Abstract
Interstitielle Lungenerkrankungen (ILE), die im Zusammenhang mit einer Chemotherapie auftreten, haben häufig fatale Auswirkungen; das angewandte Chemotherapieschema kann in der Regel nicht wieder aufgenommen worden. Eine ILE, die im Kontext einer Behandlung mit dem mTOR-Inhibitor Everolimus (mTOR: mammalian target of rapamycin) auftritt, unterscheidet sich in vielen Merkmalen von einer chemotherapieassoziierten ILE. Wir stellen den Fall einer 58-jährigen Patientin mit fortgeschrittenem neuroendokrinem Tumor der Bauchspeicheldrüse und Lebermetastasen vor, bei der trotz zweimaligen Auftretens einer Everolimus-induzierten ILE die Behandlung mit Everolimus fortgeführt wurde und zu einer Teilremission führte. Der Behandlungszeitraum umfasste insgesamt 31 Monate bis zur Krankheitsprogression. Ärzte, die mit Everolimus behandeln, sollten die Patienten engmaschig auf ILE überwachen und geeignete Strategien anwenden, um die Möglichkeit der Weiterführung der Everolimus-Therapie zu optimieren. Übersetzung aus Chemotherapy 2013;59:74-78 (DOI:10.1159/000351103)
Einleitung
Everolimus (RAD001) ist ein oral einzunehmender Hemmer der Serin/Threonin-Kinase mTOR (mammalian target of rapamycin), die Zellwachstum, Proliferation und Angiogenese stimuliert. Die pharmakologische Inhibition von mTOR durch Rapamycin und dessen Analoga unterbricht den Ablauf des Zellzyklus, indem es die von PI3K/AKT vermittelten Zellteilungssignale unterdrückt, und beeinflusst potenziell die Tumorangiogenese, indem es die Expression des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors VEGF reduziert [1]. In zwei randomisierten, kontrollierten klinischen Schlüsselstudien bei Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom oder fortgeschrittenem neuroendokrinem Tumor der Bauchspeicheldrüse war die Everolimus-Therapie mit signifikant längerem progressionsfreien Überleben assoziiert [2,3]; sie ist bei diesen Tumoren als Standardtherapie anerkannt. Unerwünschte Ereignisse unter Everolimus sind in der Regel beherrschbar und vom Schweregrad 1 oder 2; die am häufigsten auftretenden unerwünschten Ereignisse sind Stomatitis, Exanthem, Diarrhö, Müdigkeit und interstitielle Lungenerkrankung (ILE) [2,3,4]. ILE ist bei hohem Schweregrad eine schwerwiegende und lebensbedrohliche Nebenwirkung; in den beiden Schlüsselstudien zu Everolimus trat sie mit einer Häufigkeit von 14 bzw. 17 % auf [2,3]. Daher wird eine sorgfältige Überwachung auf ILE und gegebenenfalls eine angemessene Behandlung empfohlen.
Wir stellen den Fall einer 58-jährigen Patientin mit fortgeschrittenem neuroendokrinem Tumor der Bauchspeicheldrüse vor, die unter Everolimus eine Teilremission gemäß RECIST-Kriterien (Response Evaluation Criteria in Solid Tumors) erreichte und bei der während der 31-monatigen Behandlung zweimal eine Everolimus-induzierte ILE auftrat.
Fallbericht
Eine 58-jährige Frau klagte im Mai 2008 über Durchfall und besuchte im August 2008 ein örtliches Krankenhaus. In der Computertomographie (CT) wurde ein Pankreastumor mit multiplen Lebermetastasen festgestellt, und die Patientin wurde in ein anderes Krankenhaus überwiesen. In diesem zweiten Krankenhaus wurde anhand einer Leber-Tumorbiopsie ein neuroendokriner Tumor der Bauchspeicheldrüse diagnostiziert und die Patientin im Oktober 2008 an unsere Krebszentrumsklinik weiter überwiesen. Zum Zeitpunkt ihres ersten Besuchs in unserer Klinik zeigten sich im dynamischen CT-Scan eine etwas unregelmäßig geformte und stark anreichernde Raumforderung mit klaren Grenzen im Pankreaskörper sowie multiple anreichernde Knötchen in der gesamten Leber. Im Lungenfeld waren keine Auffälligkeiten zu sehen (Abb. 1a). Die Ergebnisse der Leber-Tumorbiopsie aus dem vorhergehenden Krankenhaus wurden gesichtet; der Tumor wurde histologisch beschrieben als Tumor mit ovoiden Zellen und spärlichem eosinophilem Zytoplasma in einem Trabekelmuster. Mitosen fanden sehr selten statt. Die Ergebnisse der immunhistochemischen Untersuchung waren positiv für die Expression von Chromogranin A, Synaptophysin und CD56. Der Ki67-positive Anteil betrug 5%. Anhand dieser Ergebnisse wurde die Diagnose eines neuroendokrinen Tumors der Bauchspeicheldrüse (NET G2) gestellt [5].
