Zusammenfassung
Hintergrund: Das Mammakarzinom stellt weiterhin die häufigste onkologische Erkrankung der Frau dar. Zur Optimierung der Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge dieser Erkrankung wurde die bestehende S3-Leitlinie aus dem Jahr 2012 methodisch überarbeitet und inhaltlich der aktuellen Evidenz angepasst. Methode: Der Aktualisierungsprozess basierte zum einen auf der Recherche, Identifikation und Adaptation belastbarer Quellleitlinien und zum anderen auf Evidenzübersichten, die nach Entwicklung von PICO(Patients/Interventions/Control/Outcome)-Fragen, systematischer Recherche in Literaturdatenbanken sowie Selektion und Bewertung von Volltexten angefertigt wurden. In den interdisziplinären Arbeitsgruppen wurden auf dieser Grundlage Empfehlungsvorschläge erarbeitet, die im Rahmen von nominalen Konsensusverfahren modifiziert und graduiert wurden. Ergebnisse: Der Stellenwert des Mammographie-Screenings wird in der aktualisierten Leitlinienversion für die Altersgruppe zwischen 50 und 69 bestätigt. Neben den konventionellen Methoden der Karzinom-Diagnostik wird heute die Computertomographie (CT) zum Staging bei höherem Rückfallrisiko empfohlen. Die Evidenz zu den lokoregionären Therapieverfahren des primären Mammakarzinoms eröffnet Möglichkeiten zur Deeskalation: Komplettresektionen sind prognoseentscheidend, ein Sicherheitssaum von mehreren Millimetern jedoch nicht mehr notwendig. Eine Axilladissektion wird nur noch in definierten Fällen empfohlen. Die Indikation zur adjuvanten Systemtherapie richtet sich nach definierten Risikokonstellationen (Grading, Alter, Nodalstatus, Ki67, Hormonrezeptorstatus, HER2-Status), eine endokrine Therapie sollte stets durchgeführt werden, wenn ein Hormonrezeptor-positives Mammakarzinom vorliegt. Schlussfolgerung: Die konsequente Umsetzung der Leitlinienempfehlungen ermöglicht die Optimierung der Versorgung von Patientinnen mit einem Mammakarzinom und kann maßgeblich zu einer Senkung von Morbidität und Mortalität beitragen.
Transfer in die Praxis von Univ.-Prof. Dr. Achim Wöckel (Würzburg)
Die Rationale für die Aktualisierung der interdisziplinären S3-Leitlinie (LL) «Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms» [1] ist die hohe epidemiologische Bedeutung des Mammakarzinoms und die damit verbundene Relevanz für die Versorgungsroutine. Der Bedarf zur Aktualisierung der LL ergibt sich zudem aufgrund des exponentiellen Zuwachses wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Senologie. Die Entwicklung der neuen LL richtete sich nach den methodischen Kriterien einer interdisziplinären und evidenzbasierten S3-LL des Leitlinienprogramms Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. (DKG) und der Deutschen Krebshilfe (DKH). Federführend war in diesem Projekt die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG).
Früherkennung und Diagnostik
Für Frauen zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr soll nach LL weiterhin die Teilnahme am Nationalen Mammographie-Screening-Programm empfohlen werden. Frauen ab dem Alter von 70 Jahren sollte die Teilnahme an Früherkennungsmaßnahmen unter Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils und des Gesundheitsstatus sowie einer mehr als 10-jährigen Lebenserwartung angeboten werden. Die Reduktion der Brustkrebssterblichkeit ist zwar auch für Frauen zwischen 40 und 49 Jahren belegt, sie ist jedoch geringer als in der Altersgruppe der Frauen zwischen 50 und 69 Jahren und führt in Relation zu mehr falsch-positiven und falsch-negativen Befunden. Aufgrund des in Deutschland praktizierten Screenings können derzeit bereits deutlich mehr Frühstadien mit verbesserter Prognose diagnostiziert werden. Es wird erwartet, dass bei 1000 gescreenten Frauen bis zu 8 brustkrebsspezifische Todesfälle vermieden werden können. Die Datenbasis hierfür ist jedoch sehr inhomogen und bedarf weiterer Langzeitergebnisse, die in der LL gefordert werden.
Nichtinvasive und invasive diagnostische Methoden ermöglichen in Kombination mit der histologischen Aufarbeitung der präoperativ entnommenen Stanzen inkl. der dort gewonnenen immunhistochemischen Befunde (Östrogen- und Progesteronrezeptor, HER2-Status, Grading, Ki67) im Rahmen eines prätherapeutischen Konsils eine gezielte Operationsplanung ggf. unter Berücksichtigung einer neoadjuvanten Systemtherapie. Eine Neuerung der LL betrifft das Staging: Bei neu diagnostiziertem Mammakarzinom ab dem UICC-Stadium II mit erhöhtem Risiko sowie III und IV ohne Symptomatik für eine Metastasierung sollte ein Staging (Lunge, Leber, Skelett) durchgeführt werden. Wegen höherer Sensitivität und Spezifität ersetzen nun CT Thorax/Abdomen und Skelettszintigraphie das frühere Staging mit Thorax-Röntgen und Abdomen-Ultraschall. Das Staging sollte nur durchgeführt werden bei Frauen mit höherem Metastasierungsrisiko (N+, > T2) und/oder aggressiver Tumorbiologie (z.B. HER2+, triple-negativ), klinischen Zeichen, Symptomen und damit bei geplanter Entscheidung zur systemischen Chemo-/Antikörpertherapie.
