Zusammenfassung
Hintergrund: Die Prävalenz einer bisher unerkannten obstruktiven Schlafapnoe (OSA) in der präoperativen Evaluation ist ebenso ungeklärt wie die beste Vorgehensweise zur Erkennung von OSA und deren Assoziation mit postoperativen Komplikationen. Ziele: Bestimmung der Prävalenz einer unerkannten OSA bei präoperativen indischen Patienten, die sich einer nicht-kardialen Operation unterziehen; Vergleich der diagnostischen Güte des STOP-BANG-Fragebogens mit der einer präoperativen Schlafuntersuchung vom Typ 3; Untersuchung der Assoziation von OSA mit postoperativen Komplikationen. Methoden: Untersucht wurde eine prospektive Kohorte von 245 konsekutiven erwachsenen Patienten mit ≥2 Risikofaktoren für OSA, die sich zwischen Juli 2011 und Februar 2013 einer nicht-kardialen Operation unterzogen. Der STOP-BANG-Fragebogen wurde bei allen Patienten erhoben; bei 182/245 Patienten (74,2%) wurde präoperativ eine Schlafuntersuchung vom Typ 3 durchgeführt. Die Patienten wurden auf postoperative Komplikationen stationär nachbeobachtet und 30 Tage nach der Operation kontaktiert. Ergebnisse: Bei 70/182 (38,5%) wurde die Diagnose OSA neu gestellt; bei 11/182 (6%) war dies eine OSA von mittlerem bis hohem Schweregrad (Apnoe-Hypopnoe-Index ≥15/h). In logistischen Regressionsanalysen war das Vorliegen von OSA unabhängig assoziiert mit postoperativer Sauerstoffentsättigung (OR 5,96; 95-%-KI 2,35-15,1; p < 0,01) sowie mit einer postoperativen Komplikation innerhalb von 7 Tagen (OR 3,63; 95-%-KI 1,77-7,45, p < 0,01) und innerhalb von 30 Tagen (OR 3,5; 95-%-KI 1,74-7,1; p < 0,01). Mit dem STOP-BANG-Fragebogen wurde bei 12/70 Patienten (17%) eine diagnostizierte OSA nicht erkannt, und 28% der Kohorte wurden als OSA-Patienten eingestuft, obwohl die Typ-3-Schlafuntersuchung negativ war. Schlussfolgerungen: Bei präoperativen Patienten liegt häufig eine bisher unerkannte OSA vor, und OSA ist unabhängig mit postoperativen Komplikationen assoziiert. Der STOP-BANG-Fragebogen zeigte bei einer südindischen Population eine schlechtere Performance in der Diagnose von OSA als die Schlafuntersuchung vom Typ 3.
Transfer in die Praxis von Simon-Dominik Herkanrath und Prof. Dr. Winfried J. Randerath (Solingen)
Hintergrund
Die unerkannte Schlafapnoe ist ein unabhängiger Risikofaktor für postoperative Komplikationen. Ein Grund ist die potenzielle Aggravation einer Schlafapnoe unter dem Einfluss von Opioiden und Sedativa. Weitere Gründe sind die additiven Auswirkungen der Schlafapnoe wie systemische Inflammation, Freisetzung von Katecholaminen und erhöhte Thrombogenität in einer inflammatorischen Stress-Situation per se [1,2,3]. Der STOP-BANG-Fragebogen wurde zur präoperativen Detektion einer obstruktiven Schlafapnoe entwickelt und an einer kaukasischen Population validiert.
Studienergebnisse
Die Arbeitsgruppe um Devaraj fragt nach der Prävalenz einer unentdeckten Schlafapnoe bei Patienten, die in einem tertiären Krankenhaus in Südindien operiert wurden. Zusätzlich wurden die Patienten hinsichtlich Komplikationsrate 30 Tage nachbeobachtet. Als Referenzdiagnostik wurde eine Polygraphie in der Nacht vor der Operation durchgeführt. Außerdem wurde von allen Patienten vor der Polygraphie ein STOP-BANG-Fragebogen ausgefüllt, um dessen Sensitivität und Spezifität an einer südindischen Population zu evaluieren.
Die Prävalenz der Schlafapnoe war hoch (70/182), wobei der überwiegende Anteil einen Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) zwischen 5 und 15 aufwies (59/70). Lediglich 11 Patienten zeigten eine mittelschwere oder schwere Schlafapnoe (AHI ≥ 15/h). Die Schlafapnoe war ein unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten postoperativer Komplikationen. Außerdem zeigte sich eine Korrelation zwischen der Häufigkeit respiratorischer und kardiovaskulärer Komplikationen und dem AHI. Der STOP-BANG wies eine Sensitivität von 82,8% und eine Spezifität von 65,2% auf.
