Zusammenfassung
Ibrutinib ist ein bekannter Inhibitor der Bruton-Tyrosinkinase (BTK) und der Interleukin-2-induzierbaren T-Zell-Kinase (ITK), der zur Behandlung von B-Zell-Erkrankungen (chronische lymphatische Leukämie [CLL] und verschiedene andere Lymphome) und der chronischen Graft-versus-Host-Erkrankung nach allogener Transplantation von hämatopoetischen Zellen eingesetzt wird. Da es als immunsuppressiv gilt, stellt sich bei Patienten mit einer aktiven Infektion häufig die Frage nach einer Fortführung der Ibrutinib-Therapie, und im Zusammenhang mit der Coronavirus-Erkrankung 2019 (COVID-19) ist diese Entscheidung besonders schwierig. In der vorliegenden Arbeit beschreiben wir einen Patienten mit CLL, der mit Ibrutinib behandelt wurde und im weiteren Verlauf eine schwere COVID-19-Infektion entwickelte, die eine mechanische Beatmung erforderlich machte. Wir beschlossen, die Gabe von Ibrutinib noch am Tag der Intubation fortzusetzen, mit der Argumentation, dass die BTK-Inhibition in myeloischen Immunzellen nachgewiesenermaßen die influenza-vermittelte akute Lungenschädigung verringert oder sogar umkehrt und dass die ITK-Inhibition in T-Zellen mit einer Reduzierung der Virusreplikation korreliert und daher in diesem Setting von Nutzen sein könnte. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Ibrutinib auch Kinasen der Src-Familie blockiert, was möglicherweise ein verringertes Eindringen der Viren zur Folge hat und zu einer verminderten inflammatorischen Zytokinreaktion in der Lunge führt. Der Patient wurde nach 9 Tagen und einem komplizierten stationären Verlauf extubiert und schließlich unter Raumluftatmung entlassen. Die einzige Möglichkeit, solche Entscheidungen rational zu untermauern und ähnliche potenziell vielversprechende Hinweise in dieser Pandemie zu untersuchen, sind sorgfältig durchgeführte klinische Studien.
Einleitung
Weltweit nehmen die Inzidenz und Mortalität durch das schwere akute respiratorische Syndrom-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2), das die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) verursacht, weiter zu. Zu den bekannten Risikofaktoren für einen höheren Schweregrad der Erkrankung und eine erhöhte Sterblichkeit gehören höheres Alter, Komorbiditäten und Immunsuppression [1]. Krebspatienten, insbesondere solche mit hämatologischen Erkrankungen, erhalten häufig immunsuppressive Therapieschemata, und haben bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 nachgewiesenermaßen schlechtere Ergebnisse [2]. Die Frage hinsichtlich der Fortsetzung dieser Wirkstoffe während einer COVID-19-Erkrankung ist Gegenstand kontroverser Diskussionen.
Ibrutinib ist ein hoch potenter Inhibitor der Bruton-Tyrosinkinase (BTK), die für das Wachstum und die Proliferation von B-Zellen wichtig ist. Daher wurde Ibrutinib von der US-amerikanischen Arzneimittelaufsichtsbehörde (Food and Drug Administration, FDA) für die Anwendung bei chronischer lymphatischer Leukämie (CLL), Mantelzelllymphom, Marginalzonenlymphom und chronischer Graft-versus-Host-Reaktion (Graft-versus-Host-Disease, GvHD) zugelassen. In der ILLUMINATE-Studie, die zur Zulassung von Ibrutinib als First-Line-Therapie bei CLL durch die FDA führte, bewirkte Ibrutinib einen Rückgang der mit infusionsbedingten Reaktionen assoziierten entzündlichen Zytokine, wenn die Patienten den Anti-CD20-Antikörper Obinutuzumab erhielten [3]. Die immunsuppressive Aktivität von Ibrutinib bildete die Grundlage für die Zulassung zur Anwendung bei chronischer GvHD bei Patienten mit allogener hämatopoetischer Zelltransplantation (Gesamtansprechrate: 67 %) [4]. Es gibt allerdings Bedenken, dass Ibrutinib die Infektion bei anfälligen Patienten verschlimmern könnte. Treon et al. beschrieben sechs Patienten mit Waldenström-Makroglobulinämie, die Ibrutinib erhielten und eine diagnostizierte COVID-Erkrankung hatten; sie stellten fest, dass nur einer von sechs Patienten stationär behandelt werden musste [5]. In der vorliegenden Arbeit beschreiben wir den Fall eines Patienten mit CLL, der mit Ibrutinib behandelt wurde und eine schwere COVID-19-Infektion entwickelte. Ferner erörtern wir die wissenschaftliche Begründung, die die Grundlage für unseren Entscheidungsprozess am Krankenbett bildete.
