Zusammenfassung
Im Gebiet der Kinderrheumatologie gab es in den letzten Jahrzehnten immense Fortschritte, die sowohl die Diagnostik, als auch die Therapie nachhaltig verbessert haben. Obwohl erst seit 2003 in Deutschland offiziell als Zusatzbezeichnung anerkannt, stehen heutzutage über 200 Kinder- und Jugendrheumatologen (d.h. 1,4 Kinderrheumatologen pro 100 000 Kinder) für die Erkennung und Behandlung von rheumatischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen bundesweit zur Verfügung. Neue Erkenntnisse in der Pathogenese rheumatischer Erkrankungen und die sich stetig weiterentwickelnde genetische Diagnostik haben das rheumatische Krankheitsspektrum und die Behandlungsmöglichkeiten dramatisch erweitert. Internationale Forschungsnetzwerke und eine spezielle Gesetzgebung für die Entwicklung von pädiatrischen Medikamenten führten zur Zulassung von zahlreichen neuen Rheumamedikamenten, deren Sicherheit im klinischen Alltag seit der Jahrtausendwende systematisch in Deutschland untersucht wird. Maßnahmen zur Sicherung der Versorgungsqualität wurden implementiert, Standardinstrumente zur Bewertung der Krankheitsaktivität und Krankheitslast aus Patientensicht eingeführt sowie Initiativen zur Verbesserung der Versorgung Betroffener (z.B. die ProKind-Initiative) auf den Weg gebracht. Diese Veränderungen haben die Prognose und Lebensperspektive rheumakranker Kinder und Jugendlicher verbessert, wenngleich noch weiterer Optimierungsbedarf besteht.
Einführung
Rheumatische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter umfassen eine Vielzahl von Erkrankungsbildern, die autoimmunologische und/oder autoinflammatorische Ursachen haben können [1, 2]. Insgesamt gehen wir von ca. 22 000 bis 25 000 betroffenen Kindern und Jugendlichen in der BRD aus. Neue Therapien und diagnostische Möglichkeiten (z.B. targeted Next-Generation Sequencing, Gene panels u.a.) haben das kinderrheumatologische Behandlungsspektrums um die autoinflammatorischen Erkrankungen erweitert.
Als Juvenile idiopathische Arthritis (JIA) wird eine Arthritis mit einer Dauer von mehr als 6 Wochen bezeichnet, wenn: (i) sie vor dem vollendeten 16. Lebensjahr erstmalig auftritt und (ii) keine anderen Ursachen gefunden werden können. Die JIA hat in den meisten Fällen einen chronisch progredienten oder rezidivierenden Verlauf über Jahre. Die Folgen der Arthritis für die betroffenen Gelenke und die umliegenden Strukturen können unmittelbar, jedoch auch langfristig auftreten. Extra-artikuläre Manifestationen, v.a. eine Augenbeteiligung durch eine Uveitis anterior [3] sind möglich und erfordern z.T. ein besonderes Vorgehen. Die Erkrankung kann die Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowohl bezüglich des Wachstums als auch bezüglich neuromotorischer Fähigkeiten erheblich beeinträchtigen. Entsprechend der klinischen Manifestationen werden gemäß der Klassifikationskriterien der International League of Associations for Rheumatology 8 verschiedene Kategorien (Systemische JIA (SJIA), persistierende oligoartikuläre JIA (POJIA), extended oligoartikuläre JIA (EO-JIA), Rheumafaktor-negative polyartikuläre JIA (RFneg-pJIA), Rheumafaktor-positive polyartikuläre JIA (RFpos-pJIA), Enthesitis assoziierte Arthritis (EA), juvenile Psoriasisarthritis (jPsA), undifferenzierte JIA) unterschieden [4]. Bei der oligoartikulären JIA erfolgt die definitive Zuordnung erst nach mindestens 6 Monaten Erkrankungsverlauf in die Unterformen persistierende (max. 4 betroffene Gelenke) und extended (mehr als 4 Gelenke betroffen) Form. Auch beim Vorliegen einer zunächst undifferenzierten JIA kann die endgültige Klassifikation oft erst im Verlauf möglich sein [5]. Polyartikuläre Verläufe einer JIA sind bei der SJIA, der Oligoarthritis, der EA, jPsA und der undifferenzierten Arthritis möglich. Patienten können im Verlauf der Erkrankung auch nach vielen Jahren noch die Kategorie wechseln [6]. So ist bei Patienten mit SJIA im Langzeitverlauf eine Polyarthritis regelhaft und es kann zur Bildung von Autoantikörpern kommen [7].
