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Liebe Leserinnen und Leser,

lange Zeit waren bei der Therapie des diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL) und der nahe verwandten Krankheitsentitäten, zusammengefasst unter «large B cell lymphoma» (LBCL), keine relevanten Fortschritte zu verzeichnen. Dies hat sich in den letzten 3-4 Jahren dramatisch geändert.

In der Erstlinientherapie vergleicht etwa die POLARIX Studie den bisherigen Therapiestandard R-CHOP mit Pola-R-CHP Schema, bei dem Vincristin durch das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat (Antibody-drug conjugate, ADC) Polatuzumab-Vedotin ersetzt wurde. Die Studie zeigt einen statistisch signifikanten Vorteil von 6,5% für Pola-R-CHP hinsichtlich des Endpunkts «Ereignisfreies Überleben» (EFS). Die Therapieergebnisse hinsichtlich des Gesamtüberlebens (OS) oder der Lebensqualität konnten zwar nicht belegbar verbessert werden, dennoch stellt diese Therapie insbesondere für ältere Patienten mit erhöhtem Risiko eine wichtige neue Therapiemöglichkeit dar.

Noch weitaus bedeutsamer sind aber die Veränderungen in der Therapie des rezidivierten oder refraktären LBCL. Die beiden klinischen Phase 3 Studien ZUMA-7 und TRANSFORM setzen einen neuen Therapiestandard in der 2. Therapielinie des LBCL. In beiden Studien wurde ein anti-CD 19 CAR-T-Zellprodukt mit dem bisherigen Therapiestandard, einer platinhaltigen Salvage-Therapie gefolgt von autologer Stammzelltransplantation, verglichen. Eingeschlossen wurden jeweils Patienten mit frühem Rezidiv oder Progress (weniger als 12 Monate erste Remissionsdauer) und Behandlungsmöglichkeit mit einer Hochdosis-Therapie. Beide Studien zeigen ein hochsignifikant positives Ergebnis für den experimentellen Arm hinsichtlich der Endpunkte EFS, PFS und Lebensqualität. Für die ZUMA-7 Studie wurde laut einer aktuellen Pressemitteilung auch ein Vorteil hinsichtlich des Gesamtüberlebens (OS) dokumentiert. Die aktuellen Leitlinien berücksichtigen diesen Umstand bereits und definieren diese Therapien als Standard in der 2. Therapielinie.

CAR-T-Zellprodukte lieferten außerdem sowohl in Real-World Analysen der 3. Therapielinie als auch in Phase 2 Studien zu 2. Therapielinie bei älteren Patienten, die hochdosisfähig sind, positive Ergebnisse. Eine entsprechende Anpassung der Leitlinien ist in Kürze zu erwarten.

Für jüngere hochdosisfähige Patienten mit spätem Rezidiv gilt weiterhin der alte Therapiestandard, also platinhaltige Salvage-Therapie gefolgt von autologer Stammzelltransplantation für die Chemotherapie-sensitiven Patienten.

Für die Anwendung der CAR-T-Zellen in der 2. aber auch in späteren Therapielinien bleibt die Frage nach dem Stellenwert und der Art einer überbrückenden Therapie offen. Noch mehr offene wissenschaftliche Fragen ergeben sich für die Behandlungsoptionen in der 3. Therapielinie und mit gewisser Einschränkung auch in der 2. Therapielinie für ältere Patienten. Der Grund hierbei ist aber erfreulich: Es sind in diesem Bereich einige sehr wirksame neue Therapien zugelassen worden. Diese wurden aber nur eingeschränkt oder gar nicht mit den bisherigen alten Therapiestandards oder untereinander in Studien verglichen.

Das ADC Polatuzumab-Vedotin zeigte in einer randomisierten Phase 2 Studie einen signifikanten Vorteil für die Kombination mit Bendamustin und Rituximab gegenüber Bendamustin und Rituximab allein hinsichtlich der Endpunkte PFS und OS. Diese Studie enthielt einen hohen Anteil an Chemotherapie-refraktären Patienten und führte zur Zulassung für die Behandlung von älteren, nicht hochdosisfähigen Patienten mit der Kombination Pola-BR.

In ähnlicher klinischer Situation zugelassen ist nun aktuell nach einer Phase 2 Studie das ADC Loncastuximab-Tesirin als Monotherapie. Mit den Substanzen Glofitamab und in nächster Zukunft Epcoritamab betritt die neue Substanzklasse der bispezifischen Antikörper die Bühne der Therapie des fortgeschrittenen r/r LBCL. Beide Substanzen zeigen sehr hohe Ansprechraten (ORR) von über 50% und auch eine Komplettremissionsrate (CR) von circa 40%. Dies gilt ebenfalls beim Einsatz nach Versagen von CAR-T-Zellen. Auch wenn die Zahl der untersuchten Patienten noch gering ist und die Beobachtungsdauern für eine endgültige Feststellung vielleicht noch zu kurz sind, deutet sich doch an, dass diese Substanzen bei einem relevanten Anteil der Patienten langanhaltende Remissionen zu erzeugen vermögen. Für jüngere Patienten wird in der 4. und höheren Therapielinie wahrscheinlich auch der Einsatz der allogenen Stammzelltransplantation in der Zukunft noch eine Rolle spielen.

So ist insgesamt bei einer Vielzahl neuer effizienter Behandlungsmöglichkeiten die Entscheidungsfindung für diese Patienten sehr komplex. Die Indikationsstellung kann nicht vollständig auf dem Boden wissenschaftlicher Evidenz allein erfolgen, sondern erfordert in jedem Einzelfall ein sorgfältiges Abwägen von Effizienzgesichtspunkten und potenzieller patientenindividuellen Verträglichkeit der Substanzen durch den in der Lymphomtherapie spezialisierten und erfahrenen Behandler. Wir hoffen, dass diese Ausgabe unserer Zeitschrift dabei ein hilfreicher Kompass sein kann.

Mit freundlichen Grüßen

Bertram Glaß