Die Immunthrombozytopenie ist eine seltene Erkrankung. Die Patienten kommen meist mit Petechien und Hämatomen zur Vorstellung, schwere Blutungen sind selten. Daneben klagen viele über eine erhöhte Infektneigung und Erschöpfung (Fatigue). Durch das Labor wird dann eine isolierte Thrombozytopenie bestätigt. Bei allen Patienten muss ein Blutausstrich ärztlich begutachtet werden, wobei die Therapieindikation individuell gestellt und nicht auf die Thrombozytenzahl beschränkt werden sollte. In der Regel gibt man als Erstlinientherapie Kortikosteroide, in der Zweitlinie sind heute Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten etabliert. Eine Splenektomie wird nur noch selten angeboten. Bei vielen Patienten kann ein Anstieg der Thrombozytenzahl und eine dauerhafte Besserung erreicht werden.

Hintergrund

Die Immunthrombozytopenie (ITP) ist eine seltene Erkrankung. In den letzten Jahren wurden neue Wirkstoffe in die Therapie der ITP eingeführt (Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten) und darüber hinaus finden auch zunehmend gesundheitsökonomische Überlegungen Eingang in Leitlinienempfehlungen. Deshalb wurden Anfang 2018 die neuen deutsch-österreichisch-schweizerischen Empfehlungen publiziert [1, 2] und ein Update der amerikanischen Leitlinie wird für den weiteren Verlauf dieses Jahres erwartet.

Neues zur Pathophysiologie

Die Vorstellung, dass bei der ITP Thrombozyten-Autoantikörper den vermehrten Abbau von Thrombozyten induzieren, greift zu kurz. Heute weiß man, dass außerdem ein Ungleichgewicht von T-regulatorischen Lymphozyten eine Rolle dabei spielt, und dass eine einmal angestoßene Autoimmunreaktion gegen die eigenen Thrombozyten nicht wieder supprimiert werden kann. Dazu kommt bei vielen Patienten ein relativer Mangel an Thrombopoetin, sodass die Thrombozytopoese nicht ausreichend gesteigert werden kann, um den vermehrten Abbau zu kompensieren. Deshalb wurden die Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TRA) entwickelt und vor fast 10 Jahren zunächst als Drittlinientherapie in die Therapie eingeführt. Heute sind sie für die Zweitlinie zugelassen (s.u.).

Neues zur Klinik

Viele ITP-Patienten haben Petechien, Schleimhautblutungen, urologische und/oder verstärkte Monatsblutungen. Es gibt jedoch auch Patienten, die gar nicht bluten: bei der neu diagnostizierten ITP 20-30%, bei der chronischen ITP ist der Anteil noch höher. Dazu kommen Symptome, die zunächst nichts mit Blutungen zu tun haben: ITP-Patienten scheinen per se ein höheres Infektionsrisiko zu tragen und zwar unabhängig von immunsuppressiven Therapien oder Splenektomien. Viele Patienten klagen außerdem über Erschöpfungssymptome und Müdigkeit (Fatigue), bis hin zu depressiven Störungen.

Altes zur Labordiagnostik

Die aktuelle Leitlinie verweist noch einmal auf die Notwendigkeit, dass bei jedem Patienten vor der Diagnose ein Blutausstrich durchgeführt und von einem in der Diagnostik von Thrombozytopenien erfahrenen Arzt begutachtet werden muss.

Neues zur Therapieindikation

In der Leitlinie der American Society of Hematology von 1996 hieß es noch, dass man bei < 20 × 109 Thrombozyten/l auf eine Behandlung nicht verzichten dürfe, selbst wenn der Patient keine Therapie wünscht. Heute ist die Indikation zur Behandlung viel individueller gefasst und sollte nicht allein (oder überwiegend) von der Thrombozytenzahl abhängig gemacht werden. Der traditionelle Schwellenwert von 20-30 × 109 Thrombozyten/l wurde verlassen. Stattdessen müssen zahlreiche Faktoren bei der Therapieentscheidung abgewogen werden:

• die aktuelle klinische Blutungsneigung,

• das Krankheitsstadium (neu diagnostizierte vs. persistierende vs. chronische ITP),

• der bisherigere Krankheitsverlauf und Blutungsanamnese,

• bisherige Nebenwirkungen der Therapie,

• Konsequenzen für Ausbildung und Beruf (Berufsunfähigkeit vermeiden),

• Patientenalter, Nebenerkrankungen, Begleitmedikation (insbes. Antikoagulanzien),

• Zugang zu ambulanter und stationärer fachärztlicher Versorgung (z.B. in Regionen mit weiten Entfernungen zum Hämatologen oder zur nächsten Klinik),

• Erfahrung des betreuenden Arztes/der Klinik in der Therapie der ITP,

• Patientenpräferenz, psychosoziale Situation.

Es wäre kein Behandlungsfehler, auch bei niedrigsten Werten auf eine Therapie zu verzichten, wenn z.B. ein Patient dem Arzt schon länger bekannt ist und bisher nie relevant geblutet hat. Umgekehrt sollte auch bei höheren Werten eine Therapie angeboten werden, wenn z.B. ein Patient bei 30-50 × 109 Thrombozyten/l schon geblutet hat oder wenn er aus anderen Gründen Gerinnungshemmer einnehmen muss.