Die Kollagenosenumfassen eine Gruppe heterogener Erkrankungen mit häufig überlappender Symptomatik. Einige der Erkrankungen können auch einen vaskulitischen Verlauf nehmen (z.B. juveniler Systemischer Lupus erythematodes (jSLE), juvenile Dermatomyositis (jDM), juvenile systemische Sklerodermie (jSSc), juvenile lineare Sklerodermie (jlSc), mixed connective tissue disease (MCTD)). Bei einigen Erkrankungen geht man inzwischen von einem Symptomkomplex aus, der jedoch durch ganz unterschiedliche pathophysiologische Mechanismen bedingt sein kann (z.B. jSLE). Die meisten Kollagenosen sind im Kindes- und Jugendalter extrem selten. Der Beginn der Erkrankung kann akut oder schleichend sein. Das macht die Diagnostik manchmal schwer. Mit Ausnahme der lokalisierten Verlaufsformen (limitierter LE, jlSc) sind alle anderen Kollagenosen als Systemerkrankungen aufzufassen, die potentiell Organschäden verursachen und sogar lebensbedrohliche Verläufe haben können [8‒10].
Vaskulitiden, d.h. Erkrankungen, die durch einen entzündlichen Prozess an den Gefäßen vermittelt werden, sind bei Kindern und Jugendlichen deutlich seltener als bei Erwachsenen. Eine Ausnahme bilden die IgA-Vaskulitis (IAV, früher Purpura Schönlein-Henoch) und das Kawasaki Syndrom (KS), 2 prognostisch zumeist gut verlaufende Vaskulitiden, die überwiegend bei Kindern beobachtet werden. Die spezifische Klassifikation der juvenilen Vaskulitiden nach EULAR/PReS [11, 12] unterscheidet: eine i) Vaskulitis vorwiegend der großen Gefäße: juvenile Takayasu-Arteriitis (jTA); ii) Vaskulitis vorwiegend mittelgroßer Gefäße: juvenile Polyarteriitis nodosa, Kawasaki-Syndrom (KS); iii) Vaskulitis vorwiegend der kleinen Gefäße: juvenile Granulomatose mit Polyangiitis (GPA, früher Morbus Wegener), Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA), mikroskopische Polyangiitis, IgA-Vaskulitis, hypokomplementämische urtikarielle Vaskulitis, kryoglobulinämische Vaskulitis, antiGBM-Vaskulitis; sowie iv) Vaskulitis mit Beteiligung von Gefäßen variabler Größe: z.B. Morbus Behçet (MB). Eine neue Gruppe von Vaskulitiden sind die monogenetischen Formen einer Vaskulitis: Deficiency of adenosine deaminase 2 (DADA2), STING-associated vasculitis of infancy (SAVI) und die Haploinsuffizienz A20 (HA20). Hier findet sich ein fließender Übergang zu den Interferonopathien, einer Gruppe seltener hereditärer Erkrankungen, deren Ursache in Mutationen in regulatorischen Genen der Interferon-Signalkette liegen. Vaskulitiden und Interferonopathien erfordern als Multiorganerkrankungen immer ein multidisziplinäres Versorgungskonzept.
Autoinflammatorische Erkrankungen
Wiederkehrendes Fieber ohne erkennbare Ursache sollte zur Abklärung eines periodischen Fiebersyndroms führen. Diese bezeichnen wir heute als «autoinflammatorische» Erkrankungen (autoinflammatory disease, AID) des Kindes- und Jugendalters. AID sind meist Folge von Fehlfunktionen des angeborenen Immunsystems (siehe Pathogenese). Viele AID haben monogenetische Ursachen, d.h. ihnen liegen Mutationen eines der Gene zugrunde, die Proteine oder Regulationsfaktoren in proinflammatorischen Signalübertragungswegen des angeborenen Immunsystems kodieren. Sie sind extrem selten und spielen daher in der kinderärztlichen Versorgung nur eine untergeordnete Rolle. Wichtigste Vertreter sind das familiäre Mittelmeerfieber (FMF), die häufigste AID mit zunehmender Prävalenz auch in Mitteleuropa, und die Cryopyrin-assoziierten periodischen Syndrome (CAPS).
