Zusammenfassung
Hintergrund: Ipilimumab kann nachweislich das Gesamtüberleben bei Patienten mit metastasiertem Melanom verbessern; vollständige Remissionen (CRs) bewirkt es jedoch selten. Immunologische Nebenwirkungen betreffen meist die Haut oder den Gastrointestinaltrakt. Neurologische Ereignisse treten weniger häufig auf, sind aber umfassend beschrieben. Fallbericht: Wir berichten hier über den Fall eines 58-jährigen Mannes mit metastasiertem Melanom, bei dem nach einer spinalen Dekompression und Bestrahlung eine Behandlung mit Ipilimumab begonnen wurde. Nach dem 2. Zyklus entwickelte er eine Colitis, und das Ipilimumab wurde abgesetzt. Die Bildgebung zeigte jedoch eine radiologische CR. Acht Wochen später traten bei dem Patienten, trotz weiterhin bestehender CR, eine Paraplegie und Myelitis auf. Die Anwendung von Steroiden bewirkte eine gewisse radiologische Verbesserung, jedoch keine klinische. Schlussfolgerung: Wir berichten über Myelitis mit nachfolgender Paraplegie als potenzielle neurologische, immunvermittelte Nebenwirkung von Ipilimumab. Hierbei beschreiben wir einen Patienten mit einer CR nach 2 Zyklen Ipilimumab im Zusammenhang mit einer Bestrahlung.
Einleitung
Ipilimumab kann nachweislich das Gesamtüberleben bei Patienten mit metastasiertem Melanom verbessern; vollständige Remissionen (CRs) bewirkt es jedoch selten. Immunologische Nebenwirkungen betreffen meist die Haut oder den Gastrointestinaltrakt. Neurologische Ereignisse treten weniger häufig auf, sind aber umfassend beschrieben. Wir berichten hier über den Fall eines 58-jährigen Mannes mit metastasiertem Melanom, bei dem nach einer spinalen Dekompression und Bestrahlung eine Behandlung mit Ipilimumab begonnen wurde.
Fallbericht
Ein 58-jähriger Mann wurde nach der Resektion eines ulzerierten nodulären malignen Melanoms am linken Bein an die Medizinische Onkologie überwiesen. Die Breslow-Dicke betrug 5,5 mm, und 2 von 17 Leistenlymphknoten waren tumorpositiv. Die initiale Staging-Bildgebung des Thorax, Abdomens und Beckens mittels Computertomografie (CT) war negativ für Metastasen. Der Patient klagte jedoch über anhaltende Rückenschmerzen; eine weitere Bildgebung mittels Positronenemissionstomografie (PET)/CT ergab eine diffuse, anomal erhöhte Aufnahme von 18F-Fluordesoxyglucose (FDG) im Innern des 7. Brustwirbel-Körpers (T7). Weitere Krankheitszeichen lagen nicht vor. Eine Knochenbiopsie von T7 bestätigte ein metastasierendes Melanom. Daraufhin erhielt der Patient eine palliative Bestrahlung in Form einer Einzelfraktion von 8 cGy zur Schmerzlinderung. Dennoch hielten die Symptome weiter an, und eine weiterführende Magnetresonanz-Tomografie (MRT) der Wirbelsäule ergab eine Retropulsion von T7 mit drohender Markkompression. Der Patient unterzog sich einer notfallmäßigen spinalen Dekompression und anschließend einer Bestrahlung von T6 bis T8 in einer Dosierung von 22,5 cGy in 9 Fraktionen. Im April 2012 wurde die Strahlentherapie abgeschlossen.
Ein erneutes Staging mittels PET/CT-Bildgebung im Mai 2012 ergab multiple neue Lokalisationen von Metastasen, darunter der rechte Femur, die rechte Lungenbasis, der linke posteriore Brustkorb und die rechte Supraklavikularregion (Abb. 1a-d).
Regionen FDG-anreichernder Metastasierung: a rechter Femur, b rechte Lungenbasis, c linker posteriorer Brustkorb, d rechte Supraklavikularregion.