Diskussion und kritische Auseinandersetzung
Die Arbeitsgruppe um Devaraj stellt hier eine gelungene Arbeit zu dem Thema Auswirkungen einer unentdeckten Schlafapnoe auf das postoperative Outcome vor. Insbesondere das erhöhte Risiko einer unentdeckten Schlafapnoe in Bezug auf die Häufigkeit postoperativer respiratorischer und kardiovaskulärer Komplikationen kommt durch das prospektive Design klar zum Ausdruck. Dennoch wäre an bestimmten Punkten eine differenziertere Betrachtung wünschenswert gewesen:
Einen Polygraphie-AHI ≥ 5/h unmittelbar als das Vorliegen einer obstruktiven Schlafapnoe zu definieren, fällt einem angesichts der ‘HypnoLaus study' schwer [4]. In dieser Studie zeigten sich vor dem Hintergrund der erhöhten Sensitivität der Aufzeichnungssysteme und Scoring-Kriterien sehr hohe Prävalenzzahlen in Bezug auf schlafbezogene Atmungsstörungen (40% der unter 60-Jährigen zeigten einen AHI ≥ 5/h). Welche klinische und prognostische Bedeutung ein AHI zwischen 5 und 15/h hat, ist nicht abschließend geklärt. Grundsätzlich gilt bei diesen milden Ausprägungen schlafbezogener Atmungsstörungen jedoch das Prinzip, dass nur im Falle einer relevanten Tagesschläfrigkeit eine Therapieindikation besteht. Eine Differenzierung zwischen Patienten mit Tagesschläfrigkeit und einem AHI zwischen 5 und 15/h und solchen ohne Tagesschläfrigkeit, findet in der hier vorliegenden Studie bedauerlicherweise nicht statt.
Eine differenziertere Betrachtung des unspezifischen Symptoms Tagesschläfrigkeit wäre außerdem, insbesondere im Hinblick auf die fehlenden Unterschiede bei Patienten mit einem AHI ≥ beziehungsweise ≤ 5/h, wünschenswert gewesen. Diesbezüglich wäre das Erfassen von anderen schlafmedizinischen Komorbiditäten wie Insomnien, Parasomnien oder schlafbezogenen Extremitätenbewegungen sowie anderen kardiovaskulären, psychiatrischen und metabolischen Begleiterkrankungen sinnvoll gewesen, um andere Einflussfaktoren zu betrachten und zu diskutieren. Die Durchführung einer ergänzenden Polysomnographie und nächtlichen Langzeit-Kapnometrie zur differenzierteren Betrachtung der schlafbezogenen Atmungsstörungen und anderer schlafbezogener Erkrankungen wäre zumindest in der Gruppe der Patienten mit einem AHI ≥ 5/h hierzu erforderlich gewesen. Die Pauschalisierung, dass es sich bei einem AHI ≥ 5/h unmittelbar um eine obstruktive Schlafapnoe handelt, erscheint somit insgesamt sehr vereinfacht und wird der Gesamtproblematik sicherlich nur teilweise gerecht.
Fazit für die Praxis
Die unentdeckte Schlafapnoe als Risikofaktor für postoperative Komplikationen ist nach wie vor ein ungelöstes Problem. Um Patienten mit einem hohen postoperativen Gefährdungspotenzial zu detektieren, sind in einem ersten Schritt Fragebögen mit möglichst hoher Sensitivität erforderlich. Bei Patienten mit einem hohen Risiko für eine Schlafapnoe (arterielle Hypertonie, Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz), die keine typischen Symptome zeigen, können 1- oder 2-Kanalsysteme eingesetzt werden.
Diese einfachen Schlafstudien bestehen aus einer Pulsoxymetrie und Flowmessung und stellen probate Screeningmethoden dar, lassen jedoch keine abschließende Diagnose zu. Bei denjenigen Patienten, bei denen sich in den Fragebögen oder der einfachen Schlafstudie Hinweise auf eine schlafbezogene Atmungsstörung ergeben, sollte ergänzend eine Polysomnographie zur Erhebung der finalen schlafmedizinischen Diagnose durchgeführt werden. Nur so wird es uns gelingen, Patienten mit tatsächlichem Gefährdungspotenzial zu detektieren und durch die Einleitung spezifischer Therapiemaßnahmen postoperativen Komplikationen entgegenzuwirken.
Disclosure Statement
Hiermit erklären wir, dass keine Interessenskonflikte in Bezug auf den vorliegenden Wissenstransfer bestehen.