Ätiologie & Genetik
Historisch wurden alle Unterformen der JIA als rheumatische Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters in die Gruppe der Autoimmunerkrankungen eingeordnet. Mittlerweile wird jedoch die SJIA als autoinflammatorische Erkrankung verstanden [13]. Die jPsA und die EA werden analog zu den pathophysiologischen Modellen bei Erwachsenen als Erkrankungen mit autoinflammatorischen und autoimmunen Elementen verstanden [14, 15]. Die polyartikulären Formen der JIA unterscheiden sich bezüglich ihres ätiologischen Hintergrundes beträchtlich. Bereits bei den Untersuchungen zu den HLA-Assoziationen der Unterformen der JIA wurde beobachtet, dass sich die PO-JIA, die EO-JIA und die RFneg-pJIA bezüglich ihrer HLA-Assoziationen (Assoziation mit HLA-DR11 und –DR8 [16‒18]) deutlich von der Rheumafaktor-positiven rheumatoiden Arthritis (RA) des Adulten (Assoziation mit HLA-DR4 und –DR10 [19]) unterscheiden. Bei der RFpos-pJIA hingegen finden sich die gleichen HLA-Assoziationen wie bei der RA des Adulten [16]. Auch bezüglich der vermuteten «shared-epitopes» bei den assoziierten HLA-Allelen unterscheiden sich PO-JIA, EO-JIA und RFneg-pJIA (shared epitope auf der HLA-DQA-Kette [20‒22]) von der RA [19]. Genomweite Assoziationsstudien bestätigten einen differenten genetischen Hintergrund von PO-JIA, EO-JIA und RFneg-pJIA [23] im Vergleich zur RFpos-pJIA und RA [24, 25]. Basierend auf den genetischen Profilen können wir daher aus heutiger Sicht mindestens 2 Gruppen von Polyarthritispatienten differenzieren:
• die zumeist ANA-positiven, im Kindesalter auftretenden Rheumafaktor-negativen Formen (EO-JIA und RFneg-pJIA) mit assoziiertem Uveitisrisiko
• die Rheumafaktor-positiven Formen mit Beginn im Kindes- (RFpos-pJIA) bzw. im Erwachsenenalter (RA)
Bei der Erforschung der periodischen Fiebersyndrome konnten durch molekulargenetische Untersuchungen nicht nur mehrere monogen vererbte Erkrankungen definiert werden, sondern diese auch als autoinflammatorische Erkrankungen von den Autoimmunerkrankungen abgegrenzt werden [26]. Das Spektrum rheumatischer Erkrankungen lässt sich auf Basis der genetischen und molekularpathologischen Befunde als ein Kontinuum zwischen Störungen des angeborenen Immunsystems (Autoinflammation) einerseits und des adaptiven Immunsystems (Autoimmunität) andererseits begreifen [27].
Die meisten Erkrankungen basieren auf einem Zusammenspiel genetischer Anlagen und Umweltfaktoren. Sie können klinisch sehr ähnlich, in ihrer Entstehung und Ursache jedoch verschieden sein. Die Verwirklichung eines pathologischen Phänotyps (Penetranz) hängt von der genetischen Prädisposition des jeweiligen Individuums ab. Der Einfluss weiterer endo- oder exogener Faktoren, sowie der Epigenetik ist bislang nur ansatzweise verstanden [28].
Bei einige Erkrankungen konnte eine monogenetische Ursache definiert werden. Dies sind z.B.:
• monogene Autoimmunerkrankungen mit Immundefekt, wie: das autosomal rezessive autoimmune polyendokrine Syndrom Typ 1 (APECED, APS-1), verursacht durch Mutationen im Autoimmun-Regulatorgen, AIRE [29], die X-chromosomale Immundysregulation-Polyendokrinopathie mit Enteropathie (IPEX), verursacht durch Mutationen im FOXP3-Gen, welches für einen Transkriptionsfaktor der T-Zell Regulation kodiert [30] und das autoimmun-lymphoproliferative Syndrom (ALPS), verursacht durch Mutationen in Genen, die den FAS-Rezeptor (FAS, CD95 [31]), seinen Liganden (FASLG [32]) oder Proteine der intrazellulären Signalkaskade (FADD [33], CASP10 [34], CASP8 [35]) kodieren.
