Kompass Pneumologie Blickdiagnose
Interstitielle Lungenerkrankung bei einem Drogenabhängigen
Blickdiagnose
Ein 35-jähriger Raucher und von intravenösen Drogen Abhängiger stellte sich unserer Notaufnahme vor. Er litt seit 1 Woche an Husten mit weißem Auswurf, Fieber und Kopfschmerzen. Seit 20 Jahren injizierte er Heroin intravenös und schnüffelte gelegentlich Kokain. Seine Anamnese war signifikant für eine akute Hepatitis B im Jahr 1991. Das regelmäßige Screening auf HIV-Infektionen war negativ. Die körperliche Untersuchung ergab mehrere Narben an beiden Armen und eine bilaterale Miosis. Es gab keine Herzgeräusche. Auskultation der Lungen zeigte bibasilar inspiratorische Knistern. Die abdominale Untersuchung zeigte eine leichte Hepatomegalie. Das routinemäßiges Labor-Screening ergab Leukozytose, erhöhtes C-reaktives Protein und leicht erhöhte Leberenzyme. Arterielle Blutgase zeigten ein pO2 von 7,0 kPa (Normalwerte 10,7 kPa), ein pCO2 von 4,8 kPa (Normalwerte 5,0–5,5 kPa) und einen pH-Wert von 7,46 (Normalwerte 7,38–7,42), was auf Hypoxämie und respiratorische Alkalose hindeutet. Die Serologie war positiv für Hepatitis-C-Antikörper.
Eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs ergab eine beidseitige hiläre Lymphadenopathie und ein retikulonoduläres Infiltrat in beiden unteren Lungenfeldern mit bronchialer Wandverdickung (Abb. 1). Eine hochauflösende CT-Untersuchung der Lunge bestätigte diese Anomalien. Außerdem wurden bilaterale Bronchiektasen und kleine Bereiche mit Milchglastrübungen festgestellt (Abb. 2). Die bronchoalveoläre Lavageflüssigkeit war negativ für Atemwegserreger, einschließlich Mykobakterien und malignen Zellen.
Abb. 1. Röntgenaufnahme des Brustkorbs mit bilateraler hilärer Lymphadenopathie und retikulonodulären Infiltraten in beiden unteren Lungenfeldern.
Abb. 2. Ein Abschnitt des hochauflösenden CT-Scans zeigt ein retikulonoduläres Infiltrat und Bronchiektasen (weißer Pfeil). Zusätzlich können kleine Bereiche der Milchglastrübungen detektiert werden (weißer Kreis).
Was ist Ihr nächster Diagnoseschritt? Wie lautet Ihre Diagnose?
Übersetzung aus Respiration. 2003;70:101–103
Die Diagnose: Pulmonale Talkum-Granulomatose
Es wurde eine Bronchoskopie mit Transbronchialbiopsien (TBB) durchgeführt. Die TBB zeigte eine leichte peribronchioläre Fibrose, an der die angrenzenden Septa alveolaris beteiligt waren. Weiterhin wurde eine diskrete interstitielle lymphoplasmacelluläre Entzündung mit einigen eosinophilen Leukozyten beobachtet. Schließlich kam es zu Ablagerungen eines groben, doppelbrechenden Materials im Bindegewebe der Alveolensepta (Abb. 3). Basierend auf diesen Befunden und dem bekannten Konsum intravenöser Drogen durch den Patienten haben wir die Diagnose einer pulmonalen Talkum-Granulomatose gestellt.
Der klinische Zustand des Patienten verbesserte sich spontan und er wurde 10 Tage später mit einer oralen Methadon-Substitution als einzigem Medikament entlassen.
Eine pulmonale Talkum-Granulomatose ist eine seltene Erkrankung. Besonders betroffen sind Drogenabhängige, die gepanschte oder orale Formulierungen intravenös injizieren [1, 2], es wurde aber auch ein Fall von Talk-Granulomatose bei einem Kokainschnüffler beschrieben [3]. Der pathophysiologische Mechanismus der Erkrankung ist unbekannt. Es gibt jedoch eine Entzündungsreaktion gegen Talkum, die zur Bildung von charakteristischen Fremdkörpergranulomen führt [1, 2, 4]. Die Granulome können sich entweder im Interstitium oder im Lumen der Lungengefäße befinden [1, 2, 5], was zu Lungenfibrose bzw. pulmonaler Hypertonie führt. Bei dem Fremdmaterial in den Granulomen handelt es sich in der Regel um Talkum (wasserhaltiges Magnesiumsilikat), das als Bindemittel oder Füllstoff in Tabletten zum Einnehmen und als Verdünnungsmittel von Straßenheroin eingesetzt wird.
