Summary
Die S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom (KRK) in Ihrer letzten Version von 2013 wurde im November 2017 in aktualisierter Form publiziert, um den umfassenden Änderungen in der Therapie, insbesondere des metastasierten Kolorektalen Karzinoms, Rechnung zu tragen. In der neuen S3-Leitlinie beim KRK wurden einige wichtige und relevante Punkte aufgenommen und verbessert. Insbesondere wurden aktuell prognostische und/oder prädiktive Parameter aufgenommen, die sowohl in der Therapie der lokalisierten Stadien (z.B. extramurale venöse Invasion (EMVI) beim Rektumkarzinom) als auch in der metastasierten Situation (RAS (rat sarcoma)/BRAF (B-rat fibrosarcoma)-Mutationsstatus) eine hohe Relevanz haben. Zudem wurden neue Therapieoptionen in molekularen Subgruppen (HER2 (human epidermal growth factor receptor 2)-Amplifikation oder Mikrosatelliteninstabilität) aufgenommen und der Stellenwert von lokalablativen Maßnahmen gestärkt.
Transfer in die Praxis von PD Dr. Alexander Stein (Hamburg)
Im November 2017 wurde das bereits lange erwartete Update der S3-Leitlinine «Kolorektales Karzinom (KRK)» veröffentlicht, in dem insbesondere die Kapitel zur Endoskopie und dem Polypenmanagement, zur adjuvanten und neoadjuvanten Therapie, sowie zur Therapie der metastasierten Stadien überarbeitet wurden. In diesem Kommentar möchte ich die Empfehlungen der aktualisierten Leitlinie von 2017 mit besonderem Augenmerk auf die Therapie der lokalisierten und metastasierten Stadien mit den Empfehlungen der Vorversion von 2013 und der Datenlage vergleichen und kritisch bewerten.
Aktualisiert wurden beim Polypenmanagenment die Empfehlungen zur Nachkontrolle nach einer Koloskopie. Zur Vermeidung von Unter- und Übertherapien empfiehlt die Leitlinie eine Stratifizierung der Patienten anhand von Anzahl, Größe und Histologie der entfernten Gewebeveränderungen und macht dazu konkrete Vorgaben.
Für die Entscheidung hinsichtlich einer adjuvanten Therapie beim Kolonkarzinom im Stadium II (pT3 oder pT4 N0 M0) wurde der Mikrosatellitenstatus als prognostischer Marker aufgenommen. Dies ist grundsätzlich begrüßenswert, allerdings wird in der Empfehlung zum Entscheid über die Durchführung einer adjuvanten Therapie (8.8.) wenig abgestuft das Vorliegen einer Mikrosatelliteninstabilität (MSI) als Entscheidungskriterium gegen eine adjuvante Chemotherapie herangezogen. Eine Diskussion, ob dies auch für die prognostisch deutlich ungünstigeren pT4-Tumoren zutrifft, fehlt leider, obwohl keine belastbaren Daten bezüglich der Interaktionen zwischen MSI und den bekannten klinischen Risikofaktoren vorliegen. Wegen der zeitlichen Überschneidung konnte die Dauer der Oxaliplatin-haltigen Therapie nicht aufgenommen werden. Die Interpretation dieser Daten in der nächsten Leitlinienversion basierend auf den S3-Vorgaben wird sicher interessant, auch wenn dann voraussichtlich weitere Daten vorliegen werden, wahrscheinlich bereits Daten zum Gesamtüberleben.