• monogene Erkrankungen, die Lupus Erythematodes-ähnliche Erkrankungsbilder verursachen: Defekte des Komplementsystems (C1Q, C1R/C1S, C2/4, C3) sowie der Interferon γ oder Toll-like-receptor-Signalübertragung: Aicardi-Goutières-Syndrom (AGS), Familiärer chillblain lupus erythematosus (CHLE, TREX1), SAVI und SPENCD [36].
• die Interferon-Typ-I-vermittelten Erkrankungen (sog. Interferonopathien): Aicardi-Goutièressyndrome (AGS1–7), Spondyloenchondrodysplasia (SPENCD), SAVI, Proteasom-assoziierte autoinflammatorische Syndrome (PRAAS), Singleton-Mertensyndrom (SMS), Trichohepatoenteric Syndrom (THES), DADA2 und die X-linked reticulate pigmentary disorder (XLPDR) [37].
• monogene autoinflammatorische Erkrankungen: hier kann ursächlich eine monogenetische Dysregulation des IL-1-Signalweges auslösend sein. Hierzu gehören die Cyropyrin-assoziierten periodischen Syndrome (CAPS) [38, 39], das Familiäre Mittelmeerfieber (FMF) [38, 40, 41] und die Mevalonatkinase-Defizienz (MKD) [42]. Andere Pathomechanismen finden sich beim Tumornekrosefaktor-Rezeptor-assoziierten periodischen Syndrom (TRAPS) [43] oder der Defizienz des IL-1-Rezeptorantagonisten (DIRA) [44].
Deutlich bessere molekulargenetische Techniken wie Whole Genome Sequencing, Next Generation Sequencing, Exom Sequencing und die diagnostische Verwendung von sogenannten Gene-panels [45] haben nicht nur unsere Kenntnisse um die Erkrankungsätiologie, sondern auch die Diagnostik erheblich verbessert und die Entwicklung neuer Therapieansätze maßgeblich beeinflusst.
Therapie
Die Therapie rheumatischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen orientiert sich nicht ausschließlich am Erkrankungstyp und dessen Ätiologie, sondern muss folgende Faktoren miteinbeziehen:
(i) den Grad der Aktivität,
(ii) betroffene Organsysteme,
(iii) den individuellen Verlauf,
(iv) funktionelle Defizite,
(v) Alter und Entwicklungsstand des Patienten.
Dies erfordert die Versorgung der Patienten durch speziell geschulte Kinder- und Jugendrheumatologen.
Lange war die medikamentöse Therapie rheumatischer Erkrankungen auf den Einsatz von Corticoiden beschränkt, die jedoch bei Kindern gravierende Nebenwirkungen haben. Bei einigen Erkrankungen, wie der juvenilen Dermatomyositis (jDM) und der Systemischen JIA (SJIA), war die Letalität vor Verfügbarkeit der Steroide im zweistelligen Bereich. Die Möglichkeiten der Behandlung wurden auch bei schweren kinderrheumatologischen Erkrankungen schrittweise verbessert (Abb 1).
Heute werden hochdosierte systemische Steroide nur noch als orale oder intravenöse «Pulstherapie» in der Initialtherapie zum Überbrücken bis zum Eintritt des Wirkeffektes eines Basismedikamentes und bei schweren Schüben eingesetzt. Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) sind wegen ihrer antipyretischen, antiphlogistischen und analgetischen Wirkung sinnvoll [46]. Ein Meilenstein war die Einführung der «disease-modifying-anti-rheumatic-drugs» – DMARDs in die Kinderrheumatologie. Seit nunmehr fast 30 Jahren ist Methotrexat [47, 48] der wichtigste und erfolgreichste Vertreter der konventionellen synthetischen (cs) DMARDs in der Kinderrheumatologie.
