Abstract
Zielsetzung: Untersuchung der strukturellen, visuellen und refraktiven Ergebnisse der intravitrealen Injektion von Aflibercept in Monotherapie bei Patienten mit Frühgeborenenretinopathie (retinopathy of prematurity; ROP) vom Typ 1 mit hohem Risiko und unterhalb der Therapieschwelle. Aufbau: Prospektive, nichtrandomisierte, interventionelle Fallserien-Studie. Patienten und Methoden: Patienten mit Hochrisiko-Prethreshold-Typ-1-ROP wurden mit 1 mg/0,025 ml Aflibercept intravitreal behandelt. Die betrachteten primären Endpunkte waren ein ungünstiger struktureller Verlauf, ungünstiger visueller Verlauf und ungünstiger refraktiver Verlauf. Die sekundären Endpunkte waren ausbleibende Rezidivierung, okulare und systemische Nebenwirkungen. Ergebnisse: In die Studie wurden 26 Augen aufgenommen; alle hatten eine Nachbeobachtung von 1 Jahr abgeschlossen. Das mittlere Geburtsgewicht betrug 991 ± 266 g (Bereich 875-1105 g); das mittlere Gestationsalter bei Entbindung betrug 26,33 ± 2,1 Wochen (Bereich 24-30 Wochen); bei 9 Augen wurde die ROP als Stadium 2+, Zone I eingestuft, bei 14 Augen lag Stadium 3+ in Zone II vor und bei 3 Augen Stadium 3 in Zone I. 25 Augen (96,2%) zeigten einen günstigen strukturellen und 21 (80,1%) einen günstigen visuellen Verlauf; die Fehlsichtigkeit lag nach 1 Jahr im Median bei 0,75 dpt (Bereich -9,5 bis +4). Schlussfolgerungen: Die intravitreale Injektion von Aflibercept als Monotherapie ist eine einfache, sichere und wirksame Therapieoption bei Hochrisiko-Prethreshold-ROP vom Typ 1. Eine weitere, multizentrische Studie mit längerem Nachbeobachtungszeitraum ist erforderlich. Übersetzung aus Salman AG, Said AM: Structural, visual and refractive outcomes of intravitreal aflibercept injection in high-risk prethreshold type 1 retinopathy of prematurity. Ophthalmic Res 2015;53:15-20 (DOI: 10.1159/000364809)
Experten-Kommentar
Transfer in die Praxis
Die hier vorgestellte Studie ist die erste Publikation über den Einsatz von Aflibercept zur Behandlung der akuten Frühgeborenenretinopathie (retinopathy of prematurity; ROP). Es handelt sich um eine monozentrische Studie. Die Autoren berichten über die anatomischen und morphologischen Ergebnisse nach einer Mindestbeobachtungszeit von 12 Monaten.
Aflibercept wurde intravitreal in der halben Erwachsenendosis appliziert (1 mg pro 0,025 ml). Da die Kinder meist beiderseits behandelt wurden (26 Augen, 15 Kinder), erhielt die Mehrzahl von ihnen die gleiche Gesamtdosis wie Erwachsene mit einseitiger Therapie. Aufgrund der bekannten systemischen Absorption von VEGF-Blockern (VEGF = vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor) mit nachfolgender Suppression von VEGF im Blut (und in anderen Organen) ist dies kritisch zu bewerten. Allerdings entspricht die Dosierung der in der multizentrischen und randomisierten BEAT-ROP-Studie [1] verabreichten, die 2011 publiziert wurde und bei der als VEGF-Hemmer Bevacizumab verwendet wurde.
Die Autoren der hier vorgestellten Arbeit behandelten alle Kinder mit Typ-1-ROP entsprechend der Definition der ETROP-Studie (ETROP = Early Treatment of Retinopathy of Prematurity) [2], d.h. auch relativ frühe und periphere Stadien (ROP über gesamte Zone II). Allerdings wiesen alle Kinder mit Zone-II-ROP ein Stadium 3+ auf, obwohl ETROP-Typ-1 auch Stadium 2+ umfasst. In der BEAT-ROP-Studie wurden dagegen nur Kinder mit Zone-I- und posteriorer Zone-II-ROP behandelt, also prinzipiell schwerere Formen. Auch waren die Kinder deutlich unreifer. In der hier kommentierten Studie von Salman und Said betrug das Geburtsgewicht 991 ± 266 g.