Regionen FDG-anreichernder Metastasierung: a rechter Femur, b rechte Lungenbasis, c linker posteriorer Brustkorb, d rechte Supraklavikularregion.
Da eine Genotypisierung einen negativen Befund für die BRAF-V600E-Mutation erbrachte, wurde ab Juni 2012 Ipilimumab in einer Dosierung von 3 mg/kg alle 3 Wochen gegeben. An Tag 16 nach Abschluss des 2. Zyklus wurde der Patient mit einer Colitis vom Schweregrad 3 aufgenommen, die eine aggressive Rehydrierung sowie den Einsatz von Steroiden und Antibiotika erforderte. Der Patient zeigte eine vollständige Heilung, und das Ipilimumab wurde abgesetzt. Bei einer erneuten PET/CT-Untersuchung im August 2012, 5 Wochen nach dem letzten Behandlungszyklus, wurde eine radiologische CR ohne Anzeichen von Erkrankung dokumentiert (Abb. 2a-d).
Die PET- Aufnahmen zeigen eine radiologische CR ohne Anzeichen einer FDG-anreichernden Erkrankung.
Die PET- Aufnahmen zeigen eine radiologische CR ohne Anzeichen einer FDG-anreichernden Erkrankung.
Dem Patienten ging es gut, bis er sich im November 2012 in der Notaufnahme vorstellte und über seit 1 Woche bestehende Gangunsicherheit, Schwäche im linken Bein, Obstipation und Schwierigkeiten beim Wasserlassen klagte. Die klinische Untersuchung ergab eine Leistung von 4/5 im linken Bein und eine evidente sensorische Höhe von T10. Die Reflexe waren lebhaft; der Plantarreflex ging nach dorsal. In den oberen und unteren Gliedmaßen war die Empfindung normal. Eine notfallmäßige MRT-Untersuchung der Wirbelsäule ergab in T2 eine anomale Hyperintensität im Rückenmark, die sich von T7 bis L1 erstreckte und dem Bild einer umfassenden Ödembildung entsprach, ohne dass Hinweise auf Metastasen oder eine Markkompression vorlagen (Abb. 3a). Die Gehirn-MRT war unauffällig, und die PET/CT bestätigte die anhaltende radiologische CR. Zu dem Zeitpunkt umfasste die Differenzialdiagnose ein paraneoplastisches Syndrom, eine Strahlenmyelitis, eine Querschnittsmyelitis nach spinaler Dekompression, eine aseptische Meningitis, eine leptomeningeale Erkrankung, eine arteriovaskuläre Fehlbildung, eine vaskuläre Myelopathie und eine durch Ipilimumab induzierte Myelitis.
Spinale Ödembildung a bis auf Höhe von T7 bei der Erstvorstellung, b 4 Wochen nach Steroidgabe, c 7 Monate nach Einsetzen der neurologischen Symptome.
Spinale Ödembildung a bis auf Höhe von T7 bei der Erstvorstellung, b 4 Wochen nach Steroidgabe, c 7 Monate nach Einsetzen der neurologischen Symptome.