Begrüßenswert ist im Kapitel neoadjuvante Therapie des Rektumkarzinoms die Abstufung der Indikation für eine neoadjuvante Therapie bei den frühen cT3-Tumoren, so dass nunmehr Patienten mit einem cT3a/b-Tumor mit nur limitierter Infiltration ins perirektale Fettgewebe (bis maximal 5 mm) und ohne Anhalt für extramurale venöse Invasion (EMVI) oder Lymphknotenmetastasierung nicht vorbestrahlt werden müssen (8.16.). Durch diese Schärfung der weiterhin bestehenden Empfehlung zur neoadjuvanten Radio- (5 × 5 Gy) bzw. Radiochemotherapie bei cT3/4- und/oder N+-Rektumkarzinomen des unteren und mittleren Drittels kann einem Teil der Patienten die Strahlentherapie erspart werden. Unglücklich, aber geschuldet den Grundlagen der S3-Leitlinien, fällt die Empfehlung zur adjuvanten Therapie nach neoadjuvanter Radiochemotherapie und Resektion aus. Hier wird weder für noch gegen eine Therapie eine Empfehlung ausgesprochen (8.31.). Auch wenn dies der aktuellen Datenlage entspricht, würde man sich aus einem mehrjährigen Entscheidungsprozess ausgewiesener Experten auf diesem Gebiet eine etwas praxisrelevantere Empfehlung wünschen.
Das Kapitel zum Management von Patienten mit metastasiertem KRK wurde unter Berücksichtigung der Entwicklungen der letzten Jahre komplett überarbeitet. Zur initialen Diagnostik wurde die Bestimmung des RAS- und BRAF-Status aufgenommen (9.4.), die auch zumindest für RAS aus dem Blut mittels zirkulierender Tumor-DNA erfolgen kann (9.5.). Zudem wird auch die Lokalisation des Primärtumors in die Therapieentscheidung bei RAS-Wildtyp-Patienten herangezogen (9.21.) und die Bestimmung des MSI- und HER2-Status, sowie gegebenenfalls die konsekutive Therapie für die späteren Therapielinien erwähnt. Zum besseren Überblick wurde ein Therapiealgorithmus analog der aktuellen ESMO-Empfehlung eingefügt (siehe Abb. 1).
Die Empfehlungen zur perioperativen Therapie bei resektabler Erkrankung wurden ebenfalls überarbeitet und klarer gestaltet. So wurde die Empfehlung für eine primäre Resektion bei guten prognostischen Parametern (9.12.), die allerdings immer interdisziplinär entschieden werden sollte (9.13.), aufgenommen. Bei ungünstigen Prognosefaktoren (synchrone Metastasierung oder kurzes krankheitsfreies Intervall) kann primär eine systemische Therapie erfolgen (9.14.). Diese Empfehlungen sind durchaus praxisrelevant und entsprechen dem aktuellen, auch internationalen Verständnis. Ungewöhnlich ist dennoch die Empfehlung gegen eine neoadjuvante Chemotherapie bei resektablen Lebermetastasen (9.17.), da bei identischer Datenlage 2013 die Leitlinie noch eine neoadjuvante Therapie in begründeten Ausnahmefällen ermöglichte (9.6.). Eine adjuvante/additive Chemotherapie nach Metastasenresektion wird trotz unveränderter Datenlage ebenfalls nicht mehr empfohlen (9.19.). Bei Inoperabilität oder nach vorangegangener Metastasenresektion können verschiedene lokalablative Verfahren eingesetzt werden (9.38.), wie Radiofrequenz- oder Mikrowellenablation (RFA/MWA), stereotaktische Radiotherapie oder selektive interne Radioembolisation (SIRT).
Schlussfolgerung
Einige Empfehlungen der Leitlinie sind durchaus kritisch zu bewerten, da einerseits teilweise eindeutige Empfehlungen auf sehr kontroverser Evidenzlage formuliert werden und andererseits mit Berufung auf die Evidenzlage Empfehlung ohne praktische Relevanz ausgesprochen werden. Die S3-Leitlinie(n) bedürfen kürzerer Aktualisierungszyklen, eindeutigerer Empfehlungen (Adjuvanz beim Rektumkarzinom) und transparenterer Entscheidungsprozesse (unterschiedliche Bewertung der gleichen Evidenz 2013 und 2017 in der perioperativen Therapie von Lebermetastasen).
Disclosure Statement
Hiermit erkläre ich, dass keine Interessenskonflikte in Bezug auf den vorliegenden Wissenstransfer bestehen.