Zusammenfassung
Hintergrund/Ziele: Bedenken gegenüber topischen Kortikosteroiden (TCC; topical corticosteroid concerns) sind bei Patienten mit atopischer Dermatitis ein wichtiges Thema, das mit mangelnder Therapietreue, entsprechend schlechter Krankheitskontrolle und erhöhten Kosten für das Gesundheitswesen einhergeht. Doch weder die Prävalenz von TCC in einer überschaubareren dermatologischen Patientenpopulation noch die Auswirkungen der Patientenaufklärung zu topischen Kortikosteroiden durch Ärzte sind bekannt. Daher untersuchten wir die Prävalenz, Merkmale und Quellen von TCC in einer dermatologischen Population sowie die Auswirkungen schriftlicher und mündlicher Patientenaufklärung über TCC. Methoden: Insgesamt 643 ambulante Patienten mit verschiedenen Hautkrankheiten beantworteten während der Wartezeit in der Praxis einen Fragebogen mit 12 Items. Vor und nach der Patienteninformation, bestehend aus einer schriftlichen und mündlichen dermatologischen Aufklärung über topische Kortikosteroide (TCS), stuften die Patienten mit TCC das Ausmaß ihrer Bedenken auf einer separaten visuellen Analogskala ein. Ergebnisse: Die TCC-Prävalenz lag bei 41,5%; die Prävalenz TCC-bedingter Non-Adhärenz bei 28,3%. TCC war positiv assoziiert mit einem Lebensalter <60 Jahren, weiblichem Geschlecht, Anwendung von Komplementär- und Alternativmedizin (CAM) sowie Inanspruchnahme von nicht-ärztlicher Gesundheitsberatung. Die stärksten Bedenken bestanden gegenüber Hautatrophie, systemischen Wirkungen und Beeinträchtigungen des Immunsystems. Die häufigsten Quellen von TCC waren negative Berichte in den Medien oder von Angehörigen und Freunden. Sowohl die schriftliche als auch die mündliche Aufklärung reduzierten die TCC signifikant. Die «number needed to benefit from (patient) information» betrug für die Patientenaufklärung etwa 2. Die Non-Responder waren überdurchschnittlich häufig weiblich, TCS-unerfahren, CAM-Anwender und von mittlerem Bildungsniveau. Schlussfolgerungen: TCC sind in bei dermatologischen Patienten sehr weit verbreitet. Die Aufklärung des Patienten kann die TCC in nahezu jedem zweiten Fall reduzieren.
Transfer in die Praxis von Prof. Dr. Uwe Gieler (Gießen)
Hintergrund
Die Therapie von Hautkrankheiten beruht bekanntlich auf zwei wesentlichen Säulen: einer adäquaten diagnosegerechten dermatologischen Therapie und der konsequenten Anwendung durch die Patienten im Hinblick auf Therapietreue (compliance; adherence). Hierbei sind die Ängste vor Cortison-Nebenwirkungen immer noch ein Thema. Wir wissen es längst: Die Angst vor topischem Cortison hält viele Patienten davon ab, sich in die notwendige Behandlung zu begeben und damit ihre Ekzeme lindern zu lassen.
Studienergebnisse
Die Arbeitsgruppe um Müller et al. nehmen sich dieser Fragestellung erneut an. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass bei 41,5% der Patienten Vorbehalte gegen Cortison vorliegen und dies bei 28,3% zu Non-Adherenz führt. Untersucht wurden dabei 643 Patienten einer Universitätshautklinik-Ambulanz, die mit einem 12-Item-Fragebogen nach ihren Ängsten gegenüber Cortison befragt wurden. Die Autoren der Studie konnten die Einflüsse auf die vorhandenen Cortison-Ängste prüfen und zeigen, dass ein jüngeres Alter (<60 Jahre), das Geschlecht (Frauen mehr als Männer) und die Anwendung komplementärmedizinischer Maßnahmen sowie Inanspruchnahme von nicht-ärztlicher Gesundheitsberatung zu vermehrten Ängsten führt. Hierbei waren Sorgen vor Hautverdünnung, systemischen Effekten und Einflüssen auf das körperliche Abwehrsystem die häufigsten. Durch gezielte Interventionen, wie eine schriftliche Erläuterung zur Cortison-Behandlung und die mündliche Beratung über den Einsatz von Cortison, konnten die Sorgen der Patienten signifikant reduziert werden.
Studien zu Angst vor Cortison
Aubert-Wastiaux et al. [1] sind bei einer Erhebung in Frankreich zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Diese Studie an 208 Patienten mit 53 Dermatologen zeigte bei 80,7% der Patienten Ängste gegenüber den lokalen Cortison-Behandlungen; aus diesem Grund hatten 36% der Patienten die Therapie nicht abgeschlossen. In Korea finden sich ebenfalls ähnliche Zahlen zu Cortison-Ängsten bei Eltern von Kindern mit Neurodermitis. Lee et al. [2] konnten hier in 67,5% der Fälle entsprechende Ängste feststellen; 49,2% der Eltern hatten Ihre Informationen aus dem Internet bezogen.
Die Bedenken sind aber nicht nur bei Patienten bzw. den Eltern von behandelten Kindern vorhanden [3,] sondern auch bei den Klinikern selbst. Auch hier konnte die Arbeitsgruppe von Müller et al. [4] zeigen, dass von den 202 untersuchten Dermatologen 74% ebenfalls gewisse Sorgen beim Einsatz von topischen Kortikoiden hatten, nur 30% beschrieben die Sorgen der Patienten korrekt. Eine Umfrage unter 500 zufällig ausgewählten Apothekern in Frankreich [5 ]zum Vertrauen in topische Kortikoide ergab auf einer Skala von 0 bis 10 lediglich einen Mittelwert von 4,46, was für ein lediglich moderates Vertrauen in die topische Kortikoid-Behandlung spricht. Dies spielt möglicherweise auch in der Beratung von Hautpatienten eine Rolle.
Fazit für die Praxis
Wenn diese Bedenken zu einer mangelhaften Therapietreue führen, können sich manchmal auch dramatische, mitunter tödliche Folgen einer Dermatose zeigen, wie im Beispiel einer jungen Neurodermitis-Patientin, die in der Folge an einer Sepsis starb, weil ihr Vater als komplementärmedizinischer Behandler kein Cortison anwenden wollte [6].
Auf der anderen Seite werden die Ängste verständlich durch eine missbräuchliche Verwendung von topischen Kortikoiden und die daraus entstehenden Nebenwirkungen, wie diverse Fälle aus Indien zeigen [7,8].
Die Ängste gegenüber Cortison und die dargestellten Studienergebnisse decken sich mit einer umfangreichen Literaturrecherche zum Thema «compliance/adherence» von Steve Feldman et al. [9]. Ausgehend von der mangelnden Compliance bei Hautpatienten beschreibt er gezielte und effektive Maßnahmen für eine offenere Haltung der Patienten gegenüber einer Cortison-Behandlung durch häufigere Konsultationen, schriftliche Informationen und das Eingehen auf die Ängste der Patienten. Gerade bei Neurodermitis scheint die gezielte Zuwendung und Aufklärung ein wichtiger Faktor zu sein, um die Therapieeffektivität zu gewährleisten [10,11].
Disclosure Statement
Hiermit erkläre ich, dass keine Interessenskonflikte in Bezug auf den vorliegenden Kommentar bestehen.