Neuerungen der operativen Therapie
Bei allen lokoregionären Therapieverfahren zeigen sich innerhalb der LL zunehmend Aspekte der Deeskalation. So wird die R0-Resektion (Komplettresektion mit tumorfreien Schnitträndern) zwar als hochrelevant für die Prognose definiert, allerdings wurden aufgrund fehlender Nachweise für einen Einfluss auf das Gesamtüberleben die früher definierten Abstände zwischen Tumorfront des invasiven Karzinoms und dem Resektionsrand gestrichen. Beim duktalen Carcinoma in situ (DCIS) soll der Abstand zum gesunden Gewebe 2 mm betragen. Empfehlungen zu ablativen Verfahren wurden modifiziert. So stellen beispielsweise quadrantenüberschreitende multifokale Karzinome keine zwingende Indikation mehr für ein ablatives Verfahren dar, wenn eine R0-Resektion zu gewährleisten ist. Langzeitdaten der Z0011-Studie [2] bestätigten zudem die Deeskalation beim axillären Staging. Bei Patientinnen mit pT1-pT2/cN0-Tumoren, die eine brusterhaltende Operation mit anschließender perkutaner Bestrahlung über tangentiale Gegenfelder (Tangentialbestrahlung) erhalten und einen oder zwei positive Sentinel-Lymphknoten aufweisen, sollte auf eine Axilladissektion verzichtet werden. Bei Patientinnen, die eine primär systemische Therapie (PST) erhalten und prätherapeutisch einen palpatorisch und sonographisch negativen Lymphknotenstatus aufweisen, sollte die Sentinel-Lymphknotenbiopsie (SNB) nach der PST durchgeführt werden. Bei Patientinnen, die eine PST erhalten und prätherapeutisch einen stanzbioptisch positiven (pN1) und nach der PST einen klinisch negativen Nodalstatus aufweisen (ycN0), sollte eine Axilladissektion erfolgen. Diese Änderungen werden insgesamt die Anzahl der operativen Interventionen reduzieren.
Systemtherapeutische Überlegungen der Leitlinie
Indikationen für eine adjuvante Chemotherapie sind:
• HER2-positive Tumoren (hier ist die simultane anti-HER2-gerichtete Therapie mit Trastuzumab über die Dauer von 1 Jahr in Kombination mit einer (neo-)adjuvanten Chemotherapie Standard)
• endokrin nicht sensitive Tumoren (ER- und PgR-negativ)
• fraglich endokrin sensitive Tumoren
• nodal-positive Tumoren (innerhalb von Studien wird derzeit evaluiert, ob bei Patientinnen mit niedrigem Nodalbefall (1-3 befallene Lymphknoten) und günstiger Tumorbiologie auf eine adjuvante Chemotherapie verzichtet werden kann)
• schlecht ausgereifte Tumorzellen (G 3)
• junges Erkrankungsalter (< 35 Jahre)
Eine Chemotherapie kann neo-adjuvant und adjuvant appliziert werden und sollte ein Anthrazyklin und Taxan enthalten. 6 Zyklen TC (Docetaxel/Cyclophosphamid) können bei einem mittleren klinischen Risiko (< 3 befallene Lymphknoten) eine anthrazyklinfreie Alternative darstellen. Zur Vermeidung von Übertherapien bei hormonrezeptorpositiven Tumoren kann eine Risikoabschätzung mittels Multigen-Assays in ausgewählten Fällen sinnvoll sein, wenn die klinische Situation und das Profil konventioneller Marker keine eindeutige Zuordnung für oder gegen eine Chemotherapie erlauben.
Patientinnen mit ER- und/oder PgR-positiven invasiven Tumoren sollten unabhängig von der Risikokonstellation einer möglichen Chemotherapie eine endokrine Therapie erhalten. Bei prämenopausalen Patientinnen sollte eine Tamoxifentherapie für mindestens fünf Jahre durchgeführt werden. In Abhängigkeit des Rezidivrisikos sollte eine darüber hinausführende Einnahme von bis zu zehn Jahren nach Erstdiagnose bzw. bis zum Rezidiv erfolgen. Die Ovarialsuppression (GnRHa oder bilaterale Ovarektomie) zusätzlich zu Tamoxifen oder einem Aromatasehemmer sollte bei hohem Rezidivrisiko und prämenopausaler Situation nach adjuvanter Chemotherapie erwogen werden. Die adjuvante endokrine Therapie für postmenopausale Patientinnen mit einem ER-positiven Mammakarzinom sollte einen Aromatasehemmer enthalten.
Disclosure Statement
Univ.-Prof. Dr. Achim Wöckel war Koordinator der S3-Leitlinie «Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms». Er erhält Beraterhonorare für Studien, Vortragstätigkeiten und Kongressunterstützungen von Amgen, Novartis, Roche, Pfizer, Celgene und Riemser.