Ab der Jahrtausendwende werden auch in der Kinderrheumatologie neue Therapeutika, die in rekombinanten Organismen hergestellt werden (sog. Biologika oder biological, bDMARDs), verwendet (Abb 2). Voraussetzung hierfür waren und sind große Forschungsnetzwerke, z.B. die PRINTO (Paediatric Rheumatology INternational Trials Organisation), welche Zulassungsstudien weltweit unterstützen, und Regularien der Zulassungsbehörden, dass Medikamente, die üblicherweise zur Behandlung von Kindern eingesetzt werden, auch tatsächlich für die pädiatrische Verwendung getestet werden. Das führte in den letzten 20 Jahren zur Zulassung von 8 bDMARDs für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, weitere stehen vor der Tür. bDMARDs erkennen spezifisch Zielstrukturen, die für die Entwicklung einer Autoimmunantwort wesentlich sind. Die gebräuchlichen bDMARDs in der Kinderrheumatologie sind gegen co-stimulatorische Oberflächenrezeptoren/Faktoren (z.B. CTLA4 – Abatacept; BLyS – Belimumab), Zytokine (z.B. Tumor-Nekrose-Faktor alpha – Adalimumab, Etanercept, Golimumab, Infliximab; Interleukin-1 – Anakinra, Canakinumab; IL-6 – Tocilizumab) oder Oberflächenmarker von Zellpopulationen (z.B. CD20 – Rituximab) gerichtet. Eine neue Gruppe bilden die zielgerichteten (engl. Target), synthetischen tsDMARDs, sog. small-molecules, die intrazelluläre Signalkaskaden beeinflussen (z.B. Tofacitinib, Upadacitinib, Baricitinib). Wie in Tabelle 1 dargestellt, findet sich eine ganze Reihe von krankheitsmodifizierenden Medikamenten, die für Therapien bei rheumatisch erkrankten Kindern und Jugendlichen zugelassen sind.
Übersicht zugelassener und gebräuchlicher Medikamente in der Kinderheumatologie. Krankheitsmodifizierende Medikamente mit Zulassung zur Therapie rheumatisch erkrankter Kinder und Jugendlicher.

Zeitstrahl mit Abbildung der für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit JIA vor der Jahrtausendwende verfügbaren und nach 2000 hinzugekommenen geprüften (bzw. in klinischer Prüfung befindlichen – schwarz umrahmt) und/oder zugelassenen DMARDs.
Zeitstrahl mit Abbildung der für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit JIA vor der Jahrtausendwende verfügbaren und nach 2000 hinzugekommenen geprüften (bzw. in klinischer Prüfung befindlichen – schwarz umrahmt) und/oder zugelassenen DMARDs.
Trotz mittlerweile zwei Dekaden der regulären Durchführung von Zulassungsstudien in der Kinderrheumatologie ist das Wissen über Nebenwirkungen und Risiken neuer Substanzen aufgrund der in den Studien begrenzten Patientenzahlen (z.B. zwischen 69 und 225 in den Zulassungsstudien für die polyartikuläre JIA), relativ kurzen Beobachtungszeiträume sowie selektierten Patientenkollektive noch unzulänglich. Um eine valide Nutzen-Schadens-Bilanz ziehen zu können, braucht es eine systematische Erfassung und Meldung von unerwünschten Ereignissen. Diese wurden mit dem BiKeR-Register (Biologika in der KinderRheumatologie) für Patienten mit JIA im Jahr 2001 etabliert und im Jahr 2007 mit dem JuMBO-Register (Juvenile arthritis-Methotrexate/Biologics long-term Observation) ergänzt. In diesen Registern konnten seitdem wichtige Informationen zur Langzeit-Sicherheit und -Wirksamkeit der bDMARDs, aber auch der konventionellen DMARDs gewonnen werden [49‒51].
Die neuen Therapieoptionen hielten rasch Einzug in den kinderrheumatologischen Alltag (Abb 3) und gestatten eine effektivere Kontrolle der rheumatischen Entzündungsaktivität bzw. das Erreichen anspruchsvoller Therapieziele, wie einer Remission (Abb 4). Dass eine frühe effektive Therapie bei der polyartikulären JIA mit einem besseren Outcome für die Patienten verbunden ist, haben zunehmend mehr Untersuchungen belegen können [48, 52, 53]. Eine internationale Arbeitsgruppe von 30 pädiatrischen Rheumatologen hat demzufolge neue Therapiestrategien empfohlen. Mit einem Treat-to-Target-Ansatz soll innerhalb der ersten 6 Monate der Behandlung eine klinisch inaktive Erkrankung erreicht und danach erhalten werden [54]. Wird dieses Therapieziel oder zumindest eine minimale (oder geringe) Krankheitsaktivität nicht erreicht, wird eine Eskalation der Therapie, z.B. der Einsatz eines bDMARD oder der Wechsel zu einem anderen bDMARD, empfohlen. Damit wird nun auch für Kinder mit JIA, zumindest für Patienten mit schweren JIA-Formen, eine frühe effektive Therapie empfohlen (Abb 5).