Die Patienten weisen ein breites klinisches Spektrum auf, das von keinerlei Symptomen bis hin zu fulminanter Erkrankung und Tod reicht [6]. Symptomatische Patienten haben in der Regel langsam fortschreitende Dyspnoe bei Anstrengung, trockenen Husten und gelegentlich Anorexie, Gewichtsverlust, Fieber und Nachtschweiß. Die Auskultation der Lunge kann unauffällig sein oder diskrete bibasilare Knistergeräusche ergeben. Spontanpneumothorax kann auftreten, insbesondere im Endstadium der Erkrankung, aber nur selten als präsentes Symptom [7]. Typischerweise zeigen die arteriellen Blutgase eine mäßige Hypoxämie und die Lungenfunktionstests eine Verringerung der Diffusionskapazität von Kohlenmonoxid. Die CT-Befunde reichen von diffusen mikronodulären Mustern bis hin zu einem großen Strukturverlust des Lungenparenchyms aufgrund von Fibrose.
Opportunistische Atemwegsinfektionen wie Pneumocystis carinii oder CMV-Pneumonie oder atypische Pneumonie (z.B. Legionellen oder Chlamydien) können zu ähnlichen klinischen und Laborbefunden führen. Die Differenzialdiagnose kann daher bei HIV-infizierten Patienten besonders schwierig sein. Auch Neoplasmen (z.B. bronchoalveoläres Karzinom oder Kaposi-Sarkom) müssen ausgeschlossen werden. Eine schnelle Behandlung ist erforderlich. Die Bestätigung der Diagnose erfordert histologische Proben. Eine TBB kann ausreichend sein, jedoch ist – wenn nicht eindeutig – eine chirurgische Lungenbiopsie erforderlich.
Abb. 3. Alveolares Gewebe, das nadelförmige Talkumpartikel (weißer Pfeil) zeigt, wenn polarisiertes Licht verwendet wird. x 400.
Abb. 4. Mikroskopische Aufnahme von Lungengewebe mit positiver CD1a-Antigenfärbung der Langerhans-Zellen.
Berichte über den natürlichen Verlauf und die Behandlung der Talk-Granulomatose sind selten. In einer 10-jährigen Nachbeobachtung von 6 Patienten beschrieben Pare et al. [8] ein irreversibles Fortschreiten der radiologischen Anomalien. Im Falle einer signifikanten pulmonalen Hypertonie ist eine Behandlung dieser Entität angezeigt. Die wichtigste Maßnahme ist die Einstellung der Injektion von talkumhaltigen Medikamenten. Smith et al. [6] beschrieben eine dramatische Reaktion eines ehemaligen Drogenabhängigen auf die Behandlung mit Prednison (anfangs 60 mg täglich). Xie et al. [9] zeigten, dass Kortikosteroide die Wirksamkeit von Talkum-Pleurodese bei Kaninchen mit einer Dosis von 20 mg Prednison pro Tag verringern. In Analogie zu dieser Studie ist eine Behandlung mit 20 mg Prednison pro Tag eine Option. Die optimale Behandlungsdauer ist jedoch nicht bekannt.
Literatur
- Nan DN, Fernandez-Ayala M, Iglesias L, Gar-cia-Palomo D, Parra JA, Farinas MC: Talc granulomatosis: A differential diagnosis of interstitial lung disease in HIV patients. Chest 2000;118:258–260.
- Arnett EN, Battle WE, Russo JV, Roberts WC: Intravenous injection of talc-containing drugs intended for oral use: A cause of pulmonary granulomatosis and pulmonary hypertension. Am J Med 1976;60:711–718.
- Oubeid M, Bickel JT, Ingram EA, Scott GC: Pulmonary talc granulomatosis in a cocaine sniffer. Chest 1990;98:237–239.
- Farber H, Fairman J, Rounds S, et al: Pulmonary response to foreign body microemboli in dogs: Release of neutrophil chemoattractant activity by the vascular endothelial cells. Am J Respir Cell Mol Biol 1989;1:27–30.
- Waller BF, Brownlee WJ, Roberts WC: Self-induced pulmonary granulomatosis: A consequence of intravenous injection of drugs intended for oral use. Chest 1980;78:90–94.
- Smith RH, Graf MS, Silverman JF: Successful management of drug-induced talc granuloma-tosis with corticosteroids. Chest 1978;73:552– 554.
- Rhodes RE, Chiles C, Vick WW: Talc granulo-matosis presenting as spontaneous pneumotho-rax. South Med J 1991;84:929–930.
- Pare JAP, Cote G, Fraser RG: Long-term follow-up of drug abusers with intravenous talc-osis. Am Rev Respir Dis 1989;139:233–241.
- Xie C, Teixeira LR, McGovern JP, Light RW: Systemic corticosteroids decrease the effectiveness of talc pleurodesis. Am J Respir Crit Care Med 1998;157:1441–1444.
Übersetzung aus Conen D, Schilter D, Bubendorf L, Brutsche MH, Leuppi JD. Interstitial lung disease in an intravenous drug user. Respiration. 2003;70(1):101–103.