Abstract
Hintergrund: Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrosen (BRONJ) sind eine schwere Nebenwirkung der Bisphosphonattherapie. Aufgrund ihres langen Überlebens mit den daraus resultierenden hohen kumulativen Bisphosphonatdosen haben Myelompatienten im Vergleich mit anderen Patienten unter Bisphosphonattherapie das höchste Risiko für BRONJ. Ziel der Studie war es, Inzidenz und Risikofaktoren für BRONJ bei Myelompatienten zu untersuchen, die zuvor eine Hochdosischemotherapie und autologe Stammzelltransplantation (ASCT) erhalten hatten. Patienten und Methoden: Die Daten von 120 Myelompatienten unter Bisphosphonattherapie nach Hochdosischemotherapie und ASCT wurden analysiert. Ergebnisse: Von den 120 Patienten entwickelten 23 (19%) BRONJ. 6 Patienten erlitten mehr als ein BRONJ-Ereignis, was eine Gesamtinzidenz von 23% ergab. Das BRONJ-Risiko war für Patienten mit einer rheumatischen Erkrankung oder einer kürzlich erfolgten Zahnmanipulation erhöht. Zudem waren die Zahl der Bisphosphonatpräparatwechsel, die Therapiedauer, die Art und die kumulative Bisphosphonatdosis mit dem BRONJ-Risiko assoziiert. Schlussfolgerung: Dies ist die erste Studie, die das BRONJ-Risiko in einer homogenen Patientengruppe mit multiplem Myelom nach Hochdosischemotherapie und ASCT untersucht. Übersetzung aus Onkologie 2012;35:658-664 (DOI:10.1159/000343950)
Originaltitel: Incidence and Risk Factors of Bisphosphonate-Related Osteonecrosis of the Jaw in Multiple Myeloma Patients Having Undergone Autologous Stem Cell Transplantation
Cornelia Thena Natalie Höraufb Sven Ottoc Christoph Pautkec Emmo von Tresckowd Tim Röhnischb Philipp Baumannb Ralf Schmidmaierb Irmgard Bumederb Fuat S. Oduncub
aDivision of Endocrinology and Diabetology, bDivision of Hematology and Oncology, Medical Clinic and Policlinic IV, cDepartment of Oral and Maxillofacial Surgery, Ludwig-Maximilians University Munich, dStarnberg, Germany
Transfer in die Praxis
Die Therapie mit Bisphosphonaten bei symptomatischen Myelompatienten ist heute obligat. Neben den etablierten antineoplastischen Behandlungen konnte in mehreren Phase-III-Studien der Nutzen einer Bisphosphonattherapie in Bezug auf Knochenschmerzen und skelettale Ereignisse - wie pathologische Frakturen, Radiotherapie des Skelettsystems oder Kompressionen des Spinalkanals - gezeigt werden [1]. Insbesondere stickstoffhaltige Bisphosphonate (z.B. Zoledronat und Ibandronat) besitzen im Vergleich zu nichtstickstoffhaltigen Bisphosphonaten (z.B. Clodronat und Pamidronat) eine direkte und indirekte Antitumoraktivität durch die Beeinflussung der Tumor-Stroma-Interaktion im Knochenmark [2]. Ein Vorteil dieser Bisphosphonatgruppe, insbesondere von Zoledronat gegenüber Clodronat bezüglich des Gesamtüberlebens konnte bisher für Patienten bei Erstdiagnose mit bereits bestehender Knochenerkrankung und systemischer Behandlung gezeigt werden [3].
Das Nebenwirkungsprofil der Bisphophonattherapie beinhaltet akute, grippeähnliche Reaktionen (u.a. Fieber, Schüttelfrost und Kopfschmerzen), Hypokalzämie, Hypophosphatämie und Nierenfunktionsstörungen. Neben diesen zumeist kurzfristigen unerwünschten Wirkungen stellt die bisphosphonatassoziierte (Kiefer-)Osteonekrose (bisphosphonate-related osteonecrosis of the jaw; BRONJ) eine seltene, aber meist schwerwiegende im Verlauf auftretende Komplikation dar. Sie ist somit von großer klinischer Relevanz. Die BRONJ ist definiert als sichtbarer Kieferknochen im Bereich der Mundhöhle bei Bisphosphonatgabe ohne vorherige Bestrahlung im Bereich des exponierten Knochens.
In der vorliegenden Studie untersuchten Then et al. das Auftreten und mögliche Risikofaktoren der BRONJ bei 120 Patienten mit multiplem Myelom, die mit Hochdosistherapie und autologer Blutstammzelltransplantation behandelt wurden. Hierbei zeigte sich eine Gesamtinzidenz der BRONJ von 23%. Insbesondere vorbestehende rheumatische Erkrankungen und kürzlich zurückliegende Zahnmanipulationen (z.B. Zahnextraktionen, Zahnwurzelbehandlungen o.ä.) stellten sich dabei als patientenassoziierte Risikofaktoren für die Entwicklung einer BRONJ heraus.
Im Vergleich war die Gruppe der Patienten, die eine BRONJ entwickelten, älter und erhielt die Bisphosphonattherapie deutlich länger als der Durchschnitt aller Patienten. Ob ein Zusammenhang zwischen den gezeigten patientenassoziierten oder anderen Risikofaktoren und der Dauer der Gabe bzw. dem Alter der Patienten besteht wurde nicht untersucht. Vermutlich ist das Auftreten einer BRONJ jedoch mit hohen kumulativen Bisphosphonatdosen assoziiert. Hier sind weiterführende Studien mit höheren Fallzahlen notwendig.
Die Gesamtinzidenz der BRONJ ist in der vorliegenden Studie mit 23% im Vergleich zu anderen Publikationen hoch (ca. 2-20%). Dies kann im Zusammenhang mit dem untersuchten Patientenkollektiv (nur transplantierte Patienten) und der hohen medianen Bisphosphonattherapiedauer (33,5 Monate) stehen. Zum anderen ist zu bedenken, dass eine asymptomatische BRONJ möglicherweise im klinischen Alltag unterdiagnostiziert bleibt, besonders wenn keine regelmäßigen zahnärztlichen Kontrollen erfolgen.
Wie bereits in anderen Studien gezeigt, besteht ein Zusammenhang zwischen dem häufigeren Auftreten von BRONJ und der Gabe von Zoledronat [4]. Die klinische Relevanz dieser Beobachtung muss jedoch im Zusammenhang mit den Beobachtungen bezüglich des verbesserten Gesamtüberlebens bei Myelompatienten mit initialer Knochenerkrankung abgewogen werden.
Fazit
Die vorliegende Studie unterstreicht die Bedeutung der BRONJ als Komplikation bei transplantierten Myelompatienten und verdeutlich die Notwendigkeit einer interdisziplinären, regelmäßigen Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten und Hämatologen/Onkologen, besonders bei langdauernder Bisphosphonatgabe.