Der Fall
Bei unserem Patienten handelte es sich um einen 77-jährigen Mann mit CLL und 13q-Deletion, die 2005 diagnostiziert worden war, und bei dem im März 2016 wegen Krankheitsprogression eine Behandlung mit Ibrutinib 420 mg/Tag begonnen wurde. Darunter war er für vier 4 Jahre stabil. In den Wintermonaten benötigte er regelmäßig alle 1 bis 2 Monate intravenöse Immunglobulin-Infusionen wegen Hypogammaglobulinämie. Am 11. März 2020 stellte er sich mit seit 4 Tagen bestehenden Halsschmerzen, Fieber bis 38,3 °C und leichtem trockenem Husten nach Rückkehr von einer Überseereise in der Notaufnahme vor. Die Frage nach Kurzatmigkeit wurde verneint und er hatte eine Sauerstoffsättigung (SpO2) von 96 %. Der Point-of-Care-Test auf Influenza war negativ und der Abstrich auf Streptokokken-Antigen fiel positiv aus, weshalb keine Testung auf COVID-19 erfolgte.
Sechs Tage später (am 17. März 2020) stellte er sich mit zunehmenden Symptomen in der Notaufnahme vor und die Sauerstoffsättigung fiel unter 2 l Sauerstoff über eine Nasenkanüle auf 89 %. Ein Nasenabstrichtest auf COVID-19 war positiv. Aufgrund des weiterhin erhöhten Sauerstoffbedarfs wurde er auf die COVID-19-Intensivstation (medical intensive care unit, MICU) aufgenommen. Bei der Aufnahme wurde Ibrutinib abgesetzt. Es war jedoch unklar, ob der Patient das Medikament in den letzten Tagen, als er sich krank fühlte, eingenommen hatte.
Am zweiten Tag nach der stationären Aufnahme, das heißt 10 Tage nachdem er erstmals über Symptome berichtet hatte, wurde er wegen progredienter akuter hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz intubiert. Den aus Wuhan berichteten Daten zufolge betrug die Dauer vom Krankheitsbeginn bis zur invasiven mechanischen Beatmung im Median 14,5 Tage (Spanne: 12 bis 19 Tage) [1]. Angesichts des höheren Alters des Patienten und seiner Grunderkrankung CLL hatte man Sorge, dass der klinische Verlauf aggressiver sein würde. Für die Beatmung wurde eine lungenprotektive Strategie festgelegt, die ein Atemzugvolumen von 6 ml/kg Idealgewicht mit einem hohen positiven endexspiratorischen Druck in Verbindung mit einer aggressiven Atemwegs-Clearance zum Ziel hatte.
Nach interdisziplinären Diskussionen wurde die Behandlung mit Ibrutinib mit einer höherer Dosierung von 560 mg (ab Tag 2 nach der stationären Aufnahme) fortgesetzt. Ibrutinib bewirkt eine kovalente Hemmung der Bruton-Tyrosinkinase, wohingegen die Hemmung durch andere immunvermittelte Kinasen nicht kovalent ist; deshalb wurden höhere Dosierungen eingesetzt, um eine ausreichende Hemmung zu erzielen [6]. Darüber hinaus erhielt er bei Aufnahme eine Dosis Hydroxychloroquin, die nicht fortgeführt wurde, sowie zwei Dosen Tocilizumab an Tag 5 und 6 wegen wiederkehrenden Fiebers und steigenden CRP (C-reaktives Protein)-Werten. Nach Gabe von Tocilizumab klang das Fieber ab und die CRP-Werte besserten sich. Die D-Dimer-Werte, die zunächst von 484 ng/ml bei der Aufnahme auf 6.573 ng/ml gestiegen waren, gingen nach Beginn der Ibrutinib-Therapie zurück. Ebenso besserte sich die Thrombozytenzahl von 47.000/μl bei der Aufnahme auf >100.000 /μl. Ferner kam es unter Ibrutinib zu einer Normalisierung der Leukopenie und der Lymphopenie.
An Tag 11 (27. März 2020) wurde der Patient extubiert und erhielt eine High-Flow-Nasenkanüle (high flow nasal canula, HFNC); an Tag 14 nach der Aufnahme (30. März 2020) wurde er unter Gabe von 2 l Sauerstoff über eine Nasenkanüle auf eine COVID-Station verlegt. Bedauerlicherweise entwickelte er in der folgenden Nacht (31. März 2020) eine rezidivierende akute hypoxämische respiratorische Insuffizienz und bei der Reintubation und bronchoalveolären Lavage (BAL) wurde ein großer Schleimpfropf im linken Hauptbronchus festgestellt. Es fand sich eine Leukozytose und die BAL ergab Gram-positive Kokken, was auf eine neu aufgetretene beatmungsassoziierte Pneumonie (ventilator-associated pneumonia, VAP) schließen ließ. Der PCR-Test auf SARS-CoV-2 fiel weiterhin positiv aus, doch wurde vermutet, dass die klinische Verschlechterung ursächlich auf die VAP und nicht auf COVID-19 zurückzuführen war. Zwei Tage später, an Tag 17 nach der Aufnahme (2. April 2020), wurde er extubiert und mit High-Flow-Nasenkanüle auf die Station verlegt. Nach drei Tagen wurde er vom Sauerstoff entwöhnt und am 14. April 2020 (Tag 28) in eine stationäre Akutrehabilitation verlegt. Bei der Entlassung erfolgte eine Umstellung der Therapie von Ibrutinib 560 mg auf die vorherige Dosierung von 420 mg. Nach zweiwöchiger Rehabilitationsbehandlung wurde der Patient nach Hause entlassen und hat seinen vorherigen normalen Gesundheitszustand wiedererlangt.
Diskussion und Literaturübersicht
Der Fall dieses Patienten zeigt, mit welch schwierigen Behandlungsentscheidungen Kliniker und Forscher, die Patienten mit einer malignen Grunderkrankung und COVID-19 behandeln, derzeit auf der ganzen Welt konfrontiert sind. Seit Beginn der Pandemie sind etliche Artikel über CLL und COVID-19 veröffentlicht worden. Koffman et al. befragten 62 CLL-Spezialisten und stellten fest, dass nur 44 % der Experten eine uneingeschränkte Fortsetzung der Behandlung von COVID-19-Patienten im ambulanten Bereich befürworteten und lediglich 32,5 % bei stationären, nicht intensivpflichtigen Patienten [7]. Mato et al. stellten fest, dass CLL-Patienten, die BTK-Inhibitoren erhielten und eine diagnostizierte COVID-19-Erkrankung hatten, eine ähnliche Überlebensrate (34 %) aufwiesen wie Patienten, die nicht mit BTK-Inhibitoren behandelt wurden (35 %); allerdings war bei 79 % der Patienten die BTK-Inhibitor-Therapie zum Diagnosezeitpunkt der symptomatischen COVID-19-Erkrankung unterbrochen worden [8]. Grund für die Entscheidung, die Therapie abzubrechen, waren in den meisten Fällen Bedenken hinsichtlich des erhöhten Infektionsrisikos bei Anwendung von BTK-Inhibitoren. Dagegen war die Hospitalisierungsrate wegen schwerer COVID-19-Infektionen bei CLL-Patienten, die vor der Diagnose mit Ibrutinib behandelt wurden, signifikant niedriger als bei Patienten, die andere gegen CLL gerichtete Therapien oder keine Therapie erhielten [9].
Unsere Argumentation, die Ibrutinib-Therapie bei diesem Patienten fortzusetzen, basierte auf Daten, die dafür sprachen, dass es durch die Hemmung der IL-2-induzierbaren Kinase (ITK) zu einem Rückgang der Virusreplikation kommen könnte und dass die BTK-Hemmung möglicherweise die akute Lungenschädigung verringert. Ein wesentliches Charakteristikum von Patienten mit schwerer, progredienter COVID-19-Infektion scheint ein Zytokinsturm zu sein, der eine Reihe von Komplikationen nach sich zieht, einschließlich Lungenschädigung, disseminierte intravasale Koagulopathie (disseminated intravascular coagulation, DIC) und myokardiale Komplikationen. Autopsieproben von SARS-CoV-1-Patienten ergaben, dass Angiotensin Converting Enzyme 2 (ACE2)-positive Zellen, ähnlich wie bei COVID-19-Infektionen, eine erhöhte Expression von Tumor-Nekrose-Faktor (TNF)-α, IL-1β, IL-6, C-X-C motif Chemokin-Ligand (CXCL)10 oder Interferon-γ-inducible Protein of 10 kDa (CXCL10/IP10) sowie Monozyten-Chemoattractant-Protein-1 (MCP-1) aufwiesen, die in einem kausalen Zusammenhang mit der beobachteten akuten Lungenschädigung und Pathogenese zu stehen schienen [10]. Daher kann eine selektive Immunsuppression unter Umständen diese Reaktion modulieren und das Outcome verbessern.
Roschewski et al. berichteten über 19 COVID-19-Patienten, die Acalabrutinib, einen anderen BTK-Inhibitor, als Off-label-Anwendung erhielten [11]. Sie stellten fest, dass insgesamt 10 der 19 Patienten, die stationär aufgenommen worden waren und eine Sauerstoffgabe oder Intubation benötigten, erfolgreich unter Raumluftatmung entlassen wurden. Bei diesen Patienten war es ähnlich wie bei unserem Patienten nach Behandlungsbeginn mit Acalabrutinib zu einem Anstieg der Lymphozytenzahl gekommen. Allerdings hatten diese Patienten zuvor keine BTK-Inhibitoren erhalten und sie hatten keine maligne hämatologische Grunderkrankung.
Die BTK-Inhibition verringert die Lungenschädigung. Neben der Expression auf B-Zellen wird BTK auch in myeloischen Immunzellen einschließlich Makrophagen, Monozyten und Neutrophilen exprimiert [12]. In diesen Zellen bindet und aktiviert BTK den Toll-like-Rezeptor 4 (TLR4)-Signalweg [13, 14], wodurch es zu einer Induktion von proinflammatorischen Zytokinen über den NFkB-Signalweg kommt [15]. Die Stummschaltung von BTK durch intratracheale Verabreichung von BTK-siRNA führte zu einer Unterdrückung der NFkB-, p38 MARK- und iNOS-Signalwege, was im murinen Sepsis-Modell einen Schutz vor akuter Lungenschädigung (acute lung injury, ALI) und akutem Lungenversagen (acute respiratory distress syndrome, ARDS) bewirkte [16]. Bei Mäusen, die BTK-siRNA erhielten, waren 12 Stunden nach Induktion einer bakteriellen Sepsis weniger interstitielle Lungenödeme und entzündliche Zellinfiltrate zu beobachten. Isolierte Alveolarmakrophagen zeigten eine verminderte Sekretion von TNF-α-, IL-1β- und IL-6, wenn sie durch Lipopolysaccharide (LPS), einen aus Bakterien stammenden TLR4-Agonisten, stimuliert wurden. Ebenso wiesen Krupa et al. nach, dass die BTK-Blockade in alveolären Neutrophilen das Lungenödem, die Verdickung der Alveolarsepten und die entzündliche Infiltration gegenüber unbehandelten Mäusen im ALI-Modell verringerte [17]. Ferner wurde gezeigt, dass die BTK-Inhibition durch Ibrutinib die Entzündungsreaktion der myeloischen Zellen bei einer durch Pneumokokkenpneumonie induzierten ALI vermindert [18].