Trends in der medikamentösen Behandlung von Patienten mit polyartikulärer JIA, Quelle: Querschnittdaten der Kerndokumentation rheumakranker Kinder und Jugendlicher aus den Jahren 2000 (n=503), 2003, 2006, 2009, 2012, 2015 und 2019 (n=2675).
Trends in der medikamentösen Behandlung von Patienten mit polyartikulärer JIA, Quelle: Querschnittdaten der Kerndokumentation rheumakranker Kinder und Jugendlicher aus den Jahren 2000 (n=503), 2003, 2006, 2009, 2012, 2015 und 2019 (n=2675).
Anteil der Patienten mit polyartikulärer JIA (%) und klinisch inaktiver Erkrankung (Arzt-Globalurteil auf einer numerischen Ratingskala von 0–10, NRS<1) in Abhängigkeit von der Krankheitsdauer. Über die Zeit nimmt der Anteil der Patienten mit inaktiver Erkrankung signifikant zu. Quelle: Querschnittdaten der Kerndokumentation rheumakranker Kinder und Jugendlicher aus den Jahren 2000 bis 2018.
Anteil der Patienten mit polyartikulärer JIA (%) und klinisch inaktiver Erkrankung (Arzt-Globalurteil auf einer numerischen Ratingskala von 0–10, NRS<1) in Abhängigkeit von der Krankheitsdauer. Über die Zeit nimmt der Anteil der Patienten mit inaktiver Erkrankung signifikant zu. Quelle: Querschnittdaten der Kerndokumentation rheumakranker Kinder und Jugendlicher aus den Jahren 2000 bis 2018.
Kinderrheumatologische therapeutische Algorithmen am Beispiel der SJIA mit alternativen evidenzbasierten Therapieprotokollen (modifiziert nach [70]).
Kinderrheumatologische therapeutische Algorithmen am Beispiel der SJIA mit alternativen evidenzbasierten Therapieprotokollen (modifiziert nach [70]).
Die neuen Therapieansätze fanden auch Eingang in die S2K Leitlinie zur Therapie der juvenilen idiopathischen Arthritis [46, 55], die Anfang 2020 durch die AWMF publiziert wurde. Daneben finden sich international mehrere Therapieempfehlungen, die evidenz- und konsensbasiert neue Therapiestrategien propagieren, z.B. jene vom American College of Rheumatology [56] und der SHARE-Initiative (Single Hub and Access point for paediatric Rheumatology in Europe) [57]. Im Rahmen von SHARE entwickelten Experten aus ganz Europa Empfehlungen zur Versorgung («best practice») von Kindern und Jugendlichen mit JIA, Uveitis [58] , jSLE [59, 60], juvenilem Antiphospholipidsyndrom [61], juvenilen Vaskulitiden [62‒64] und autoinflammatorischen Erkrankungen [65]
Versorgung
Die Versorgung rheumakranker Kinder und Jugendlicher wird seit 1997 im Rahmen der bundesweiten Kinder-Kerndokumentation (Kinder-KD) systematisch erfasst. Die Kinder-KD informiert darüber, wo hierzulande welche Patienten in welcher Form kinderrheumatologisch behandelt werden und wie es den Patienten dabei geht. Mehr als 60 kinderrheumatologische Einrichtungen nehmen inzwischen an der Kinder-KD teil und erfassen pro Jahr 13 000–14 000 Kinder und Jugendliche mit einem weiten Spektrum an rheumatischen Erkrankungen. Unter den erfassten Patienten dominieren (mit 7000–8000 Fällen) jene mit JIA. Darunter sind jährlich ca. 1200 inzidente Fälle, die etwa 75% der erwarteten Zahl an JIA-Neuerkrankungen bundesweit entsprechen. Eine Untersuchung anhand deutscher Krankenkassendaten erbrachte während der Jahre 2009–2015 für die JIA eine jährliche Inzidenz von 16,6/100 000 Kinder. Die Prävalenz stieg in diesem Zeitraum von 73,4 auf 101,5/100 000 Kinder an [66]. Bundesweit kann demnach von etwa 1500–1700 Neuerkrankungen pro Jahr ausgegangen werden. Im Durchschnitt braucht es aktuell etwa 3 Monate vom Symptombeginn bis zur Diagnose einer JIA. Informationen zur Versorgung in der Kinderrheumatologie werden darüber hinaus seit 2010 im Rahmen einer jährlichen Umfrage der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR) zu Versorgungsangeboten gewonnen. Zu dieser Befragung werden alle Einrichtungen (in 2020 n = 100) eingeladen, an denen mindestens ein zertifizierter Kinderrheumatologe arbeitet und Mitglied der GKJR ist. An diesen Einrichtungen arbeiten jeweils 1–10 Kinderrheumatologen, an über der Hälfte ist jeweils nur ein Kinderrheumatologe tätig. An jeder dritten Einrichtung findet eine Zusatzweiterbildung statt. Zurzeit befinden sich 47 Kinderärzte laut Umfrage in Zusatzweiterbildung zum Kinderrheumatologen, wobei diese Zahl in den letzten Jahren relativ konstant geblieben ist.