Erstes Auftreten einer ILE. a Vor Beginn der Everolimus-Therapie sind bilateral keine interstitiellen Veränderungen in den Lungenfeldern zu sehen. b Zum Zeitpunkt des Auftretens der ILE 2 Monate nach Beginn der Everolimus-Therapie zeigen sich im Thorax-CT infiltrative Schatten bilateral in den Unterfeldern. c 3 Monate nach dem Auftreten der ILE und 3 Monate nach Wiederaufnahme der Everolimus-Gabe sind im Thorax-CT keine infiltrativen Schatten mehr zu sehen.
Erstes Auftreten einer ILE. a Vor Beginn der Everolimus-Therapie sind bilateral keine interstitiellen Veränderungen in den Lungenfeldern zu sehen. b Zum Zeitpunkt des Auftretens der ILE 2 Monate nach Beginn der Everolimus-Therapie zeigen sich im Thorax-CT infiltrative Schatten bilateral in den Unterfeldern. c 3 Monate nach dem Auftreten der ILE und 3 Monate nach Wiederaufnahme der Everolimus-Gabe sind im Thorax-CT keine infiltrativen Schatten mehr zu sehen.
Im November 2008 wurde die Gabe von Everolimus in einer Dosierung von 10 mg einmal täglich zur Behandlung des metastasierten neuroendokrinen Tumors eingeleitet. Nach 2 Monaten (Januar 2009) wurde im regelmäßigen Thoraxröntgen ein auffälliger Schatten bilateral im unteren Lungenfeld entdeckt. Das CT zeigte infiltrative Schatten in diesen Feldern (Abb. 1b). Die perkutan gemessene Sauerstoffsättigung betrug 97%. Die Konzentration von KL-6 (Krebs von den Lungen-6), einem Biomarker für die klinische Diagnose der ILE und auch für die Beurteilung der Krankheitsaktivität, betrug 745 U/ml (höher als die Obergrenze des Normbereichs mit 500 U/ml). Mögliche Infektionen mit Bakterien, Viren oder Pilzen wurden durch serologische Untersuchungen ausgeschlossen. Es bestand keine Gefahr einer Aspiration, und die Patientin hatte keine spezifischen Symptome wie Fieber, trockenen Husten oder Atemnot. Die ILE wurde daher als Schweregrad 1 gemäß CTCAE v3.0 (Common Terminology Criteria for Adverse Events Version 3.0) klassifiziert. Die Behandlung mit Everolimus wurde ausgesetzt, die Patientin wurde ohne spezifische Behandlung beobachtet. Zwei Wochen nach Aussetzen der Everolimus-Gabe zeigte sich im Thoraxröntgen eine deutliche Verbesserung der infiltrativen Schatten in beiden unteren Lungenfeldern, und die Everolimus-Behandlung wurde in unveränderter Dosierung wiederaufgenommen. Drei Monate später (Mai 2009) belegte ein Thorax-CT das Verschwinden der infiltrativen Schatten (Abb. 1c).
Im Dezember 2010, 22 Monate nach Wiederaufnahme der Everolimus-Therapie (25 Monate nach Beginn der Behandlung), traten erkältungsähnliche Symptome auf, darunter trockener Husten und hohes Fieber. Im Thorax-CT zeigte sich eine Vergrößerung von Milchglastrübungen überwiegend im linken unteren Lungenfeld (Abb. 2a). Die perkutan gemessene Sauerstoffsättigung betrug 96%, der KL-6-Wert war erhöht (742 U/ml), und das Vorliegen einer bakteriellen, viralen oder Pilzinfektion wurde durch serologische Untersuchung ausgeschlossen. Die Diagnose einer ILE Grad 2 gemäß CTCAE v3.0 wurde gestellt. Die Behandlung mit Everolimus wurde erneut ausgesetzt; die Patientin wurde ohne spezifische Behandlung beobachtet und erhielt Kortikosteroide, da die Symptome nicht stark ausgeprägt waren. Die erkältungsähnlichen Symptome besserten sich nach dem erneuten Aussetzen der Everolimus-Gabe rasch, und ein Thorax-CT 2 Wochen später ergab eine Besserung der interstitiellen Schatten. Drei Wochen nach dem Aussetzen wurde die Everolimus-Behandlung in verringerter Dosierung (5 mg einmal täglich) wiederaufgenommen. Im Thorax-CT 2 Monate nach der Wiederaufnahme der Everolimus-Therapie (März 2011) waren keine Anzeichen der interstitiellen Schatten mehr zu erkennen (Abb. 2b). Der Verlauf der Serumkonzentrationen von KL-6 und C-reaktivem Protein (einem unspezifischen Serummarker zum Nachweis von Entzündungsreaktionen) während der Everolimus-Therapie ist in Abbildung 3 dargestellt.Was die antitumorale Wirksamkeit angeht, so wurde 17 Monate nach Beginn der Everolimus-Therapie (April 2010) eine Tumorreduktion um 33% nachgewiesen und eine Teilremission nach RECIST bestätigt (Abb. 4a, b). Sechs Monate nach Auftreten der zweiten ILE (Juni 2011) verschlechterte sich jedoch der Allgemeinzustand der Patientin allmählich, und ein Abdomen-CT zeigte die Progression der Lebermetastasen. Die Remissionsdauer betrug 14 Monate, die Gesamtdauer der Behandlung mit Everolimus 31 Monate. Everolimus wurde zu diesem Zeitpunkt abgesetzt und eine Therapie mit Octreotid eingeleitet. Die Überlebensdauer der Patientin betrug 45 Monate nach Beginn der Everolimus-Therapie und 14 Monate nach der Krankheitsprogression unter Everolimus.
