Das Thema der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Medizin hat bereits vor vielen Jahren Einzug in die Kardiologie gehalten, als ein US-amerikanisches Forschungsteam erstmals beschrieben hat, dass sich der Myokardinfarkt bei Frauen mit einer anderen klinischen Symptomatik manifestieren kann als bei Männern. Auch heute noch versterben mehr Frauen an einem Myokardinfarkt als Männer. Dank der Kardiologin und Pionierin Prof. Regitz-Zagrosek wurde die Gendermedizin auch in Deutschland gegründet: Prof. Regitz-Zagrosek war an der Charité in Berlin die erste Direktorin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin. Ihre Forschung befasste sich mit molekularen und klinischen Geschlechterdifferenzen bei kardialen Erkrankungen, womit sie einen maßgeblichen Beitrag zur Verbesserung von Frauengesundheit (mit Schwerpunkt auf Schwangerschaft) geleistet hat. Zuvor galt über Jahrhunderte der männliche Körper als das «Nonplusultra» wissenschaftlicher Untersuchungen. Weiterhin werden neue Therapieoptionen in der Regel an dem Standard des jungen, gesunden Mannes erprobt.
In der Rheumatologie sind geschlechtsspezifische Unterschiede zwar in Teilen bekannt, aber noch relativ unerforscht. Generell treten Autoimmunerkrankungen häufiger bei Frauen als bei Männern auf, u.a. aufgrund genetischer und hormoneller Unterschiede, allerdings sind die genauen Zusammenhänge zwischen hormonellen, genetischen und immunologischen Faktoren bisher nur unzureichend bekannt.
Die aktuelle Ausgabe des Kompass Autoimmun hat den Schwerpunkt auf geschlechtersensible Unterschiede in der Rheumatologie gesetzt.
In der kürzlich erschienenen Übersichtsarbeit «Geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnostik und Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen» [1] legen die Autorinnen dar, dass viele, aber nicht alle, entzündlich-rheumatischen Erkrankungen häufiger bei Frauen als bei Männern auftreten, jedoch die Zeit bis zur Diagnosestellung bei Frauen länger andauert als bei Männern und zusätzlich eine geringere Remissions- bzw. Therapieansprechrate bei Frauen zu finden ist. Außerdem gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede sowohl in den Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) als auch hinsichtlich der Organmanifestationen. Männer mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen leiden eher an kardiovaskulären Komorbiditäten wie arterieller Hypertonie, koronarer Herzerkrankung, Hyperlipidämie und Diabetes mellitus, wohingegen Frauen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen eher an Arthrose, Osteoporose und Depression erkranken.
In einem weiteren CME-zertifizierten Artikel [2] mit dem Titel «Geschlechtersensible Aspekte in der Rheumatologie» haben sich die Autorinnen tiefergehend mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden von Organmanifestationen bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, Unterschieden in den Symptomschilderungen sowie Faktoren, die das unterschiedliche Therapieansprechen beeinflussen können, beschäftigt, und den Status quo dargelegt.
Bisher wurde der Fokus in der begrenzt vorhandenen Literatur zu Geschlechterdifferenzen in der Rheumatologie vor allem auf die zwei biologischen Geschlechter Frau/Mann gerichtet («Binarität»), jedoch sollte in Zukunft auch Intersexualität in die rheumatologische Geschlechterforschung integriert werden.
Außerdem muss die Geschlechterforschung ein fester Bestandteil des medizinischen Curriculums werden.
Geschlechtsspezifische Unterschiede im Auftreten der Komorbidität «Prä-Diabetes» in Patient*innen mit Polymyalgia rheumatica ist Inhalt des ersten Wissenstransfers in diesem Heft [3].
Zwei weitere Wissenstransfers beschäftigen sich mit Geschlechterdifferenzen im Therapieansprechen, zum einen bei früher rheumatoider Arthritis (Post-hoc Daten aus der NORD-STAR Studie, [4]) und zum anderen bei Psoriasis [5].
Außerdem werden Geschlechterunterschiede bei systemischer Sklerose-assoziierter interstitieller Lungenerkrankung (SSc-ILD) hinsichtlich verschiedener Outcome-Parameter beleuchtet (Daten aus dem EUSTAR Register, [6]).
Zuletzt soll anhand eines Falls einer Patientin mit Sjögren-Syndrom und begleitender Autoimmunhepatitis (AIH) die Interdisziplinarität der Rheumatologie herausgestellt werden [7].
Es bleibt also zu hoffen, dass dem weiblichen Geschlecht (wie auch intersexuellen Geschlechtern) in Zukunft in der Medizin mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ich bin überzeugt, dass davon alle Menschen profitieren würden: eine geschlechtergerechte Medizin als zukünftiger Standard.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen!