Zusammenfassung
Hintergrund: Der heutige Stand der onkologischen Therapie ist unter anderem dank der Erkenntnisse erreicht worden, die in klinischen Studien (CT; clinical trials) gewonnen wurden. Wir analysieren in diesem Beitrag das Gesamtüberleben (OS; overall survival) von Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC; non-small cell lung cancer) und dessen Zusammenhang mit der CT-Teilnahme. Methoden: In die Studie wurden 1042 Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC eingeschlossen, die am Instituto Nacional de Cancerología in Behandlung waren. Alle Patienten wurden gemäß den einschlägigen nationalen und internationalen Leitlinien behandelt. Die Daten wurden aus den Patientenakten erhoben. Die Patienten wurden je nach ihrem CT-Teilnahmestatus in folgende Untergruppen unterteilt: alle Formen von CT zusammengenommen (ACT), nur interventionelle CT (ICT) oder nur von pharmazeutischen Unternehmen gesponserte CT (PCT). Ergebnisse: Der Effekt der CT-Teilnahme wurde anhand eines multivariaten Cox-Modells für proportionale Hazards beurteilt. 30% der Patienten hatten an einer ACT teilgenommen, 28,3% an einer ICT und 13,7% an einer PCT. Weibliches Geschlecht (p = 0,001), Adenokarzinom-Histologie (p = 0,018), positiver EGFR-Mutationsstatus (p = 0,006) und guter ECOG-Score (< 2) (p ≤ 0,0001) lagen bei den CT-Teilnehmern häufiger vor; positiver Raucherstatus (p ≤ 0,0001) und KRAS-Mutation (p = 0,001) waren hingegen häufiger bei Patienten, die an keiner CT teilgenommen hatten. Schlussfolgerung: Die Teilnahme an einer ACT war mit einem längeren OS assoziiert (Hazard Ratio: 0,47-0,74). Für die NSCLC-Patienten war die CT-Teilnahme ein von anderen Prognosefaktoren unabhängiger Faktor für die Verlängerung des Überlebens. Übersetzung aus Oncology 2016;DOI:10.1159/000447404
Experten-Kommentar
Hintergrund
Die Durchführung klinischer Studien ist entscheidend für die Erforschung neuer Medikamente und die Weiterentwicklung von Therapiestrategien. Gerade bei onkologischen Patienten ist mit der Durchführung klinischer Studien auch die Hoffnung von Patienten, Angehörigen und behandelnden Ärzten verbunden, mittels neuartiger Therapieansätze den Krankheitsverlauf günstiger zu beeinflussen als mit herkömmlichen Therapiemöglichkeiten. Aber ist diese Hoffnung realistisch? Hilft die Teilnahme bei onkologischen Studien wirklich den betreffenden Patienten oder helfen die daraus gewonnenen Erkenntnisse «nur» zukünftigen Patienten?
In der Studie von Arrieta und Mitarbeitern wurden retrospektiv insgesamt 1042 Patienten mit NSCLC im Stadium III/IV ausgewertet, die zwischen 2007 und 2014 an einem großen mexikanischen Zentrum behandelt wurden. Hierbei wurden 295 Patienten in einer Interventionsstudie, weitere 143 Patienten in einer von der Pharmaindustrie gesponserten Studie und 318 Patienten innerhalb einer allgemeinen, nicht näher definierten klinischen Studie therapiert. Das Überleben der Patienten wurde getrennt nach den jeweiligen Studienarten ausgewertet und jeweils mit dem verbleibenden Gesamtkollektiv der 1042 Patienten verglichen. Dabei war eine Behandlung innerhalb einer Studie jeweils mit einem signifikanten Überlebensgewinn verbunden.
Bedeutung für die Praxis
Dieses Ergebnis muss zunächst vorsichtig interpretiert wer- den. Selektionsphänomene zur Studienteilnahme werden explizit in der Publikation genannt. Im Vergleich zum Gesamtkollektiv hatten Patienten in den klinischen Studien prognostisch günstigere Marker und waren häufiger weiblich, rauchten weniger und hatten häufiger ein Adenokarzinom. Zudem wurden häufiger EGFR-Mutationen nachgewiesen. Auch die Umsetzbarkeit internationaler Behandlungsrichtlinien dürfte sich in Mexiko von der Therapie in Deutschland unterscheiden und damit die Vergleichsgruppe möglicherweise beeinflusst haben. Schließlich weist die Publikation einige Schwächen auf, da beispielsweise das Vergleichskollektiv und die Studienformen nicht genau definiert sind sowie der prozentuale Anteil von allen Patienten, die in klinische Studien eingeschlossen wurden, weder eindeutig genannt noch diskutiert wird.
Dennoch sind die Ergebnisse dieser Studie ein wichtiges Signal. Eine retrospektive Analyse kann aufgrund des Fehlens einer adäquaten Vergleichsgruppe keine wirkliche Aussage zum Überlebensgewinn machen. Allerdings zeigte eine Auswertung einer großen US-amerikanischen Datenbank von NSCLC-Patienten im Stadium 815 IIIB/IV ebenfalls einen Überlebensgewinn von im Median 3,8 Monaten für Teilnehmer einer klinischen Studie [1]. Die Teilnehmerrate an klinischen Studien war mit 7% eher vergleichbar zu den Verhältnissen in Deutschland. Die vom Patienten berichtete Symptomkontrolle und das Anwenden palliativmedizinischer Maßnahmen waren unabhängig von dem Einschluss in eine klinische Studie. Allerdings fühlten sich Patienten in klinischen Studien signifikant besser betreut.
Fazit
Zusammenfassend ermutigen diese Daten, dass sich der Einschluss in klinische Studien auch für den betroffenen Patienten nicht nachteilig auswirkt, sondern sogar mit Vorteilen verbunden sein kann. Gerade bei der Entwicklung neuer Therapiemodalitäten wie beispielsweise von immunmodulierenden Substanzen ist die Durchführung klinischer Studien von entscheidender Bedeutung, da sich nur in gut geplanten Studien belastbare Aussagen über den Wert einer neuen Therapie ableiten lassen, die sich dagegen beispielsweise beim Off-Label-Use nicht ergeben. Daher sollten wir unsere Patienten ermutigen, an klinischen Studien teilzunehmen. Die Beurteilung, welche Studie wir unseren Patienten als geeignet empfehlen, bleibt letztlich dem behandelnden Arzt überlassen. Hoffentlich kann die Teilnahme an klinischen Studien damit insgesamt in Deutschland verbessert werden.