Abstract
Hintergrund: Übelkeit und Erbrechen infolge einer Chemotherapie (chemotherapy-induced nausea and vomiting; CINV) stellen für Krebspatienten nach wie vor ein belastendes Problem dar, das ihre Lebensqualität (LQ) beeinträchtigt. Ziel: Prospektive Untersuchung des Zusammenhangs zwischen psychosozialen Variablen (emotionale Belastung, maladaptive Bewältigungsstrategien, Arzt-Patienten-Verhältnis) und CINV und LQ bei ambulanten Krebspatienten. Methoden: In die prospektive Studie wurden konsekutiv 302 Krebspatienten (Teilnahmequote 80,9%) in Österreich, Italien und Spanien eingeschlossen. Zur Beurteilung der psychosozialen Variablen vor der Chemotherapie wurden die folgenden Instrumente verwendet: das Distress Thermometer (DT), Mini-Mental Adjustment to Cancer (Mini-MAC) und Patient Satisfaction with Doctor Questionnaire (PSQ). In den ersten 5 Tagen nach der Chemotherapie wurde mit einem Tagebuch die CINV erfasst, und die LQ wurde anhand des Functional Living Index for Emesis (FLIE) beurteilt. Ergebnisse: Über die Hälfte der Patienten berichtete von Übelkeit (54%) und ein kleiner Anteil von Erbrechen (14%). Die CINV-Ereignisse wirkten sich negativ auf die LQ laut FLIE-Status aus (p < 0,01). Maladaptive Bewältigungsstrategien (Hoffnungs- und Hilflosigkeit, Angst und Sorge) und emotionale Belastung waren mit mehr CINV (p < 0,05) und geringerer LQ (p < 0,05) assoziiert. In der logistischen Regressionsanalyse erwiesen sich Mini-MAC/H (Odds Ratio (OR) 1,1; p = 0,03) und niedrigeres Alter (OR 0,97; p = 0,04) als Prädiktoren für Übelkeit und der Grad der Chemotherapie-bedingten Emetogenese (OR 1,7; p < 0,01) sowie das Mini-MAC/H (OR 1,2; p = 0,04) als Prädiktoren für die Beeinträchtigung der LQ. Schlussfolgerungen: Eine Voruntersuchung und Beurteilung psychologischer Variablen, insbesondere des Bewältigungsverhaltens, könnten dazu beitragen, Krebspatienten zu identifizieren, die trotz Antiemese einem erhöhten Risiko für Chemotherapie-induzierte Übelkeit unterliegen. Übersetzung aus Psychother Psychosom 2015;84:339-347 (DOI: 10.1159/000431256)
Experten-Kommentar
Warum ist der Artikel relevant für den Praxisalltag eines Onkologen?
Übelkeit und Erbrechen sind, neben Schmerzen und Haarausfall, die von Patienten am meisten gefürchteten Nebenwirkungen von Chemotherapien. Mit Strahlentherapien oder Operationen werden diese Symptome weniger verbunden, aber auch hier können sie auftreten und sind für die Betroffenen dann äußerst belastend. Wenn man als Arzt neben antiemetischen Medikamenten auch noch Hinweise geben kann, wie der Patient selbst dazu beitragen kann, die Symptomatik zu reduzieren, wird das oft sehr dankbar aufgenommen, denn es verringert nicht nur die Belastung, sondern vermittelt auch wieder ein Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Psychologische Effekte spielen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Übelkeit und Erbrechen bei onkologischen Therapien eine wichtige Rolle. Das wird beispielsweise beim antizipatorischen Erbrechen deutlich, wenn also die emetogenen Stoffe noch gar nicht verabreicht wurden. Diese Effekte zu kennen und das Wissen darum für den Patienten nutzbringend anwenden zu können, ist für jeden praktischen Arzt in der Onkologie hilfreich.
Welche Inhalte sind neu?
Die Autoren der hier vorgestellten Studie untersuchten en détail, wie psychosoziale Variablen (psychische Belastung, Bewältigungsstrategien, die Beziehung zwischen Arzt und Patient) mit Übelkeit und Erbrechen zusammenhängen. Oft werden Übelkeit und Erbrechen in einem Atemzug genannt, sie sind jedoch verschiedene Erlebnisbereiche für die Patienten und werden auch als unterschiedlich belastend erfahren. Erfreulicherweise haben Grassi et al. Übelkeit und Erbrechen als verschiedene Entitäten untersucht und dabei hinsichtlich der Symptomatik sogar noch differenziert zwischen sofortigem und verzögertem Beginn nach Chemotherapie-Gabe. Die Studie war prospektiv und multinational.
Welche Aspekte des Artikels sind kritisch zu bewerten?
Obwohl die Autoren den Zusammenhang von psychosozialen Faktoren mit Übelkeit und Erbrechen offenbar sehr detailliert untersucht haben, berichten sie leider nur spärlich über die Ergebnisse der multivariaten Zusammenhangsanalyse. So wird gut dargestellt, dass Patienten, die sich hoffnungslos fühlen und ängstlich sind, häufiger unter Übelkeit und unter Erbrechen leiden, aber es bleibt offen, ob dieser Zusammenhang womöglich daher rührt, dass Patienten mit schwerwiegenderen Erkrankungen häufiger emetogene Chemotherapien erhalten und aufgrund des fortgeschrittenen Tumorstadiums niedergeschlagener sind als andere Patienten. Das wäre ein klassischer Fall von Confounding, was sich mit den vorhandenen Daten gut hätte kontrollieren lassen.
Fazit
Patienten, die sehr ängstlich sind, und solche, die unter Niedergeschlagenheit leiden, sind häufiger von Übelkeit und von Erbrechen betroffen. Inwieweit dieser Zusammenhang ursächlich ist, ob also eine psychische Belastung zu verstärkter Symptomatik bei Übelkeit und Erbrechen führt, kann aus der Studie nicht geschlossen werden.