Die akute myeloische Leukämie (AML) ist eine Erkrankung, die vor allem ältere Menschen betrifft, und die Überlebenschancen nach Versagen von hypomethylierenden Wirkstoffen (hypomethylating agents, HMAs) sind nach wie vor gering. Der BCL-2-Inhibitor Venetoclax hat sich bei AML sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit einer Chemotherapie oder HMAs als wirksam erwiesen. In der vorliegenden Fallserie wurden Patienten mit sekundärer AML (sAML), die für eine intensive Chemotherapie nicht geeignet und refraktär gegenüber HMAs waren, im Rahmen eines Härtefallprogramms in unserem tertiären Krebszentrum in Salzburg mit Venetoclax behandelt. Zwischen April 2017 und September 2018 erhielten sieben Patienten mit sAML eine Behandlung mit Venetoclax. Zwei der sieben Patienten erreichten eine komplette Remission nach Einleitung der Venetoclax-Therapie mit einem progressionsfreien Überleben (progression-free survival, PFS) von 505 Tagen und 352 Tagen, und bei einem weiteren Patienten waren innerhalb von neun Tagen nach Therapiebeginn mit Venetoclax die Blasten vollständig aus dem peripheren Blut verschwunden. Bei den Patienten, die auf Venetoclax ansprachen, wurde eine primäre, gegenüber der vorherigen HMA-Therapie refraktäre Erkrankung nachgewiesen, zwei Patienten wiesen IDH1/IDH2-Mutationen auf und ein Patient hatte eine vorausgegangene myeloproliferative Neoplasie. Bei den Venetoclax-Respondern fand sich eine hohe BCL-2- und/oder BIM-Expression in Myeloblasten, und das Ansprechen war signifikant mit dem Gesamtüberleben assoziiert (Responder: 364 Tage gegenüber Non-Respondern: 24 Tage, p = 0,018). Die Venetoclax-Monotherapie ist sicher und in der Lage, bei älteren Patienten mit sekundärer AML nach Therapieversagen von HMAs ein dauerhaftes Ansprechen zu induzieren.

Die sekundäre akute myeloische Leukämie (sAML), die sich aus einer vorausgegangenen hämatologischen Erkrankung entwickelt, und die therapiebedingte sAML sind Hochrisiko-Untergruppen der AML und mit schlechten klinischen Ergebnissen verbunden [1]. Eine mögliche Therapie für ältere AML-Patienten, darunter auch sAML-Patienten, die für eine intensive Chemotherapie nicht infrage kommen, sind die hypomethylierenden Wirkstoffe (hypomethylating agents, HMAs) Azacitidin und Decitabin [2-5]. Die therapeutischen Optionen nach HMA-Versagen umfassen in der Regel die supportive Therapie (best suppportive care, BSC) oder niedrig dosiertes Cytarabin und mit einem medianen Gesamtüberleben (overall survival, OS) von 3,4 Monaten ist die Prognose auch weiterhin begrenzt [6]. Daher besteht ein hoher klinischer Bedarf an neuen therapeutischen Angriffspunkten. BCL-2 vermittelt das Überleben maligner Zellen, indem es pro-apoptotische Faktoren wie BCL-2-assoziiertes Protein X (BAX) stört und dadurch die Permeabilisierung der mitochondrialen Außenmembran (mitochondrial outer membrane permeabilization, MOMP) und letztlich die Apoptose verhindert [7]. Eine erhöhte BCL-2-Expression hat prognostische Bedeutung und ist mit geringeren Ansprechraten auf eine intensive Chemotherapie und einem kürzeren Überleben bei der AML verbunden [8, 9]. Der selektive orale BCL-2-Inhibitor ABT-199 (Venetoclax) zeigte bei älteren unbehandelten AML-Patienten mit myelodysplastischem Syndrom (MDS) im fortgeschrittenen Stadium, sAML, [10] und rezidivierter/refraktärer Hochrisiko-AML (darunter 54% mit sAML), die für eine intensive Chemotherapie ungeeignet waren, ein vielversprechendes Ansprechen und zwar sowohl bei Anwendung als Monotherapie [11] als auch in Kombination mit niedrig dosiertem Cytarabin [12] oder mit einem HMA [13, 14].

In der vorliegenden Fallserie berichten wir über das klinische Ergebnis und die Biomarkerkorrelate von sieben älteren sAML-Patienten, die nach Versagen einer HMA-Therapie mit Venetoclax behandelt wurden.

Die in die Studie eingeschlossenen Patienten hatten eine diagnostizierte rezidivierte/refraktäre AML gemäß Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation [15] und galten als ungeeignet für eine intensive Induktions-Chemotherapie. Wie bereits berichtet erhielten die Patienten Venetoclax als Monotherapie im Rahmen eines Härtefallprogramms nach Versagen der herkömmlichen Therapien, einschließlich HMAs, mit einem Aufsättigungs-Dosierungsschema und einer Zieldosis von 800mg pro Tag [11]. Alle Patienten unterzeichneten eine schriftliche Einwilligungserklärung für die Off-Label-Anwendung von Venetoclax, und alle Patienten, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung am Leben waren, unterzeichneten eine schriftliche Einwilligungserklärung für die Erhebung ihrer persönlichen Daten. Die Beurteilung des therapeutischen Ansprechens erfolgte anhand der überarbeiteten Kriterien der International Working Group (IWG) [16]. Wie zuvor beschrieben, wurden Primer für die Analyse von Isocitratdehydrogenase (IDH) 1 und 2 Exon 4 sowie die PCR-Bedingungen verwendet [17]. Es erfolgten immmunhistochemische Färbungen von Myeloblasten an vor der Behandlung gewonnenen Knochenmarkaspiraten/-biopsien, die im Rahmen der klinischen Routineversorgung mit einem Bond RXm-System (Leica, Wetzlar) entnommen worden waren, mit primären Antikörpern gegen BCL-2 (M0887, DAKO, Agilent, Santa Clara, CA, USA), BIM (ADI-AAP-330, Enzo Life Sciences, Farmingdale, NY, USA) und MCL-1 (16225-1-AP, Rosemont, IL, USA). Die Objektträger wurden kurz mit Entparaffinierungslösung entparaffiniert und es erfolgte eine Vorbehandlung mit Epitop-Retrieval-Lösung 1 (entsprechend Zitratpuffer pH6) für 50 oder 30 Minuten für MCL-1 bzw. BCL-2 oder mit Epitop-Retrieval-Lösung 2 (entsprechend EDTA-Puffer pH 8) für 30 Minuten für BIM. Die Antikörperbindung wurde mit einem Polymer Refine Detection Kit ohne ein nach dem Primärreagenz zu verwendendes Reagenz nachgewiesen und mithilfe von Diaminobenzidin (DAB) als dunkelbraunes Präzipitat sichtbar gemacht. Für die Gegenfärbung wurde Hämatoxylin verwendet. Als Positivkontrolle diente Gewebe von gesunden menschlichen Tonsillen.

Zwischen April 2017 und September 2018 erhielten 7 Patienten mit rezidivierter/refraktärer AML in unserem tertiären Krebszentrum in Salzburg Venetoclax nach Versagen einer HMA-Therapie. Zum Zeitpunkt des Daten-Cut-offs (19.10.2018) hatten alle 7 Patienten die Behandlung mit Venetoclax aufgrund einer Krankheitsprogression abgebrochen und 6 Patienten waren verstorben. Die Patientenmerkmale bei Studienbeginn (Baseline) sind in Table 1 zusammengefasst.

Table 1

Patientencharakteristika und Biomarkerkorrelate von sieben Patienten mit sekundärer AML, die mit Venetoclax behandelt wurden

Patientencharakteristika und Biomarkerkorrelate von sieben Patienten mit sekundärer AML, die mit Venetoclax behandelt wurden
Patientencharakteristika und Biomarkerkorrelate von sieben Patienten mit sekundärer AML, die mit Venetoclax behandelt wurden

Das Alter bei Erstdiagnose der AML betrug im Median 74 Jahre mit einer Spanne von 65 bis 82 Jahren. Bei allen 7 Patienten war eine sekundäre AML diagnostiziert worden: 4 Patienten hatten ein vorausgegangenes myelodysplastisches Syndrom (MDS), 2 Patienten entwickelten eine leukämische Transformation bei zugrundeliegender chronischer myeloproliferativer Neoplasie und ein Patient litt an einer vorausgegangenen chronischen myelomonozytären Leukämie. Alle Patienten waren bei Behandlungsbeginn mit Venetoclax refraktär gegenüber HMAs und das progressionsfreie Überleben (progression-free survival, PFS) unter der vorherigen Hypomethylierungstherapie lag im Median bei 222 Tagen (Spanne: 12 bis 325 Tage). Das mediane Gesamtüberleben ab Behandlungsbeginn mit Venetoclax betrug 55 Tage (Spanne: 15 bis 549 Tage, Abbildung 1A). Ein Patient mit vorausgegangenem MDS und ein Patient mit vorausgegangener myeloproliferativer Neoplasie erreichten eine komplette Remission mit einem PFS von 505 bzw. 352 Tagen. Zwar war die Zahl der in diese retrospektive Analyse eingeschlossenen Patienten begrenzt, doch hielt das beobachtete Ansprechen unter Venetoclax-Monotherapie bei Patienten mit vorbehandelter sAML im Vergleich zu früheren Studien außergewöhnlich lange an [11]. Ein dritter Patient profitierte von der antileukämischen Wirkung der Venetoclax-Therapie, da bei ihm innerhalb von 9 Tagen nach Therapiebeginn mit Venetoclax die Blasten vollständig aus dem peripheren Blut verschwunden waren; er erfüllte jedoch nicht die von der IWG definierten Ansprechkriterien, da keine Knochenmarkuntersuchung durchgeführt wurde. Bei den 4 Non-Respondern kam es rasch zu einer nachgewiesenen Krankheitsprogression (≤ 35 Tage nach Behandlungsbeginn mit Venetoclax). Die Venetoclax-Responder zeigten eine hohe BCL-2- und/oder BIM-Expression (Abb. 1B), und das Ansprechen war mit einem überlegenen medianen Gesamtüberleben assoziiert (Responder: 364 Tage gegenüber Non-Respondern: 24 Tage, p=0,018, Abb. 1C). Eine hohe Expression von BCL-2 kann ein Hinweis auf eine so genannte BCL-2-Abhängigkeit sein, das heißt, eine Situation, in der Zellen, die hohe Konzentrationen von BH3-only-Proteinen exprimieren, nur durch eine Überexpression von BCL-2 überleben können. Derartige Zellen können sich in der Nähe einer Schwelle befinden, die sich durch Venetoclax wirksam überwinden lässt [18]. Andererseits kann eine hohe Expression eines pan-BCL-2-inhibitorischen BH3-only-Proteins wie BIM auch auf ein therapeutisches Fenster von Venetoclax hinweisen, da seine Verdrängung die MCL-1-abhängige protektive Wirkung überwinden kann. Zwei von drei Venetoclax-Respondern wiesen IDH1- oder IDH2-Mutationen auf, von denen man weiß, dass sie die mitochondriale Schwelle für die Initiierung der Apoptose unter Venetoclax-Therapie senken [19] und so die Ansprechraten erhöhen [11]. Dies könnte mit Veränderungen in der BCL-2-Familie zu tun haben, doch war kein einheitliches Veränderungsmuster in der BCL-2-Familie erkennbar. Interessanterweise fiel das mediane OS nach Therapiebeginn mit Venetoclax bei Patienten mit primärer HMA-refraktärer Erkrankung gegenüber den HMA-Respondern signifikant länger aus (126 Tage vs. 15 Tage; p=0,018). In früheren Studien zu AML wurden Patienten mit einer Leukozytenzahl von mehr als 25G/l von der Behandlung mit Venetoclax ausgeschlossen [11, 14, 20]. Trotz Baseline-Leukozytenzahlen von bis zu 269G/l (Spanne: 0,7 bis 269G/l) bei Behandlungsbeginn mit Venetoclax beobachteten wir kein Tumorlysesyndrom.

Fig. 1

Gesamtüberleben ab Therapiebeginn mit Venetoclax von 7 Patienten mit sekundärer AML, die gegenüber hypomethylierenden Wirkstoffen refraktär waren (A), immunhistochemische Untersuchung auf BCL-2, BIM und MCL-1 an Myeloblasten (B) und Gesamtüberleben ab Therapiebeginn mit Venetoclax gemäß dem Ansprechen auf die Venetoclax-Therapie (C). A: Die Markierungen auf den Kurven repräsentieren zensierte Patienten. B-, BCL-2-, BIM- und MCL-1-Expression auf Myeloblasten in Knochenmarkbiopsien/-aspiraten, die vor der Behandlung gewonnen wurden. C: Responder schlossen Patient Nr. 8623 (CR), Nr. 17397 (CR) und Nr. 24231 (rasches Verschwinden der Blasten aus dem peripheren Blut) ein. Die Markierungen auf den Kurven repräsentieren zensierte Patienten.

