Zusammenfassung
Alexander Eggermont und Mitarbeiter haben die EORTC 1325/KEYNOTE-054 Studie [1] als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen gewählt. Sie gingen der Frage nach, ob das tumorfreie Überleben (relaps-free survival, RFS) bei Stadium III Melanom Patienten vom Auftreten immunologisch vermittelter unerwünschter Nebenwirkungen (immun-related adverse events, irAE) beeinflusst wird. Die EORTC 1325/KEYNOT-054 Studie vergleicht die Therapie mit dem Immuncheckpoint-Inhibitor (ICI) Pembrolizumab (Pem) zu Placebo. Eingeschlossen wurden nicht vorbehandelte Patienten im Stadium III (AJCC 2009) ohne bekannte Autoimmunerkrankungen, die mindestens eine Mikrometastase von 1mm Durchmesser im Sentinel-Lymphknoten hatten, eine komplettierende regionäre Lymphadenektomie erhalten hatten und bei Studieneinschluss tumorfrei waren. Pembrolizumab (200mg) wurde i.v. alle 3 Wochen für maximal 18 Gaben verabreicht. Von 1011 Patienten begannen 509 mit Pem und 505 mit Placebo , wobei Alter, Body-Mass-Index, Tumorstadien (IIIA, IIIB und IIIC), BRAF-Mutationsstatus und PD-L1 Expression in den Gruppen ohne signifikante Unterschiede waren [1]. Die irAE wurden in 3 Gruppen eingeteilt: 1.) endokrine AE (Hypo- oder Hyperthyreoidismus, Thyreoiditis, Hypophysitis, Diabetes mellitus Typ I, Niereninsuffizienz), 2.) Vitiligo und 3.) alle irAE (endokrine AE, Pneumonitis/interstitielle Lungenerkrankung, Sarcoidose, Vitiligo, schwere Hautreaktionen, Kolitis, Pankreatitis, Hepatitis, Nephritis, Uveitis, Myositis oder Myocarditis). Verschiedene statistische Rechenmodelle (z.B. Cox Regressionsmethode mit ergänzenden zeitvariablen Indikatoren) wurden zur Abschätzung der Assoziation vom Auftreten von irAE und RFS bei Patienten im Pem- und Placebo-Arm sowie zur Betrachtung des Einflusses einer systemischen Steroidgabe auf die Zielvariablen verwendet.
Abstract aus Eggermont AMM, Kicinski M, Blank CU et al: Association between immune-related adverse events and recurrence-free survival among patients with stage III melanoma randomized to receive Pembrolizumab or placebo – a secondary analysis of a randomized clinical trial. JAMA Oncology 2020; 6: 519–527.
Transfer in die Praxis von Dr. Jan Maschke (Köln)
Hintergrund
ICI sind Standard in der Behandlung von Melanom-Patienten im Stadium IV. Einer der ersten ICI war der «programmed cell death-1» (PD-1) Inhibitor Pembrolizumab. Bereits im Stadium III haben die Betroffenen jedoch ein zum Teil erheblich erhöhtes Risiko für einen Tumorrelaps, Fernmetastasierung und Melanom-bedingten Tod.
Ergebnisse der Studie
Die Inzidenz von irAE nach Pem betrug 19,4% nach 3 Monaten und 37,4% nach 15 Monaten. Die korrespondierenden Werte im Placebo-Arm waren 4% und 9%. Falls Patienten ein irAE (am häufigsten endokrine irAE und Vitiligo) hatten, so trat dies innerhalb des ersten halben Behandlungsjahres auf. Es ergaben sich keine Geschlechts-, Altersgruppen- oder Tumorstadieneffekte. 33 von 190 Patienten, die ein irAE unter Pem erlitten, brachen die Behandlung ab. Hierunter waren 19 von 36 Patienten, die ein Grad 3 oder höher irAE hatten. Im Placebo-Arm brachen 6 von 45 Patienten mit irAE die Behandlung ab, auch alle mit einem Grad 3 oder höher irAE.