Neues zur Therapiesequenz

Erstlinie: weiterhin Kortikosteroide

Es gilt weiterhin, dass bei einer therapiepflichtigen, neu diagnostizierten ITP Kortikosteroide als Erstlinientherapie gegeben werden, sofern keine Steroid-Kontraindikationen bestehen. Die Wahl des Kortikosteroids, Dexamethason vs. Predniso(lo)n bzw. Methylprednisolon, sollte sich primär nach der Expertise des Arztes richten.

Zweitlinie: Thrombopoetin-Rezeptor-Antagonisten zugelassen

Als neue Zweitlinientherapie werden Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TRA) eingesetzt: Um 2009/2010 wurden die TRA zunächst zur Drittlinientherapie, in der Regel nach Splenektomie, zugelassen. Seit etwas mehr als 2 Jahren haben sie auch die Zulassung für die zweite Therapielinie:

• Sie erreichen bei über 90% der Patienten ein kurzfristiges Ansprechen,

• die Zahl der Patienten mit langfristigem Ansprechen ist ebenfalls hoch,

• TRA sind bei Patienten mit und ohne Splenektomie wirksam,

• TRA sind bei alten und jungen Patienten gleich gut wirksam,

• die beiden TRA Eltrombopag und Romiplostim sind nicht kreuzresistent, d.h. wenn der eine TRA nicht ausreichend wirksam ist, kann der Patient durchaus auf den anderen noch ansprechen,

• ca. die Hälfte der Patienten können unter TRA alle anderen ITP-Medikamente (z.B. Steroide) absetzen.

Rituximab und andere Drittlinientherapien

Rituximab kann bei ITP als Drittlinientherapie nach Versagen von Kortikosteroiden und TRA und vor der Splenektomie eingesetzt werden. Die fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung spricht nicht gegen die Wirksamkeit von Rituximab. Viele Patienten berichten, dass sie von den Kostenträgern zur Splenektomie aufgefordert werden, bevor die Kostenübernahme für Rituximab bewilligt wird. Es gibt jedoch keine medizinische Evidenz, Rituximab erst nach einer Splenektomie anzubieten.

Medikamente mit sogenannten «Altzulassungen» für die ITP (Azathioprin, Cyclophosphamid, Vinca) oder nicht zugelassene Wirkstoffe sollten erst nach Versagen von Steroiden, TRA und Rituximab eingesetzt werden.

Splenektomie

Die Splenektomie ist indiziert bei Patienten mit persistierender oder chronischer Thrombozytopenie und schweren Blutungen, die kein oder nur ein ungenügendes Ansprechen auf alle anderen bisherigen Therapiemodalitäten aufweisen. Es besteht keine zwingende Indikation zur Splenektomie für Patienten mit chronischer, therapieresistenter ITP, die keine, leichte oder nur mittelschwere Blutungen haben. Die Splenektomie sollte nicht zu früh, d.h. nicht vor dem 12. Monat, erfolgen. Die Splenektomie kann jedoch in der Zweitlinie vor der Drittlinie angeboten werden, wenn der Patient dies ausdrücklich wünscht (Ablehnung längerfristiger medikamentöser Therapie).

Weitere Informationen

Die neue Leitlinie behandelt noch zahlreiche weitere Themen, z.B.:

• Kombinationstherapien bei multirefraktärer ITP,

• Vorgehen bei Operationen und Zahneingriffen, bei Impfungen, bei Kindern, in der Schwangerschaft und bei Patienten mit Antikoagulanzien,

• alternative Behandlungsmethoden, Lebensqualität, Grad der Behinderung, Sozialrecht sowie Links zu Selbsthilfegruppen und weiteren Informationen.

Disclosure Statement

Das Asklepios Klinikum Uckermark erhielt Zahlungen von Novartis und AMGEN für Beiträge von Dr. Matzdorff im Rahmen von Advisory Boards, außerdem wurden Referentenhonorare und Reisekosten an die Klinik gezahlt. Die Familie von Dr. Matzdorff hält Aktien der Fa. Roche.

1.
Matzdorff A, Meyer O, Ostermann H, et al.: Immunthrombozytopenie - aktuelle Diagnostik und Therapie: Empfehlungen einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der DGHO, ÖGHO, SGH, GPOH und DGTI. Oncol Res Treat 2018;41(Suppl 2):5-36.
2.
Onkopedia: Leitlinie Immunthrombozytopenie (ITP). www.onkopedia.com (letzter Zugriff 05.08.2018).
Copyright / Drug Dosage / Disclaimer
Copyright: All rights reserved. No part of this publication may be translated into other languages, reproduced or utilized in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording, microcopying, or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.
Drug Dosage: The authors and the publisher have exerted every effort to ensure that drug selection and dosage set forth in this text are in accord with current recommendations and practice at the time of publication. However, in view of ongoing research, changes in government regulations, and the constant flow of information relating to drug therapy and drug reactions, the reader is urged to check the package insert for each drug for any changes in indications and dosage and for added warnings and precautions. This is particularly important when the recommended agent is a new and/or infrequently employed drug.
Disclaimer: The statements, opinions and data contained in this publication are solely those of the individual authors and contributors and not of the publishers and the editor(s). The appearance of advertisements or/and product references in the publication is not a warranty, endorsement, or approval of the products or services advertised or of their effectiveness, quality or safety. The publisher and the editor(s) disclaim responsibility for any injury to persons or property resulting from any ideas, methods, instructions or products referred to in the content or advertisements.