Zusammenfassung
Das kleinzellige Lungenkarzinom (small-cell lung cancer, SCLC) reagiert sehr empfindlich auf eine platinbasierte Chemotherapie. Bei Patienten, die bei der Erstdiagnose einen schlechten Performance-Status (PS) aufweisen, ist die Indikation jedoch umstritten. In der vorliegenden Arbeit überprüften wir retrospektiv alle klinischen Verläufe von Patienten mit histopathologisch gesichertem SCLC und schlechtem Performance-Status, das heißt PS 3 und 4 gemäß Eastern Cooperative Oncology Group. Von 18 Patienten erhielten 12 eine Chemotherapie und 6 lediglich eine supportive Therapie. Unter den Chemotherapie-Zyklen kam es bei 7 Patienten (58,3%, einschließlich der PS-4-Fälle) zu einer Verbesserung des Performance-Status, bei 2 Patienten (16,7%) blieb er stabil und bei 3 Patienten (25%) verschlechterte er sich. Darüber hinaus zeigten 5 Patienten ein partielles Ansprechen auf die Chemotherapie (Ansprechrate von 41,7%). Zehn (10) Patienten (83,3%) entwickelten eine Neutropenie Grad 3 bis 4 und bei 5 Patienten (41,7%) trat eine febrile Neutropenie Grad 3 auf; eine nicht-hämatologische Toxizität Grad 4 wurde nicht festgestellt. Ein 77-jähriger männlicher Patient mit PS 3 verstarb infolge einer behandlungsbedingten Lungentoxizität (Grad 5). Es zeigte sich kein wesentlicher Unterschied in der Überlebensdauer zwischen Patienten mit PS 3 und PS 4, selbst dann nicht, wenn Patienten, die lediglich eine supportive Therapie erhalten hatten, in die Analyse einbezogen wurden. Die Behandlung hatte einen positiven Effekt auf das Überleben: Nach der Chemotherapie lag die 6-Monats-Überlebensrate der Patienten mit PS 3 und 4 bei 66,7%. Demgegenüber starben alle Patienten, die nur eine supportive Therapie erhalten hatten, innerhalb von 5 Monaten. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass eine Chemotherapie nicht nur bei ausgewählten SCLC-Patienten mit PS 3, sondern auch solchen mit PS 4 indiziert ist.
Einleitung
Das kleinzellige Lungenkarzinom (small-cell lung cancer, SCLC) macht etwa 13% aller Lungenkrebsfälle in Japan aus, wobei die Inzidenz jedoch allmählich abnimmt [1]. Da es sich schnell in andere Körperregionen ausbreitet, weisen mehr als 60% der neu diagnostizierten SCLC-Patienten bereits ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium (extensive disease) auf [2]. Diese Patienten haben zudem eine sehr schlechte Prognose, mit einer medianen Überlebensdauer von nur 1 bis 2 Monaten unter alleiniger supportiver Versorgung [3].
Nachdem sich in den 1960er Jahren in einer randomisierten Studie ein signifikanter Überlebensvorteil unter der Cyclophosphamid-Monotherapie gezeigt hat [4], wird die Chemotherapie allgemein zur Behandlung von SCLC-Patienten mit gutem Allgemeinzustand eingesetzt. Zwar reagiert das kleinzellige Lungenkarzinom sehr empfindlich auf eine platinbasierte Chemotherapie, doch ist die Indikation bei Patienten, die bei der Erstdiagnose einen schlechten Performance-Status (PS) von 3 und 4 gemäß Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG) aufweisen, wegen des hohen behandlungsbedingten Mortalitätsrisikos solcher Patienten weiter umstritten [5,6].
Es liegt nur eine randomisierte Studie vor, die die platinbasierte Chemotherapie zur Behandlung von SCLC mit ungünstigem Risikoprofil bei PS 3-Patienten <70 Jahre und Patienten mit PS 0 bis 2 (guter PS gemäß ECOG) ≥70 Jahre untersuchte. Eine im Rahmen der Studie durchgeführte Subgruppenanalyse ergab eine mediane Gesamtüberlebensdauer von 7,1 Monaten bei den Patienten mit PS 3, die Carboplatin und Etoposid erhalten hatten, und 6,9 Monaten bei den mit Cisplatin und Etoposid behandelten Patienten; unter keiner der beiden Behandlungen kam es zu einem toxizitätsbedingten Todesfall [7]. Gemäß den Ergebnissen einer retrospektiven Fallserie lag die objektive Ansprechrate auf die Kombinationstherapie mit Platin und Etoposid bei 67% und die mediane Gesamtüberlebensdauer von Patienten mit PS 3 betrug 2,1 Monate, was 20% bzw. 7 Tagen bei Patienten mit PS 4 entsprach. Ferner starben 20% der PS-3-Patienten und 60% der PS-4-Patienten kurz nach dem ersten Chemotherapiezyklus [8]. In einer anderen Fallserie zur Wirkung der Chemotherapie bei SCLC mit ungünstigem Risikoprofil betrugen die objektive Ansprechrate und die mediane Gesamtüberlebensdauer bei Patienten mit PS 3 75% bzw. 8,4 Monate, gegenüber 40% bzw. 4,8 Monaten bei Patienten mit PS 4 [9]. Jeweils ein Patient aus jeder PS-Gruppe starb infolge einer chemotherapiebedingten Toxizität [9]. Alle diese Studien zeigen abweichende Ergebnisse, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass Patienten in klinischen Studien und in der klinischen Praxis unterschiedliche Charakteristika aufweisen. Dieser Punkt ist unbedingt zu berücksichtigen, um für diese stark beeinträchtigten Patienten eine klinische Standardtherapie zu erreichen. Hinzu kommt, dass nur Patienten, die eine Chemotherapie erhielten, in diese Studien eingeschlossen wurde, doch kommt im klinischen Setting auch eine bestmögliche supportive Therapie als Behandlungsalternative in Betracht.
Daher sollte mit der vorliegenden retrospektiven Fallserie vor allem der klinische Verlauf bei SCLC-Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung und schlechtem Performance-Status bei der Erstdiagnose untersucht werden, um die optimalen therapeutischen Optionen zu ermitteln.
Patienten und Methoden
Es erfolgte eine retrospektive Überprüfung der klinischen Daten von 18 Patienten mit histopathologisch gesichertem SCLC und schlechtem Performance-Status (PS 3 und 4 gemäß ECOG), die zwischen April 2000 und Mai 2017 im University of Tsukuba Hospital behandelt worden waren.
Folgende Daten wurden den Patientenakten unserer Klinik entnommen: Anamnese, körperlicher Untersuchungsbefund bei der Aufnahme, histopathologische Diagnose, Laborwerte und radiologische Befunde, Behandlungsschema und entsprechende unerwünschte Ereignisse/Toxizität, Änderung des ECOG-PS-Grades (vor und während der Chemotherapie) und der klinische Verlauf des Patienten.
Außerdem wurde das Ansprechen des Tumors auf die Therapie gemäß den Ansprechkriterien der Weltgesundheitsorganisation beurteilt [10]. Behandlungstoxizitäten wurden entsprechend den Common Terminology Criteria for Adverse Events Version 4.0 bewertet. Die Gesamtüberlebensdauer wurde aus dem Zeitraum von der histopathologischen Diagnose bis zum Tod oder der letzten Nachbeobachtung des Patienten ermittelt.
Für die statistischen Analysen wurde das Statistikpaket für die Sozialwissenschaften Softwareversion 25.0 verwendet. Die Überlebenskurven wurden mit der Kaplan-Meier-Methode geschätzt und mit dem Log-Rank-Test verglichen.
Ergebnisse
Patienten-Charakteristika
Von 142 Patienten, bei denen in unserem Krankenhaus durch zytologische oder histologische Untersuchung ein kleinzelliges Lungenkarzinom diagnostiziert worden war, hatten 12 einen PS 3 und 6 einen PS 4 bei der Erstdiagnose. In Table 1 sind die Charakteristika der in die Studie eingeschlossenen Patienten zusammengefasst. Insgesamt wurden 14 Männer und 4 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 73 Jahren in die Studie aufgenommen. Hinsichtlich Alter, Geschlecht oder tumorbezogenen Faktoren bestanden keine großen Unterschiede zwischen den Patienten mit PS 3 und PS 4.
Behandlung
Zwölf Patienten mit PS 3 und PS 4 erhielten eine Chemotherapie und 6 Patienten lediglich die bestmögliche supportive Therapie (Table 1). Bei 2 Patienten mit PS 3 wurde aufgrund schwerer Komorbiditäten und einer psychischen Erkrankung keine Chemotherapie durchgeführt. Elf der 12 Patienten erhielten als Chemotherapie-Schema eine Kombination von Carboplatin und Etoposid. Von diesen erhielten 7 die Standarddosis von Carboplatin AUC (Fläche unter der Kurve, area under the curve) 5 intravenös an Tag 1 und Etoposid 80-100 mg/m2 intravenös an Tag 1-3. Bei den anderen 4 Patienten wurden die Dosierungen von Carboplatin und Etoposid auf AUC 4 bzw. 50-80 mg/m2 gesenkt. Ein Patient wurde nur mit Carboplatin AUC 5 behandelt, da er eine hohe Gesamtbilirubinkonzentration im Serum von >5mg/dl und Lebermetastasen hatte. Die Anzahl der Chemotherapie-Zyklen, die die Patienten als Erstlinien-Chemotherapie erhielten, betrug zwischen 1 und 4 (50% der Patienten erhielten 4 Zyklen; 8,3% erhielten 3; 8,3% erhielten 2 und 33,3% erhielten einen Zyklus). Bei 5 Patienten wurde eine Zweitlinientherapie durchgeführt.