Mehrere Untersuchungen wurden durchgeführt. Zwei Lumbalpunktionen ergaben leicht erhöhte Proteinkonzentrationen (500-576 mg/l) und normale Glukosewerte (3,4-3,6 mmol/l). Jede Liquorprobe enthielt Lymphozyten in minimaler Anzahl (maximal 16/µl). Es wurden keine malignen Zellen identifiziert. Bakterienkulturen und ein umfassendes Virus-Screening auf HIV (humanes Immundefizienzvirus), Hepatitis-B- und -C-Viren, die Herpes-simplex-Viren 1 und 2, das Varicella-Zoster-Virus und das Enterovirus waren negativ. Das Autoimmun-Screening war unauffällig; ein initiales Screening auf paraneoplastische Antikörper (Ak) einschließlich Anti-Ri, -Hu, -Yo und -Aquaporin war ebenfalls negativ. Ein umfassenderes paraneoplastisches Serum-Testpanel wurde an der Mayo Clinic in Rochester, MN, USA, durchgeführt. Es umfasste den antinukleären neuronalen Ak 1 (ANNA-1; Anti-Hu), ANNA-2 (Anti-Ri), den Purkinje-Zell-Ak 1 (PCA-1; Anti-Yo), PCA-2, PCA-Tr, ANNA-3, für das «collapsin response mediator protein» 5 (CRMP5) spezifisches Immunglobulin G (IgG), für den «anti-glial/neuronal nuclear antibody type 1» (AGNA-1) spezifisches IgG, für Amphiphysin spezifisches IgG, für den «voltage-gated potassium channel complex» (VGKC-Komplex) spezifisches IgG, Kalziumkanal-Ak, Ak gegen «glutamic acid decarboxylase 65» (GAD65), Ak gegen «N-methyl-d-aspartate»(NMDA)/«α-amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolepropionic-acid»(AMPA)/«gamma-aminobutyric-acid»(GABAB)-Rezeptoren und Ak gegen Acetylcholinrezeptoren (alpha 1 und alpha 3) und war ebenfalls negativ. Die Strahlendosen und -felder wurden umfassend überprüft, doch angesichts der Verteilung des spinalen Ödems und der Anzahl verabreichter Fraktionen wurde eine strahlungsbedingte Myelitis bei einer interdisziplinären nationalen Neuroonkologietagung als unwahrscheinlich eingestuft. Die dynamische Bildgebung der Wirbelsäule bestätigte die zufriedenstellende Lage der bei der Dekompression 8 Monate zuvor eingebrachten Metallstifte. Eine CT-Myelografie war unauffällig.
Der Patient erhielt wöchentliche gepulste Dosen Methylprednison über 4 Wochen, dazwischen abnehmende Dosen Prednison. Außerdem umfasste die Initialtherapie Breitbandantibiotika und intravenöses Aciclovir. Dem Patienten wurde 5 Tage lang Ig intravenös verabreicht, und er absolvierte ein intensives Physiotherapieprogramm. Dies führte nur zu einer geringfügigen klinischen Besserung, jedoch zeigten erneute MRT-Scans der Wirbelsäule 2 und 4 Wochen (Abb. 3b) nach der Aufnahme eine Abnahme des T2-Signals entlang des Rückenmarks.
Bei der Entlassung benötigte der Patient eine Gehhilfe und einen Blasenkatheter. Acht Wochen später wurde er erneut aufgenommen; das Ausschleichen der Steroide war abgeschlossen; die Leistungsfähigkeit der unteren Extremitäten hatte sich auf 2/5 verschlechtert, und er war hyperreflexiv mit evidenter Spastik. Ein Wirbelsäulen-MRT zeigte eine progressive Ödembildung am Rückenmark, die sich proximal bis auf Höhe der Bandscheibe C4/5 und distal bis zur Cauda equina erstreckte. Im PET/CT waren 2 kleine Herde FDG-anreichernder Krankheit auf Höhe von S3 und L2 zu erkennen. Eine erneute hochdosierte Steroidtherapie führte zu einer leichten Verbesserung der spinalen Ödembildung in der Bildgebung, aber nicht zu einer klinischen Besserung der Symptome. Zur Behandlung der neuen Knochenmetastasen wurde mit der Gabe von Temozolomid begonnen. Eine erneute MRT-Untersuchung 7 Monate nach dem ersten Auftreten von Myelitis und Paraplegie ergab eine deutliche Rückbildung des Ödems, jedoch eine Krankheitsprogression in der Lendenwirbelsäule nach 3 Zyklen Temozolomid (Abb. 3c).
