Abstract
Hintergrund: Viele Patienten mit primärer Myelofibrose (PMF), die zur Gruppe der myeloproliferativen Neoplasien zählt, werden aufgrund einer Anämie im Verlauf ihrer Erkrankung transfusionsabhängig. Die Transfusionsabhängigkeit ist bei diesen Patienten mit einem schlechteren Überleben assoziiert. Fallbericht: Wir berichten über eine 67-jährige Patientin, bei der die Diagnose einer PMF gestellt worden war. Die zytogenetische Untersuchung erbrachte einen 46,XX, del(20)(q11,2)-Karyotyp, der mit einer myeloproliferativen Erkrankung vereinbar ist. Obwohl ihr wegen einer schweren Anämie und Leukozytose dazu geraten wurde, lehnte die Patientin eine allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation ab. Nach Transfusion von kumulativ mehr als 70 Erythrozytenkonzentraten wurde eine Eisenchelat-Therapie mit Deferipron zur Behandlung der Eisenüberladung eingeleitet und nach 3 Monaten auf Deferasirox umgestellt. Innerhalb von 2 Monaten Therapie mit Deferasirox kam es zu einer signifikanten Reduktion der Serumferritin-Konzentrationen; die Patientin verlor ihre Transfusionsabhängigkeit über einen Zeitraum von 17 Monaten und erreichte normale Hämoglobinkonzentrationen. Schlussfolgerung: Die Eisenchelat-Therapie mit Deferasirox führte zu einer Verbesserung hämatologischer Parameter und zum Verlust der Transfusionsabhängigkeit. Übersetzung aus Onkologie 2013;36:205-208 (DOI: 10.1159/000349939)
Einleitung
Die primäre Myelofibrose (PMF) ist eine Philadelphia-negative myeloproliferative Neoplasie mit einer schlechten Prognose [1]. Typische genomische Anomalien sind z.B. die Mutationen JAK2V617F und MPLW515; sie bewirken die konstitutive Aktivierung Tyrosinkinase-abhängiger zellulärer Signalwege. Die Behandlung bei symptomatischen Patienten ist vorwiegend palliativ; die allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT) ist die einzige potenziell kurative Maßnahme [2,3]. Die symptomatische PMF-Therapie führt bestenfalls zu einer Besserung der Splenomegalie und der Zytopenien um 30-40 % [4]. Gezieltere und wirksamere Therapien sind derzeit in der Entwicklung. Patienten mit PMF entwickeln häufig eine Anämie, Transfusionsabhängigkeit und Eisenüberladung [5]. Anämie ist ein wichtiger prognostischer Faktor, sowohl laut dem International Prognostic Scoring System (IPSS) [6] als auch im dynamischen IPSS (DIPSS) [7]. Transfusionsabhängigkeit kann unabhängig von der Risikokategorie mit verkürztem Überleben einhergehen [8,9]. Es wurde als Risikofaktor in das DIPSS aufgenommen [7]. In diesem Artikel stellen wir den Fall einer PMF-Patientin vor, bei der eine Eisenchelat-Therapie (ICT) nicht nur die Eisenüberladung reduzierte, sondern auch zur Korrektur der Anämie und einem unerwarteten vorübergehenden Verlust der Transfusionsabhängigkeit für 17 Monate geführt hat.
Fallbericht
Im Mai 2000 wurde bei der 67-jährigen Patientin im Rahmen einer gründlichen Untersuchung wegen hämolytischer Anämie und Splenomegalie eine hereditäre Sphärozytose diagnostiziert. Die Erythrozyten zeigten im Blutausstrich die typische Kugelform, und die osmotische Resistenz war herabgesetzt, was mit der Diagnose Sphärozytose vereinbar ist. Aufgrund der anhaltenden Anämie wurden im Januar 2001 die Milz und eine Nebenmilz entfernt. Die Histologie des Milzgewebes war vereinbar mit hämolytischer Anämie, ergab jedoch keine Hinweise auf eine andere Pathologie. Allerdings folgte auf die Splenektomie keine Erhöhung der Hämoglobinwerte. Im März 2002, nachdem die Patientin neben der Sphärozytose auch eine exzessive Thrombozytose und Leukozytose entwickelt hatte, wurde anhand einer Knochenmarkbiopsie die PMF diagnostiziert. Die Histopathologie des Knochenmarks zeigte eine ausgedehnte medulläre Fibrose mit neu produziertem Knochengewebe (Abb. 1), diffus verteilte Megakaryozyten und einer Ausweitung der Granulopoese und Erythropoese. In der Zytologie wurden vereinzelte atypische Megakaryozyten gefunden. Die zytogenetische Untersuchung ergab eine Deletion des langen Arms von Chromosom 20, Karyotyp 46,XX, del(20)(q11.2), was mit einer myeloproliferativen Neoplasie vereinbar ist [10]. Der JAK2-Mutationsstatus wurde nicht untersucht. Aufgrund der schweren Anämie (Hämoglobin 9,0 g/dl) und Leukozytose zum Zeitpunkt der PMF-Diagnosestellung, die zur Einstufung als Hochrisikopatientin gemäß IPSS [6] führten, und angesichts des guten Allgemeinzustands der Patientin (Karnofsky-Performance-Status: 100%) wurde der Patientin eine allogene HSZT vorgeschlagen. Die Patientin willigte jedoch nicht in eine HSZT ein.
Histologischer Schnitt des Knochenmarks mit Hyperzellularität (alle drei Zelllinien erhöht). Megakaryozyten sind in Trauben angeordnet und zeigen charakteristische morphologische Veränderungen; z. B. zellulären Pleomorphismus mit hyperlobulierten Kernen. Darüber hinaus sind die Retikulinfasern deutlich vermehrt (Institut für Pathologie, Frankfurt/M.).
Histologischer Schnitt des Knochenmarks mit Hyperzellularität (alle drei Zelllinien erhöht). Megakaryozyten sind in Trauben angeordnet und zeigen charakteristische morphologische Veränderungen; z. B. zellulären Pleomorphismus mit hyperlobulierten Kernen. Darüber hinaus sind die Retikulinfasern deutlich vermehrt (Institut für Pathologie, Frankfurt/M.).
Transfusion und ICT
Seit 2001 hatte die Patientin in monatlichen Abständen Erythrozytenkonzentrat-Transfusionen erhalten. Nach Transfusion von kumulativ mehr als 70 Erythrozytenkonzentraten entwickelte sie eine schwere Eisenüberladung. Die Serumferritinkonzentration erreichte Höchstwerte von bis zu 4133 ng/ml. Aufgrund der hohen Serumferritinwerte wurde im März 2009 eine ICT mit Deferipron eingeleitet. Da der Serumferritinwert jedoch >2000 ng/ml blieb, wurde sie im Juni 2009 auf Deferasirox in einer Dosierung von ca. 10 mg/kg/Tag umgestellt. Unerwarteterweise setzte kurz nach der Umstellung auf Deferasirox eine Besserung der hämatologischen Parameter ein (Tab. 1), und nach 2 Monaten bestand keine Transfusionsabhängigkeit mehr (Abb. 2). Unter der Behandlung mit Deferasirox (10 mg/kg/Tag) blieb die Patientin 17 Monate lang, von Dezember 2009 bis Mai 2011, transfusionsunabhängig, mit Ausnahme von 2 Erythrozytenkonzentraten im November 2010 während eines bronchialen Infekts. Während der ICT ging die Serumferritinkonzentration zurück und erreichte im Mai 2011 einen Tiefstwert von 1475 ng/ml. Anzeichen von Hämolyse wurden nicht beobachtet, und der Haptoglobinwert blieb innerhalb des Normbereichs. Nach Wiederaufnahme der Transfusionstherapie im Mai 2011, bei gleichzeitiger Fortführung der ICT, lagen die Serumferritinwerte zwischen 1418 und 2273 ng/ml. Die letzte Untersuchung erfolgte im Dezember 2011.
Aggregierte 3-Monats-Transfusionsbedarf im Verlauf der Krankheit von Januar 2008 bis Dezember 2011. Zwischen 2001 und 2011 erhielt die Patientin etwa 3 Erythrozytenkonzentrate pro 3-Monats-Zeitraum. DFP = Deferipron.
Aggregierte 3-Monats-Transfusionsbedarf im Verlauf der Krankheit von Januar 2008 bis Dezember 2011. Zwischen 2001 und 2011 erhielt die Patientin etwa 3 Erythrozytenkonzentrate pro 3-Monats-Zeitraum. DFP = Deferipron.
Diskussion
Bei der hier vorgestellten PMF-Patientin führte die ICT zu einer Verbesserung der hämatologischen Parameter und einem lang anhaltenden Verlust der Transfusionsabhängigkeit. Zu den Mechanismen der Anämie bei PMF zählen unter anderem die Substitution von normalem hämatopoetischem Gewebe durch Kollagenfibrose, eine Sequestration in der Milz, eine ineffektive Erythropoese und eine myelosuppressive Therapie [11]. Ein weiterer Mechanismus könnte eine durch die Eisenüberladung induzierte Knochenmarkstoxizität sein. Labiles Plasmaeisen (LPI) vermag in Knochenmarkszellen einzudringen [12], wo es zur oxidativen Schädigung der DNA und zur Apoptose hämatopoetischer Vorläuferzellen beiträgt [13].
Bei anderen hämatologischen Erkrankungen ist beobachtet worden, wie eine ICT die Auswirkungen der ineffektiven Blutbildung eindämmte und den Transfusionsbedarf bzw. die Transfusionsabhängigkeit verringerte [14,15]. Da dieser Effekt unter Desferrioxamin, Deferipron und Deferasirox beobachtet worden ist, könnte es sich um einen Klasseneffekt handeln [15]. Eine große prospektive Teilstudie der EPIC-Studie (Evaluation of Patients' Iron Chelation with Exjade®) bestätigt die positive Wirkung von Deferasirox auf das hämatologische Ansprechen bei Patienten mit myelodysplastischem Syndrom (MDS) [16]. Die Verabreichung von Deferasirox führte zur allgemeinen Verbesserung der Erythropoese bei 22,6% der 341 MDS-Patienten, wobei der Hämoglobinwert bei 10% zunahm und der Transfusionsbedarf bei 10,8% zurückging. Darüber hinaus stieg bei 14% der Patienten die Thrombozytenzahl und bei 19,6% die Anzahl der neutrophilen Granulozyten. Gelegentlich ist auch bei Patienten mit PMF und transfusionsbedingter Hämosiderose eine Abnahme des Transfusionsbedarfs nach einer ICT mit Deferasirox oder Deferipron beobachtet worden [17,18,19].
Der genaue Mechanismus, über den die ICT auf die Transfusionsabhängigkeit einwirkt, ist noch nicht geklärt. Die Reduktion der eisenbedingten oxidativen Stressbelastung durch Eliminierung von LPI [20] und Elimination von toxischem Eisen aus den Organen einschließlich des Knochenmarks, wie für Thalassämie nachgewiesen [21], könnte ein Mechanismus sein, ist jedoch für erworbene Anämien nicht belegt. Weitere mögliche Mechanismen sind die Hochregulation oder Stabilisierung des Hypoxie-induzierbaren Faktors 1α, der an der Erythropoetinproduktion und dem Schutz der Zellen vor oxidativem Stress beteiligt ist [22], oder auch die Hemmung der Aktivität des nuklearen Faktors kappa B, eines wichtigen Regulators vieler zellulärer Prozesse [23].
Die Korrektur der Anämie und die Elimination der Transfusionsabhängigkeit sind von zentraler Bedeutung dafür, die Prognose bei PMF zu verbessern [8]. Einer aktuellen retrospektiven Übersichtsarbeit zufolge war die ICT mit einer gesteigerten Überlebensdauer bei diesen Patienten verbunden [5]. Darüber hinaus ist ein geringerer Transfusionsbedarf auch ein günstiger Prognosefaktor für eine HSZT [24]. Die aktuelle Datenlage deutet darauf hin, dass eine ICT frühzeitig eingeleitet werden sollte, um einer ineffektiven Hämatopoese entgegenzuwirken und den negativen Folgen der Eisenüberladung vorzubeugen.
Disclosure Statement
Die Autoren haben von Novartis Honorare für Beratungstätigkeiten erhalten.