Abstract
Hintergrund: Oral verabreichtes Alitretinoin (9-cis-Retinsäure; 9-cis-RA) hat in der Vergangenheit bei Patienten mit chronischem Handekzem (CHE) klinische Wirkung gezeigt. Wir untersuchten nun die Auswirkungen von oralem 9-cis-RA auf die lokale und systemische Immunantwort bei Patienten mit CHE.Methoden: 20 Patienten mit CHE wurden mindestens 24 Wochen lang mit oralem Alitretinoin (10 oder 30 mg/Tag) behandelt. Ihnen wurden Blutproben für eine Durchflusszytometrie entnommen; Serumproben wurden mittels ELISA untersucht, um die Immunglobulin(Ig)-Konzentrationen zu bestimmen; Hautbiopsien von erkrankten Hautstellen wurden immunhistochemisch untersucht.Ergebnisse: Nach der Behandlung mit 9-cis-RA war bei allen Patienten eine Besserung des CHE zu beobachten. Zudem wurde eine signifikante Verringerung der Plasmablasten im peripheren Blut sowie eine deutliche Senkung der Serum-IgE-Konzentrationen gemessen. Darüber hinaus stellten wir nach der Behandlung eine signifikante Reduktion der CD4+ Zellen und der regulatorischen T-Zellen im peripheren Blut fest. In der erkrankten Haut hingegen lagen diese Zelltypen in signifikant erhöhter Zahl vor. Die Zytokinanalyse der aktivierten CD154-positiven T-Zellen ergab einen Rückgang der Produktion von Interleukin(IL)-17, nicht jedoch von IL-4 oder IFN-γ.Schlussfolgerungen: Insgesamt belegen unsere Daten eine krankheitsmodifizierende Wirkung von 9-cis-RA einschließlich einer systemischen Verringerung der IL-17-positiven Zellen bei gleichzeitig verringerter IgE- und CD23-Expression im Serum. Das erhöhte Vorkommen FoxP3-positiver Zellen in der Haut nach der Behandlung könnte auf einen Mechanismus hindeuten, in dessen Rahmen das Handekzem ein therapeutisches Target für 9-cis-RA ist; dies ist jedoch in weiteren Studien zu überprüfen.Übersetzung aus Int Arch Allergy Immunol 2014;165:18-26 (DOI: 10.1159/000365659)
Originalartikel
Immunomodulation in Patients with Chronic Hand Eczema Treated with Oral Alitretinoin
Mandana Schindlera Gennadiy Drozdenkoa Anja Andrea Kühlb Margitta Worma
aAllergie-Centrum-Charité, Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland; bMedizinische Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie / Research Center ImmunoSciences (RCIS), Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Warum ist der Artikel relevant für den deutschen Praxis- und Klinikalltag?
Alitretinoin ist ein Vitamin-A-Derivat, das seit 2008 als erstes und einziges Systemtherapeutikum für die Behandlung therapierefraktärer chronischer und schwerer Handekzeme zugelassen ist. Das klinische Ansprechen aller morphologischen Formen von Handekzemen wurde in großen Zulassungsstudien belegt [1].
Bekanntermaßen wird die biologische Aktivität von Vitamin-A-Derivaten durch ihre Wirkung an 2 unterschiedlichen, spezifischen, zellkernständigen Rezeptorfamilien (Retinsäure-Rezeptor (RAR) und Retinoid-X-Rezeptor (RXR)) vermittelt. Entsprechend ihrem Rezeptorprofil werden die Vitamin-A-Derivate in Retinoide, Rexinoide und Panagonisten eingeteilt: Isotretinoin (13-cis-Retinsäure), Tretinoin (All-trans-Retinsäure) und Acitretin wirken vorrangig am RAR als Agonisten; die aktivierende Wirkung der Rexinoide (Bexaroten) wird durch den RXR vermittelt [2]; Alitretinoin (9-cis-Retinsäure) wirkt als endogener, physiologischer Ligand und einziger Panagonist gleichermaßen auf beide Rezeptorarten (RAR/RXR) und beeinflusst die Zytokinproduktion in den Keratinozyten sowie die Leukozytenaktivität [2].
Zu den genauen immunologischen Wirkungen in vivo wurden bislang jedoch kaum Daten aus Untersuchungen mit behandelten (humanen) Individuen publiziert. Die hier vorgestellte Untersuchung schließt diese Lücke.
Welche Inhalte/Behandlungsoptionen sind neu?
Neu sind die festgestellte Abnahme des Anteils antikörperproduzierender B-Zellen und Fc-epsilon-RII-tragender (Fc-epsilon-RII = CD23; Low-Affinity-Rezeptor) B-Zellen bei unveränderter Gesamtzahl an B-Zellen im peripheren Blut sowie die reduzierten Gesamt-IgE-, -IgA- und -IgM-Titer im Serum unter Alitretinoin-Therapie, wie auch die Abnahme von CD4+ T-Zellen, insbesondere regulatorischer FoxP3+ T-Zellen, im peripheren Blut bei gleichzeitiger intraläsionaler Zunahme in der ekzematösen Haut.
Die Alitretinoin-Therapie zeigte keinen Einfluss auf die T-Zell-Aktivierung oder die IL-4- und IFN-γ-Produktion im peripheren Blut, während eine Abnahme IL-17-produzierender T-Zellen festzustellen war. Diese nehmen eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Entzündungsvorgängen ein, z.B. bei Psoriasis, rheumatoider Arthritis, multipler Sklerose, Morbus Crohn und weiteren Autoimmunerkrankungen.
Welche Aussagen sind kritisch zu bewerten?
Der hohe Anteil atopischer Handekzeme (50%) im untersuchten Kollektiv kann die Ergebnisse beeinflusst haben. Eine Untersuchung der immunologischen Wirkungen von Alitretinoin bei Handekzemen anderer Genese kann unter Umständen zu anderen Resultaten führen.
Welche Perspektive eröffnen die Ergebnisse für die Behandlungspraxis?
Nach aktuellen Daten aus dem Handekzem-Register CARPE (n = 1163 Patienten) erhalten nur 35,3% der Patienten mit chronischem Handekzem eine Systemtherapie, davon etwas mehr als die Hälfte (19,7%) eine Systemtherapie mit Alitretinoin [3].
Die hier kommentierten neuen Ergebnisse von Schindler et al. geben Einblicke in die unter Alitretinoin-Therapie parallel zum klinischen Ansprechen ablaufenden immunmodulatorischen Prozesse im T-Zell- und B-Zell-Kompartiment.
Ein zunehmendes Verständnis der immunologischen Effekte der Alitretinoin-Therapie kann für Arzt und Patient zu mehr Sicherheit und zu größerem Vertrauen in diese systemische Behandlungsoption bei therapierefraktären Handekzemen beitragen.