Abstract
Ziele: Kardiale Schädigung ist eine mögliche Komplikation bei Krebstherapien. Ziel dieser Studie war zum einen die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen verschiedenen Formen der Strahlentherapie des Thorax (ST), der Chemotherapie (CT), der Tumoroperation (TO) sowie der endokrinen Therapie (ET) und dem Vorliegen von Herzerkrankungen. Zum andern sollten die Assoziationen dieser Therapien mit der Serumkonzentration des N-terminalen Pro-B-Typ natriuretischen Peptids (NT-proBNP) untersucht werden.Methoden: Eine Gruppe von 374 konsekutiven Krebspatienten, die wegen einer auf eine Herz- oder Lungenerkrankung hinweisenden Symptomatik überwiesen worden waren, wurden prospektiv untersucht.Ergebnisse: Die Prävalenz von Herzkrankheiten betrug 36,9%. Eine Vorbehandlung mittels ST vor 1995 (n = 19) war im Vergleich zur Kontrollgruppe (keine ST oder ST wegen rechtsseitigem Mammakarzinom ab 1995; n = 311) sowohl mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine Herzkrankheit (bereinigte Odds Ratio: 10,3; 95%-Konfidenzintervall: 3,1-34,0) als auch mit höheren Ln-transformierten NT-proBNP-Werten assoziiert (p < 0,01). Mit Anthrazyklin behandelte Patienten (n = 54) zeigten höhere bereinigte Ln(NT-proBNP)-Werte als die Kontrollgruppe (keine CT; n = 243; p < 0,01), jedoch keine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Herzkrankheiten.Schlussfolgerung: Während ST vor 1995 und Anthrazyklin-haltige CT mit kardialen Auswirkungen assoziiert waren, gab es keine Belege für schädliche kardiale Auswirkungen einer ST mit zeitgemäßer Kardioprotektion, CT ohne Anthrazykline, TO oder ET.Übersetzung aus Oncology 2013;85:137-144 (DOI: 10.1159/000354299)
Originalartikel: Cardiotoxicity and Cancer Therapy: Treatment-Related Cardiac Morbidity in Patients Presenting with Symptoms Suggestive of Heart or Lung Disease
Siegfried Wieshammera Jens Dreyhauptd Dirk Müllera Felix Mommb Andreas Jakobc Ulrich Freundb
aFachbreich für Kardiologie, Pneumologie und Intensivmedizin, Ortenau Klinikum Offenburg-Gengenbach, Offenburg, Deutschland; bFachbereich für Radio-Onkologie, Ortenau Klinikum Offenburg-Gengenbach, Offenburg, Deutschland; cOnkologisches Zentrum Ortenau, Ortenau Klinikum Offenburg-Gengenbach, Offenburg, Deutschland; dInstitut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie, Universität Ulm, Ulm, Deutschland
Transfer in die Praxis
Bei der Therapie von Tumoren kommen verschiedene Therapiemodalitäten zum Einsatz, die unterschiedliche und teils auch überlappende kardiale und pulmonale Toxizitäten aufweisen. Diese können mannigfacher Natur sein: Beispielsweise können sich eine Erhöhung des Blutdrucks, EKG-Veränderungen, Arrhythmien, eine Myo- und Perikarditis, eine Kardiomyopathie, ein Herzinfarkt, systolische und diastolische Funktionsstörungen als kardiale Toxizität auswirken. Die Erfassung solcher Toxizitäten ist notwendig, um kausale Zusammenhänge zu verstehen, geeignete Kontrollen durchzuführen und das individuelle Risiko von Therapien für andere Patienten besser einschätzen zu können. Gerade die Erfassung von Langzeittoxizitäten ist ein wichtiges Thema, da die Inzidenz Therapie-induzierter Toxizitäten differentialdiagnostisch häufig schwierig von der Entstehung unabhängiger weiterer Erkrankungen abzugrenzen ist.
Die hier kommentierte prospektive Studie leistet zur Lösung dieser Problematik einen wichtigen Beitrag. Obwohl die Aussagekraft durch die limitierte Patientenzahl und den Einschluss aller onkologischen Erkrankungen und Therapiemodalitäten begrenzt ist, beschreibt die Arbeit ein realistisches Kollektiv symptomatischer, onkologisch therapierter Patienten. Methodisch wurden sehr unterschiedliche Behandlungsverfahren wie Chemotherapie, Strahlentherapie, chirurgische Resektion und endokrine Therapie mit Ergebnissen aus EKGs, Echokardiographien, Lungenfunktionstests und Messungen des N-terminalen Pro-B-Typ natriuretischen Peptids (NTproBNP) aus dem peripheren Blut in Zusammenhang gebracht.
Zwei Therapieverfahren waren in dem begrenzten Kollektiv mit vermehrten kardialen Veränderungen korreliert: Vor 1995 durchgeführte Strahlentherapien und systemische Behandlungen mit Anthrazyklinen. Seit langem ist bekannt, dass Anthrazykline eine dosisabhängige kardiale Toxizität haben, die besonders bei kumulativen Dosen über bestimmten Grenzwerten auftritt [1]. In der vorgestellten Studie wurden unterschiedliche Substanzen und kumulative Dosen nicht differenziert. Daher kann die Inzidenz erhöhter NTproBNP-Messungen bei 7,4% der mit Anthrazyklinen behandelten Patienten nicht mit bekannten Daten verglichen werden. Dennoch wird die aktuelle Bedeutsamkeit dieser Toxizität unterstrichen. Die früheren Strahlenbehandlungen waren nachweislich toxischer. In der Studie von Wieshammer et al. konnte dies für neuere Bestrahlungsformen jedoch nicht belegt werden.
Insgesamt lässt diese Studie zwar vermuten, dass sich die kardialen und pulmonalen Toxizitäten (mit Ausnahme des NTproBNP) aktueller Therapien nicht signifikant von den Werten unbehandelter onkologischer Patienten unterscheiden. Dennoch wird zu Recht auf die notwendige interdisziplinäre Kommunikation bei der onkologischen Behandlung hingewiesen. Auch wenn die Patientenzahl und der Beobachtungszeitraum der Studie begrenzt waren, unterstreicht sie doch die Bedeutung der Erfassung von Langzeittoxizitäten bei onkologisch behandelten Patienten. Dies gilt auch für sogenannte «targeted» Therapien, für die noch gar keine Langzeittoxizitätsdaten zur Verfügung stehen [2].
Fazit
Onkologische Therapien - insbesondere systemische Behandlungen mit Anthrazyklinen und vor 1995 durchgeführte Strahlentherapien - können kardiale Toxizitäten verursachen. Langzeittoxizitäten sollten in onkologischen Verlaufsuntersuchungen gezielt erforscht und erfasst werden.