Zweites Auftreten einer ILE. a Zum Zeitpunkt des Auftretens der ILE, 22 Monate nach der ersten Wiederaufnahme der Everolimus-Therapie, zeigt das Thorax-CT die Vergrößerung des interstitiellen Schattens im linken unteren Lungenfeld. b 3 Monate nach dem Auftreten der ILE und 2 Monate nach der erneuten Wiederaufnahme der Everolimus-Gabe sind im Thorax-CT keine interstitiellen Schatten mehr zu sehen.
Zweites Auftreten einer ILE. a Zum Zeitpunkt des Auftretens der ILE, 22 Monate nach der ersten Wiederaufnahme der Everolimus-Therapie, zeigt das Thorax-CT die Vergrößerung des interstitiellen Schattens im linken unteren Lungenfeld. b 3 Monate nach dem Auftreten der ILE und 2 Monate nach der erneuten Wiederaufnahme der Everolimus-Gabe sind im Thorax-CT keine interstitiellen Schatten mehr zu sehen.
Veränderung der Serumkonzentration von KL-6 und C-reaktivem Protein (CRP) unter Everolimus-Therapie im Zeitverlauf. KL-6 ist ein Biomarker für die klinische Diagnose der ILE und auch für die Beurteilung der Krankheitsaktivität. CRP ist ein unspezifischer Serummarker, der bei starkem Verdacht auf Gewebeschädigung oder Infektionen irgendwo im Körper zum Nachweis von Entzündungsreaktionen genutzt wird.
Veränderung der Serumkonzentration von KL-6 und C-reaktivem Protein (CRP) unter Everolimus-Therapie im Zeitverlauf. KL-6 ist ein Biomarker für die klinische Diagnose der ILE und auch für die Beurteilung der Krankheitsaktivität. CRP ist ein unspezifischer Serummarker, der bei starkem Verdacht auf Gewebeschädigung oder Infektionen irgendwo im Körper zum Nachweis von Entzündungsreaktionen genutzt wird.
Teilremission unter Everolimus. a Abdomen-CT vor Behandlungsbeginn mit Everolimus. b 18 Monate nach Beginn der Behandlung mit Everolimus ist eine Verkleinerung des Tumors um 33% zu sehen; Bestätigung der Teilremission gemäß RECIST, Version 1.0.
Teilremission unter Everolimus. a Abdomen-CT vor Behandlungsbeginn mit Everolimus. b 18 Monate nach Beginn der Behandlung mit Everolimus ist eine Verkleinerung des Tumors um 33% zu sehen; Bestätigung der Teilremission gemäß RECIST, Version 1.0.
Diskussion
Grundsätzlich stellt eine ILE eine lebensbedrohliche Toxizität dar. Wenn sich unter einer herkömmlichen Chemotherapie eine arzneimittelinduzierte ILD entwickelt, muss die Therapie abgesetzt werden und kann nicht wiederaufgenommen werden. Bei der hier vorgestellten Patientin trat jedoch zweimal während einer Behandlung mit Everolimus eine ILE auf. Die Therapie wurde bei beiden Episoden abgesetzt, konnte aber bei Besserung der ILE wiederaufgenommen werden. Schließlich zeigte die Chemotherapie positive Wirksamkeit bei dieser Patientin mit fortgeschrittenem neuroendokrinem Tumor der Bauchspeicheldrüse. Der Verlauf bei dieser Patientin hebt sich somit deutlich von der sonstigen Erfahrung bei Patienten ab, bei denen eine ILE als unerwünschte Wirkung einer herkömmlichen Chemotherapie auftritt; bei ihnen ist die Wiederaufnahme der Behandlung mit demselben Wirkstoff ungeachtet der Wirksamkeit in der Regel nicht möglich.