Die Berechnungen mit dem Cox-Modell hinsichtlich der Schätzung des Therapieeffekts auf das RFS, zeitvariabel adjustiert für das Auftreten von irAE, ergaben, dass die Variable «alle irAE» im Pem-Arm positiv mit einem längeren RFS korreliert. Die Hazard Ratio (HR) als Maß dafür, dass ein Relaps innerhalb des Zeitraumes von 15 Monaten eintritt, betrug 0,61. Dies ist gleichbedeutend mit einer Risikoreduktion um 39% (p = 0,3).
Für den Placebo-Arm lies sich keine positive Korrelation der Variablen bestimmen. In Relation mit dem Placebo-Arm ergab die Hazard-Funktion im Pem-Arm eine größere Reduktion des Risikos für Relaps oder Tod nach dem Auftreten eines irAE (HR 0,37), verglichen mit Patienten ohne, bzw. vor dem Auftreten eines irAE (HR 0,62). Das Auftreten von schweren irAE bei Patienten im Pem-Arm war hingegen nicht signifikant mit einem verlängerten RFS verknüpft. Patienten im Pem-Arm ohne irAE hatten jedoch auch ein, verglichen zu Patienten im Placebo-Arm, reduziertes Risiko für einen Melanomrelaps oder ein Versterben.
Systemische Steroide wurden länger als 30 Tage bei 94 von 509 Patienten im Pem-Arm und bei 25 von 502 Patienten im Placebo-Arm gegeben. Charakteristische irAE für die Steroidgabe waren Kolitiden, Pneumonitiden, Hypophysitiden, Hepatitiden und Hyperthyroidismus. In der Diskussion schreiben die Autoren, dass aufgrund der geringen Fallzahlen nicht die Effekte der unterschiedlichen Arten der systemischen Steroidgaben (z.B. Dosis, Dauer, Steroidsubtyp) auf die Zielvariablen differenziert betrachtet werden konnten.
Insgesamt treffen die Autoren die Aussage, dass irAE Indikatoren für eine besonders starke Wirksamkeit des verwendeten ICI wären.
Kritikpunkte und Perspektiven
Ob und welche Therapie Patienten mit Melanomen im Stadium IIIA benötigen oder nicht, wird sehr kontrovers diskutiert [3]. In der EORTC 1325/KEYNOTE-054 Studie hatten 15,7% (n = 160) aller Patienten im Stadium IIIA Mikrometastasen ≥1mm und alle hatten vorab eine systematische regionäre Lymphadenktomie erhalten. Dieses radikal operative Vorgehen ist heute kein Standard mehr [3]. In derselben Diskussion wurde auch angeführt, dass das Melanomstadium des Patienten zwar prognostisch relevant, jedoch nicht prädiktiv für eine gute klinische Wirksamkeit von PD-1 Inhibitoren wäre. Dies würde auch gelten, wenn man die heute gültige AJCC Klassifikation des Melanoms (2018) für die EORTC 1325/KEYNOTE-054 Studie anlegen würde.
Die Suche nach prädiktiven Tumor- und Metastasenkennzeichen und -charakteristika läuft auf Hochtouren. Treten irAE stochastisch auf oder können wir geeignete Patienten gezielt identifizieren? Kürzlich wurde bei 19 verschiedenen Tumorentitäten über eine signifikante Assoziation von der Gesamtmutationslast mit dem Auftreten von irAE bei Therapie mit ICI berichtet [2]. Auch das Verständnis und die Behandlung von irAE entwickelt sich rasch weiter. Tumorbiopsien und die genaue Analyse welcher Art die irAE sind, spielen für die gezielte Behandlung eine immer größere Rolle [4].
Die Reliabilität des hier im Nachhinein angewendeten Modells der Cox-Regression sollte vielleicht auch noch einmal separat von statistischer Seite betrachtet werden.
Fazit für die Praxis
Wann sollte die Behandlung eines Melanom Patienten mit einem ICI begonnen, wann gelassen und wann ICI kombiniert werden? Die interdisziplinären Tumorboards stehen im Zentrum für eine individuelle Empfehlung. Und das Wechselspiel «from bench to bedside», bzw. «from bedside to bench» gewinnt an praktischer Bedeutung.
Disclosure Statement
Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte in Bezug auf den vorliegenden Wissenstransfer bestehen.