Darüber hinaus bewahrte die Inhibition von BTK durch Ibrutinib Mäuse vor einer tödlichen Influenza-induzierten ALI [19]. In einem Modell zur Influenza-A-Virus-assoziierten Lungenschädigung starben alle mit Kochsalzlösung behandelten Mäuse oder sie verloren mehr als 30 % ihres Körpergewichts, wohingegen die mit Ibrutinib behandelten Mäuse an Tag 4 den Tiefstwert ihres Gewichtsverlusts hatten und bis Tag 8 bis 9 wieder den Normalzustand erreichten. Bei den mit Ibrutinib behandelten Mäusen waren in der histologischen Untersuchung eine geringere Rekrutierung von Entzündungszellen und in den CT-Aufnahmen weniger Milchgalstrübungen nachweisbar. Diese Mäuse zeigten außerdem eine geringere Gesamteiweißkonzentration und Leukozytenzahl in der bronchoalveolären Lavageflüssigkeit. Insgesamt stützen die vorliegenden Ergebnisse die Auffassung, nach der die BTK-Inhibition ein neuer medikamentöser Angriffspunkt für das viral induzierte ARDS sein könnte.
Die ITK-Inhibition verringert die Virusreplikation. Eine ITK-Aktivierung führt zu T-Zell-Aktivierung, Zytokinfreisetzung und rascher Proliferation [20]. Die T-Zell-vermittelte Immunität spielt eine Rolle bei der Clearance von viralen Infektionen [21]. Nach einer Influenza-Infektion kommt es zu einer Hochregulation von ITK auf den T-Zell-Membranen. Bedeutsam ist dabei, dass es durch shRNA, die ITK angreift und herunterreguliert, zu einer Hemmung der Influenzavirus-Replikation in infizierten T-Zellen kommt. Ibrutinib ist ein irreversibler ITK-Inhibitor, der zudem die Entwicklung der Th2-Immunität hemmt, wohingegen die CD4-Th1-Zellen und CD8-T-Zellen aufgrund anderer redundanter Tyrosinkinasen größtenteils aktiv bleiben [22]. Bei CLL-Patienten, wie unserem oben beschriebenen Patienten, kann Ibrutinib die Interferon-γ-Produktion von Th1-Zellen aufrechterhalten, allerdings in Verbindung mit einer Reduktion der IL-4 sezernierenden Th2-T-Zellen im peripheren Blut. Zudem war Ibrutinib in der Lage, die antigenspezifische CD8-T-Zellantwort in einem immunsuppressiven Mausmodell der Leukämie (EuTCL1) zu bewahren. Die CD8-T-Zellen von CLL-Patienten, die eine Ibrutinib-Dauertherapie erhielten, wiesen eine geringere PD1-Expression auf und waren deshalb aktiver [23]. Ferner erreichten bis zu 74 % der CLL-Patienten unter Ibrutinib nach einer Influenza-Impfung seroprotektive Antikörpertiter [24]. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass die ITK-Blockade mit Ibrutinib die Virusreplikation reduzieren und gleichzeitig die wichtige Th1-Immunität erhalten kann, was durch synergistische Effekte zur Eliminierung des Virus führt.
Ibrutinib greift auch andere Kinasen an und trägt so möglicherweise zu besseren Ergebnissen bei Virusinfektionen bei. Die Inhibition von Kinasen der Src-Familie (SFK) blockiert das Zusammenfügen und den Zelleintritt von einzelsträngigen RNA-Virionen. Es ist bekannt, dass Ibrutinib die zur SRC-Kinase-Familie gehörende Hematopoietic Cell Kinase (HCK), die vom Lungengewebe exprimiert wird, hemmt. Das gezielte Angreifen der SFK durch Saracatinib bewirkte eine Hemmung der Replikation des Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERS-CoV) [25]. HCK reguliert ADAM17 [26], das ACE2 spalten kann, so dass SARS-CoV-2 frei wird und an ACE2-Rezeptoren binden kann. Daher ist berechtigterweise davon auszugehen, dass Ibrutinib die Replikation und den Zelleintritt von SARS-CoV-2 durch Hemmung von SFK und HCK verringern kann. Die Aktivierung der HCK in Makrophagen führt zudem zu einer ausgedehnten pulmonalen Entzündung und somit könnte eine Hemmung der HCK die akute Lungenschädigung minimieren [27].