Entsprechend den deutschen Leitlinien von 2008 werden Kinder mit Zone-II-ROP im Stadium 2+ hierzulande nicht behandelt. In der Regel sind die behandelten Kinder ähnlich unreif wie die amerikanischen. Dies bedeutet, dass deutsche behandelte Kohorten nicht unbedingt vergleichbar sind mit amerikanischen und derjenigen aus der aktuellen ägyptischen Studie.
Ungewöhnlicherweise hatten 4 Kinder nur eine einseitige ROP. Dies ist bei behandlungsbedürftigen Stadien überraschend. Die Abbildung aus der Originalarbeit zeigt einen Befund vor und nach Therapie (Abb. 1). Nach der Klassifikation der Autoren handelte es sich um eine Zone-I-Erkrankung. Das Bild zeigt aber, dass die Gefäße bis in die zentrale Zone II reichen. Die Aufnahme nach Therapie ist nicht von ausreichender Qualität, um die Vollständigkeit der peripheren Vaskularisation zu beurteilen. Aufgrund der Abbildung ist auch zu hinterfragen, ob andere Untersucher ebenfalls 46% der Augen als Zone I klassifiziert hätten. Da bekannt ist, dass viele Experten in ihrer Einschätzung des genauen Schweregrads der ROP nicht übereinstimmen, besteht diese Problematik auch bei anderen Publikationen.
Bei den 26 behandelten Augen wurde eine komplette Regression in 25 Augen und im weiteren Verlauf eine komplette Vaskularisation der Peripherie nach 6-8 Wochen beschrieben. Überraschenderweise wurde trotzdem in 2 Augen nach 19 bzw. 21 Wochen ein Rezidiv beobachtet, das durch eine erneute Injektion von Aflibercept beherrscht werden konnte. Beide Augen hatten ursprünglich eine ROP im Stadium 2+ in Zone I. Wenn zuvor die Peripherie wirklich komplett vaskularisiert war, dann wäre zu postulieren, dass neue avaskuläre Zonen aufgetreten sind. Solche Fälle wurden bisher nicht beobachtet. Ein Auge hatte einen ungünstigen Verlauf, weshalb nach 4 Wochen eine dichte Laser-Koagulation der avaskulären Netzhaut durchgeführt wurde, die aber die Progression zu Stadium 4a nicht aufhalten konnte. Mit der anschließend durchgeführten Vitrektomie wurde eine Wiederanlage bei allerdings starker Verziehung der Makula erreicht. Insgesamt hatten 5 Augen einen funktionell ungünstigen Ausgang mit einem Visus von <20/200 (mit Preferential Looking). Dazu ist anzumerken, dass die Kinder alle noch sehr jung waren und der Endvisus möglicherweise besser sein wird. Ein Auge hatte eine hohe Myopie; hier bleibt unklar, ob es das Auge mit dem ungünstigen Verlauf war.
Die Zahl der behandelten Kinder erscheint für die statistischen Überlegungen der Autoren zu gering. Deren Spekulation, dass ihre Ergebnisse besser waren als in anderen Studien - wegen der längeren Halbwertszeit von Aflibercept gegenüber Bevacizumab und Ranibizumab - und zumindest vergleichbar mit konventioneller Laser-Therapie, ist statistisch problematisch. Unberücksichtigt lassen die Autoren den Aspekt, dass sie auch mildere Formen behandelten als in der randomisierten BEAT-ROP-Studie. So war auch das Ausmaß der extraretinalen Proliferationen mit im Mittel nur 4 h ausgesprochen gering.
Fazit
Als Fazit geben die Autoren selbst an, dass größere Fallzahlen notwendig sind, um den Effekt von Aflibercept bei der Behandlung der akuten ROP im Vergleich zu anderen VEGF-Hemmern und klassischen Therapieverfahren zu beurteilen. Prinzipiell erscheint aber eine längere Wirksamkeit eher problematisch, da damit auch eine längere - unerwünschte - Blockade der systemischen VEGF-Konzentration verbunden ist. Da alle Anti-VEGF-Therapien bei der ROP derzeit noch «off-label» und mögliche unerwünschte Nebenwirkungen noch nicht ausreichend bekannt sind, sollte bei erwarteter gleicher Wirksamkeit die als Goldstandard etablierte Laser-Therapie eingesetzt werden. Zudem sollte bei sehr schweren Formen die Anti-VEGF-Therapie im Rahmen von Studien mit langfristiger und umfassender Nachbeobachtung weiter evaluiert werden.