Zusammenfassung
Der monoklonale Anti-CD20-Antikörper Rituximab ist mit seltenen, aber signifikanten unerwünschten Ereignissen assoziiert, insbesondere mit dem posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndrom (PRES) und dem akuten Atemnotsyndrom (ARDS). Wir berichten hier über einen Fall von begleitend auftretendem ARDS und PRES nach Anwendung von Rituximab zur Behandlung einer Kryoglobulinämie-bedingten Vaskulitis. Es gibt insgesamt 7 Fallberichte über PRES als Komplikation der Rituximab-Therapie. Der Beginn des PRES variierte von sofortigem Einsetzen bis zum Start 21 Tage nach der Verabreichung. Bei allen Patienten klang das Syndrom vollständig ab, und in der Hälfte der Fälle wurde die Rituximab-Therapie wiederaufgenommen. ARDS tritt noch seltener in Assoziation mit Rituximab auf. Es sind lediglich 3 gesicherte Fälle bekannt, und ARDS kann als verzögerte Reaktion auftreten.
Hintergrund
Der monoklonale Anti-CD20-Antikörper Rituximab wird zunehmend in der Behandlung von malignen hämatologischen Erkrankungen wie Non-Hodgkin-Lymphom oder chronischer lymphatischer Leukämie sowie von rheumatoider Arthritis und ANCA-assoziierter Vaskulitis (ANCA = antineutrophile zytoplasmatische Antikörper) eingesetzt. Einige unerwünschte Wirkungen des Arzneimittels treten häufig auf (Infusionsreaktionen, Panzytopenie, bakterielle und virale Infektionen, kardiale Ereignisse), andere selten (progressive multifokale Leukoenzephalopathie, Zytokinfreisetzungssyndrom, respiratorische Insuffizienz).
Wir stellen hier den Fall einer Patientin vor, die wegen Kryoglobulinämie unklarer Ätiologie mit Rituximab behandelt wurde und bei der ein akutes Atemnotsyndrom (ARDS) und ein posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom (PRES) auftraten.
Fallbericht
Eine 60-jährige Frau wurde aus einer ambulanten nephrologischen Klinik zur Untersuchung einer akuten Nierenschädigung und einer diffusen Symptomkonstellation aufgenommen. Sie hatte zum Zeitpunkt ihres ersten Besuchs seit einer Woche intermittierende Hämaturie, außerdem Schmerzen in den kleinen und großen Gelenken, ein zunehmendes peripheres Ödem und 2 diskrete Episoden von Epistaxis, und sie hatte seit 3 Tagen einen Purpura-artigen Ausschlag bemerkt, der sich bilateral über die unteren Schienbeine und Fersen erstreckte. Der in der Klinik gemessene Blutdruck betrug 149/99. Die Urinalyse war positiv für Protein mit einem Wert von 3+, und der Protein/Kreatinin-Quotient betrug 516. Die einzige Auffälligkeit in der Anamnese war eine Kultur-negative Hauttuberkulose, die 2013 behandelt wurde. Die initialen Blutwerte der Patientin bei der Ankunft und das anschließende Vaskulitis-Screening sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Das Echokardiogramm war unauffällig, was darauf hindeutet, dass keine begleitende Herzinsuffizienz vorlag. Eine Nierenbiopsie ergab eine membranoproliferative Glomerulonephritis mit multifokaler extraglomerulärer nekrotisierender Vaskulitis. In der Immunfluoreszenz zeigten sich große Mengen an Immunglobulin (Ig)M und IgG in einem granulären Verteilungsmuster entlang der Kapillarwände. Die Elektronenmikroskopie zeigte endokapilläre Hyperzellularität mit verstreuten, unregelmäßigen subendothelialen elektronendichten Ablagerungen und dunklen elektronendichten Arealen mit feiner Granularität anstelle einer klaren, geordneten Struktur. Dies war vereinbar mit Immunkomplex-membranoproliferativer Glomerulonephritis infolge der Kryoglobulinämie.
Die Kryoglobuline der Patientin fällten über 6 h aus dem Serum aus, und die Immunfixation deutete aufgrund eines monoklonalen IgMk-Paraproteins auf Typ 1 hin. Geringe Mengen an C4 wurden nachgewiesen, und es war kein Rheumafaktor im Kryokrit zu erkennen.