Im Setting einer aktiven Infektion kann Ibrutinib unter Umständen schädliche Effekte haben. Die Sorge, dass Ibrutinib Infektionen verschlimmern könnte, ist berechtigt. Die immunsuppressive Wirkung von Ibrutinib war mit einer erhöhten Inzidenz von invasiven Aspergillosen assoziiert. Dies könnte mit der BTK-Beteiligung an der durch endosomale TLR-9 vermittelten Reaktion auf Aspergillose in Makrophagen zu tun haben, die für die Clearance dieses Pilzes von zentraler Bedeutung ist [28]. Darüber hinaus sind bei Patienten, die Ibrutinib erhalten, vermehrte atypische Pneumocystis-jirovecii-Infektionen zu beobachten, und von manchen wurde die prophylaktische Gabe von Antibiotika empfohlen [29]. Außerdem liegen Hinweise vor, nach denen Ibrutinib eine Bleomycin-assoziierte Lungenfibrose verschlimmern kann [30]. Cubillos-Zapata et al. stellten jedoch fest, dass die Phospho-ERK1/2-Proteinspiegel und die Antigenpräsentation in CD14-positiven Zellen, bei denen es sich überwiegend um Makrophagen handelt, während des ersten Zyklus der Ibrutinib-Therapie bei Stimulation mit bakteriellen Stimuli (LPS) auf normale Werte anstiegen. Diese CD14-positiven Zellen könnten bei CLL-Patienten einen gewissen Schutz vor bakteriellen Infektionen bieten [31].
Schlussfolgerung
Da Ibrutinib BTK, ITK und andere Kinasen und Intermediärprodukte angreift, ist es potenziell in der Lage, die Entzündung zu verringern und eine akute Lungenschädigung oder ein ARDS zu verhindern und die Virusreplikation zu reduzieren. In unserem Fall wurde die Behandlung des Patienten mit Ibrutinib wieder aufgenommen und es kam relativ rasch zu einer Verbesserung der D-Dimer-Werte und der absoluten Lymphozytenzahl. Es ist jedoch zu beachten, dass es wegen der Anwendung von Tocilizumab und anderen Medikamenten schwierig ist, seine augenscheinliche Genesung direkt mit Ibrutinib in Verbindung zu bringen. Zwar ist folgerichtig davon auszugehen, dass BTK-Inhibitoren in der Prävention oder Behandlung von akuten Lungenschädigungen bei COVID-19 wirksam sind, doch sind weitere Studien an Tiermodellen sowie klinische Studien erforderlich, um die optimale Rolle von Ibrutinib bei Patienten mit lebensbedrohlichen Virusinfektionen zu ermitteln.
Interessenkonflikte
Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Lizenzangabe
Lin A. Y., Cuttica M. J., Ison M. G., Gordon L. I. Ibrutinib zur Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie bei respiratorischem Versagen infolge einer schweren COVID-19-Infektion: Fallbericht und Literaturübersicht EJHaem. 20. September 2020:10.1002/jha2.98. doi: 10.1002/jha2.98. Epub ahead of print. PMID: 33043320; PMCID: PMC7537222 Copyright © 2020 The Authors. eJHaem published by British Society for Haematology and John Wiley & Sons Ltd. (Übersetzung; Verfügbarkeit der Daten und Materialien, Beiträge der Autoren, Danksagungen, Finanzielle Unterstützungen, Ethikerklärungen, Abkürzungen und Publisher’s Note gekürzt), lizensiert unter CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).Rechte und Berechtigungen