfe von PFCL refixierten Netzhaut. Unten links: intraoperative Fundusfotografie unmittelbar nach Endofotokoagulation des RRN. Unten rechts: Ersetzung des PFCL durch SÖ zur 2-wöchigen intraokularen Tamponade.
Oben links: intraoperative Fundusfotografie eines RRN über 150°. Oben rechts: intraoperative Fundusfotografie der mithilfe von PFCL refixierten Netzhaut. Unten links: intraoperative Fundusfotografie unmittelbar nach Endofotokoagulation des RRN. Unten rechts: Ersetzung des PFCL durch SÖ zur 2-wöchigen intraokularen Tamponade.
Nach der 2-wöchigen SÖ-Tamponade wird das SÖ aus dem Glaskörper-Raum entfernt, da die Vernarbung nach der Endofotokoagulation nun abgeschlossen sein müsste. Das intraokulare SÖ kann postoperative Komplikationen wie ein Glaukom oder eine proliferative Vitreoretinopathie (PVR) nach sich ziehen; daher macht diese Technik 2 vitreoretinale Eingriffe erforderlich. Beim ersten wird die Netzhaut wieder angelegt und die SÖ-Tamponade injiziert. Beim zweiten wird das SÖ wieder entfernt. Die zusätzliche Anwendung einer Cerclage/Plombe wird diskutiert [7,10,11,12]; wir sind jedoch der Ansicht, dass eine initiale MIVS bei RRN nicht grundsätzlich mit einer Eindellung kombiniert werden muss. Alle Patienten sollten ≥6 Monate nach der Operation einer umfassenden augenärztlichen Untersuchung unterzogen werden.
Komplikationen
Die Rate chirurgischer Komplikationen nach einer MIVS bei RRN beträgt 40-50%; dabei handelt es sich insbesondere um postoperative epiretinale Gliosen (Abb. 3), subretinale Retentionen von PFCL (Abb. 4), Netzhaut-Falten (Abb. 4), zystoide Makulaödeme (ZMÖ; Abb. 5) sowie erneute Netzhaut-Ablösungen aufgrund von PVR [7]. Wenn das PFCL nicht gegen SÖ ausgetauscht wird, besteht außerdem ein sehr hohes Risiko für eine postoperative Verlagerung der Netzhaut (retinal slippage) und Netzhaut-Falten, die nach dem Eingriff schwierig bis unmöglich zu behandeln sind. Daher sollte bei RRN in jedem Fall SÖ verwendet werden, auch wenn der RRN vergleichsweise klein ist (≤180°), um solche irreversiblen retinalen Komplikationen zu vermeiden und die vollständige Anlegung der Netzhaut zu begünstigen. Neueste Fortschritte bei der MIVS-Technik ermöglichen es nun auch, SÖ durch 25-Gauge-Kanülen zu injizieren und so in allen Fällen SÖ zu verwenden. Darüber hinaus ist es wichtig, das SÖ 2 Wochen nach der initialen Vitrektomie zu entfernen, um der Entstehung eines sekundären Glaukoms vorzubeugen und eine schnelle Erholung des Sehvermögens zu fördern. Eine längere Tamponade ist lediglich bei PVR oder atopischer Netzhaut-Ablösung zu empfehlen.
Fotografie von epiretinaler Gliose, die nach 25-Gauge-Vitrektomie wegen eines RRN auftrat. Zur Behandlung wurde ein Membran-Peeling durchgeführt.
Fotografie von epiretinaler Gliose, die nach 25-Gauge-Vitrektomie wegen eines RRN auftrat. Zur Behandlung wurde ein Membran-Peeling durchgeführt.
Fotografie von subretinalen PFCL-Resten und Netzhaut-Falten nach 25-Gauge-Vitrektomie wegen eines RRN. Netzhaut-Falten lassen sich nicht korrigieren, aber das subretinal verbliebene PFCL im hinteren Pol sollte entfernt werden.
Fotografie von subretinalen PFCL-Resten und Netzhaut-Falten nach 25-Gauge-Vitrektomie wegen eines RRN. Netzhaut-Falten lassen sich nicht korrigieren, aber das subretinal verbliebene PFCL im hinteren Pol sollte entfernt werden.
Oben: Bildgebung eines Auges mit postoperativem ZMÖ, das mit posteriorer Sub-Tenon-Steroidinjektion behandelt wurde. Unten: Das ZMÖ bildete sich in diesem Fall nach 2 Steroidinjektionen zurück.
Oben: Bildgebung eines Auges mit postoperativem ZMÖ, das mit posteriorer Sub-Tenon-Steroidinjektion behandelt wurde. Unten: Das ZMÖ bildete sich in diesem Fall nach 2 Steroidinjektionen zurück.
Eine epiretinale Gliose ist durch eine Operation mehrere Monate nach dem initialen Eingriff einfach und vollständig zu beheben. Bei subretinalen PFCL-Resten ist eine Behandlung nur dann notwendig, wenn sich das PFCL im posterioren Pol befindet. Dann sollte das subretinale PFCL zum Zeitpunkt der zweiten Vitrektomie, bei der das SÖ extrahiert wird, vollständig entfernt werden. Nach der Inzision der Netzhaut-Oberfläche mit einem Glaskörper-Mikromesser wird das PFCL vorsichtig mit einer Mikronadel mit weicher Spitze abgesaugt. Bei postoperativem ZMÖ sollte mit posterioren Sub-Tenon-Steroidinjektionen behandelt werden (Abb. 5). Es können mehrere Injektionen erforderlich sein, um ein wiederkehrendes ZMÖ zu beheben, doch solange keine epiretinale Gliose auftritt, sollte die Behandlung erfolgreich sein. Bei erneuter Netzhaut-Ablösung ist eine sofortige chirurgische Behandlung erforderlich. In diesen Fällen ist es ratsam, eine Vitrektomie in Verbindung mit einer Cerclage oder einer länger dauernden SÖ-Tamponade durchzuführen, da frühere Untersuchungen zur 20-Gauge-Pars-plana-Vitrektomie ergeben haben, dass der Verzicht auf die Eindellung mit Cerclage und Plombe signifikant mit einer Wiederablösung der Netzhaut assoziiert war [10,11]. Wenn die MIVS zur Behandlung von RRN bei Patienten mit Erkrankungen wie PVR oder schwerer atopischer Dermatitis eingesetzt wird, ist eine Cerclage ebenfalls ratsam.
Schlussfolgerungen
Bis heute ist die chirurgische Behandlung von RRN schwierig, und die Rate chirurgischer Komplikationen ist hoch. Neue MIVS-Techniken jedoch, z.B. mit einem Weitwinkel-Beobachtungssystem und Chandelier-Lichtleiter, eröffnen einen gangbaren neuen Weg der Behandlung von Augen mit RRN. In Kombination mit der intraoperativen Anwendung von PFCL und einer 2-wöchigen Tamponade mit SÖ kann die MIVS allen vitreoretinalen Chirurgen, die nach exzellenten Refixationsraten streben, nachdrücklich empfohlen werden.