Abstract
Hintergrund: Verschiedene Berichte deuten darauf hin, dass bei ausgewählten hypogonadalen Patienten mit Prostatakarzinom (PCa) in der Vorgeschichte, bei denen nach kurativer Behandlung keine weiteren Anzeichen der Krankheit vorliegen, eine Testosteron-Ersatztherapie (TET) eine Option darstellen könnte. Unser Ziel war es, die Erfahrungen mit der TET und das diesbezügliche Patientenmanagement bei Urologen in Bayern zu untersuchen. Material und Methoden: Ein Fragebogen wurde ausgearbeitet und allen registrierten Urologen in Bayern (n = 420) zugesandt, um sie zu ihren Erfahrungen mit der TET bei Patienten mit therapiertem PCa zu befragen. Ergebnisse: 193 Urologen (46%) beantworteten den Fragebogen und berichteten über ihre Erfahrung mit der TET bei hypogonadalen Patienten nach kurativer PCa-Behandlung. Zu 32 Männern lagen vollständige Datensätze vor. 26 Patienten (81%) hatten die TET nach einer Prostatektomie erhalten, 1 Patient nach externer Bestrahlung, 3 Patienten nach Hochdosis-Brachytherapie und 2 Patienten nach hochintensiver fokussierter Ultraschalltherapie. Von den PCa-Fällen waren 88,5% (23/26) lokal auf das Organ begrenzt (pT2a-c), 3 waren pT3-Tumoren. Alle Patienten waren pN0/cN0, und nur 1 Patient (pT3a) hatte postoperativ einen positiven chirurgischen Schnittrand. Nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 39,8 Monaten war keine biochemische Rezidivierung festzustellen. Schlussfolgerung: Bisher liegt keine klare Evidenz dafür vor, hypogonadalen Männern nach kurativer PCa-Therapie eine TET vorzuenthalten. Unsere - wenngleich begrenzten - Ergebnisse decken sich mit den bereits vorliegenden Daten, die belegen, dass eine TET das Risiko des Patienten nach kurativer Behandlung eines PCa nicht erhöht. Übersetzung aus Kühn CM, et al: Testosterone Replacement Therapy in Hypogonadal Men Following Prostate Cancer Treatment: A Questionnaire-Based Retrospective Study among Urologists in Bavaria, Germany. Urol Int 2015;95:153-159 (DOI: 10.1159/000371725)
Experten-Kommentar
Hintergrund
Lange Zeit galt eine Testosteronsubstitution bei Patienten mit Prostatakarzinom als obsolet. Kleinere Studien mit einer relativ kurzen Follow-up-Zeit konnten jedoch zeigen, dass bei Patienten mit einem Low-Risk-Prostatakarzinom und gleichzeitigem Hypogonadismus eine Testosterontherapie nicht zu einer erhöhten Rezidivrate führt. Die European Association of Urology (EAU) hat dies nun in ihre Guidelines zum Hypogonadismus aufgenommen. Danach können auch Patienten mit einem Hypogonadismus nach radikaler Prostatektomie mittels Testosteron therapiert werden, ohne dass der Nachweis eines aktiven Karzinoms vorliegt. Dies sollte allerdings nur bei Patienten mit einem geringen Rezidivrisiko (Gleason-Score < 8, pathologisches Tumorstadium pT1-2, präoperativer PSA-Wert < 10 ng/ml) erfolgen. Außerdem sollte eine Latenz von mindestens 12 Monaten zwischen der radikalen Prostatektomie und dem Beginn der Testosterontherapie liegen (Level of Evidence 3, Grad der Empfehlung B) [1].
Aktuelle Studie
In dieser Versorgungsstudie von Kühn et al. wurden alle 420 in Bayern registrierten Urologen mit einem aus 7 Fragen bestehenden Fragebogen zu ihrer Erfahrung mit Testosteron-Ersatztherapien bei Männern mit Prostatakarzinom befragt. Die Rücklaufquote war mit 46% relativ hoch, was auch die Aktualität des Themas widerspiegelt. 88% der Urologen gaben an, derartige Erfahrung zu haben. 18% (30 Urologen) hatten eine Testosteron-Ersatztherapie auch schon bei Patienten mit einem Hypogonadismus nach Prostatakarzinom durchgeführt. Insgesamt wurden 43 Patientenfälle angegeben, bei 32 von ihnen waren die Daten vollständig. Es zeigte sich, dass die Mehrheit der Urologen ihre Patienten mit einem transdermalen Gel behandelte, gefolgt von der intramuskulären Injektion. Hauptsächlich wurden Patienten nach radikaler Prostatektomie (81%), aber auch nach Radiatio, Brachytherapie und hochintensivem fokussiertem Ultraschall (HIFU) mit einer Testosteron-Ersatztherapie behandelt. Die aufgeführten klinischen Parameter zeigten, dass die meisten Patienten den Kriterien der EAU-Guidelines entsprachen. Bei einem medianen Follow-up von 39,8 Monaten konnte bei keinem der behandelten Patienten ein Rezidiv oder Progress nachgewiesen werden.
In der Diskussion führen die Autoren das Sättigungsmodell von Morgentaler [2] an. Es besagt, dass Testosteron nur nahe dem Kastrationslevel Einfluss auf das Wachstum eines Prostatakarzinoms hat - aufgrund der vollständigen Sättigung der Androgenrezeptoren. Wie in anderen Studien konnte gezeigt werden, dass unter engmaschiger Kontrolle (in der hier kommentierten Studie ungefähr alle 3 Monate) eine Testosteron-Ersatztherapie bei Patienten nach kurativer Therapie durchgeführt werden kann und auch von einzelnen Urologen in Bayern durchgeführt wird. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass dies immer noch ein Off-Label-Use ist.
Ausblick
Die Autoren wünschen sich ein flächendeckendes Register, in das Urologen die Daten von Patienten eingeben können, die sie mit einer Hormon-Ersatztherapie behandeln, sodass im Laufe der Zeit eine große prospektive Datensammlung entsteht, auf die man jederzeit zugreifen kann.
Fazit für die Praxis
Eine Testosteron-Ersatztherapie kann symptomatischen Patienten nach kurativer Therapie unter stringentem Nachsorgeregime angeboten werden. Diese Patienten müssen allerdings ausreichend über die derzeitige Studienlage und die limitierten Studienergebnisse zum Langzeit-Follow-up aufgeklärt werden. Die Testosteron-Ersatztherapie nach kurativer Prostatakarzinom-Therapie wurde in die EAU-Guidelines aufgenommen, ebenso in die S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie [3].