Abstract
Optimales Therapie-Management kann die Lebensqualität und möglicherweise auch die Überlebensdauer von Patienten mit einem metastasierten Prostatakarzinom verbessern. Die Auszählung der zirkulierenden Tumorzellen (CTCs) im peripheren Blut kann ein optimales Therapie-Management ermöglichen, da die CTC-Zahl hochgradig tumorspezifisch ist und Veränderungen des Krankheitsstatus umgehend widerspiegelt. Wir stellen hier den Fall eines 54-jährigen Mannes vor, bei dem ein metastasiertes Prostatakarzinom diagnostiziert wurde. Der Krankheitsstatus des Patienten wurde radiologisch und durch serielle Bestimmungen des Prostata-spezifischen Antigens im Serum, des Performance-Status und der CTC-Zahl überwacht. Aufgrund widersprüchlicher Ergebnisse der Standarduntersuchungen blieb der Krankheitsstatus jedoch bei mehreren Terminen unklar. Die Zusatzinformation durch die Auszählung der CTCs trug zur Klärung des Krankheitsstatus und zur Entscheidungsfindung für das weitere therapeutische Vorgehen bei.
Einleitung
Das metastasierte kastrationsresistente Prostatakarzinom (mCRPC) verläuft stets tödlich; im Jahr 2008 wurde es weltweit in über 250 000 Fällen als Todesursache identifiziert [1]. Durch neue, bessere Therapien sind jedoch Fortschritte im Hinblick auf die Überlebenszeit und die Lebensqualität von Männern mit mCRPC erzielt worden [2,3]. Diese Verbesserungen beruhten auf einer begrenzten Anzahl an Hilfsmitteln (Bildgebung, Serum-Tumormarker, klinische Zeichen und Symptome) für die laufende Beurteilung des mCRPC. Zusätzliche Instrumente, die zu einer korrekten und zeitnahen Bestimmung des Krankheitsstatus beitragen, würden die Patientenversorgung, die Lebensqualität und möglicherweise das Überleben weiter verbessern.
Zirkulierende Tumorzellen (CTCs) können bei vielen verschiedenen Krebsarten in geringer Zahl im peripheren Blut des Patienten nachgewiesen werden, nicht aber bei gesunden Kontrollpersonen [4]. Ihr prognostischer Nutzen beim Prostatakarzinom und bei vielen anderen Krebserkrankungen ist durch zahlreiche prospektive Studien belegt [4]. Patienten mit ≥5 CTCs/7,5 ml peripheren Bluts haben nachweislich schneller einen Rückfall und eine kürzere Überlebenszeit als Patienten mit <5 CTCs/7,5 ml [5,6]. Darüber hinaus könnten CTCs aufgrund bestimmter Eigenschaften wie ihrer hohen Spezifität für eine maligne Erkrankung [7] und ihrer schnellen Konzentrationsänderung bei Veränderungen im Krankheitsstatus [8] auch für eine zutreffende Beurteilung des metastatischen Krankheitsstatus geeignet sein. Ein von der US-Aufsichts- und Zulassungsbehörde «Food and Drug Administration» freigegebener, in Analysen validierter Test für die Auszählung der CTCs beim metastasierten Prostatakarzinom ist auf dem Markt (CELLSEARCH®; Janssen Diagnostics, LLC, Raritan, NJ, USA).
Eine Herausforderung, die immer auftritt, wenn eine neue Untersuchungsmethode in die Patientenversorgung eingebunden werden soll, ist die bestmögliche Verwendung der durch die Untersuchung gewonnenen Informationen. In dieser Arbeit beschreiben wir den Einsatz der CTC-Zählung im Rahmen der Krankheitsstatus-Überwachung bei einem Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom in Verbindung mit schon länger verfügbaren Tests. Ziel ist es aufzuzeigen, welchen Nutzen die CTC-Informationen innerhalb der klinischen Behandlung haben.
Vorstellung des Falls
Der Patient war ein 54-jähriger Mann mit einer 6-monatigen Vorgeschichte von Hüftbeschwerden. Bildgebende Untersuchungen wurden angeordnet. Dabei zeigten sich in lumbosakralen Aufnahmen mehrere rundliche und sklerotische Herde über dem knöchernen Becken, anhand derer der Verdacht auf ein metastasiertes Prostatakarzinom gestellt wurde. Die gemessene Konzentration des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) betrug 34,2 ng/ml. Angesichts dieser Befunde wurde bei dem Patienten eine Prostatabiopsie vorgenommen. Die Biopsie ergab ein Adenokarzinom der Prostata mit einem Gleason-Score von 7 (3 + 4), wobei alle Gewebeproben der rechten Körperseite betroffen waren.