Eine Knochenmarksaspiration und -trepanation wurden durchgeführt, um eine zugrunde liegende myeloproliferative Erkrankung auszuschließen; die Untersuchungen ergaben lediglich reaktives Mark. Mittels Computertomografie von Thorax, Abdomen und Becken (CT-TAP) wurde nach einer zugrunde liegenden malignen Erkrankung gesucht, die die Kryoglobulinämie begünstigen könnte. Diese Untersuchung ergab ein kleines Areal intestinaler Verdickung im Duodenum sowie kleine Pleuraergüsse. Am entsprechenden Darmabschnitt wurde eine endoskopische Biopsie vorgenommen; hierbei war keine luminale Anomalie zu erkennen. Auch die Biopsieprobe war ohne Befund.
Eine Bronchoskopie wurde durchgeführt, um angesichts der Vorgeschichte und des auffälligen Thorax-CT eine aktive Tuberkulose auszuschließen. Die Lavage war unauffällig. Die Ziehl-Neelsen-Färbung ergab keine säurefesten Bakterien.
Die Nierenfunktion und das Ödem der Patientin verschlechterten sich stetig. Ab der Aufnahme wurde sie zunächst mit Furosemid 80 mg intravenös (i.v.) 2-mal täglich behandelt, aber aufgrund der Verschlechterung der Ödembildung und einer neu auftretenden Oligurie wurde beschlossen, mit regelmäßiger Ultrafiltration zu beginnen. In Anbetracht ihrer fortschreitenden Nierendysfunktion und des sich aktuell verschlechternden vaskulitischen Exanthems wurde eine Dreifachtherapie zur Immunsuppression begonnen, mit Plasmaaustausch an jedem zweiten Tag (mit i.v. verabreichten Ig (IVIg) 5 g), Prednisolon (1 mg/kg/Tag) und Rituximab (375 mg/m2 in wöchentlichen Dosen; 600 mg verabreicht).
Das therapeutische Vorgehen bei Kryoglobulinämie vom Typ 1 ist ungeklärt, es wurde jedoch postuliert, dass ähnlich vorgegangen werden sollte wie bei einer B-Zell-Erkrankung, da eine solche in den meisten Fällen die zugrunde liegende Ursache ist [1]. Kleinere Fallserien deuten darauf hin, dass die Behandlung der gemischten Kryoglobulinämie mit Rituximab in Mono- oder Kombinationstherapie sicher ist, und mindestens 1 Studie hat Hinweise darauf ergeben, dass die Wirksamkeit von Rituximab in einer gemischten Kryoglobulinämie-Population einschließlich Patienten mit kryoglobulinämischer Vaskulitis der von Cyclophosphamid überlegen ist [2,3]. Die wenige Evidenz, die es zur Typ-1-Kryoglobulinämie gibt, deutet darauf hin, dass Rituximab sicher und wirksam ist [4]. Dies wird durch längerfristige Registerdaten gestützt, die dafür sprechen, dass Rituximab wirksam und gut verträglich ist [5].
Die vorliegenden Studiendaten zur ANCA-assoziierten Vaskulitis deuten darauf hin, dass Cyclophosphamid und Rituximab vergleichbare Nebenwirkungsprofile haben [6,7]. Wir gelangten zu der Einschätzung, dass wir unsere Patientin keinem übermäßigen Risiko aussetzen würden, wenn wir uns unter den gegebenen Umständen für Rituximab entscheiden.
Zwei Tage nach der ersten Rituximab-Dosis entwickelte sie akute Atemnot, und ein florides Lungenödem wurde festgestellt (Abb. 1). Dieses wurde mittels Ultrafiltration erfolgreich behandelt. Eine Woche später erhielt die Patientin eine zweite Dosis Rituximab, und innerhalb von 24 h traten tonisch-klonische Krampfanfälle, schwere Hypertonie (durchschnittlich 170/100) und eine weitere Episode von hochakutem passagerem Lungenödem auf; Letzteres machte eine Intubation und Beatmung erforderlich.
Bei Extubation lagen Enzephalopathie und Hyperreflexie vor. Eine Magnetresonanztomografie (MRT)-Untersuchung des Kopfes ergab in der subkortikalen weißen Substanz hohe T2- und FLAIR-Signalintensität im Okzipital- und posterioren Parietallappen, die mit einem PRES vereinbar war (Abb. 2). Die Patientin erhielt eine Aufladungsdosis Phenytoin (500 mg i.v.); der Blutdruck wurde mit 200/100 gemessen. Dies wurde durch Erhöhung der oralen Antihypertensivadosis unter Kontrolle gebracht. Eine erneute Bronchoskopie und eine bronchoalveoläre Lavage (BAL) ergaben aktive Neutrophile, im Einklang mit ARDS, aber keine Hinweise auf eine Infektion.
Kopf-MRT mit hoher T2- und FLAIR-Signalintensität in der subkortikalen weißen Substanz des Okzipital- und posterioren Parietallappens, vereinbar mit einem PRES, nach Behandlung mit Rituximab.
Kopf-MRT mit hoher T2- und FLAIR-Signalintensität in der subkortikalen weißen Substanz des Okzipital- und posterioren Parietallappens, vereinbar mit einem PRES, nach Behandlung mit Rituximab.
Die Patientin erhielt keine weiteren Rituximab-Dosen, wurde jedoch weiter mit Plasmaaustausch, IVIg und Prednisolon behandelt. Die Kryoglobulinwerte gingen gegenüber der Wiederholungsuntersuchung zurück, blieben aber messbar, trotz des Plasmaaustauschs jeden zweiten Tag über 2 Wochen. Daher wurde die Behandlung mit Cyclophosphamid (500 mg i.v.) eingeleitet.
Danach traten keine weiteren Krampfanfälle auf, und die Enzephalopathie klang innerhalb von 10 Tagen vollständig ab. Nach 1 Dosis Cyclophosphamid sank die Kryoglobulinkonzentration unter die Nachweisgrenze. Alle Maßnahmen zur Immunsuppression und zum Plasmaaustausch wurden daher eingestellt; nach 8-monatiger Nachbeobachtung ist weiterhin kein Kryoglobulin nachweisbar. Der Kreatininwert der Patientin hat sich bei 160 µmol/l stabilisiert; ihre geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (GFR) beträgt damit 30 ml/min/1,73 m2 und der Protein/Kreatinin-Quotient 219.
Diskussion
PRES ist eine radiologisch-pathologische Beschreibung eines neurotoxischen Status in Verbindung mit einem charakteristischen Röntgenbefund [8,9]. Während die klassische Beschreibung sich auf überwiegend posterior lokalisierte, fleckige Veränderungen in der weißen Substanz stützt, wird zunehmend eine Vielzahl von Befunden wie die Beteiligung des Temporallappens oder des Thalamus, Blutungen oder auch unilaterale Befunde anerkannt [10]. Die Symptome können vielfältig sein, von kleinen Eintrübungen des Bewusstseins bis hin zu Krampfanfällen, Enzephalopathie und Koma.
Die Ätiologie ist nicht vollständig geklärt, es wird jedoch diskutiert, dass der Verlust der zerebralen Autoregulation ein wichtiger Schritt sein könnte, der dann entweder zu lokaler Hypertonie und Durchbruchblutungen führt oder zu anomaler reflektorischer Vasokonstriktion mit anschließender lokaler Ischämie und vasogener Ödembildung [11,12,13]. PRES ist mit einer Reihe von Krankheitsbildern in Zusammenhang gebracht worden, darunter Eklampsie, maligne Hypertonie, systemischer Lupus erythematosus und maligne Erkrankungen, potenziell außerdem mit verschiedenen Arzneimitteln, insbesondere Calcineurin-Inhibitoren, Cyclophosphamid und verschiedenen monoklonalen Wirkstoffe [14,15,16]. Ähnlich wie bei den meisten Berichten über arzneimittelassoziiertes PRES lagen auch in unserem Fall mehrere begleitende Risikofaktoren vor, was darauf hindeutet, dass ein hohes kumulatives Risiko eine wichtige Komponente bei der Entwicklung eines PRES darstellt.
Eine Sichtung der Literatur ergab 6 weitere Fälle, in denen das Auftreten eines PRES der Behandlung mit Rituximab zugeschrieben wurde; die Eckdaten dieser Fälle sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Die assoziierten Grunderkrankungen waren B-Zell-Lymphome (50%) sowie systemischer Lupus erythematosus, Hepatitis C und Neuromyelitis optica [17,18,19,20]. Unseres Wissens gibt es keine Fälle von Typ-1-Kryoglobulinämie, die zu einem PRES führten; es ist somit diskutabel, ob diese einen etablierten Risikofaktor für die Entwicklung eines PRES darstellt.
Die Erstmanifestation der PRES-Symptome reicht von einer sofortigen Reaktion noch während der Infusion bis zu einer verzögerten Reaktion 3 Wochen nach der ersten Dosis. Während in einigen Fällen von wiederkehrenden neurologischen Defiziten nach wiederholter Gabe von Rituximab berichtet wurde, war dies eine nicht vorhersehbare Reaktion, die oft nach ereignislosen vorherigen Infusionen auftrat. In allen Fällen klang das PRES nach dem Absetzen von Rituximab und supportiven Maßnahmen klinisch vollständig ab. Dies dauerte zwischen 24 h und 2 Wochen. Besonders interessant ist, dass in 3 Fällen die Therapie wiederaufgenommen wurde. Bei unserer Patientin ist zu unterstreichen, dass sie eine ganze Reihe potenzieller Risikofaktoren aufwies, in Form ihrer akuten Nierenschädigung, Flüssigkeitsüberladung, Hypertonie, Kryoglobulinämie und Rituximab-Therapie.