An den Einrichtungen sind derzeit insgesamt 160 Kinder- und Jugendrheumatologen, die Mitglieder der GKJR sind, tätig. Das sind gut 80% der 193 berufstätigen und bei der Bundesärztekammer aktuell erfassten zertifizierten Kinder- und Jugendrheumatologen. Bezogen auf alle erfassten berufstätigen Kinder- und Jugendrheumatologen stehen derzeit 1,4 pädiatrische Rheumatologen pro 100 000 Kinder bzw. ein pädiatrischer Rheumatologe pro 77 Kinder mit JIA für die entsprechende Versorgung zur Verfügung [67]. Ca. 70% der 193 Kinder- und Jugendrheumatologen waren in 2020 stationär, 27% ambulant tätig (22% niedergelassen).
Von den 82 bundesdeutschen kinderrheumatologischen Einrichtungen, die im Jahr 2020 an der GKJR-Umfrage zu Versorgungsangeboten teilnahmen, gaben 13 Einrichtungen an mehr als 200 Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen pro Jahr zu betreuen, 37 verfügten über ein multiprofessionelles Team im ambulanten Setting, 36 standen Betten für die stationäre Versorgung von Patienten zur Verfügung und 36 boten eine strukturierte Transition an (d.h. führten gemeinsam mit internistischen Rheumatologen Übergangssprechstunden durch oder verfügten über ein schriftlich geregeltes Vorgehen bei der Transition). Die Versorgungslandkarte der GKJR (https://www.gkjr.de/versorgungslandkarte/) bildet diese speziellen Angebote ab. Etwa jede vierte Einrichtung gab an, täglich eine kinderrheumatologische Sprechstunde durchzuführen, ein weiteres Viertel an 3–4 Tagen pro Woche. Die durchschnittliche Sprechstundendauer pro Woche und Einrichtung betrug etwa 20 Stunden. Der Mehrheit der Einrichtungen stand ein Ultraschallgerät für die Arthrosonografie im Rahmen der ambulanten Versorgung zur Verfügung. Vergleicht man den aktuellen Stand der Versorgung und Versorgungsangebote mit jenen von vor 10 Jahren, werden rheumakranke Kinder und Jugendliche heute früher im Krankheitsverlauf mit DMARDs und häufiger ambulant in einem multiprofessionellen Team versorgt, die Aktivität ihrer rheumatischen Erkrankung wird in der Regel anhand von standardisierten Instrumenten beurteilt und die Betroffenen und ihre Familien werden häufiger als vor 10/20 Jahren in Therapieentscheidungen einbezogen.
