Ein Editorial ist eine gute Gelegenheit, sich kurz vorzustellen: Mein Name ist Marcus Hentrich und ich freue mich, ab Beginn des Jahres 2019 als Herausgeber von KARGER KOMPASS ONKOLOGIE tätig sein zu können. Diese Aufgabe wurde mir von Herrn Prof. Hans-Helge Bartsch übergeben, der die Zeitschrift als Herausgeber über viele Jahre gestaltet und geprägt hat. Ich werde mich bemühen, KARGER KOMPASS ONKOLOGIE als interessantes und abwechslungsreiches Forum für Wissenstransfers von der Forschung in die Praxis weiterzuentwickeln. Es freut mich besonders, gleich als Einstand ein Editorial zum Multiplen Myelom schreiben zu können, dem Thema des aktuellen Heftes. Die Therapie dieser Erkrankung hat sich wie bei nur wenigen hämatologischen Malignomen in den letzten Jahren enorm verändert.
In Deutschland erkranken ca. 6500 Menschen pro Jahr an einem Multiplen Myelom, Männer etwas häufiger als Frauen [1]. Trotz deutlicher Verbesserung der therapeutischen Möglichkeiten in den letzten 10-15 Jahren beträgt die relative 10-Jahres-Überlebensrate, die die Sterblichkeit der Allgemeinbevölkerung berücksichtigt, lediglich ca. 30% und echte Langzeitremissionen werden nur bei einem sehr kleinen Teil der Patienten erreicht.
Vor diesem Hintergrund sind die zahlreichen neuen Substanzen, die in den vergangenen Jahren mit Erfolg geprüft und zugelassen wurden, eine wichtige Bereicherung des therapeutischen Spektrums. In Ergänzung zu Bortezomib und Lenalidomid wird die therapeutische Vielfalt getragen durch Proteasom-Inhibitoren der zweiten Generation (Carfilzomib und Ixazomib), monoklonale, gegen CD38 (Daratumumab) oder SLAMF7 (Elotuzumab) gerichtete Antikörper, dem Drittgenerations-Immunmodulators (IMiD) Pomalidomid oder, mit geringerem Stellenwert, dem Histon-Deacetylase-Inhibitor Panobinostat. Die Substanzen werden in der Regel mit einem Steroid (zumeist Dexamethason) als backbone kombiniert. Klassische Zytostatika wie Cyclophosphamid oder Doxorubicin sind noch Bestandteil einiger Triplett-Kombinationen, ihre Bedeutung geht jedoch zurück.
Primärtherapie
Als Induktionstherapie vor konsolidierender Hochdosischemotherapie (HDCT) mit autologer Stammzelltransplantation (ASCT) wird VCD (Bortezomib, Cyclophosphamid, Dexamethason) in Deutschland häufig eingesetzt, weil es geringe Wirksamkeitsvorteile gegenüber PAD (Bortezomib, Doxorubicin, Dexamethason) und eine deutlich geringere Toxizität als VTD (Bortezomib, Thalidomid, Dexamethason) aufweist [2,3]. Im Rahmen klinischer Studien steht das Erreichen einer negativen bzw. nicht nachweisbaren minimalen Resterkrankung (MRD) im Vordergrund, denn diese ist mit längeren progressionsfreien (PFS) und Gesamtüberlebenszeiten (OS) verbunden [4]. Da die Kombination aus Bortezomib, Lenalidomid und Dexamethason (VRD) im indirekten Studienvergleich gegenüber VCD mit einer höheren Rate an MRD-Negativität verbunden ist, wird VRD in absehbarer Zeit ein neuer Induktionstherapie-Standard werden - aktuell ist das Regime als Induktionstherapie vor ASCT jedoch noch nicht zugelassen. Die Bedeutung einer konsolidierenden HDCT mit ASCT wurde in verschiedenen Phase-III-Studien unterstrichen, in denen die ASCT immer zu einem längeren PFS, zum Teil auch zu verbessertem OS führten [5,6,7]. Eine Tandem-Transplantation ist sinnvoll bei Patienten mit Hochrisikozytogenetik, mit fortgeschrittenem Stadium nach internationalem Staging-System (ISS) oder wenn nach der ersten ASCT keine komplette Remission erreicht wurde [8,9].
Sofern zunächst keine konsolidierende ASCT vorgesehen ist, was nicht internationalem Standard entspricht, führt eine Triplett-Kombination aus Bortezomib, Lenalidonid und Dexamethason (VRd) gegenüber Lenalidomid/Dexamethason (Rd) alleine zu einem Überlebensvorteil, allerdings auf Kosten einer deutlich gesteigerten Neurotoxizität [10]. Bei Patienten, für die eine konsolidierende ASCT nicht infrage kommt, wurden durch Hinzunahme von Daratumumab zu Lenalidomid und Dexamethason oder zu einer Dreier-Induktionstherapie mit Bortezomib, Melphalan und Prednisolon deutlich höhere Remissions- und PFS-Raten erzielt. Beispielsweise blieben durch Hinzugabe von Daratumumab zu Lenalidomid und Dexamethason in der Maia-Studie ca. 70% der Patienten nach gut 3 Jahren rezidivfrei [11]. Auch Elotuzumab wird in der Erstlinientherapie in Kombination mit modernen Tripletts geprüft, Ergebnisse entsprechender Studien liegen jedoch noch nicht vor. Ob die gegenwärtigen Bemühungen einer maximalen Primärtherapie unter Einschluss eines Antikörpers langfristig tatsächlich zu besseren Überlebensraten führen, wird erst in einigen Jahren absehbar sein.
Kontinuierliche versus intermittierende Therapie
Schon vor mehr als 20 Jahren hatte Bart Barlogie eine kontinuierliche Therapie des Multiplen Myeloms propagiert und Ergebnisse konsekutiver Studien zur «total therapy» vorgestellt, die eine stetige Verbesserung der Überlebenszeiten zeigten [12]. International hat sich das Prinzip einer kontinuierlichen Therapie ohne längere Therapiepausen jedoch erst in den letzten Jahren durchgesetzt [13]. Dies liegt maßgeblich daran, dass eine Erhaltungstherapie mit Lenalidomid nach ASCT zu längeren Überlebenszeiten führt [14]. Aktuellen, auf dem ASH 2018 präsentierten Daten zufolge kann das PFS auch durch eine Erhaltungstherapie mit Ixazomib verlängert werden [15]. Bei Patienten ohne ASCT ist es besser, Lenalidonid kontinuierlich und nicht für einen begrenzten Zeitraum von ein oder zwei Jahren zu geben.
Rezidivtherapie
IMiD- oder Proteasom-Inhibitor basierte Triplett-Kombinationen führen gegenüber Doubletten zu höheren Remissionsraten und einem längeren PFS [16]. Alle neuen Substanzen haben sich zunächst bei Patienten mit rezidivierter oder refraktärer Erkrankung durchgesetzt, bevor ihr Stellenwert in der Primärtherapie untersucht wurde. In der Rezidivsituation richtet sich die Wahl der Substanzen nach der vorangegangenen Behandlung, der zu erwartenden Toxizität sowie nach der Komorbidität des Patienten und dessen Präferenzen.
Die Errungenschaften dieser intensiven, meist kontinuierlichen Therapien beruhen auf Ergebnissen großer klinischer Studien, in die selektierte Patienten eingeschlossen wurden. Somit ergibt sich immer wieder die Frage, ob die in klinischen Studien erreichten Ergebnisse auch auf die Behandlungsrealität in der täglichen Praxis übertragbar sind. Dieser wichtigen Frage geht der Artikel von Paul Richardson et al. [17] nach, der in dieser Ausgabe von KARGER KOMPASS ONKOLOGIE in deutscher Übersetzung zu lesen ist. Ein weiterer ins Deutsche übersetzter Fallbericht ruft die Schwierigkeit kieferchirurgischer Interventionen unter Therapie mit Bisphosphonaten in Erinnerung [18]. In dem vorliegenden Fall entwickelte sich interessanterweise nicht nur eine Kieferosteonekrose, sondern auch eine Plasmazellinfiltration im Zahnextraktionsbereich.
Die wichtigsten Therapieschemata beim Multiplen Myelom und Hinweise zum Nebenwirkungsmanagement haben Almuth und Maximilian Merz für Sie in der Rubrik Campus zusammengefasst [19]. Und Eva-Maria Haas beschreibt in einem Wissenstransfer den Stellenwert der Rezidiv-Transplantation bei Patienten mit Multiplem Myelom anhand einer japanische Studie [20].
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.
Ihr Marcus Hentrich