Rituximab und ARDS
Im Gegensatz zum PRES besteht zwischen der Anwendung von Rituximab und nichtinfektiösen pulmonalen Komplikationen eine stärkere und gut dokumentierte Assoziation [21]. Ein breites Spektrum von respiratorischen Syndromen ist mit Rituximab assoziiert. Die häufigste Erscheinungsform ist die interstitielle Pneumonie, doch auch diverse andere Pathologien können auftreten, z.B. Bronchiolitis obliterans, organisierende Pneumonie, gewöhnliche interstitielle Pneumonie und Hypersensitivitätspneumonitis. In der größten, bisher veröffentlichen Übersichtsarbeit, die 121 Fälle von Rituximab-assoziierter Lungenschädigung umfasst, sind 3 Fälle von ARDS enthalten, die sich wie in unserem Fall mit akuter respiratorischer Insuffizienz und bilateralen diffusen Infiltraten in der Thoraxröntgen- und CT-Bildgebung präsentieren [21]. Die Manifestation ist unvorhersehbar und reicht von hyperakutem Lungenödem während der ersten Infusion bis hin zu einer verzögerten Reaktion, die durch eine dritte Infusion Wochen nach Therapiebeginn ausgelöst wurde [22,23].
Rituximab übt seine therapeutische Wirkung gegen CD20-positive Zellen über die Induktion von Apoptose und zellvermittelter Zytotoxizität sowie durch die Aktivierung der Komplementkaskade aus [24]. Mit Rituximab behandelte Patienten haben messbar höhere Konzentrationen von Tumornekrosefaktor-alpha und Komplement C3a [25]. Dieses pro-inflammatorische Milieu könnte durchaus der entscheidende Faktor für die plötzliche Zunahme der alveolären Permeabilität und der pulmonalen Inflammation sein, die zum ARDS führen. Trotz der hohen Morbidität und Mortalität, die diese Nebenwirkungen haben, wenn sie denn auftreten, hat Rituximab das therapeutische Vorgehen bei vielen Krankheiten von Grund auf verändert und kann sogar zur Behandlung sowohl von PRES als auch von ARDS eingesetzt werden, auch bei vielen derselben Krankheitsbilder, die wir in der Übersichtstabelle beschreiben [25,26,27,28]. Es ist wichtig, dass Kliniker die möglichen Nebenwirkungen von Rituximab ebenso im Auge behalten wie die schwierige Abwägung zwischen den unerwünschten Wirkungen der Therapie und der Notwendigkeit, die zugrunde liegenden Krankheitsprozesse unter Kontrolle zu bringen.
Schwerwiegende Nebenwirkungen ruft Rituximab nur selten hervor, wenn überhaupt, dann vorwiegend bei Patienten mit mehreren multiplikativen Risiken. Ein pragmatischer Ansatz könnte hier sein, bekannte Risikofaktoren wie Hypertonie, Proteinurie oder eine gleichzeitige Anwendung von Calcineurin-Inhibitoren vor Beginn einer Rituximab-Therapie soweit wie möglich auszuschalten.
Unserer Erfahrung nach sind PRES und ARDS seltene, unberechenbare und idiosynkratische Reaktionen auf Rituximab, und Rituximab ist nach wie vor eine logische Wahl als Anti-B-Zell-Immunsuppressivum in einem Fall wie diesem. Unsere Patientin hat sich wieder erholt, die Gesamtmortalität bei Patienten mit ARDS hingegen ist weiterhin hoch.
Lerninhalte
(1) PRES und ARDS werden zunehmend als unerwünschte Wirkungen von Rituximab anerkannt, sind aber dennoch selten.
(2) Wenn nach einer Rituximab-Behandlung ein PRES auftritt, sind häufig Patienten mit mehreren koexistierenden Risikofaktoren betroffen.
(3) Unsere bisherige Erfahrung deutet darauf hin, dass ein PRES unter supportiver Behandlung innerhalb einiger Tage abklingt.
Erklärung zu ethischen Konflikten
Die Patienten hat vorab schriftlich ihre Zustimmung zur Verwendung unserer Aufzeichnungen und Bilder zu ihrem Fall in dieser Publikation erteilt.
Disclosure Statement
Die in diesem Artikel präsentierten Ergebnisse sind weder ganz noch teilweise zuvor bereits an anderem Ort veröffentlicht worden, außer in Form eines Abstracts. Wir haben keine Interessenkonflikte offenzulegen. Wir haben keine Förderung für diese Arbeit erhalten.