Abstract
Hintergrund: Eine durch psychosozialen Stress beeinflusste neuroendokrine Dysregulation steht im Zusammenhang mit dem Wiederauftreten von Brustkrebs. Sehr wenige Studien untersuchen den Einfluss von Psychotherapie auf die Cortisol-Tagesprofile von Brustkrebsüberlebenden. Methoden:48 Brustkrebspatientinnen, die eine aktive Krebsbehandlung abgeschlossen hatten, wurden randomisiert einer Behandlung mit acht wöchentlichen Körper-Geist-Seele(Body-Mind-Spirit; BMS)-Gruppentherapiesitzungen oder einer einmaligen psychoedukativen (Educational, EDU) Therapiesitzung zugewiesen. Die Selbstbeurteilungsmaße umfassten das Beck-Depression-Inventar-II (BDI-II) und den Fragebogen zu Lebensbedeutungen und Lebenssinn (Meaning in Life Questionnaire; MLQ), einschließlich der zwei Unterskalen MLQ-Presence und MLQ-Search. Die Cortisol-Konzentrationen im Speichel wurden von den Patientinnen selbst zuhause zu folgenden Zeitpunkten ermittelt: nach dem Aufwachen, 30 und 45 min nach dem Aufwachen sowie um 12.00 Uhr, 17.00 Uhr und 21.00 Uhr. Die Messzeitpunkte umfassten Baseline (Studienbeginn) sowie Messungen nach Monat 2 (Abschluss der BMS-Therapie), Monat 5 und Monat 8. Ergebnisse: Bei den BDI-II-Scores (p > 0,05) und den MLQ-Presence-Scores (p > 0,05) gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen der BMS- und der EDU-Gruppe bei Studienbeginn oder zu den drei Nachbeobachtungszeitpunkten. Im fünften Nachbeobachtungsmonat wurden jedoch in der BMS-Gruppe höhere MLQ-Search-Scores festgestellt als in der EDU-Gruppe (p < 0,01). Eine höhere 21.00-Uhr-Cortisol-Konzentration (p < 0,01) und ein flacheres Cortisol-Tagesprofil trat in Monat 8 der Nachbeobachtung mit höherer Wahrscheinlichkeit bei den EDU-Teilnehmerinnen als bei den BMS-Teilnehmerinnen auf (p < 0,05). Schlussfolgerung: Die BMS-Gruppentherapie trug vermutlich dazu bei, die aktive Suche nach einem Lebenssinn und nach mehr Möglichkeiten des persönlichen Wachstums zu intensivieren, und förderte die Erhaltung stabiler Cortisol-Reaktionen auf den Alltagsstress bei Brustkrebsüberlebenden. Gekürzte Übersetzung aus Psychother Psychosom 2012;81:173-182 (DOI:10.1159/000329178)
Originaltitel: The Effects of Psychotherapy on Psychological Well-Being and Diurnal Cortisol Patterns in Breast Cancer Survivors
Fei-Hsiu Hsiaoa Guey-Mei Jowc Wen-Hung Kuob King-Jen Changb,f Yu-Fen Liud Rainbow T.H. Hog Siu-Man Ngg Cecilia L.W. Chang Yu-Ming Laie Yu-Ting Chene
Departments of aNursing and bSurgery, College of Medicine, National Taiwan University, cSchool of Medicine, Fu-Jen Catholic University, dFoundation of Breast Cancer Prevention and Treatment, Taipei, eSchool of Nursing, Chang-Gung University, Taoyuan, fCheng Ching Hospital, Taichung, Taiwan, ROC, gDepartment of Social Work & Social Administration, and Centre on Behavioral Health, The University of Hong Kong, Hong Kong, SAR, China
Transfer in die Praxis
In der psychoonkologischen Forschung wird seit vielen Jahren diskutiert, ob Psychotherapie die Überlebensrate bei Krebspatienten erhöhen kann und welche psychoneuroimmunologischen Mechanismen und verhaltensbezogenen Faktoren daran beteiligt sind. Die empirische Datenlage ist uneinheitlich und weist eher - legt man methodisch exzellente Studien [1,2,3,4] zugrunde - darauf hin, dass weder psychoedukative noch supportiv-expressive oder kognitiv-existenzielle Gruppeninterventionen mit einem Überlebensvorteil für die Krebspatienten einhergehen. Ein kürzeres Überleben hängt vielmehr mit sozialer Ungleichheit und unbehandelter Depression zusammen und lässt sich wahrscheinlich durch Verhaltensfaktoren (u.a. Alkohol- und Tabakabusus, ungenügende Bewegung) sowie eine niedrigere Therapieadherenz erklären.
In diesem Artikel wird in einer randomisiert kontrollierten Studie der Effekt einer achtwöchigen Body-Mind-Spirit(BMS)-Gruppentherapie mit einer einmaligen psychoedukativen Gruppensitzung (EDU) hinsichtlich der Merkmale Depressivität, Lebenssinn sowie der (Speichel-)Cortisol-Konzentration verglichen. Die Ergebnisse zeigen im 5-Monats-Follow-up eine signifikante Abnahme der Suche nach Lebenssinn in der BMS-Gruppe sowie im 8-Monats-Follow-up eine signifikant höhere Cortisol-Konzentration um 21 Uhr abends sowie eine niedrigere Cortisol-Konzentration über den Tag.
Welche Aussagen sind kritisch zu bewerten?
Die Ergebnisse der Studie scheinen auf den ersten Blick vielversprechend, sind aber aufgrund zahlreicher methodischer Mängel kritisch zu bewerten. Zum einen ist die Fallzahl und damit die statistische Power der Untersuchung gering. Da die Autoren keine moderate bis hohe psychische Belastung als zentrales Einschlusskriterium definiert haben, ist es naheliegend, dass es sich bei den gleichbleibenden Depressionswerten um Deckeneffekte handelt. Auch wurden mögliche Dosiseffekte der Intervention von vornherein nicht kontrolliert bzw. die Kontrollgruppe nicht angepasst. Auch wurde die tatsächliche Messung der Cortisol-Konzentration der Teilnehmer über den Tag nicht kontrolliert, so dass die Messwerte nur mit großem Vorbehalt interpretiert werden sollten. Aus der angegebenen Literatur geht darüber hinaus nicht hervor, ob der eingesetzte Fragebogen zu Lebenssinn bei Krebspatienten validiert wurde und das Konstrukt tatsächlich erfasst. Ebenfalls kritisch zu bewerten sind einige Zielsetzungen der Intervention wie die, eine positive Sichtweise auf das Leiden durch die Krebserkrankung zu erhalten, mit der Möglichkeit, persönlich daran zu wachsen. Hier mag es kulturelle Unterschiede geben, aber diese Zielsetzungen sind kritisch zu hinterfragen, weil sie Patienten zu der Überzeugung verleiten können, sie müssten positiv denken, damit es ihnen besser geht. Auch fehlen Angaben, ob es sich um eine manualisierte Intervention gehandelt hat und durch welche therapeutischen Strategien die Effekte erreicht werden sollten.