Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser,
Atemwegserkrankungen sind in der Bevölkerung weit verbreitet und haben insbesondere in der COVID-Pandemie ein vermehrtes Interesse erfahren. Unterschiedliche Auslöser sind hier relevant und nicht nur im privaten Lebensbereich und in der Umwelt zu suchen. Neben einem «nicht beruflichen» Umfeld spielen Atemwegserkrankungen in sehr vielen unterschiedlichen Gewerbezweigen eine durchaus zunehmende Rolle. Zwar haben die Staublungenerkrankungen mit dem Rückgang des Bergbaus in Deutschland und dem übrigen Mitteleuropa und unter großen Präventionsanstrengungen der Berufsgenossenschaften stark abgenommen, doch gibt es immer noch sehr viele, auch neue Arbeitsplätze, in denen inhalative Noxen in Form von überwiegend Stäuben aber auch Ruß, Rauch, Dämpfen oder Gasen auftreten. So werden Silikosen heute zunehmend z.B. in der Kunststeinindustrie beobachtet, aber auch die Arbeiter, die die Sandstrahler bei der Herstellung von «stone washed»-Kleidung bedienen, sind hiervon betroffen. Der Fallbericht von Dina Alnabwani und Kollegen in der Rubrik «Erfahrung aus der Praxis» stellt beispielhaft eine gemischte Pneumokoniose und ihre individuellen Auswirkungen auf den betroffenen Bauern vor. Auch die akute Proteinose, ein fast schon ausgestorbenes Krankheitsbild, muss heute wieder diagnostiziert werden.
Die Bewertung, ob die Lungenerkrankung arbeits- oder berufsbedingt ist und wie die Folgen für den Patienten einzuschätzen sind, muss standardisiert, objektiv und nachvollziehbar erfolgen. Diese Einschätzung sollte interdisziplinär erfolgen: neben der Arbeitsmedizin ist die Pneumologie, die Radiologie oder auch die Pathologie gefordert. Eine Gewebeentnahme ausschließlich zu Begutachtungszwecken wird niemand wollen – und ist selbstverständlich «nicht duldungspflichtig». Liegen aber zu Diagnosezwecken entnommene Gewebeproben vor, kann der Pathologe wertvolle Hinweise liefern.
So verursachen beispielsweise silikogene Stäube (Quarz) nach Inhalation eine chronische Inflammation mit fibroblastischer Reaktion. Der Pathologe sieht in diesem Fall hyalinschwielige Knötchen mit mehr oder weniger breitem Staubzellmantel. Besonders in den Lymphknoten des Mediastinums können silikotische Gewebsveränderungen frühzeitig nachgewiesen werden. Die Gewebsreaktion bei Silikose zeigt einerseits silikotische Granulome und Schwielen, andererseits emphysematöse und bronchitische Veränderungen. Letztere führen zu Funktionseinschränkungen der Lunge. Die Lungenveränderungen dienen dem Pathologen auch zur Abgrenzung von unspezifischen mediastinalen Lymphknotenveränderungen, die z.B. bei Sektionen von älteren Patienten aus Ballungsräumen sehr häufig gefunden werden. Hier ist es wichtig, dass gerade junge Pathologen diese Veränderung kennenlernen und korrekt einordnen. Der Befund silikotischer Herde sollte nachfolgend zu der Frage nach einer entsprechenden Exposition führen.
Eine weitere Lungenerkrankung, die meistens beruflich assoziiert ist, ist die Asbestose. Die Verwendung von Asbest als Werkstoff kann man bis ins 3. Jahrtausend vor Christus zurückverfolgen. Karl der Große pflegte seine Gäste damit zu beeindrucken, dass er aus Asbest gefertigte Tischtücher ins Feuer warf und diese nicht verbrannten. Diese Eigenschaft führte zur Namensgebung (ασβεστοσ: unauslöschlich). Bei Asbest handelt es sich nicht um eine einzige Mineralfaserart, sondern um eine inhomogene Gruppe unterschiedlicher Gesteinsmineralien. Durch ihre nadelige Struktur verfangen sich die Asbestfasern im Lungengerüst. Da sie nun weder abgebaut noch abtransportiert werden können, werden sie eingelagert. Es bildet sich Narbengewebe. Die Lunge reagiert auf die eingedrungenen Fremdkörper mit einer Entzündung, die chronisch wird. Durch die zunehmende Vermehrung des Bindegewebes der Alveolarsepten wird der Sauerstoffaustausch behindert. Die Alveolarmakrophagen gehen bei dem Versuch, den Fremdkörper zu verdauen, zugrunde. Es bilden sich perlschnurartige Hüllstrukturen, die Asbestkörper. Asbest im Lungengewebe kann mittels qualitativer und quantitativer Lungenstaubanalysen unter Anwendung der Lichtmikroskopie oder auch elektronenmikroskopisch nachgewiesen werden. Zusätzlich ist es möglich, mittels energiedispersiver Röntgenmikroanalyse, Staubablagerungen im Lungengewebe hinsichtlich ihrer Zusammensetzung zu charakterisieren und Elemente wie Chrom, Nickel, Talkum, Silizium oder Hartmetalle nachzuweisen. Fibrotische Lungenerkrankungen nehmen einen schleichenden Verlauf. Bevor es zu auffälligen Atembeschwerden kommt, können 10–40 Jahre vergehen. Es konnte gezeigt werden, dass Asbest in der Lunge «unvergänglich» ist – und auch noch nach vielen Jahren im Gewebe nachweisbar ist. Die Übersichtsarbeit dieser Ausgabe von Terri-Ann Berry und Kollegen stellt die auch heutzutage noch möglichen Gesundheitsrisiken einer Asbestexposition dar.
Seltene Erkrankungen wie die Schweißerlunge, die Hartmetallfibrose oder auch die Berylliose sind nicht Gegenstand der ausgewählten Publikationen. Dennoch handelt es sich um Krankheitsbilder, die unter dem Aspekt einer möglichen beruflichen Assoziation in die differenzialdiagnostischen Abwägungen mit einbezogen werden müssen.
Zur Unterstützung bei der Einordnung berufsbedingter Lungenerkrankungen stehen uns die entsprechenden berufsgenossenschaftlichen Organisationen, der Dachverband der Berufsgenossenschaften – die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, DGUV – und letztendlich, wenn es um den feingeweblichen Nachweis geht, das Deutsche Mesotheliomregister in Bochum zur Verfügung. Darüber hinaus existieren Betroffenen- und Selbsthilfeverbände, die professionelle Unterstützung bieten.
Ich wünsche eine erkenntnisreiche Lektüre.
Ihre
Prof. Dr. Andrea Tannapfel