Zudem werden Jugendliche häufiger strukturiert in die internistische Rheumatologie überführt. Trotz dieser allgemeinen Trends besteht in der Versorgung der Kinder und Jugendlichen noch eine erhebliche Praxisvariation, unter anderem in der medikamentösen Behandlung. So variieren z.B. die Verschreibungsraten von DMARDs an den Einrichtungen für neu an JIA erkrankte Patienten im ersten Behandlungsjahr beträchtlich: bei Patienten mit Polyarthritis für Methotrexat von 40 bis 100% und für Biologika von 0 bis 30% [68]. Das geht auf eine begrenzte Evidenz, das Fehlen von Behandlungsstandards und unzureichende Kenntnisse über die beste Behandlungsmethode zurück. Um das zu ändern, wurde innerhalb der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR) eine Kommission «Projekte zur Klassifikation, Überwachung und Therapie in der Kinderrheumatologie» (kurz: PRO-Kind) eingesetzt. In der Kommission waren bzw. sind verschiedene Arbeitsgruppen aktiv, die basierend auf einer Prozessordnung evidenz- und konsensbasierte Handlungs- und Therapieprotokolle für definierte juvenile rheumatischen Erkrankungen entwickeln [65, 69‒73]. Diese Protokolle berücksichtigen das treat-to-target Konzept, empfehlen Minimalstandards für Diagnostik und Monitoring sowie 3 bis 4 Behandlungspfade, die das derzeitige von Kinder- und Jugendrheumatologen favorisierte Vorgehen widerspiegeln.
Werden diese Empfehlungen umgesetzt und Patienten entsprechend der vorgeschlagenen Behandlungsprotokolle behandelt, können das Vorgehen an den kinderrheumatologischen Einrichtungen harmonisiert und bei einer begleitenden standardisierten Patientendokumentation die verschiedenen Behandlungsstrategien auf ihre Effektivität im klinischen Alltag geprüft werden. Wertvolle Informationen könnten so zur weiteren Therapieoptimierung gewonnen werden. Erste konsensbasierte Therapieprotokolle wurden in Nordamerika bereits 2012 durch CARRA (Childhood Arthritis Rheumatology and Research Alliance) entwickelt und angewandt [74]. Eine Evaluation der ersten PRO-Kind-Protokolle erfolgt derzeit in dem vom Innvationsfonds geförderten Vorhaben «PRO-Kind-Rheuma – Handlungs- und Therapie-Protokolle in der Kinderrheumatologie». Diese Vorhaben bieten die Möglichkeit der weiteren Optimierung der Versorgung von JIA-Patienten.
Resümee
In den letzten 3 Jahrzehnten haben mehrere Entwicklungen zu einer deutlich verbesserten Versorgung rheumaerkrankter Kinder und Jugendlicher geführt. Die Etablierung des Fachgebietes, als Spezialisierung innerhalb der Pädiatrie, die national und international vernetzte Zusammenarbeit mit Kinder- und Erwachsenenrheumatologen, der Aufbau von Registern und die Bildung von Expertengruppen zur Entwicklung evidenzbasierter Behandlungsprotokolle sind wesentliche Meilensteine auf diesem Weg. Wesentliche Impulse kamen jedoch auch aus der molekularen Medizin. Dadurch wurde eine Pathogenese gestützte Definition vieler Erkrankung (wie der autoinflammatorischen Erkrankungen) überhaupt erst möglich. Es zeigten sich eigenständige kinderrheumatologische Erkrankungen, jedoch auch Erkrankungsbilder, die offenbar einem frühen Beginn der bei Erwachsenen bekannten Erkrankungen entsprechen. Die verbesserten Kenntnisse der Pathogenese haben jedoch nicht nur die Diagnostik und Klassifikation erheblich verbessert, sondern führten auch zur Entwicklung spezifischer Medikamente, die heute das Erreichen einer Remission zum realistischen Behandlungsziel machen. Mutilierende und tödliche Verläufe kinderrheumatologischer Erkrankungen sind damit eine absolute Ausnahme geworden. Bei der Entwicklung optimierter individualisierter Therapiestrategien, der Transition der Patienten in die rheumatologische Versorgung als Erwachsene, bei der Vermeidung funktioneller Langzeitschäden und einer lebenslangen Minderung der Lebensqualität und Teilhabe sind auch in der Zukunft noch wesentliche Schritte zu gehen.
Interessenkonflikt
JP Haas bezieht keinerlei Zuwendungen seitens der pharmazeutischen Industrie.
K Minden bezieht Honorare von: Pfizer, Abbvie, GSK, Sanofi, Novartis, Medac, Roche.
Lizenzangabe
Haas J-P, Minden K: Langfristentwicklungen in der Kinder- und Jugendrheumatologie. Akt Rheumatol 2022;47:399–408 (DOI: 10.1055/a-1526-9370) © 2021 Thieme. Reprinted with permission.