Zusammenfassung
Angesichts der Knappheit dermatologischer Ressourcen in weiten Teilen der Welt sind von Patienten durchgeführte Selbsttests nicht nur für die Innere Medizin von Interesse, sondern auch für die Dermatologie. In dieser unverblindeten, nichtrandomisierten, multizentrischen diagnostischen Studie mit Teilnehmern mit Verdacht auf Kontaktsensibilisierung gegen Nickel und/oder einen Duftstoff-Mix untersuchten wir die Übereinstimmung der Ergebnisse einer Selbsttestung durch die Teilnehmer mit der Ablesung durch Dermatologen. Das Selbsttest-Produkt (Nixema™) basiert auf der «TRUE Test®»-Technologie (TRUE Test = Thin-Layer Rapid Use Epicutaneous Test). 165 Teilnehmer wendeten den gebrauchsfertigen Epikutantest bei sich an. Die Pflaster wurden für 48 h auf der Haut belassen; nach 3 oder 4 Tagen wurden die Ergebnisse abgelesen. Unabhängig davon wurden die Tests nach 3 oder 4 Tagen auch durch erfahrene Dermatologen evaluiert. Bezogen auf die 162 auswertbaren Teilnehmer belief sich der Anteil der Übereinstimmung bei beiden Allergenen auf 89,5% (95%-Konfidenzintervall (KI) 83,7-93,8); die Sensitivität betrug 97,5% (95%-KI 86,8-99,9) und die Spezifität 86,9% (95%-KI 79,6-92,3). Auch der Cohen-Kappa-Koeffizient war mit 0,749 hoch (95%-KI 0,637-0,862). Diskrepanzen zwischen den Ablesungsergebnissen der Teilnehmer und denen der Dermatologen waren hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Teilnehmer als «irritativ» oder «zweifelhaft» einzustufende Reaktionen als «positiv» bewerteten. Abgesehen von Juckreiz und Brennen sowie Reizung durch die Pflasterstreifen wurden keine Nebenwirkungen beobachtet. Als Fazit ist festzustellen, dass die Studie ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen der Selbstauswertung durch die Patienten und der Ablesung durch die Dermatologen ergab. Der Oberarm erwies sich hierbei als geeignete Region für den Selbsttest. Selbsttests könnten das Screening auf Kontaktsensibilisierung bei Patienten verbessern, insbesondere in Regionen, in denen dermatologische Fachressourcen knapp sind. Übersetzung aus Skin Pharmacol Physiol 2015;28:257-263 (DOI: 10.1159/000437017)
Experten-Kommentar
Warum ist der Artikel relevant für den deutschen Praxis- und Klinikalltag?
Kontaktallergien kommen in der Allgemeinbevölkerung häufig vor [1]. Die erfolgreiche Aufklärung einer Kontaktallergie erfordert eine anamnesebasierte Epikutantestung mit verdächtigen Kontaktstoffen [2,3]. Sowohl die anamnestische Expositionserfassung als auch die Durchführung des Tests sind ressourcenaufwändig (Zeit und Materialkosten).
Selbsttests sind in vielen Bereichen der Medizin etabliert. Im hier vorgestellten Artikel wird erstmals die Ergebnisqualität eines in Deutschland nicht zugelassenen Epikutan-Selbsttests mit 2 häufigen Kontaktallergenen (Nickel und Duftstoff-Mix I (DM I)) untersucht.
Welche Inhalte sind neu?
Die Autoren präsentieren das Ergebnis aus einer offenen, nichtrandomisierten diagnostischen Multi-Center-Studie bei Patienten mit Verdacht auf Kontaktsensibilisierung auf Nickel (n = 88) oder DM I (n = 87), in der die Übereinstimmung eines in Deutschland nicht zugelassenen Selbsttests mit der Bewertung durch Dermatologen untersucht wurde.
In der Studie von Elsner et al. wurden automatisiert beschickte, gebrauchsfertige Epikutantest-Systeme verwendet, bei denen die Kontaktallergene als dünner Film eines hydrophilen Gels eingearbeitet und auf einer wasserfesten Polyesterklebefolie aufgebracht sind. Die Testpflaster (entweder beschickt mit Nickelsulfat (0,20 mg/cm2) oder DM I (0,43 mg/cm2: α-Amylzimtaldehyd, Eugenol, Geraniol, Hydroxycitronellal, Isoeugenol, Zimtaldehyd, Zimtalkohol, Eichenmoos-Extrakt; INCI: α-Amyl cinnamal, Eugenol, Geraniol, Hydroxycitronellal, Isoeugenol, Cinnamal, Cinnamyl alcohol, Evernia prunastri)) wurden für 48 h am Oberarm durch den Patienten und parallel dazu am Rücken durch den ärztlichen Experten aufgebracht. Die Entfernung und Ablesung (positiv vs. negativ) des Testpflasters am Oberarm wurden durch die Patienten selbst durchgeführt. Simultan dazu erfolgten die Entfernung des Testpflasters am Rücken und die Ablesung der Testreaktionen (nach den Empfehlungen der International Contact Dermatitis Research Group: +, ++, +++, negativ, irritativ) an Rücken und Oberarm durch allergologisch versierte Dermatologen.
Für die beiden unterschiedlichen Testorte «Rücken» versus «Arm» zeigte sich für Nickel bei der Ablesung durch denselben Experten eine gute Übereinstimmung von 89,9% (95%-Konfidenzintervall (KI) 81,7-95,3), bei einem Cohens-Kappa-Wert von 0,795 (95%-KI 0,667-0,922), und für DM I von 97,3% (95%-KI 90,6-99,7), Cohens Kappa 0,819 (95%-KI 0,572-1,066).