Vier Patienten erhielten vor der Chemotherapie eine Ganzhirnbestrahlung und bei einem Patienten erfolgte eine stereotaktische Bestrahlung wegen Hirnmetastasen. Darüber hinaus wurde bei einem Patienten eine palliative Bestrahlung des Thorax mit 30,6 Gy in 17 Fraktionen durchgeführt.
Verbesserung des Performance-Status
Bei 7 Patienten (58,3%) verbesserte sich der Performance-Status unter der Chemotherapie, darunter auch die beiden Patienten mit PS 4 (Table 1): Bei einem Patienten kam es zu einer Verbesserung auf PS 2 und bei dem anderen Patienten auf PS 1. Daneben blieb der Performance-Status bei 2 Patienten (16,7%) unverändert, wohingegen er sich bei 3 Patienten (25%) verschlechterte (Abb. 1).
Variation des Perforance-Status (PS) während der Chemotherapie-Kurse. Als Ergebnis der Behandlung verbesserte sich der PS bei 7 (58,3%), blieb bei 2 (16,7%) stabil und verschlechterte sich bei 3 (25%) Patienten. Durchgehende Linien: Patienten die eine Standard-Chemotherapie erhielten; Gestrichelte Linien: Patienten, die eine Chemotherapie mit verringerter Dosis erhielten; PS wird in die Kategorien 1-4 eingeteilt.
Variation des Perforance-Status (PS) während der Chemotherapie-Kurse. Als Ergebnis der Behandlung verbesserte sich der PS bei 7 (58,3%), blieb bei 2 (16,7%) stabil und verschlechterte sich bei 3 (25%) Patienten. Durchgehende Linien: Patienten die eine Standard-Chemotherapie erhielten; Gestrichelte Linien: Patienten, die eine Chemotherapie mit verringerter Dosis erhielten; PS wird in die Kategorien 1-4 eingeteilt.
Toxizität
Zehn Patienten (83%) entwickelten eine Neutropenie Grad 3 bis 4 und bei 5 Patienten (42%) trat eine febrile Neutropenie Grad 3 auf (Table 2). Ein 77-jähriger männlicher Patient mit PS 3 verstarb infolge einer behandlungsbedingten Lungentoxizität (Grad 5). Innerhalb der ersten 4 Behandlungswochen kam es zu 3 vorzeitigen Todesfällen. Diese Patienten hatten alle nur eine supportive Therapie erhalten und verstarben an fortgeschrittenem Lungenkrebs.
Objektives Ansprechen und Gesamtüberleben
Bei Einbeziehung aller 18 untersuchten Patienten betrugen das mediane Gesamtüberleben und die 6-Monats-Überlebensrate 4,9 Monate bzw. 47,9%. Das Gesamtüberleben der Patienten mit PS 4 fiel ähnlich aus wie bei Patienten mit PS 3; die 6-Monats-Überlebensrate lag in beiden Gruppen bei 50% (p=0,31 gemäß Log-Rank-Test, Abb. 2).
Gesamtüberleben der Patienten nach dem Leistungsstatus (PS). Durchgehende Linie: Patienten mit PS 3 (n=12); Gestrichelte Linie: Patienten mit PS 4 (n=6).
Gesamtüberleben der Patienten nach dem Leistungsstatus (PS). Durchgehende Linie: Patienten mit PS 3 (n=12); Gestrichelte Linie: Patienten mit PS 4 (n=6).
Unter der Chemotherapie traten fünf Teilremissionen auf (objektive Ansprechrate von 41,7%), bei 3 Patienten war die Erkrankung stabil (25%) und in 4 Fällen kam es zu einer Krankheitsprogression (33,3%). Die Behandlung hatte signifikante Auswirkungen auf das Überleben: Die 6-Monats-Überlebensrate betrug bei den mit Chemotherapie behandelten Patienten 66,7%, wohingegen alle Patienten, die nur eine supportive Therapie erhalten hatten, innerhalb der ersten 5 Monate starben (p=0,037 gemäß Log-Rank-Test, Abb. 3).