Diskussion
Das metastasierende Melanom ist eine aggressive Krankheit deren Inzidenz weltweit zunimmt [1]. Die Therapieoptionen beim metastasierten Melanom sind vielfältiger geworden, seit jüngst neue Wirkstoffe zugelassen wurden, die mit Verbesserungen des Gesamtüberlebens assoziiert sind [2,3,4,5]. Trotz der neuen Therapien ist die Prognose von Patienten mit metastasiertem Melanom weiterhin schlecht. Bei der Behandlung mit Ipilimumab - einem humanisierten monoklonalen Ak gegen das zytotoxische T-Lymphozyten-Antigen 4 (CTLA-4) - lagen die Gesamtansprechraten unter 10% [2]. Die umfassende Erforschung der unerwünschten Wirkungen dieser neuen immunverstärkenden Wirkstoffe allein und in Kombination mit anderen Behandlungsmodalitäten außerhalb von klinischen Studien steht noch am Anfang.
CTLA-4 reagiert auf einen Immunstimulus, indem es die T-Zell-Antwort unterdrückt; Ipilimumab bindet CTLA-4 und bewirkt so eine dauerhafte Immunreaktion, die sich sowohl gegen malignes als auch gegen normales Gewebe richtet. Ein strahleninduziertes Absterben von Zellen, das zur Freisetzung von Tumorantigenen führt, könnte theoretisch die körpereigene Immunität und damit das potenzielle Ansprechen auf Ipilimumab verstärken.
Eine Colitis, wie sie bei unserem Patienten auftrat, ist als häufige Komplikation von Ipilimumab bekannt [6,7,8,9,10], und einige Studien berichten von besseren Behandlungserfolgen bei denjenigen Patienten, die solche immunassoziierten Nebenwirkungen entwickelten [9,11,12,13,14]. Unter Ipilimumab sind CRs jedoch relativ selten; sie kommen lediglich bei 2% der Patienten vor [2]. Fälle von objektivem Ansprechen einschließlich 1 CR im Rahmen der Strahlentherapie, die von einem sogenannten Abscopal-Effekt zeugen [15,16], sind beschrieben worden und gingen - wie offensichtlich auch in unserem Fall - mit der Regression von Metastasen außerhalb des Strahlungsfelds einher. Die additive Wirkung von Strahlung und Ipilimumab wird derzeit in klinischen Studien untersucht [17]. Mit Ipilimumab assoziierte, neurologische unerwünschte Ereignisse sind entzündliche Myopathien [18], das Guillain-Barré-Syndrom [19], die aseptische Meningitis [20], das posteriore reversible Enzephalopathiesyndrom [21], enterische Neuropathien [22], die Meningoradikuloneuritis [23], die Myasthenia gravis [24] sowie die transverse Myelitis [25]. Unser Patient entwickelte Monate nach einer spinalen Dekompression und Bestrahlung sowie einer nachfolgenden Ipilimumab-Therapie eine Myelitis in Verbindung mit einer Paraplegie; eine vergleichbare Toxizität ist in der Literatur bisher nicht beschrieben worden. Wir schlossen die meisten Ursachen einer spinalen Myelitis aus; eine spinale Angiografie wurde zwar nicht durchgeführt, jedoch würde eine vaskuläre Komplikation normalerweise nicht einen solchen Verlauf zeigen. Wir erachten eine Ipilimumab-induzierte Neurotoxizität nach der Strahlentherapie als plausible Erklärung für dieses unerwünschte Ereignis. Dies wird auch durch die spontane Regression des Ödems im MRT im Zeitverlauf unterstützt. Eine dauerhafte Immunaktivierung im Rückenmark kann dem bildgebenden Befund und der klinischen Manifestation der Paraplegie zugrunde liegen. Die Abklärung der klinischen Effekte eines neuen Wirkstoffs in Abgrenzung zu den Auswirkungen der Krankheit selbst sowie denen anderer Behandlungsmodalitäten wie Chirurgie oder Strahlentherapie ist eine Herausforderung. Wir möchten auf die potenzielle Neurotoxizität einer Ipilimumab-Therapie nach einer Strahlentherapie aufmerksam machen.
Danksagung
Wir danken Andrew McKeon MD, Neuroimmunology Laboratory, Mayo Clinic, Rochester, MN, USA, für seine Unterstützung bei diesem Fall.
Disclosure Statement
Bei keinem der Autoren liegen potenzielle Interessenkonflikte vor.