Die arzneimittelassoziierte ILE ist eine Klasseneffekt-Toxizität von Everolimus. Die zugrunde liegenden Mechanismen der Everolimus-induzierten ILE sind noch ungeklärt [6,7], wobei frühere Studien darauf hindeuten, dass eine T-Zell-vermittelte Überempfindlichkeit vom verzögerten Typ an der Pathogenese beteiligt sein könnte [6,7]. Die Häufigkeit der durch Everolimus induzierten ILE liegt den Berichten zufolge zwischen 13 und 64% [2,3,6,7,8,9,10] (Tab. 1), der Zeitraum bis zum Auftreten der ILE betrug zwischen 24 und 257 Tagen [2,11]. Während eine ILE eine lebensbedrohliche Komplikation darstellen kann und mit Everolimus behandelte Patienten engmaschig überwacht werden sollten, unterscheidet sich die mit Everolimus assoziierte ILE in vielen Punkten von einer mit herkömmlichen Chemotherapien assoziierten ILE [12,13]. Die häufigsten Veränderungen in der Bildgebung bei Everolimus-induzierter ILE sind Milchglastrübungen und fokale Konsolidierung, vor allem in den Unterlappen [14]. Ferner geht diese Form der ILE den Berichten zufolge meist nicht über Grad 1 oder 2 hinaus [1,2,3,4,11], spricht auf Kortikosteroide an und hat eine relativ geringe Letalität. Es ist möglich, dass die Behandlung mit Everolimus fortgesetzt werden kann, wenn die ILE sich nur in radiologischen Veränderungen zeigt, ohne Symptome (Grad 1). Darüber hinaus kann die Behandlung mit einer reduzierten Dosis wiederaufgenommen werden, wenn die ILE mit leichten Symptomen einhergeht (Grad 2) und sich nach Aussetzen der Behandlung bessert. Hierbei ist zu bemerken, dass keine Berichte über behandlungsassoziierte Todesfälle bei Patienten mit Grad-1-ILE vorliegen, bei denen die Everolimus-Therapie wiederaufgenommen wurde. Die Möglichkeit, die Behandlung mit Everolimus fortzusetzen bzw. wiederaufzunehmen, hat natürlich Implikationen für die Aufrechterhaltung der antitumoralen Wirksamkeit. Nicht zuletzt muss die Möglichkeit einer Infektion mit Bakterien, Viren oder Pilzen (z. B. Pneumocystis jirovecii oder Cytomegalovirus) ausgeschlossen werden, da mTOR-Inhibitoren auch eine immunsuppressive Wirkung ausüben.
KL-6 ist ein zirkulierendes Glykoprotein mit hohem Molekulargewicht, das kürzlich beim Menschen als MUC1-Mucin klassifiziert wurde. In früheren Studien wurden erhöhte KL-6-Serumkonzentrationen bei vielen Formen von ILE nachgewiesen, von der idiopathischen Lungenfibrose über Strahlenpneumonitis und Lungensarkoidose bis hin zur arzneimittelinduzierten Pneumonitis [13,14]. Darüber hinaus wurde über den Nutzen von KL-6 als Biomarker für die Beurteilung der Krankheitsaktivität und auch für die klinische Diagnose der ILE berichtet [15,16]. Bei dieser Patientin begann die KL-6-Serumkonzentration mit dem Auftreten der ILE zu steigen, um dann allmählich wieder abzunehmen, je mehr die ILE sich besserte. Die Messung der KL-6-Serumkonzentration ist somit eine schnelle, kostengünstige und reproduzierbare Methode zur Überwachung des klinischen Verlaufs einer ILE und ist heute sehr gebräuchlich als Test zur Überwachung der ILE-Aktivität.
Schlussfolgerung
Im Allgemeinen wird eine ILE zu einer lebensbedrohlichen Nebenwirkung, sobald sie eine schwere Phase erreicht. Eine durch Everolimus induzierte ILE ist jedoch häufig reversibel und spricht auf Kortikosteroid-Therapie an, und die Behandlung mit Everolimus kann wiederaufgenommen werden, sobald eine Verbesserung der ILE erreicht ist. Daher ist es wichtig, dass Ärzte bei Everolimus-induzierter ILE angemessen vorgehen und richtig behandeln, wenn sie Patienten mit fortgeschrittenen neuroendokrinen Tumoren der Bauchspeicheldrüse behandeln.
Disclosure Statement
Diese Arbeit wurde zum Teil unterstützt durch Grants-in-Aid for Cancer Research and for the Third-Term Comprehensive 10-Year Strategy for Cancer Control des japanischen Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt.