Zusammenfassung
Bei einem 61-jährigen Patienten kaukasischer Abstammung mit schwerer Plaque-Psoriasis ohne Gelenkbeteiligung wurde eine Behandlung mit Adalimumab eingeleitet. Kurz darauf stellte er sich aufgrund akuter Sehverschlechterung im rechten Auge in der Notaufnahme vor. Eine umfassende systemische Untersuchung wurde durchgeführt, einschließlich Magnetresonanztomographie (MRT)-Aufnahmen des Gehirns und der Orbitae mit und ohne Gadoliniumverstärkung. Der MRT-Befund war vereinbar mit ZNS-Demyelinisierung und Retrobulbärneuritis. Adalimumab wurde sofort abgesetzt und keine weitere systemische Therapie eingeleitet. 6 Wochen später war das Sehvermögen des Patienten vollständig wiederhergestellt. Weitere Psoriasis- oder neurologische Behandlungsmaßnahmen erfolgten nicht. Der Patient ist seit 14 Monaten stabil. Übersetzung aus Case Reports in Dermatology 2017;9:60-64 (DOI:10.1159/000461572)
Fallbericht
Der 61-jährige Patient kaukasischer Abstammung leidet an Plaque-Psoriasis ohne Gelenkbeteiligung. In der Notaufnahme klagte er primär über zunehmende Sehverschlechterung seit 5 Tagen und über schmerzende Augenbewegungen. Seine ophthalmologische Vorgeschichte, die sonstige Krankengeschichte sowie die Besprechung der Symptomatik gaben keinen weiteren Aufschluss. Signifikant in seiner dermatologischen Krankengeschichte war das Versagen einer Psoriasistherapie mit Etanercept. Vor seiner Vorstellung wurde der Patient seit 8 Wochen mit Adalimumab behandelt, mit klinischer Verbesserung der Psoriasis.
Eine sofortige augenärztliche Untersuchung ergab als signifikante Befunde eine Verschlechterung der Sehschärfe von 20/50 im rechten Auge mit afferentem Pupillendefekt und vermindertem Farbsehen auf der rechten Seite; die Funduskopie war unauffällig. Eine formale Gesichtsfeldmessung ergab einen bogenförmigen Gesichtsfelddefekt im rechten Auge und keine Ausfälle im linken Auge (Abb. 1). Umfassende Laboruntersuchungen einschließlich Fluoreszenz-Treponema-Antikörper-Absorption-Test (FTA-Abs) und Rapid-Plasma-Reagin-Test (RPR) ergaben Werte im Normbereich. Auf MRT-Aufnahmen des Gehirns und der Orbitae mit und ohne Gadoliniumverstärkung zeigten sich keine orbitalen Anomalien, jedoch in beiden Hemisphären multiple unspezifische Hyperintensitäten in der weißen Hirnsubstanz in FLAIR- und T2-gewichteten Sequenzen ohne Masseneffekt oder Ödembildung. Diese Ergebnisse waren vereinbar mit ZNS-Demyelinisierung und Retrobulbärneuritis. Adalimumab wurde sofort abgesetzt. Eine formale neurologische Konsultation ergab die Empfehlung zur Einleitung einer systemischen Steroidtherapie, die der Patient jedoch ablehnte.
Die Gesichtsfeldmessung (SITA 24-2) bei der Erstvorstellung ergab einen superioren bogenförmigen Defekt (Pfeil) im rechten Auge.
Die Gesichtsfeldmessung (SITA 24-2) bei der Erstvorstellung ergab einen superioren bogenförmigen Defekt (Pfeil) im rechten Auge.
In der augenärztlichen Kontrolluntersuchung 6 Wochen später waren Sehschärfe und Gesichtsfeld vollständig wiederhergestellt (Abb. 2) und blieben in den nächsten 14 Monaten stabil. Die Psoriasis wurde nicht wieder systemisch behandelt.
Die Gesichtsfeldmessung (SITA 24-2) bei der Kontrolluntersuchung nach 6 Wochen zeigte die beidseitige vollständige Wiederherstellung des Gesichtsfelds.
Die Gesichtsfeldmessung (SITA 24-2) bei der Kontrolluntersuchung nach 6 Wochen zeigte die beidseitige vollständige Wiederherstellung des Gesichtsfelds.
Diskussion
Adalimumab ist ein rekombinanter humaner monoklonaler Antikörper, der den Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α) neutralisiert. Er ist von der US-Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) zur Behandlung der mittelschweren bis schweren Psoriasis sowie einer Reihe anderer Autoimmun- und rheumatologischer Erkrankungen zugelassen. Die Anwendung von TNF-α-Hemmern einschließlich Adalimumab ist mit verschiedenen demyelinisierenden Erkrankungen sowohl des zentralen als auch des peripheren Nervensystems in Verbindung gebracht worden. Es gibt Fallberichte über Retrobulbärneuritis, Multiple Sklerose und Querschnittsmyelitis sowie das Guillain-Barré-Syndrom im Zusammenhang mit dem Einsatz von TNF-α-Hemmern bei verschiedenen rheumatologischen und entzündlichen gastrointestinalen Erkrankungen []1-3]. Wir berichten hier erstmals über einen Fall von Retrobulbärneuritis und ZNS-Demyelinisierung bei einem Patienten, der wegen Plaque-Psoriasis ohne Gelenkbeteiligung mit Adalimumab behandelt wurde.
Zielgerichtete biologische Therapien, die bei T-Helferzellen und Immunzytokinen ansetzen, werden dank ihrer klinischen Wirksamkeit und relativen Sicherheit in den letzten Jahren vermehrt zur Behandlung von Psoriasis und Psoriasis-Arthritis eingesetzt []4]. TNF-α-Inhibitoren wie Adalimumab sind die meistverwendeten Biologika bei diesen Indikationen. Sie sind nicht nur mit einem erhöhten Infektionsrisiko assoziiert, sondern auch mit einem potenziellen Risiko für das Auftreten einer demyelinisierenden Erkrankung des zentralen oder peripheren Nervensystems bzw. mit dem Risiko einer Verschlechterung, wenn eine solche Erkrankung bereits besteht []1-3]. In einer aktuellen Studie wurden sämtliche bisher vorliegenden Berichte über demyelinisierende Erkrankungen im Zusammenhang mit einer Anti-TNF-α-Therapie bei Psoriasis und Psoriasis-Arthritis analysiert. Die Autoren gelangten zu dem Schluss, dass diese Komplikationen recht selten sind, da bisher erst über 21 weitere Fälle während und nach klinischen Studien berichtet worden ist []5]. Wir beschreiben in unserem Fallbericht erstmals die Assoziation einer Adalimumab-Therapie mit Retrobulbärneuritis und ZNS-Demyelinisierung bei einem Patienten mit Plaque-Psoriasis ohne Psoriasis-Arthritis. Eine kontinuierliche Überwachung auf mögliche neurologische Nebenwirkungen ist bei Psoriasis-Patienten unter Adalimumab-Therapie möglicherweise angezeigt.
Erklärung zu ethischen Konflikten
Die vorliegende Arbeit entspricht den Richtlinien für Forschung am Menschen.
Disclosure Statement
Die Autoren haben keine Interessenkonflikte offenzulegen. Sie haben keine Finanzierung für diese Arbeit erhalten.