Der Patient wurde mit einer maximalen Androgen-Blockade behandelt. Sein PSA-Wert erreichte nach etwa 3 Monaten Behandlungsdauer einen Tiefstwert von 3,6 ng/ml und begann dann wieder zu steigen. Im 6. Monat der Behandlung war der PSA-Wert des Patienten auf 16 ng/ml angestiegen (Abb. 1). Eine erste CTC-Bestimmung mit dem CELLSEARCH-System ergab zu dieser Zeit einen Wert von 36 CTCs/7,5 ml peripheren Bluts.
Gesamtdarstellung der durchgeführten Untersuchungen. Oberhalb der Zeitleiste sind die verschiedenen Therapien aufgeführt, die der Patient im Rahmen der Behandlung erhalten hatte. Jedes Symbol steht für eine Untersuchung. Raute = CTC-Zählung; Kreis = PSA-Bestimmung. Die linke Achse zeigt die Skala für die CTC-Werte; die rechte Achse zeigt die Skala für die PSA-Werte. Die Durchführung einer CT-Bildgebung ist jeweils als 2-Buchstaben-Code mit einem Pfeil dargestellt: SD = stabile Erkrankung; PD = Progression; PR = Teilremission. Die Zeitpunkte dieser Untersuchungen sind anhand der horizontalen Achse nachvollziehbar. Balken, die den Anwendungszeitraum der einzelnen Therapien abgrenzen, stehen am oberen Rand der Grafik, jeweils unter Angabe des angewendeten Therapieschemas.
Gesamtdarstellung der durchgeführten Untersuchungen. Oberhalb der Zeitleiste sind die verschiedenen Therapien aufgeführt, die der Patient im Rahmen der Behandlung erhalten hatte. Jedes Symbol steht für eine Untersuchung. Raute = CTC-Zählung; Kreis = PSA-Bestimmung. Die linke Achse zeigt die Skala für die CTC-Werte; die rechte Achse zeigt die Skala für die PSA-Werte. Die Durchführung einer CT-Bildgebung ist jeweils als 2-Buchstaben-Code mit einem Pfeil dargestellt: SD = stabile Erkrankung; PD = Progression; PR = Teilremission. Die Zeitpunkte dieser Untersuchungen sind anhand der horizontalen Achse nachvollziehbar. Balken, die den Anwendungszeitraum der einzelnen Therapien abgrenzen, stehen am oberen Rand der Grafik, jeweils unter Angabe des angewendeten Therapieschemas.
Aufgrund der hohen PSA- und CTC-Werte sowie zunehmender Schmerzen infolge von Knochenmetastasen wurde der Patient in eine klinische Studie zur Kombinationstherapie von Docetaxel und Bevacizumab eingeschlossen. Nach 3 Behandlungszyklen (etwa 8 Monate nach der Erstdiagnose) war der CTC-Wert des Patienten auf 145 CTCs/7,5 ml gestiegen, während der PSA-Wert auf 2,3 ng/ml gesunken war. Die Computertomographie (CT) zeigte eine Stabilisierung. Rund 11 Monate nach der Diagnose war der PSA-Wert auf 1,0 ng/ml und der CTC-Wert auf 13 CTCs/7,5 ml zurückgegangen. Im klinischen Gespräch berichtete der Patient über eine weitere Zunahme der Schmerzen, die auf diffuse osteoblastische Metastasen zurückgeführt wurde. Die CT-Bildgebung zeigte eine Krankheitsprogression mit einem Lymphknotenbefall. Der Patient wurde auf orales Cyclophosphamid umgestellt.
Innerhalb von 1 Monat nach der Einleitung der neuen Therapie ließen die Schmerzen nach Aussage des Patienten nach. 13 Monate nach der Diagnose hatte der CTC-Wert Null erreicht, während der PSA-Wert auf 3,4 ng/ml gestiegen war. Nach 16 Monaten Therapie betrug der CTC-Wert 2,0 CTCs/7,5 ml; der PSA-Wert war auf 1,8 ng/ml zurückgegangen. In der CT war eine Teilremission zu erkennen. Die Cyclophosphamid-Therapie wurde weitere 4 Monate fortgesetzt; in dieser Zeit stiegen sowohl der CTC- als auch der PSA-Wert langsam an. 19 Monate nach der Diagnose war der CTC-Wert auf 5 CTCs/7,5 ml gestiegen, während der PSA-Wert bei 2,4 ng/ml lag. Obwohl die Erkrankung der CT-Bildgebung nach zu diesem Zeitpunkt stabil war, klagte der Patient über eine Zunahme der Schmerzen. Die stärkeren Schmerzen und der erhöhte CTC-Wert wurden als Anzeichen einer Progression gewertet; daher wurde die Cyclophosphamid-Therapie abgesetzt und nach einer alternativen Behandlungsoption im Rahmen klinischer Studien gesucht.
Diskussion
Zwei beim mCRPC allgemein übliche Untersuchungen - die Bildgebung und die Messung der PSA-Konzentration - weisen bekanntermaßen Merkmale auf, die in bestimmten Situationen eine Unsicherheit bei der Beurteilung des Krankheitsstatus schaffen können [9]. Knochenläsionen kommen beim mCRPC häufig vor, doch in der CT- oder Radionuklid-Bildgebung sowie bei anderen bildgebenden Verfahren ist ein Ansprechen auf eine Behandlung oft nicht zeitnah zu sehen. Häufig sind 2 Bildgebungsserien und eine Beobachtung über 3 Monate oder länger erforderlich, um festzustellen, ob eine Progression oder ein Ansprechen auf die Therapie vorliegt. Die PSA-Werte sind, bedingt durch Faktoren wie frühere Therapien und den Malignitätsgrad, häufig vom Krankheitsstatus entkoppelt. Darüber hinaus können bei beiden Untersuchungen sogenannte Flare-Phänomene auftreten, die ein Ansprechen auf die Therapie maskieren können [10,11]. Wenn nur wenige Beurteilungsmethoden zur Verfügung stehen, können widersprüchliche Ergebnisse zu einer Verunsicherung bei der therapeutischen Entscheidungsfindung führen [3].
In mehreren prospektiven Studien wurde nachgewiesen, dass der CTC-Wert sowohl für das krankheitsfreie Überleben als auch für das Gesamtüberleben beim mCRPC prognostisch ist [4]. Ähnlich wie frühere Berichte zeigt auch der hier präsentierte Fall, wie der prognostische Wert der in der peripheren Zirkulation gemessenen CTC-Konzentration dazu beitragen kann, Diskrepanzen in den Untersuchungsergebnissen aufzulösen und Therapieentscheidungen auf eine sicherere Basis zu stellen [12].
In der ersten Instanz war der PSA-Wert unseres Patienten nach 6 Zyklen Docetaxel plus Bevacizumab von 16,1 auf 1,0 ng/ml gesunken, was auf ein therapeutisches Ansprechen hinwies. Der Patient klagte jedoch über zunehmende Schmerzen, was wiederum auf die Möglichkeit einer Krankheitsprogression hindeutete. Sein CTC-Wert lag mit 13 CTCs/7,5 ml deutlich über dem Grenzwert von 5 CTCs/7,5 ml für eine ungünstige Prognose beim mCRPC. Die zunehmenden Schmerzen und der hohe CTC-Wert gaben Anlass zu einer abermaligen Bildgebung, die einen neuen Lymphknotenbefall und eine Progression bestätigte. Auf dieser Grundlage wurde der Patient auf eine Cyclophosphamid-Therapie umgestellt. In der Folge sank der CTC-Wert des Patienten auf Null, die Schmerzen klangen ab, und 5 Monate später wurde mittels Bildgebung eine Teilremission festgestellt. Die Entscheidung basierte letztlich auf der Spezifität der CTCs für ein malignes Krankheitsgeschehen und dem hohen prognostischen Wert der CTCs beim mCRPC.
Später, nach 19 Monaten Behandlung, berichtete der Patient wieder über eine Zunahme der Schmerzen, obwohl die Bildgebung eine stabile Erkrankung suggerierte. Der PSA-Wert des Patienten war konstant niedrig geblieben, im Bereich von 1,0 bis 3,4 ng/ml. Die CTC-Bestimmung ergab jedoch einen Wert von 5 CTCs/7,5 ml; dies ließ die Schlussfolgerung zu, dass unter der Cyclophosphamid-Therapie trotz der niedrigen PSA-Konzentration eine Progression eingetreten war. Daraufhin wurde entschieden, das Cyclophosphamid abzusetzen und für den Patienten weitere Behandlungsoptionen innerhalb klinischer Studien zu prüfen.
Das metastasierte Prostatakarzinom ist schwer zu beurteilen; dementsprechend stellen auch die Therapieentscheidungen eine Herausforderung dar. Die beiden am häufigsten verwendeten Untersuchungsmethoden, die Bildgebung und die Messung des PSA-Werts, ergeben bisweilen kein klares Bild des Krankheitsstatus und der Prognose und sind oft widersprüchlich. Der hier vorgestellte Fall zeigt, wie die CTC-Auszählung andere Untersuchungsergebnisse durch bestimmte Informationsmerkmale ergänzt. So kann sie einige Inkonsistenzen der anderen Methoden kompensieren und eine sicherere Grundlage für die therapeutische Entscheidungsfindung schaffen.