Fig. 1

Gesamtüberleben ab Therapiebeginn mit Venetoclax von 7 Patienten mit sekundärer AML, die gegenüber hypomethylierenden Wirkstoffen refraktär waren (A), immunhistochemische Untersuchung auf BCL-2, BIM und MCL-1 an Myeloblasten (B) und Gesamtüberleben ab Therapiebeginn mit Venetoclax gemäß dem Ansprechen auf die Venetoclax-Therapie (C). A: Die Markierungen auf den Kurven repräsentieren zensierte Patienten. B-, BCL-2-, BIM- und MCL-1-Expression auf Myeloblasten in Knochenmarkbiopsien/-aspiraten, die vor der Behandlung gewonnen wurden. C: Responder schlossen Patient Nr. 8623 (CR), Nr. 17397 (CR) und Nr. 24231 (rasches Verschwinden der Blasten aus dem peripheren Blut) ein. Die Markierungen auf den Kurven repräsentieren zensierte Patienten.

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Insgesamt hat sich die Venetoclax-Monotherapie bei älteren sAML-Patienten nach Versagen einer HMA-Therapie, darunter auch ein Patient mit vorausgegangener myeloproliferativer Neoplasie, als wirksam erwiesen. Das Ansprechen war innerhalb von 4 bis 6 Wochen klinisch erkennbar, was für eine kurzen Versuch mit Venetoclax bei Patienten ohne therapeutische Standardoptionen spricht. Möglicherweise ist eine hohe BCL-2- und/oder BIM-Expression bei Baseline kennzeichnend für Patienten, die auf die Behandlung mit Venetoclax ansprechen. Diese Ergebnisse sollten in zukünftigen klinischen Studien validiert werden.

Florian Huemer: Keine; Thomas Melchardt: Honorare (Abbvie); Bettina Jansko: Keine; Adam Wahida: Keine; Stefanie Jilg: Keine; Philipp J. Jost: Forschungsfördermittel (Abbvie); Eckhard Klieser: Keine; Katja Steiger: Keine; Teresa Magnes: Keine, Lisa Pleyer: Beratertätigkeit (Celgene), Honorare (Celgene), Reisekostenzuschüsse (Celgene); Sigrun Greil-Ressler: Keine; Christof Rass: Keine; Richard Greil: Honorare (Celgene), Beratertätigkeit (Celgene, Abbvie), Forschungsfördermittel (Celgene), Reisekostenzuschüsse (Janssen); Alexander Egle: Honorare (Abbvie), Beratertätigkeit (Abbvie, Celgene, Janssen), Reisekostenzuschüsse (Abbvie).

F. H.: Datenerhebung und -interpretation, Erstellung des Manuskripts. Th. M.: Datenerhebung und -interpretation, Erstellung des Manuskripts. B. J.: Durchführung der IDH-Mutationsanalysen. A. W.: Durchführung der immunhistochemischen Analyse und Interpretation. S. J.: Durchführung der immunhistochemischen Analyse und Interpretation. P. J.: Interpretation der Daten und Bearbeitung des Manuskripts. K. S.: Technische Unterstützung und Beratung bei der Färbung von primären humanen Proben mittels Immunhistochemie und Interpretation der Daten. E. K.: Durchführung der immunhistochemischen Analysen der Knochenmarkbiopsien. T. M.: Interpretation der Daten und Bearbeitung des Manuskripts. L. P.: Interpretation der Daten und Bearbeitung des Manuskripts. S. G.-R.: Interpretation der Daten und Bearbeitung des Manuskripts. C. R.: Interpretation der Daten und Bearbeitung des Manuskripts. R. G.: Interpretation der Daten, Bearbeitung des Manuskripts und Beaufsichtigung dieser Arbeit. A. E.: konzipierte den Bericht zu dieser Fallserie einschließlich der retrospektiven Molekularanalysen, interpretierte die Daten, bearbeitete das Manuskript und beaufsichtigte diese Arbeit. Alle Autoren haben die finale Fassung des Manuskripts gelesen und freigegeben. Alle Koautoren gaben kontinuierlich inhaltliche Hinweise, überprüften wiederholt das Manuskript und gaben die finale Genehmigung für die Einreichung.

Die Literatur ist als Supplemental Material unter www.karger.com/?DOI=

508214 abrufbar.

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