Eine Übereinstimmung der Ergebnisse von Patienten und Experten lag bei den Epikutantest-Ablesungen am Arm für Nickel bei 90,9% (95%-KI 82,9-96,0) und für DM I bei 87,8% (95%-KI 78,2-94,3) der Fälle vor. Für Nickel zeigte Cohens Kappa mit 0,816 (95%-KI 0,694-0,937) eine sehr gute Übereinstimmung, für DM I mit nur 0,474 (95%-KI 0,152-0,796) hingegen eine mäßige. Cohens Kappa ist ein statistisches Maß für die Interrater-Reliabilität bezüglich der Einschätzungen von 2 Beurteilern (Ratern), wobei Kappa = 1, wenn die Rater in allen Bewertungen übereinstimmen. Sofern sich nur Übereinstimmungen im Ausmaß des Zufalls feststellen lassen, nimmt Kappa einen Wert von 0 an.
In oben genanntem Selbsttest stellten Patienten signifikant häufiger positive Reaktionen fest als spezialisierte Dermatologen. Diskrepanzen zwischen den Ablesungen von Patienten und Experten traten vorwiegend bei irritativen und fraglichen Reaktionen auf, die von Patientenseite fälschlich als positiv bewertet wurden.
Zusammenfassend zeigt der Artikel
die Fähigkeit der Testteilnehmer, das Epikutantest-Pflaster aufzubringen, zu entfernen und abzulesen;
dass die Ergebnisqualität der Ablesung durch die Teilnehmer vom Testallergen abhängt (gute Übereinstimmung bei der Ablesung von Nickel, mäßige Übereinstimmung für DM I);
dass Patienten irritative Reaktionen fälschlich positiv ablesen;
dass im Falle einer positiven Testreaktion (sowohl wegen der hohen Quote falsch-positiver Testresultate bei Selbstablesung als auch zur Aufschlüsselung der Duftstoff-Komponenten bei positiver Reaktion auf DM I) die Vorstellung bei einem Dermatologen zur allergologischen Abklärung erforderlich ist;
dass im Falle einer negativen Testreaktion auf die beiden selektiven Testallergene die Vorstellung bei einem Dermatologen zur allergologischen Abklärung erforderlich ist.
Welche Aussagen sind kritisch zu bewerten?
In der Einleitung wird folgende Hypothese aufgestellt: «Die Epikutan-Selbsttestung ist eine Möglichkeit, allergologische Probleme anzugehen und die Anzahl von Patienten auf Wartelisten zugunsten einer dermatologischen Versorgung von Patienten mit größeren Bedürfnissen zu reduzieren». Durch die Ergebnisse der Untersuchung wird deutlich, dass Anspruch und Wirklichkeit diesbezüglich nicht deckungsgleich sind.
Die Untersuchung wurde methodisch einwandfrei durchgeführt und zeigte eine gute Übereinstimmung bei der Ablesung von Nickel als Testallergen, bei DM I allerdings nur eine mäßige. Dieser allergenspezifische Unterschied wird durch eine gemeinsame Auswertung und Darstellung beider Kontaktallergene im Abstract verwässert.
Kontaktallergen-Präparationen sind von unterschiedlicher diagnostischer Qualität. Die Qualitätskriterien einer Testsubstanz sind die Positivity Ratio (PR) und der Reaktionsindex (RI). Eine PR < 75% und ein RI ≥ 0,5 sind Kriterien für eine gute diagnostische Qualität; dies konnte für Testpräparationen von Nickel und DM I in Vaseline gezeigt werden [4].
Die Ergebnisse dieser Arbeit sind nicht auf andere Testallergene übertragbar. Eine Ausweitung der Selbsttest-Allergenpalette - insbesondere auf Kontaktallergene, bei deren Testung irritative und fragliche Reaktionen gehäuft auftreten (PR > 80%; RI ≤ 0) - ist aufgrund mangelnder Beurteilbarkeit nicht sinnvoll.
Inwieweit die Selektion und ärztliche Supervision der Teilnehmer unter Berücksichtigung der Kontraindikationen Einfluss auf die Ergebnisse hatte, bleibt offen.
Positive Testreaktionen - insbesondere auf DM I - erfordern eine differenzierte Relevanzbeurteilung [5], die das Überprüfen einer Patienteninformation bei Weitem übersteigt.
Welche Perspektive eröffnen die Ergebnisse für die Behandlungspraxis?
Sowohl bei einem positiven als auch bei einem negativen Testergebnis wird von den Autoren die weitere Abklärung durch einen Dermatologen empfohlen. Daher ist der hier behandelte Selbsttest aufgrund seiner mangelnden Aussagekraft in Deutschland entbehrlich und erhielt vom Paul-Ehrlich-Institut keine OTC-Zulassung.
Die adäquate Epikutantestung zur Aufklärung einer Kontaktallergie erfordert dermatologische Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen in der Expositionserfassung, Durchführung und Ablesung des Epikutantests sowie eine fachkundige Relevanzbeurteilung. All diese Qualifikationen werden in Deutschland von Dermatologen während ihrer Facharztausbildung erworben und bisher flächendeckend bereitgehalten. Sie können nicht gleichwertig auf den Patienten übertragen werden. Eine kostendeckende Finanzierung der erforderlichen Ressourcen (Zeit und Material) für die Durchführung der Epikutantestung seitens der gesetzlichen Krankenversicherungen ist notwendig.