Gesamtüberleben der Patienten nach Behandlungsart. Durchgehende Linie: Patienten, die mit Chemotherapie behandelt wurden (n=12); gestrichelte Linie: Patienten, die nur mit unterstützender Behandlung behandelt wurden (n=6).
Gesamtüberleben der Patienten nach Behandlungsart. Durchgehende Linie: Patienten, die mit Chemotherapie behandelt wurden (n=12); gestrichelte Linie: Patienten, die nur mit unterstützender Behandlung behandelt wurden (n=6).
Diskussion
Die Wahl der besten therapeutischen Option ist bei SCLC-Patienten mit schlechtem Performance-Status schwierig, da die Chemotherapie bisweilen mit einer zu starken Toxizität verbunden ist, um Patienten in einem derart schlechten Allgemeinzustand verabreicht zu werden. In der vorliegenden Studie verstarb ein 77-jähriger Patient mit PS 3 infolge der Chemotherapie, was auf das fortgeschrittene Alter des Patienten zurückzuführen sein könnte. Zwar wurde die Toxizität von den anderen untersuchten Patienten vertragen (Table 2), doch liegen Berichte vor, nach denen ein schlechter Performance-Status und fortgeschrittenes Alter Faktoren sind, die die toxizitätsbedingte Mortalität von SCLC-Patienten [5] sowie von Patienten mit Brust- und nicht-kleinzelligem Lungenkrebs signifikant beeinflussen [6].
Andererseits kann sich der Allgemeinzustand des Patienten durch eine aktive systemische Chemotherapie auch verbessern. Tatsächlich war in dieser Studie bei 7 von 12 Patienten (58%) eine deutliche Verbesserung des Performance-Status nach der Chemotherapie zu beobachten und dieses Ergebnis ist vergleichbar mit der Ansprechrate auf Carboplatin und Etoposid bei älteren SCLC-Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung, wie sie in einer Phase-III-Studie berichtet wurde [7]. Daher ist berechtigterweise zu erwarten, dass die systemische Chemotherapie bei SCLC-Patienten mit schlechtem Performance-Status zu einer PS-Verbesserung führt.
Die aktuellen japanischen Leitlinien für die Behandlung von Lungenkrebs enthalten separate therapeutische Optionen für SCLC-Patienten mit PS 3 und PS 4 [11]. Danach werden platinhaltige Zweifach-Chemotherapien für Patienten mit PS 3 empfohlen. Allerdings basiert diese Empfehlung auf nur einer Phase-III-Studie mit 18 PS-3-Patienten, in der zudem ältere Patienten >70 Jahre ausgeschlossen waren. Diese Gruppe macht derzeit jedoch etwa die Hälfte der Patienten mit schlechtem Performance-Status aus. Für PS-4-Patienten empfehlen die Leitlinien keine Chemotherapie, da keine unterstützenden Daten vorliegen. In der vorliegenden Arbeit berichten wir jedoch über zwei PS-4-Patienten, bei denen die Kombinations-Chemotherapie mit Carboplatin und Etoposid wirksam war und zu einer signifikanten Verbesserung des Performance-Status führte. Das heißt, sie konnten insgesamt vier Chemotherapie-Zyklen erhalten, ohne dass es zu einer lebensbedrohlichen Toxizität kam. Zwar war die Patientenzahl in unserer Studie begrenzt, doch bestand kein Unterschied im Gesamtüberleben zwischen Patienten mit PS 3 und PS 4, selbst dann nicht, wenn Patienten, die lediglich eine supportive Therapie erhalten hatten, in die Analyse einbezogen wurden. Wichtig ist, dass die amerikanischen Leitlinien zur Behandlung des SCLC Patienten mit PS 3 und 4 nicht gesondert betrachten und eine Chemotherapie für alle empfehlen, wenn der schlechte Performance-Status durch die SCLC-Erkrankung selbst bedingt ist [12,13,14]. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Chemotherapie sowohl bei PS-3- als auch bei PS-4-Patienten mit SCLC indiziert ist, sofern der schlechte Performance-Status nicht durch Komorbiditäten, sondern vor allem durch die SCLC-Erkrankung selbst verursacht wird, da durch die Behandlung eine Verbesserung des Performance-Status zu erwarten ist.
Als Fazit lässt sich sagen, dass eine aggressive systemische Chemotherapie bei etwa 58% der Patienten mit schlechtem Performance-Status zu einer PS-Verbesserung führte, was dafür spricht, dass die Chemotherapie nicht nur bei ausgewählten SCLC-Patienten mit PS 3, sondern auch bei solchen mit PS 4 indiziert ist.
Erklärung zu ethischen Konflikten
Die Studie wurde von der Ethikkommission des University of Tsukuba Hospital genehmigt.
Offenlegung
Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen.